„Der Orgasmus der Seele“

Lachforscher Lenz Prütting: „Der Orgasmus der Seele“

Psychologie. Interview mit dem wichtigsten Lachforscher der Welt

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Das größte Lob kam vom Elektriker. Als Lenz Prütting, 74, dem ortsansässigen Handwerker nach über zehnjähriger Schreibarbeit sein kürzlich veröffentlichtes 2000-Seiten-Opus „Homo ridens“, eine phänomenologische Studie über Wesen, Formen und Funktionen des menschlichen Lachens, präsentierte, erwiderte der Arbeiter trocken: „Jo, mi leckts am Oasch!“ Betonung auf dem i. Prütting, der gebürtige Norddeutsche mit Brummbass und druckreifer Sprache, der seit Jahrzehnten in dörflicher Idylle nahe dem Münchner Ort Pfaffenhofen lebt, musste irritiert nachfragen, ob damit Anerkennung oder Tadel gemeint sei. Die Dialektexperten des Dorfs gaben Entwarnung: „Jo, mi leckts am Oasch!“ stehe bayerisch für grandios und fabelhaft.

In dem zum ländlichen Gutshaus erweiterten Einödhof, in dem Prütting gemeinsam mit Doris, einer Malerin, lebt, liegt ein handschriftlicher Zettel in einer Schale beim Hauseingang: „My next husband will be normal.“ Beim nächsten Mann wird alles anders.

Im vergangenen Jahrzehnt verbrachte Prütting sehr viel Zeit in seiner Bibliothek, einer verwinkelten Stube unterm Dach, in der man ihn fast nicht findet vor lauter Büchern. In dem Raum schrieb er in kaltem Neonlicht die drei Bände von „Homo ridens“ mit Hand und ausgetüfteltem Zitiersystem. „Homo ridens“ ist eine Pionierarbeit, ein Buch, wie es nicht alle Jahre erscheint: Prütting präsentiert darin einen Schatz von Literatur zum Thema und wagt den großen Wurf, bei dem er Ideen-, Mentalitäts- und Wesensgeschichte des menschlichen Lachens von der europäischen Antike bis in die Gegenwart koppelt.

Prütting ist ein Mann vieler Talente. Nach zehn Jahren Forschung am Institut für Theaterwissenschaft der Universität München arbeitete er als Dramaturg und Regisseur. Die Brotbacköfen in seinem Haus hat er selbst gebaut, die Sudoku-Rätsel in der „Süddeutschen Zeitung“ löst er spielerisch leicht; in einem Gebäudetrakt hat er sich eine Werkstatt mit Feueresse und langen Reihen von Holzstemmeisen zum Bau von Messern jeder Art und Größe eingerichtet.

Prütting, der mit massivem Kopf auf kugeligem Körper wie eine Mischung aus Santa Claus und Hermann Nitsch wirkt, verkörpert den raren Typus des Universalgelehrten. Das nächste Buch hat Prütting bereits in Arbeit. Es soll „Im Flusse des Ganzen“ heißen und eine erste Annäherung an seinen Nazi-Vater sein.

Das Gespräch über das Lachen findet in Prüttings Studierstube unter dem Dach statt. Prütting lacht dabei nicht oft. Wenn er es dann doch tut, gerät sein Körper in Schwingung, der Bart zittert. Er lacht kurz und polternd und spricht dann weiter.

profil: Gelacht wird immer und überall. Wie meistern Sie als Lachforscher Ihren Alltag?
Lenz Prütting: Ich bin schier gezwungen, lachende Menschen zu studieren. Kürzlich sah ich etwa eine TV-Sendung, in der über den Nutzen der Homöopathie diskutiert wurde. Eine Vertreterin dieser Hokuspokus-
Globulus-Wissenschaft hatte ein ganz bestimmtes Lachen: Jeden ihrer Sätze beendete sie mit einem Lachtriller, so wie man Satzzeichen setzt. Sie riss den Kopf diagonal in die Höhe und den Mund weit auf. Rilke würde sagen: „Als schälte sich der Schädel aus dem Maule.“ Dann ließ die Frau einen kurzen Lacher los, der aber nie ausklang und wie abgehackt wirkte – der klassische Fall eines aufgesetzten Lachens. So wie sie lachte, so argumentierte sie übrigens auch.

