Gesellschaft

Hoch die Tassen! Warum wir gar so gern an Ufos glauben

Was steckt hinter den gerade wieder stark gehäuften Ufo-Sichtungen? Zu viel Verkehr in der Stratosphäre? Spionage? Erhöhtes extraterrestrisches Interesse? Die Wahrheit liegt Nein, nicht irgendwo da draußen, sondern tief in uns drinnen.

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Die berechtigte Frage, wie die Außerirdischen wohl reagieren werden, wenn ihnen als erster Mensch ausgerechnet Kurt Waldheim entgegenschallt, der in einigermaßen österreichischem Englisch("Greedings!")schöne Grüße von der Erde ausrichtet, wurde von Tim Burton in seinem Film "Mars Attacks!"bereits im Jahr 1996 beantwortet: Es wird ihnen vermutlich den Schädel zerreißen.

Vor 45 Jahren, am 5. September 1977, wurde die Raumsonde Voyager 1 ins All geschossen. Die Nummer 1 der Billboard-Charts war in jenem Herbst die Disco-Version des "Star Wars Theme",die goldene Schallplatte, die mit Voyager auf Fernreise geschickt wurde, enthielt dieses Stück leider nicht, dafür aber eine Botschaft des damaligen UN-Generalsekretärs sowie weitere 55 Grußworte in ebenso vielen Sprachen (mit interessanter Varianz: Auf Deutsch erklingt da ein simples "Herzliche Grüße an alle",auf Mandarin ein fast schon joviales "Wir hoffen, euch allen geht es gut. Wir denken an euch alle. Bitte kommt hierher und besucht uns, wenn ihr Zeit habt.")

Man hielt es anno 1977 also nicht für ganz ausgeschlossen, dass Voyager irgendwann auf intelligente Lebewesen mit Plattenspielern stoßen würde. Eine andere Welt wurde für möglich gehalten. Das goldene Zeitalter der Ufologie war zu dem Zeitpunkt allerdings schon länger vorbei.

Diese klassische Ära hatte am 24. Juni 1947 mit einem Rundflug des Hobbypiloten Kenneth Arnold über dem Mount Rainier im US-Bundesstaat Washington begonnen. Arnold erblickte dabei neun unidentifizierte Flugobjekte, die wie Bumerangs geformt waren und sich bewegten "wie Untertassen, die übers Wasser ditschen".Daraus wurden in der journalistischen Verkürzung "fliegende Untertassen"-und ein Bild, das sich im kollektiven Gedächtnis eingrub wie eine Plattennadel in der Auslaufrille. Allein im zweiten Halbjahr 1947 registrierten US-Behörden 850 weitere Ufo-Sichtungen sowie eine mutmaßliche Alienraumschiff-Havarie nördlich von Roswell, New Mexiko. Die U.S. Air Force gründete daraufhin die Ufo-Arbeitsgruppe "Project Blue Book",die wohl auch unter dem Eindruck des Kalten Krieges und seiner etwas paranoiden Sicherheitspolitik stand-bis es einfach zu viel wurde. Gegen Ende der 1960er-Jahre lösten Alienbeobachtungen und Ufo-Sichtungen-als Teil von Medien-und Populärkultur inzwischen omnipräsent-immer wieder hysterische Phänomene aus. Also wurde ein Deckel gezimmert: 1969 legte eine Kommission unter der Leitung des Physikers Edward Condon einen Abschlussbericht zum "Blue Book"-Projekt vor, der zu dem Schluss kam, dass eine weitere Ufo-Forschung dem wissenschaftlichen Fortschritt nicht dienlich sei. Basta. Der Condon-Bericht wurde zum GAU der Ufologie und schickte die blühende Parawissenschaft direkt ins Reich der Verschwörungsmythen.

Nicht, dass sie dort nicht prächtig weiterblühte. Die Sehnsucht des Menschen nach Zuwendung ist groß, und wenn diese auch noch außerirdischer Natur ist-umso aufregender. Dazu kamen über die Jahre eine erhöhte Sensibilität für unerklärliche Phänomene und auch immer bessere Technologien zu deren Beobachtung (nur die Handykameras streiken so gut wie immer, wenn es darauf ankommt).In den vergangenen Wochen ließ sich diese grundsätzliche Bereitschaft, Unerklärliches für Außerirdisches zu halten, wieder einmal verstärkt beobachten. Verwehten Wetterballonen und verrosteten Metallbojen wurde zuletzt auch von seriösen Stellen zugetraut, Spuren außerirdischer Intelligenz zu enthalten. Selbst in Österreich wurden im Vorjahr 30 Ufo-Beobachtungen gemeldet, jüngst etwa im Raum Knittelfeld.

