Ein Mädchen hält während eines Jugend-Klimastreiks vor dem New Yorker Hauptquartier der Vereinten Nationen ein Schild mit der Aufschrift „YOLO“ (Man lebt nur einmal).
Jugend

Es winkt das Ende der Welt

2012 war „Yolo“ („You only live once“) das Jugendwort des Jahres. Elf Jahre später ist es wieder da – nur um einiges depressiver und ironischer. Was sagt das über den Zustand der Jungen?
Eva  Sager

Von Eva Sager

Drucken

Schriftgröße

Es ist ein virtuelles Gesetz: Wenn die deutsche Tagesschau-Sprecherin Susanne Daubner die Topauswahl für das „Jugendwort des Jahres“ vorliest, hören alle zu. Da herrscht im Internet ausnahmsweise einmal kollektive Einigkeit, alle wissen: Das wird außerordentlich lustig. Nur heuer, heuer konnte man da einen leisen Hauch von Traurigkeit registrieren. „Yolo“ ist wieder da. „You only live once“ – „Man lebt nur einmal.“ Das kennen wir: „Yolo“ war schon 2012 der Ausdruck für absolute Risikobereitschaft und jugendlichen Leichtsinn. Hausaufgabe vergessen? Yolo. Sich besoffen in einem Taxi übergeben, weil man doch nicht wie groß angekündigt drei Zigaretten gleichzeitig rauchen kann? Yolo. Richtig „crazy“ zu „Gangnam Style“ tanzen, weil der große „Gossip-Girl-Reveal“ (Spoiler: OMG, es war die ganze Zeit Dan?!) immer noch an einem nagt? Yolo.

Und heute? „Yolo“ ist in den vergangenen elf Jahren erwachsener geworden und wahrscheinlich auch deswegen so viel trauriger und abgeklärter. Die naive Unbesorgtheit wurde von Gleichgültigkeit und Zukunftspessimismus abgelöst. Klimakrise? Yolo. Teuerung? Yolo. Pandemie? Yolo. Heutzutage ist das Jugendwort des Jahres 2012 zu einer Art Bewältigungsstrategie für die gegenwärtigen Krisen mutiert – von wegen Ausruf absoluter Lebensbejahung, heute reagiert man mit „Yolo“ auf den Waldbrand neben dem Urlaubsresort.

Eine ähnliche Analyse trifft eine europäische Jugendstudie der Tui-Stiftung. Sie besagt, dass Menschen im Alter von 16 bis 26 Jahren ihre Zukunft immer pessimistischer einschätzen. In der Trendstudie „Jugend in Österreich Sommer 2022“ heißt es: Jeder dritte zwischen 14 und 29 Jahren ist unzufrieden mit dem eigenen Leben.

Das spürt auch Rat auf Draht, eine österreichische Notrufnummer für Kinder und Jugendliche. Laut der Organisation haben die Beratungsgespräche rund um psychische Belastungen im Vergleich zum Vorjahr deutlich zugenommen. Betroffen davon wären fast alle Bereiche, von Depressionen bis hin zu Suizidalität. „Hinzu kommt, dass sie die Nachwirkungen der Pandemie, der Krieg in der Ukraine und die damit einhergehenden Symptome wie die Teuerung zusätzlich belasten“, heißt es auf Anfrage. Sorgen um die eigene Zukunft würden da ebenfalls dazugehören. „Etwa: Werde ich später überhaupt noch einen guten Job, eine gute Ausbildung bekommen können?“

„Yolo“ spiegelt also fast symbolisch den Wandel des Zeitgeists. War es zuerst vielleicht etwas dumm, ein bisschen peinlich, aber vor allem witzig, ist es heute Ausdruck einer kollektiven Machlosigkeit, das Wort-gewordene Gefühl, nichts daran ändern zu können, mit Vollgas auf das Ende der Welt zuzurasen. Da bleibt einem wenig anderes über, als sich an der Ironie zu versuchen. Also „Yolo“.

Eva  Sager

Eva Sager

seit November 2023 im Digitalteam. Schreibt über Gesellschaft und Gegenwart.