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Extrem laut und unglaublich herzlich

Vom Leben mit Emma Lou: Der profil-Fotograf Philipp Horak ist Vater einer Tochter mit dem Down-Syndrom, die eben ihren zehnten Geburtstag feierte.

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Fotos: Philipp Horak
Aufgezeichnet von: Angelika Hager

Philipp Horak ist seit vielen Jahren Teil der profil-Familie. Der Wiener Fotograf wirft mit seinen Fotoreportagen und Porträts einen besonders einfühlsamen Blick auf die Menschen, die außerhalb der Norm sind. Kurz bevor seine Tochter Emma Lou 2012 zur Welt kam, begleitete er für eine profil-Reportage das Paar Clara und Mike; zwei junge Menschen mit Down-Syndrom, die erstmals den kirchlichen Segen für ihre Verbindung bekamen. 

Dann wurden seine Frau Evelyne Faye und er bei ihrem zweiten Wunschkind Emma Lou mit Trisomie 21 überrascht. Überrascht deswegen, weil ihre Tochter „die gesamte pränatale Diagnostik ausgetrickst hatte“, wie Evelyne damals erzählte. Im Nachhinein ein Glück, denn beide waren sich damals  nicht sicher, wie sie sich bei einer Gewissheit, dass ihr Kind stark eingeschränkt leben wird müssen, entschieden hätten.

Zu Emma Lous erstem Geburtstag gestalteten Evelyne, 46, und Philipp, 45, die profil-Covergeschichte „Das verschwindende Kind“, denn viele Babys mit Emma Lous Besonderheit kommen durch Schwangerschaftsabbruch erst gar nicht zur Welt. Beide sind aktiv im Kampf für mehr Rechte für Menschen mit Down-Syndrom – über den Verein „down-syndrom.wien“, Evelynes Buch „Du bist da“ und das dazugehörige  Filmprojekt. Im vergangenen März wurde Emma Lou zehn Jahre alt. Ihr Vater, der ihre Kindheit auch fotografisch begleitet, erzählt über ein Leben, das so schön wie herausfordernd ist.

Als Emma Lou im vergangenen März zehn wurde, haben wir gesungen, bis uns die Kehlen krächzten: gefühlte 50 Mal „Happy Birthday“. Sie hat darauf bestanden. Sie ist ein Kind, das Wiederholungen liebt. Ihre vierjährige Schwester unterstützte sie dabei. Meine Frau war mit Emma Lou als Geburtstagsgeschenk in einem Musical. Ich werde nur mit ihr bald nach Hamburg zu meinem Bruder fahren. Geschenke bedeuten ihr nicht viel, sie will Zeit mit uns. Es ist wichtig, dass nur wir beide, Tochter und Vater, etwas unternehmen, was nur uns gehört. Manchmal sagt sie bis zu circa hundert Mal am Tag, dass sie jetzt einen Film sehen möchte. Sie kann ganz schön anstrengend sein.

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Unser drittes Kind, Alma, ist jetzt vier, das älteste, unser Sohn Ian, zwölf Jahre alt. Dass Alma sich schon seit Längerem allein anziehen kann, hat Emma Lou animiert. Jetzt schafft sie das auch langsam. Tatsächlich beflügelt Alma, die sehr früh selbstständig wurde, Emma Lou  in ihren Entwicklungsschritten. Die beiden sind nahezu symbiotisch, was nicht heißt, dass sie nicht manchmal auch streiten können, bis die Fetzen fliegen. Um was es da geht, kapieren nur die beiden. Dass Emma Lou ein ganz anderes Zeitgefühl hat, mussten wir annehmen lernen.  Das war in diesem ersten, sowohl magischen als auch für uns anfangs so traurigen Jahr tatsächlich ein Lernprozess. In der Zeit habe ich oft geweint. Mit acht Monaten konnte sie noch  immer nicht sitzen, gehen konnte sie erst mit zwei, das war auch die Zeit, wo sie ihre ersten Worte formen konnte. Sie war immer so viel kleiner als alle anderen. Als Baby sah sie aus wie eine kleine Kartoffel, hat meine Frau damals gesagt. 

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Als Paar sind wir in dieser Zeit sehr zusammengewachsen. Damals dachte ich, wenn wir unser Leben mit Emma Lou gut hinkriegen, schaffen wir alles. Seit Kurzem sind wir leider getrennt, aber als Eltern bilden wir natürlich eine Einheit. Es hat ein bisschen gedauert, bis wir nach Emma Lous Geburt lernten, unser Kind so zu akzeptieren, wie sie ist. 

