Interview

„Das Leben geht halt schlecht aus, das muss man wissen“

Am Tag nach der Premiere seines neues Kabarettprogramms „Hader on Ice“ sprach Josef Hader, Österreichs bedeutendster Satiriker, mit profil über seinen verlorenen Kindheitsglauben, Socken und Verschwörungstheorien.

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Es geht bergab, aber erst einmal geht einer in die Luft, jedenfalls verliert er ganz schön den Boden unter den Füßen. Der höchst erfolgreiche Kulturschaffende Josef Hader - genauer gesagt: die gleichnamige Bühnenfigur, die Josef Hader in seinem neuen Programm spielt - hat sich den alten Kulturschaffendentraum vom Anwesen im Weinviertel erfüllt (dort fällt man als Alkoholiker weniger auf) und erzählt also davon, wie er dort das Leben genießt, wie er den Klimawandel erlebt und wie er die Flüchtlingskrise lösen würde, sowie, und das ist in diesem Kontext tatsächlich einigermaßen folgerichtig, von sprechenden Wölfen und fliegenden Eichhörnchen.

In "Hader on Ice" tanzt die Bühnenfigur des Kabarettisten Josef Hader am Rande des Irrsinns und führt dessen Publikum leicht schwankend, aber mit einer stabilen Grazie an der Nase herum. Kaum einmal verlässt "Hader on Ice" den doppelten Boden, der aber doch immer ganz bodenständig wirkt: Eiche rustikal. Hader sitzt also da, in reduziertem Bühnenbild, und redet. Aus der Hammondorgel (siehe "Hader Privat") ist eine Minibar geworden, die Kunstfertigkeit hat sich nicht verändert. Es wird also, ganz unter uns, Tacheles geredet.

Der Kabarettist erzählt von sich selbst als reicher, alter, alkoholisierter Mann, der natürlich für Menschlichkeit und Klimaschutz ist und sich deshalb einen fröhlichen Diener aus Nigeria hält und nur noch einen SUV fährt (statt zwei; aus Liebestollerei ist er einmal sogar in die U-Bahn gestiegen, aber das war ihm selbst im Hormonrausch dann zu steil). Man muss sich das Aussteigen aus dem ganzen Konsumwahn auch erst einmal leisten können.

Das Schreckliche kommt unschuldig - und mit einem peinlich berührten Grinsen - daher, und Hader zeigt uns, dass Gut und Böse gar nicht so trennscharf voneinander entfernt liegen, wie wir das für uns gern hätten. Und wenn das alles in der Zusammenschau ziemlich arg und gar nicht lustig klingt, dann ist es erstens tatsächlich arg und zweitens unglaublich lustig. Hader gelingen in seinem neuen Programm poetische Bilder, markerschütternde Wendungen und brutal komische Gags, die von einem ziemlich coolen Wolf namens Rudl handeln, von der landschaftlichen Beschaffenheit des Weinviertels und seiner Menschen, vor allem aber von der Scheinheiligkeit des wohlsituierten Links-Bürgertums, das - als eine von Haders zentralen Ziel- und Fangruppen - aus diesem Programm emotional ordentlich durchgewalkt hervorgeht.

Zum Interview am Tag nach der Premiere erscheint der Künstler bester Laune und im dezent originellen Hemd.

profil: Hatten Sie gestern eine gelungene Vorstellung?
Hader: Ich glaube schon, ja. Ich habe mich relativ bald freigespielt und selber Spaß daran gehabt.

profil: Wie funktioniert das: Freispielen?
Hader: Man muss ein bisschen die Kontrolle über sich verlieren. Und man sollte nicht hektisch werden, wenn einmal etwas nicht funktioniert. Man improvisiert Kleinigkeiten. Altmodisch gesagt: Man jazzt.
 