Florian Freistetter, Astronom, "Science Buster" (und immer wieder auch profil-Autor),stellt zu dem Thema eine nüchterne Rechnung an: "Wir wissen leider nicht, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung von intelligentem Leben ist. Wäre das bei einem von einer Million Planeten der Fall, dann wäre es im Universum sehr häufig. Liegt die Wahrscheinlichkeit nur bei eins zu einer Trilliarde, dann könnte es auch sein, dass wir die Einzigen sind. Das fänden wir dann auch wieder seltsam und langweilig." Freistetter bekommt, kraft seiner astronomischen Prominenz, immer wieder Ufo-Sichtungen gemeldet. "Es ist am Himmel ja tatsächlich sehr, sehr viel zu sehen. Es gibt Sterne, es gibt Planeten, Sternschnuppen, Satelliten, die Raumstation ISS. Das Problem ist, dass die allermeisten Menschen nicht wissen, was am Himmel zu sehen ist. Ganz viele Menschen kommen also in Situationen, in denen sie etwas beobachten, das sie nicht einordnen können. Im Spätherbst, wenn es wieder früher dunkel wird, ist oft die Venus schon in der Abenddämmerung sehr gut zu sehen. Und die kann extrem hell sein. Die meisten Menschen wissen das aber nicht und sehen ein gewaltig helles Licht. Dann häufen sich die Meldungen."Und die Enttäuschungen.

HIMMELSSCHEIBE

Fliegende Untertasse, fotografiert von Paul Trent über seinem Hof in McMinnville, Oregon, am 11. Mai 1950
 

Denn nichts ist so deprimierend wie ein Geheimnis, das in Wahrheit gar keines ist. Wir wollen glauben. 1980 veröffentlichten die Parawissenschafts-Autoren Charles Berlitz("Das Bermuda-Dreieck")und William L. Moore("Das Philadelphia-Experiment")das Buch "The Roswell Incident" über jenes lange vergessene Ereignis in der Wüste von New Mexico. Angebliche Augenzeugen und Insider berichten in dem Buch vom Fund eines außerirdischen Raumfahrzeugs samt Besatzung sowie der anschließenden Vertuschung durch hochgeheime Kreise. Roswell wurde zur Chiffre, das Buch ein Grundlagentext für die neuere Ufologie bis hin zur Mystery-Serie "Akte X", in deren Windschatten das Nachtprogramm der Privatfernsehsender mit Alien-Autopsien und Verschwörungs-Dokus gepflastert wurde. Die Wahrheit ist irgendwo da draußen.

Ist sie? Warum glaubt man an Aliens, warum hofft man auf Ufos? Einsamkeit spielt wohl eine Rolle: jene der Menschheit im unendlichen Universum, aber auch jene der lichtjahrelang reisenden Außerirdischen auf dem Weg zu uns. Die Vorstellung rührt an eine archaische Empfindung, die uns für Mythen empfänglich macht. Aus Ufologie wird schnell Religion. Zentrales Glaubensbekenntnis aus dem Buch Erich (von Däniken): Außerirdische haben die menschliche Zivilisation begründet. Dies glauben etwa auch die von dem Franzosen Claude Vorilhon alias Raël gegründeten Raëlianer, die davon ausgehen, dass die außerirdischen "Elohim" vor etwas mehr als 20.000 Jahren die Menschen nach ihrem Ebenbild erschaffen hätten. George Knapp wiederum, Investigativjournalist aus Las Vegas, sieht die Sache deutlich pragmatischer: Wir sind wohl eine Art landwirtschaftliches Projekt einer außerirdischen Intelligenz-Unwissende im Garten des Herrn.

Das World Wide Web hat sich als hervorragendes Biotop für blühende Theorien der unheimlichen Art erwiesen. Die Unterscheidung zwischen Fakten und Fiktionen fällt dabei grundsätzlich schwer, was aber kein Problem, sondern der eigentliche Spaß daran ist. "Als man noch Verschwörungstheoretiker sein musste, um es zu glauben, war alles schön und gut",schrieb der österreichische Autor und Ufo-Interessierte Clemens J. Setz in einem Essay für die Hamburger "Zeit".Er spielte damit auf eine bemerkenswerte Entwicklung an: Ufos werden neuerdings wieder ernst genommen, ja fast zu ernst. Im Dezember 2017 berichtete die "New York Times",dass das Pentagon schon seit Jahren eine Ufo-Forschungsgruppe unterhalte. Prominente US-Senatoren, etwa der Republikaner Marco Rubio und der Demokrat Harry Reid, spekulierten daraufhin öffentlich über die Möglichkeit außerirdischer Besuche, verschwommene Aufnahmen geheimnisvoller Flugobjekte, gefilmt von US-Kampfjets, wurden veröffentlicht. In einem Bericht des Pentagon aus dem Juni 2021 wurden 144 Ufo-Sichtungen analysiert und in verschiedene Kategorien sortiert: geheime Flugobjekte aus eigener oder ausländischer Produktion, Wetterphänomene, atmosphärisches Gerümpel und-"Anderes".Sprich: Aliens? Die Ufologie erlebt gerade ihren scientific turn, wird mehrheitsfähig und von der Spinnerei befreit-und verliert damit aber leider auch einiges von ihrer romantischen Aura. Wo fliegende Untertassen waren, trudeln Spionageballone. Die Luft über uns ist wieder ein bisschen dünner geworden. Trotzdem: Herzliche Grüße an alle!

SEBASTIAN HOFER hat sich in seiner Jugend gern mit "Akte X" gegruselt und-möglicherweise davon inspiriert-auch tatsächlich schon einmal ein Ufo gesehen. Es konnte allerdings rasch identifiziert werden: Die örtliche Großraumdisco hatte sich einen neuen Skybeamer gegönnt.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.