Die Geburt war für uns ein solches Trauma – vor allem wegen der Art, wie die   Ärzte  im Spital mit uns umgingen: Wie sie uns die Botschaft über Emma Lous Herzfehler und die Trisomie 21 brachten, war ein Horror. Dieses Herumgedruckse, diese Ungewissheit. Sie vermittelten uns ein Gefühl,  als ob man sich schämen müsste, dass wir ein solches Mädchen in die Welt gesetzt haben. Wir waren sicherlich ein Jahr sehr traurig, bis wir begreifen lernten, wie schön es ist, dass es Emma Lou so gibt, wie sie ist. Obwohl es natürlich auch verlogen wäre, ihr Down-Syndrom zu romantisieren. Es macht das Leben natürlich anstrengend  und herausfordernd. Vor allem für sie selbst. 

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Das Klischee, dass alle Kinder mit Down-Syndrom ihre Mitmenschen immer nur mit Zuwendung überhäufen, ist übertrieben. Emma Lou ist extrem herzlich, hat ihre schüchterne Seite, sie kann aber auch ziemlich stur sein. Und extrem laut. Und zornig. Es gab eine Zeit, da hat sie sich zum Beispiel geweigert, in der Früh aufzustehen. Ich erinnere mich gut daran, als ein Ehepaar, dem ein Jahr später in demselben Spital das Gleiche widerfuhr, inklusive Kommunikationsgau, schwer deprimiert mit uns Kontakt aufnahm. Die waren regelrecht erleichtert, als sie gesehen haben, wie fröhlich wir als Familie mit Emma Lou waren, dass es ein erfülltes Leben mit einem so besonderen Kind geben kann.  

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Inzwischen sind wir eng befreundet, haben mit anderen Eltern eine echte Community gegründet, wo mittlerweile Spiel- und auch Selbsthilfegruppen entstanden sind. Selbstinitiative brauchst du, denn seit der Pandemie sind alle Ansätze zur Weiterentwicklung von Inklusion wieder verpufft. 

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Für uns alle ist Emma Lous Einschränkung längst kein Thema mehr. Es ist einfach so. Und wir machen das Beste daraus. Ich würde mir auch wünschen, dass die Gesellschaft endlich  an diesen Punkt kommt. Tatsächlich ist es für Kinder wie Emma Lou noch immer in der Regel nicht möglich, die ihrem Zuhause nächstgelegene Schule zu besuchen. Emma Lou besucht eine mehrstufige Inklusionsklasse im 17. Bezirk. Kinder wie meine Tochter in eine sogenannte Sonderschule abzuschieben, also sie eigentlich in eine Ghetto-Situation zu geben, finden wir völlig rückschrittlich. Wir sollten doch  alle miteinander leben; davon können auch die anderen Kinder sozial profitieren. Toll ist da das Wiener Ferienbetreuungsangebot, wo man für einen kleinen Betrag jedes Kind, mit welcher Einschränkung auch immer, den ganzen Sommer lang hinbringen kann.

Emma Lou ist in ihrer Klasse sehr beliebt, die anderen Kinder hören ihr gerne zu. Sie kümmert sich liebevoll um die Kleineren, erzählt uns die Lehrerin. Heute kann sie mühelos lesen und schreiben. Sie macht wunderschöne Bilder und zeichnet andauernd. Ihr größtes Glück in der letzten Zeit war, dass sie in der Tanzgruppe „Du bist OK“ bei einer Aufführung den Fisch spielen durfte. Das mit dem Schwimmen hat lange gedauert, aber jetzt ist sie jede Woche in einem Schwimmkurs für Menschen mit Einschränkungen und aus dem Wasser nicht mehr herauszubekommen. Sie hat oft Schwierigkeiten, einzuschlafen. Dann schnappt sie sich zum Beispiel zwei Servietten und veranstaltet mit ihnen laute Rollenspiele.

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Manchmal reißt mir, zugegeben, der Geduldsfaden, und ich beginne zu schimpfen. Sie findet es nämlich unfassbar lustig, meine Schlüssel oder mein Handy zu verstecken. Immer wieder haut sie auch ab, wie zum Beispiel im Tiergarten, und sperrt sich auf dem Klo ein. Sie ist jetzt in einem Alter, wo sie zu begreifen beginnt, dass etwas bei ihr nicht so funktioniert wie bei anderen Kindern. Was das Wort Down-Syndrom, das sie ja so oft hört, tatsächlich bedeutet, weiß sie nicht. Emma Lou reagiert vor allem dann traurig, wenn sie wo nicht mitkommt, die anderen viel schneller sind. Dann zieht sie sich zurück und spielt viel allein. Ich finde es extrem traurig, dass für Emma Lou keine schulische Fortbildung wie für andere Kinder bis zum 18. Lebensjahr vorgesehen ist. 

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So als ob sie es dieser Gesellschaft nicht wert wäre. Kinder mit Down-Syndrom werden einfach ausgeschlossen. Unsere größte Sorge ist, wie es Emma Lou als Erwachsener gehen wird. Es gibt bis jetzt in ganz Österreich nur wenige inklusive betreute Wohngemeinschaften. Ich würde mir so für  sie  wünschen, dass unser Punkmädchen von uns so unabhängig wie möglich leben kann.