profil: Könnte es nicht sein, dass Sie gerade der Versuchung der Überinterpretation erliegen?
Prütting: Keineswegs. Gegen Ende der Sendung war die Frage zu beantworten, mit wem die Diskutanten am liebsten ein Zimmer teilen würden. Da antwortete die Sitznachbarin der Homöopathin, eine Ärztin: mit ihr, weil sie so herzhaft lache. Wer so etwas sagt, kann kein guter Diagnostiker sein, der hat keine Augen im Kopf.

profil: Ursprünglich wollten Sie einen Essay über das Lachen schreiben. Nun sind es drei Bände mit über 2000 Seiten geworden. Was ist schiefgelaufen?
Prütting: In der Theorie des Komischen klaffen nicht nur enorme Lücken, es ist auch undifferenziert vom „Lachen“ die Rede. Deshalb war es wichtig, Lachen in Grundtypen einzuteilen: Das häufigste Lachen ist das Verbindlichkeitslachen, ein harmloses Anlachen mit Blickkontakt. Stünde uns dieses Interaktionslachen nicht zur Verfügung – wir schlügen uns die Schädel ein.

profil: Lachen regelt also den Alltag?
Prütting: Lachen ist eine Möglichkeit von vielen, brenzlige Situationen aufzulösen, die mit Abstand eleganteste und akzeptierteste. Lachen wirkt als soziale Schmiere. Hunde lächeln mit dem Schwanz, wir mit Augen und Mund.

profil: Das sogenannte Bekundungslachen, schreiben Sie in Ihrem Buch, sei ebenfalls lebenswichtig.
Prütting: Der Impuls, über das Lachen nachzudenken, gründet in meiner Kindheit, in der ich immer wieder in Situationen geraten bin, in denen ich Gelächter, fremdes wie eigenes, als ebenso befreiende wie vernichtende Macht empfunden habe. Bekundungslachen platzt aus uns heraus, ist Katastrophenreaktion. Es macht sich selbstständig, ist nicht mehr zu bremsen.

profil: Sie schildern in Ihrem Buch folgende Szene: Als Sie sieben Jahre alt waren, wurde Ihre Mutter von einem Ehepaar gefragt, ob es Ihren älteren Bruder adoptieren könne – worauf Ihre Mutter den Bruder in die Arme schloss und Sie an der Schulter mit dem Satz von sich stieß: „Da, den da könnt ihr haben!“ Ihre eigene Mutter wollte Sie loswerden, das Ehepaar wollte Sie nicht haben. Ihnen muss zum Heulen gewesen sein – und dennoch lachten Sie lauthals.
Prütting: Mit dem Lachen ist nicht zu spaßen. Ohne Bekundungslachen wäre diese Kindheitsszene im gnädigen Dunkel einer weiteren Amnesie verschwunden. Vielen meiner frühkindlichen Erlebnisse lag dieses Muster zugrunde: Meine Mutter taucht auf, der Film reißt, ich bleibe körperlich versehrt zurück. Bis heute trage ich davon Narben. Ohne rettendes Lachen hätte ich diese Jahre nicht überlebt. Lachen kann also der Weg von innen nach außen sein, ein sprichwörtliches Ausatmen. Man lacht das Desaster ab – und weg. Beim Resonanzlachen schließlich tritt man mit anderen in Beziehung. Resonanzlachen ist ein Verhalten, in das man gleichsam wie in Musik hineingleitet, ohne Reaktionszeit. Man lacht nicht mit Anlauf.