„Ich habe ja lange geglaubt, dass alles gut ist. Als Kind.“

Josef Hader

profil: Man braucht aber auch das Selbstbewusstsein, dass man es gut hinbekommen wird.
Hader: Genau. Möglichst ohne Alkohol. Sonst leidet die Aussprache.

profil: Ich habe vor drei Tagen eine Vorpremiere gesehen …
Hader: Die ist nicht abgehoben. Das war für mich sehr zach. Ich habe mir eine Aufnahme angesehen. Man sieht, dass ich mich bemühe, dass ich das Timing einhalte, und im Gesicht sieht man, wie alles einschläft. Ich hatte noch nicht die richtige Naivität für die Figur. Gestern habe ich sie naiver gespielt, und plötzlich ist es viel leichter gewesen für mich, und für die Leute.

profil: Dann trügt mein Eindruck, dass „Hader on Ice“ ein ziemlich brutales Stück ist? Sie richten die Waffe nicht nur metaphorisch auf Ihr Publikum.
Hader: Wenn es sich darauf einlässt, dann ist das tatsächlich so. Und durch die Leichtigkeit, wenn sie gelingt, wird die Brutalität noch härter.

profil: Es gibt ja nicht viel Schmerzhafteres, als auf den eigenen unterdrückten Sexismus oder Rassismus aufmerksam gemacht zu werden. Sie betreiben das in „Hader on Ice“ sehr effektiv.
Hader: Ich bin diesbezüglich nicht nur berufs-, sondern lebensgeschädigt. Mir macht das Spaß. Ich habe eine gewisse Lust dabei, auch in den eigenen Schwächen zu wühlen. Die werden dann zu künstlerischen Stärken, die man nutzen kann. Ich habe mir das schon als Kind eingeredet: dass für die Kunst alles produktiv ist. Dadurch habe ich fast nie ein schlechtes Gewissen.

profil: Sie verzweifeln auch nicht an der Menschheit?
Hader: Nein, überhaupt nicht. Es wird halt nicht besser. Es war schon immer circa so, wie es jetzt ist. Jede Gegenwart glaubt immer, viel besser und gescheiter als alle vorangegangenen zu sein, und das stimmt halt nicht. Darum habe ich zwar manchmal eine grimmige, aber meistens eine gute Laune der Menschheit gegenüber. Bei einem Satiriker sollte immer eine Lust an den menschlichen Schwächen vorhanden sein, oder zumindest die Freude des Insektenforschers, der etwas ganz Ekeliges gefunden hat, das vorher noch niemand entdeckt hat.

profil: Beinhaltet das Forschungsinteresse auch das Verstehen-Wollen?

Hader: Ich versuche immer, die Leute zu verstehen, privat vielleicht sogar zu viel. Ich blende bei meinen Mitmenschen gerne aus, was mir nicht gefällt. So wie wir das alle machen, weil wir sonst nicht zusammenleben könnten. Da entsteht dann natürlich auch eine gewisse Frustration, und die kann man dann wiederum im Kabarett hinauslassen.

profil: Verstehen Sie Leute, die mit Österreichfahnen gegen die Maskenpflicht demonstrieren?

Hader: Ich verstehe, dass Menschen Angst haben, und ich verstehe, dass Menschen etwas brauchen, woran sie glauben können, etwas, das ihnen über die Unsicherheit hinweghilft. Ich verstehe das, aber es ist von mir selber weit weg, weil ich katholisch geschädigt bin. Ich habe ja lange wirklich geglaubt, dass alles gut ist. Als Kind.

profil: Dass der liebe Gott über Sie wacht?

Hader: Dass da etwas ist, das auf mich aufpasst, auch wenn es gerade nicht so gut läuft, wenn ich von den Kindern in der Volksschule gemobbt werde und alle lachen, weil ich so schlecht Fußball spiele. Aber wenn man insgesamt brav bleibt, wird am Ende alles gut ausgehen. Dieser Kindheitsglaube ist mit der Pubertät verschwunden und seither nicht wiedergekommen. Seither finde ich es eigentlich beruhigend, dass es genau das nicht gibt. Dass nichts gewiss ist. Das Leben ist eine Art Freispiel. Natürlich gibt es Werte, vor allem im Umgang mit anderen Menschen, aber sonst ist das Leben nichts, was einen bestimmten Endzweck erfüllt. Es geht halt schlecht aus, das muss man wissen. Ich beziehe sehr viel Ruhe und Gelassenheit aus diesem Gedanken. Darum verstehe ich diese Demonstranten nicht so gut, aber ich verstehe, dass eine Angst da ist. Und wenn Angst auch noch politisch instrumentalisiert wird, braucht man sich nicht zu wundern.

