Gérard Depardieu: Urteilsspruch für das „heilige Monster”
Ein symbolträchtiger Zufall: Just an jenem Tag, an dem das Filmfestival von Cannes vom Stapel gelassen wird, kommt es zu einem Urteilsspruch im Fall Gérard Depardieu. Der 76-jährige Superstar des französischen Films, der in den letzten Jahren viel mehr durch katastrophales Verhalten als durch seine Filmrollen im Radarsystem der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, bekommt in Abwesenheit die Forderung der Staatsanwaltschaft von Ende März als richterliches Urteil bestätigt: eine auf 18 Monate veranschlagte Bewährungsstrafe und die Aufnahme ins Register verurteilter Sexualstraftäter. Depardieu selbst war bei der Urteilsverkündung, die ihm im Höchstfall eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren kosten hätte können, nicht anwesend. Er befand sich bei Dreharbeiten auf den portugiesischen Azoren unter der Regie seiner langjährigen Freundin Fanny Ardant, die im März im Zeugenstand flammende Partei für ihn ergriffen hatte: „Ja, er hat eine große Klappe, ja, er sagt manchmal Unmögliches, aber er hat ein „Nein” noch immer begriffen. Und er ist ein Genie.”
Die erneute Abwesenheit (Depardieu war dem Prozessbeginn im Oktober 2024 schon aus „gesundheitlichen Gründen” fern geblieben) wird französische Medien als erneutes Zeichen der Respektlosigkeit gegenüber den Klägerinnen, der Setdesignerin Amélie Kyndt , 54, und einer anonym verbleiben wollenden Regieassistentin, die unter dem Pseudonym Sarah läuft, 33, gewertet. Schon bei der Forderung der Staatsanwaltschaft im März zeugten sich die Opfer als enttäuscht über die Milde der geforderten Strafe. Depardieus Anwalt Jérèmie Aussous wird natürlich in Berufung gehen, wie er am Dienstag gleich nach dem Urteilsspruch verkündete. Assous steht auch im Kreuzfeuer der Kritik der französischen Rechtsanwaltskammer, weil er die beiden Klägerinnen als „hysterisch” und „Lügnerinnen” im Gerichtssaal diffamiert hatte. Beide Frauen hatten Depardieu wegen versuchter Vergewaltigung, sexueller Übergriffe und verbaler Obszönitäten auf dem Filmset von „Die grünen Fensterläden” 2021 angeklagt. In der Verfilmung des gleichnamigen George-Simenon-Krimis in der Regie von Jean Becker spielte Depardieu den legendären Humanisten und Kommissar Maigret. „Wir mussten uns von morgens bis abends Schweinereien anhören”, so die Schauspielerin Anouk Grinberg, die ebenfalls in dem Film mitwirkte und sich im vergangenen März im Zeugenstand befand, „angeblich gab es eine Referentin auf dem Set, die darauf abgestellt war, sexuelle Angriffe zu verhindern. Nur: Ich habe die nie gesehen, wenn er von Pussys und Schwänzen schwafelte, sie hat sich bei uns auch nie vorgestellt.” Im Gegenteil: Sein Verhalten wurden mit fortschreitenden Dreharbeiten „immer hemmungsloser”.
Beide Klägerinnen waren, wie sie auf dem Online-Portal Mediapart schon im Vorfeld berichtet hatten, von Depardieu tätlich angegriffen worden. „Er hat mich an die Wand gedrückt und mein Gesäß und meine Brüste begrabscht”, so die Setdesignerin, „bis seine Leibwächter dazwischen gingen. Als er von mir abließ, hat er nur hämisch gelacht und gesagt „Wir werden uns wieder sehen.” So obszöne wie erbärmliche Meldungen wie „Ich werde meinen großen Schirm in deine Muschi rammen” , „Gebt mir einen Ventilator, bei der Hitze kriege ich ihn nicht hoch” oder „Ich wiege 124 Kilo, mit Erektion 126” waren der Attacke vorangegangen. Auf dem Online-Portal Mediapart hatten sich schon im vergangenen April circa 20 Frauen zu Wort gemeldet, die über Depardieu im Zuge von Filmdreharbeiten im Zeitraum von 2004 bis 2022 Ähnliches berichteten. Bislang waren alle Anschuldigungen und Anzeigen wegen mangelnden Beweisen oder Verjährung im Vorfeld abgewürgt worden. So gesehen ist es, obwohl Frankreich bekannterweise als absolutes Spätzünderland, was seine #Metoo-Aufarbeitungsmoral, gilt, dennoch ein historisches Urteil. Denn Depardieu galt als nationales Monument, für das sogar Staatspräsident Emmanuel Macron im Vorfeld des ersten Prozesses Partei ergriffen hatte.
Es wird möglicherweise nicht der letzte Prozess bleiben: Charlotte Arnould, Tänzerin und Schauspielerin, heute 28, erhob 2018 im Alter von 22 Jahren eine polizeiliche Anzeige wegen Vergewaltigung gegen den Filmstar. Das Verbrechen fand laut ihrer Aussage in Depardieus Palais in der Pariser Rue Cherche-Midi statt. „Diese Frau ist freiwillig zu mir gekommen, und danach noch ein zweites Mal”, pochte Depardieu öffentlich auf Einvernehmlichkeit. Aus Mangel an Beweisen wurde die Anklage zwar 2018 fallen gelassen, aber 2020 auf Grund einer Berufung neu aufgenommen. Die juristischen Mühlen mahlen in einem bürokratisch aufgeblasenen Land wie Frankreich äußerst langsam, allerdings könnte die Wiederaufnahme des Verfahrens, eine weitere Bombe im Fall Depardieu platzen lassen.„Endlich wird Depardieu nicht als Cyrano oder eine andere seiner zahlreicher Figuren behandelt,” so die Anwältin der Regieassistentin, „sondern als das, was er ist: ein durch und durch misogyner Mann.”