profil: Im Neuen Testament findet sich keine einzige Passage, in der Jesus lacht. Hat das Christentum deshalb seit mehr als 2000 Jahren ein evidentes Problem mit dem Lachen?
Prütting: Bereits im frühen Christentum wurde das Lachen im Rahmen rigider Mönchsregeln diskutiert. Die Funktionsträger der Kirche sollten sich des Lachens enthalten – vom Kirchendiener bis zum Papst. Lachen kann sich verselbstständigen. Wer seinen eigenen Körper nicht beherrscht, kann auch nicht über andere herrschen. Bezeichnenderweise taucht dieses Machtkriterium in dem Augenblick auf, in dem das Christentum im Römischen Reich um 390 zur Staatsreligion wurde.

profil: Wer lacht, ist unkontrollierbar?
Prütting: Er ist zumindest einem anonymen Geschehen ausgeliefert. In der Antike war die griechische Stoa die beherrschende Philosophie. Das Ideal verkörperte der Weise, der sich völlig in der Hand hat: ein Gedanke, der auf Jesus übertragen wurde. Nur der Stoiker macht Karriere als Mönch oder Höfling, als Scientologe oder als Funktionär, wie ihn Brecht beschrieben hat. Wer sich nicht in der Hand hat, wer sein Herz sprechen lässt, ist, so gesehen, verloren. Traten Fundamentalismen oder Reformschübe in der Geschichte des Christentums auf, waren das immer Ernsthaftigkeitsschübe, nach dem Muster: Gehen wir zurück zu den Quellen. Werden wir wieder ernst, Lachen ist zu weltverfallen. Bernhard von Clairvaux schrieb in seinen Kreuzzugspredigten: Ihr dürft die Heiden prügeln. Ihr dürft aber nicht lachen.

profil: Was stört die Kirche konkret am Gelächter?
Prütting: Das gewöhnliche heitere Lachen war der Kirche stets brandgefährlich, weil der befreiende Aspekt des Lachens der halbe Weg zur Selbsterlösung ist. Wer imstande ist, die Flucht aus der Situation anzutreten, kann auf die christlichen Erlösungsstrategien gut und gern verzichten. Das Misstrauen der Kirchenväter und der konsequenten Christen richtet sich gegen jenes Selbsterlösungslachen, das wie ein Automatismus abläuft und nicht mehr zu bremsen ist. Erst in zweiter Linie ist damit das Lachen aus Hochmut gemeint.

profil: Insofern scheint das Genre des Western, in dem so gut wie nie gelacht wird, geradezu eine Erfindung der katholischen Kirche zu sein.
Prütting: Der Western ist eine tiefernste Kunstform, eine quasireligiöse Gattung, in der es ausschließlich um den Konflikt zwischen Gut und Böse geht. Drehte die Kirche Filme, sie würde Western drehen.

profil: Im Gegensatz zum amtierenden Papst Franziskus war dessen Vorgänger Joseph Ratzinger nicht gerade als Lachliebhaber verschrien. Wirken die antiken Nicht-Lach-Regeln bis heute?
Prütting: Und wie! Kurz nach seiner Amtsübernahme konnte man Franziskus mit Menschengruppen sehen, auf die er situationsadäquat einging: freundlich, mit Blickkontakt, lächelnd. Neben ihm stand Tarcisio Bertone, der damalige Kardinalstaatssekretär, ein ehemaliger Ratzinger-Vertrauter und einer der mächtigsten Männer im Vatikan. Im Gegensatz zu Franziskus hatte Bertone ein süßliches Klerikerlächeln auf den Lippen, das Gesicht zur Lachfratze entstellt, als habe er ein Bonbon im Mund. Franziskus geht auf die Menschen zu. Bertone dagegen signalisiert den katholischen Fundis: Dem werden wir es schon noch zeigen.

profil: Wo wirkt Lachen noch verräterisch?
Prütting: Der ehemalige deutsche Bundeskanzler Schröder war ein Grinsepolitiker, der sein Lachen nach Bedarf ein- und ausschalten konnte. Die politische Troika Schröder, Oskar Lafontaine und Rudolf Scharping veranstalteten damals regelrechte Falschlachorgien. Das wirkte charakterlos. Es ist auch schwer vorstellbar, dass sich Angela Merkel in der Öffentlichkeit vor Lachen biegt. Sie ist das Musterbeispiel für das Sich-Zusammennehmen. Das macht die Frau nicht weniger unheimlich.