"Einerseits wissen wir genug, um uns zu fragen, was das Ganze soll. Andererseits sind wir zu deppert, um eine Antwort darauf zu finden. Das ist eigentlich eine Gemeinheit."

Josef Hader

profil: Verschwörungserzählungen sind in diesem Sinne also auch eine Religion.

Hader: Natürlich. Es geht immer darum, das Chaos zu ordnen und zu erklären. Ich weiß nicht, warum, aber ich halte das Chaos sehr gut aus, und dass niemand weiß, wozu das alles gut ist. Wir tauchen kurz auf, sind wahnsinnig beschränkt in unserer Wahrnehmung, es ist alles eine Riesenzumutung: Einerseits wissen wir genug, um uns zu fragen, was das Ganze soll. Andererseits sind wir zu deppert, um eine Antwort darauf zu finden. Das ist eigentlich eine Gemeinheit. Aber ich denke mir: Okay, damit fällt für mich auch jede Verantwortung weg, nach etwas zu suchen, das ich sowieso nicht finden kann.

profil: Sie sind wahrscheinlich kein Mensch, der nervös wird, wenn einzelne Socken in der Waschmaschine durcheinanderkommen.

Hader: Ist das so schlimm? Ich habe viele verschiedene einzelne Socken. Aber ich hebe sie schon auf und probiere alle halben Jahre, ob welche zusammenpassen. Manche passen dann auch tatsächlich wieder zusammen. Aber echte Sorgen macht es mir nicht. Manchmal habe ich auch verschiedene Socken an. Irrtümlich, nicht als Modestatement.

profil: Bei Verschwörungserzählungen wird das Religionskonzept ins Gegenteil verkehrt: Die unsichtbare Macht ist ja gerade keine gute, schützende. Man selber ist der Gute.

Hader: Es ist tatsächlich mehr das Konzept eines Karl-May-Romans: Einer, der alles weiß und alles kann, geht durch die Welt und ist umgeben von lauter Bleampeln. Eigentlich müsste ich als Karl-May-Leser für Verschwörungstheorien total empfänglich sein. Die ersten Verschwörungstheorien meines Lebens waren übrigens linke. Wenn man ein bisschen links orientiert war in den 1970er-Jahren, ist man sehr schnell auf Bücher gestoßen, in denen von den Bilderbergern die Rede war. Alle diese Mythen, die es jetzt von rechts gibt, gab es damals von links: über die Weltregierung, die sich ausmacht, wer amerikanischer Präsident wird, und so weiter. Damals habe ich mir schon gedacht, dass es wohl nicht das Problem ist, dass jemand einen weltweiten Plan hat, sondern dass die Leute unorganisiert einfach deppert sind.


profil: Das trifft wohl auch auf manche Regierungen zu. Man ist als Bürger seltener ein Opfer einer großen Verarsche, als man glaubt.

Hader: Manchmal aber schon. Die jungen Herren von der türkisen Partei zum Beispiel, da hat man den Eindruck, die haben sehr genaue Pläne. Darum fragt man sich auch, warum seit einem Jahr diese ungewöhnlich scharfen Angriffe auf die Justiz stattfinden. Das ist für die ÖVP ein echter Tabubruch. Da frage ich mich: Wenn man keinen Dreck am Stecken hat - warum macht man das?

profil: Haben Sie Sorge, dass die Demokratie dadurch nachhaltig beschädigt wird?

Hader: Ich bin nicht so gut im Alarmschlagen. Ich denke mir: Die Tatsache, dass wir das jetzt alles wissen, und dass bestimmte Medien funktionieren, dass die Zivilgesellschaft und die Opposition funktionieren und dass jetzt letztendlich auch die Grünen beschlossen haben, nicht mehr so nett zu sein, das zeigt schon auch, dass einiges ganz gut funktioniert.

profil: Am Anfang der Corona-Pandemie kamen viele Menschen auf den Gedanken: Die Welt ändert sich. War dieser Gedanke für Sie mit Hoffnung oder mit Sorge verbunden?