profil: In TV-Sitcoms wird dagegen ständig gelacht.
Prütting: Das Lachen aus dem Off erinnert fatal an die Theaterclaque des 19. Jahrhunderts. Damals gab es auch Leute, die dafür bezahlt wurden, gezielt zu lachen. Im Fernsehen lässt sich jede Szene durch Lachen „anwärmen“. Das ist aber Demagogie, die sich den Schrittmachereffekt des Lachens aneignet und diesen gezielt instrumentalisiert. Es ist im Grunde dieselbe Technik, die auch Goebbels bei seiner Sportpalastrede 1943 anwandte. Bei der Frage nach dem „totalen Krieg“ wurde ein vielstimmiges „Ja!“ vom Band eingespielt. Die Hemmschwelle sinkt unter dem Eindruck, dass tausend andere auch „Ja!“ schreien. Man schreit mit. Man lacht mit. Das Lachen ist zur Manipulation freigegeben.

profil: Hat eigentlich Hitler je gelacht?
Prütting: Ich kenne zwei Fotos, auf denen er den Anschein eines Lachens im Gesicht hat. Auf dem einen führt er, kurz nachdem er erfahren hat, dass Frankreich kapituliert hatte, einen stampfenden Tanz auf: Triumphlachen in seiner schlimmsten Form. Hitler stößt seine Freude in den Boden, sein Lachen ist gequetscht. Der Tyrann litt an einer regelrechten Lachphimose, einer Lachverengung. Es gibt keine einzige Aufnahme, auf der Hitler herzbefreiend und herzbefreit lacht, sodass andere mitgelacht hätten.

profil: Bei Hitlers Tischreden herrschte also tiefer Ernst?
Prütting: Wenn Hitler andere überhaupt zum Lachen aufforderte, waren das ausschließlich Appelle zum Auslachen von oben, zum zynischen Lachen in gebremster Art. Hitler war in allem gehemmt. Seine Lebens- und Verhaltenspalette war extrem eng. Wer sich das Lachen verbeißt, tut das deshalb, um elementar hassen zu können. Lachen ist die Hassbremse.

profil: Von Nordkoreas Diktator Kim Jong Un existieren auch keine Fotos, auf denen er lacht.
Prütting: In den Zirkeln absoluter Macht hat das Lachen keinen Platz – das kann entweder die uneingeschränkt politische Macht wie in Nordkorea oder die Allmacht Gottes sein. Lachen wirkt da wie dort subversiv.

profil: In Rumänien unter Ceaușescu, waren Witze über den Diktator beliebt.
Prütting: Ich hatte zufällig in Bukarest beruflich zu tun, als der Despot auf dem Zenit seiner Macht stand. Die Leute erzählten sich damals unaufhörlich Witze, in denen Ceaușescu, als der letzte Depp aufschien. Angemaßte Macht muss entlarvt werden.

profil: Gilt das auch für den Schüler, der dem Direktor ins Gesicht lacht?
Prütting: Lachen ist die Waffe der Wehrlosen. Lachen kann ungeheuer gefährlich wirken. Als Jean Paul 1811 seine Vatersuchgeschichte „Der Komet“ zu schreiben begann, kamen ihm die Karlsbader Beschlüsse mit ihren Zensurmaßnahmen dazwischen. Deshalb lässt der Autor im Buch einen Polizeipräsidenten auftreten, einen Vertreter der Zensur, der eine Erzähltheorie entwickelt, die besagt, dass Literatur brandgefährlich und die Autoren abgefeimte Verschwörer seien, die sich in einem „Traumgeberorden“ zusammenfänden, der den Menschen Träume in die Köpfe setze. Analog wirkt der Effekt des Lachens von unten, jenes Auslachen, das zum kulturellen Ritual erhoben wird – und in der Lage ist, die sogenannte Wirklichkeit infrage zu stellen und zu stürzen.