Hader: Ich wehre mich dagegen, zu viel Sorge zu haben, weil mir als junger Mensch die alten Leute unglaublich auf die Nerven gegangen sind, die in den 1970er-Jahren immer gesagt haben: Wir leben in einer furchtbaren Zeit! Und die hatten alle vorher den Zweiten Weltkrieg erlebt. Gut, es gab Atomkraftwerke, den Kalten Krieg und das Waldsterben, man hätte sich viele Sorgen machen können. Aber ich habe mir keine gemacht. Und ich möchte nicht anfangen, mir Sorgen zu machen, nur weil ich selber alt werde und der Hormonstatus schlechter wird.

profil: Der Klimawandel lässt Sie auch entspannt?

Hader: Die Frage ist, wie schnell die Allgemeinheit spürt, dass es notwendig ist, etwas zu verändern. Solange es nur einer Minderheit wichtig ist, und die Mehrheit glaubt, das seien Hysteriker, wird sich nicht viel ändern. Andererseits ist es auch nicht so, dass der Mensch gar nichts lernt.

profil: Gerade heute war auf ORF.at zu lesen, dass sich 75 Prozent der Österreicher selbst als Umwelt- und Klimaschützer betrachten.

Hader: Für mich selber kann ich sagen: Ich mach es halt da, wo es mir nicht wehtut. Das wird die Mehrheit auch so halten. Ich fliege sehr ungern und freue mich, wenn ich die Zeit habe, mit dem Zug nach Berlin zu fahren.

profil: Ist das schon Scheinheiligkeit?

Hader: Es ist Bequemlichkeit. Ich sage ja nicht von mir, dass ich in der Frage ein totaler Vorreiter bin. Aber vielleicht stimmt es ja wirklich, dass das allgemeine Bewusstsein besser wird. Vielleicht ist das in dem Chip, den wir mit der Impfung mitbekommen. (lacht)

profil: Eine letzte große Frage noch: Fällt Ihnen ein Weg ein, die Gesellschaft insgesamt wieder ein bisschen entspannter zu machen?

Hader: Ja, der fällt mir ein. Man müsste zurückdrehen, was in den letzten 20,30 Jahren in unserem Wirtschaftssystem passiert ist. Man müsste dafür sorgen, dass man wieder von einem Job leben kann, dass Kinder aus armen Familien die Möglichkeit haben, aufzusteigen, dass die Sozialsysteme wieder besser dotiert sind. Das wäre eigentlich relativ einfach. Aber irgendwer hat daran kein Interesse.

profil: Wer wäre das?

Hader: Das wird jetzt eine neue Verschwörungstheorie: Es ist nicht die große Weltregierung, es sind viele Einzelne, die deppert und egoistisch sind.

profil: Wir werden allerdings auch alle zu Egoisten erzogen.

Hader: Es handelt sich um das Prinzip: Teile und herrsche. Es ist ja schon bemerkenswert, dass in Amerika Milliardäre armen Menschen einreden können, dass sie ihre Interessen vertreten. Den Schmäh haben sie im Alten Rom schon erfunden, und er haut immer noch super hin. Volksvertreter, die unendlich reich sind und sagen: Wir kümmern uns um euch.

profil: Während ein Armer auf den anderen Armen neidisch ist.

Hader: Genau. Und: Wenn du dich anstrengst, wird alles gut. Aber der da drüben, der ist ein fauler Hund. Das ist das Prinzip. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das in der Nachkriegswelt, in der ich aufgewachsen bin, eine Zeit lang anders war. Damals hat es linke Katholiken gegeben oder Bundesregierungen, die riesige gesellschaftliche Reformen gemacht haben. Und man hat als Bauernkind studieren können. Aber vielleicht war das nur ein kleiner Werbegag nach zwei Weltkriegen.

 

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.