profil: Der Berliner Komiker Mario Barth füllt mit seinen Programmen Stadien. Können Sie über diese Art von Humor lachen?
Prütting: Nein, weil er primitiv und ärgerlich ist. Fritz Kortner lachte einst über die Improvisation eines Schauspielers, verlangte aber, diese zu unterlassen, mit folgendem Kommentar: „Ich habe zwar gelacht, aber weit unter meinem Niveau.“ Es gibt offenbar viele Menschen, die bereit sind, jeden Blödsinn und jede Unverschämtheit mit unerträglichem Lachen von oben herab zu quittieren. Barth glaubt, es sei bereits komisch, das Gesicht zu verziehen. In den Darbietungen von Kurt Krömer und der ZDF-Satiresendung „heute show“ findet nur mehr zynisches Auslachen und die Infantilisierung der Zuschauer statt.

profil: „heute show“-Moderator Oliver Welke wird da anderer Meinung sein.
Prütting: Bei ihrem Start vor fünf Jahren organisierte die Show das Auslachen von unten. Das ist völlig legitim, ein Stück Aufklärung: Selbstbehauptung angesichts politischer und gesellschaftlicher Übermacht zu organisieren. Mittlerweile lacht Welke von oben herab, geriert sich unerträglich besserwisserisch. Bezeichnend dafür ist, dass der Moderator am meisten selber lacht. Er glaubt, jeden Witz erklären und durch sein Lachen bestätigen zu müssen.

profil: Ist es nicht zu viel verlangt, dass diese Form der Unterhaltung geradezu homerisches Gelächter hervorrufen sollte?
Prütting: Das homerische Gelächter, das Peter von Matt den „Urschwank schlechthin“ nennt, ist exakt beschrieben. Ares betrügt seinen Götterkumpel Hephaistos mit dessen Frau Aphrodite, festgezurrt im Ehebett in einem unsichtbaren Netz und in Anwesenheit lachender Götter! Saukomisch. Man lacht sich krumm.

profil: In welchem Zusammenhang überfällt Sie, wie Homer in der „Ilias“ schreibt, „unauslöschliches Gelächter“?
Prütting: Bei den Filmen von Stan Laurel und Oliver Hardy und deren unaufhörlichem grandiosen Scheitern – das auch damit zusammenhängt, dass das Lachen selbst eine Form grandiosen Scheiterns ist. Die Verfasstheit des Körpers zerbricht regelrecht: Man biegt sich vor Lachen und richtet sich dann wieder auf, weil das Lachen sich selbst verzehrt hat. Aus dem Fallen und Wiederaufstehen lässt sich die mythologische Wiedergeburt ableiten, die Himmel- und Höllenfahrt. Die lachende Himmelfahrt ins eigene Selbst.

profil: Lachen, heißt es oft, sei die beste Medizin. Stimmen Sie dem zu?
Prütting: Da ist was dran. Lachen ist befreiend. Zu fragen wäre aber auch: die beste Medizin wofür? Lachen ist der mögliche Weg von der Enge in die Weite, Lachen ist der Orgasmus der Seele. Bereits Hildegard von Bingen beschreibt Lachen als sexuelle Ekstase, bei der das Jauchzen aus den Hoden hochgekitzelt wird. Ekstatisches Lachen ist wie Weitung, die man nicht mehr bremsen kann.

profil: Der Philosoph Helmuth Plessner schrieb: „Der Körper lacht.“
Prütting: Kant formuliert es noch schöner: „Ich bin in meinem Körper voll und ganz in jedem Teil enthalten.“ Wir lachen mit allem, was wir haben und können, was wir sind und machen. Lachen packt uns, es ergreift uns, reißt uns hin. Lachen hält nicht nur Seele und Leib, sondern die ganze Person zusammen. Für Aristoteles war Lachen ein „proprium hominis“, eine genuin menschliche Ausdrucksform. Der Neandertaler hat nicht anders gelacht als wir heute.

profil: Besteht nicht die Gefahr, dass dem Lachen von der Gelotologie, der Wissenschaft vom Lachen, das Lachen förmlich ausgetrieben wird?
Prütting: Auf keinen Fall – weil immer die Möglichkeit besteht, den Forscher auszulachen. Lachen ist resistent gegen alles.

profil: In welchen Situationen verstummt das Lachen?
Prütting: In Konstellationen extremster Bedürftigkeit: Hunger, Not und Tod. Es kann nicht sein, dass jemand in der Gaskammer gelacht hätte. Es ist aber durchaus vorstellbar, dass ein zum Tod Verurteilter das Erschießungskommando auslacht. Man lacht auch nicht, wenn man die Erfahrung des Erhabenen macht: Kunstwerke und Natur. Das ist so mächtig, drückt so herunter, dass ich dagegen nicht anlachen kann.

profil: Nach Auschwitz ein Gedicht schreiben zu wollen, sei laut Adorno barbarisch. Das Lachen wurde nach 1945 aber nie infrage gestellt.
Prütting: Nach Auschwitz war nur grelles Verzweiflungslachen möglich, ein „Lachen vor dunklem Grund“, wie Helmuth Plessner bereits 1941 schrieb. Plessner musste sich damals vor den Nazis verstecken. Vor diesem Hintergrund das Thema Lachen anzuschneiden, ist allein schon eine heroische Tat. Das heitere Lachen vor dunklem Grund verleiht dem Lachen Tiefenschärfe, Existenzielles.

profil: Es heißt oft, jemand sei selig lächelnd entschlafen. Lässt sich der Tod verlachen?
Prütting: Um 1900 wurde die berühmte Unbekannte aus der Seine geborgen, eine bis heute nicht identifizierte Frau, deren lächelnde Totenmaske zahllose Künstler inspirierte. In ihrem Gesicht war natürlich kein Lächeln, nur ein scheinbares Lächeln, das nichts darüber aussagt, wie die Frau tatsächlich gestorben ist. Wir möchten einfach gern, dass unsere Toten in Frieden gestorben sind.

profil: Möchten Sie an einem Lachanfall sterben?
Prütting: Niemals. Weil diese Form des Lachens pathologisch ist, eine qualvolle Angelegenheit für den, den es betrifft. Man stirbt unter Schmerzen.

profil: Entspräche Ihnen eher die stille Heiterkeit der antiken Griechen beim Sterben?
Prütting: In Ovids „Metamorphosen“ übernachtet während eines Unwetters ein Wanderer bei dem alten Ehepaar Philemon und Baucis. Bald stellt sich heraus, dass der Gast der Göttervater Zeus ist, der dem Paar einen Wunsch erfüllen will. Philemon und Baucis begehren darauf zu sterben, damit keiner um den anderen trauern müsse. Darauf verwandelt Zeus die beiden in Bäume. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie dabei selig gelächelt haben.

Lachbearbeiter
Lenz Prüttings Buch „Homo ridens“ beginnt mit einem amüsanten Satz: „Eigentlich wollt’ ich ja nur einen Aufsatz schreiben.“ Die Großstudie über das menschliche Lachen teilt sich in zwei Bereiche: Der erste, historisch orientierte Teil deutet das Lachen in mentalitätsgeschichtlicher Analyse, wobei Autoren wie Platon, Augustinus, Kant und der von Prütting wiederentdeckte frühe Lach-Experte Alexan-der von Hales ausgiebig zu Wort kommen; im zweiten Teil fächert Prütting, der so verständlich wie strukturiert schreibt, als lade er sein Publikum zur mündlichen Vorlesung ein, das Lachen in drei Grundtypen auf. Lenz Prütting bringt übrigens viel Verständnis dafür auf, wenn man ihm gegenüber bekennt, man habe trotz Marathonlektüre das 2000-Seiten-Leseziel nicht ganz erreicht. Er nimmt das Bekenntnis mit Humor.

Lenz Prütting: Homo ridens.
Eine phänomenologische Studie über Wesen, Formen und Funktionen des Lachens. Karl ­Alber Verlag, 3 Bde., 1947 S., EUR 153,20

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.