Neue Fans: E-Sport statt Sport in der Corona-Krise
Das Zuschauen anderer Menschen beim Spielen, via Übertragung von E-Sport-Events oder einfach in Form sogenannter Let’s Play-Videos, hat sich zu einem Massenphänomen entwickelt. Allein in Österreich spielen 5,3 Millionen Menschen digitale Spiele, davon mehr als 2 Millionen täglich. 38.000 Österreicher*innen sind bereits als E-Sportler*innen beim E-Sport Verband angemeldet. Trotz dieser beeindruckenden Zahlen besteht nach wie vor eine große Kluft zwischen Menschen, die E-Sport lieben, und solchen, die ihn nicht anerkennen, oder vielleicht sogar noch gar nicht darüber Bescheid wissen. Dabei stellt E-Sport momentan eine der wenigen praktikablen Alternativen zum durch Covid-19-Maßnahmen eingeschränkten Sport in der „realen Welt“ dar. Wie schafft man es, mehr Menschen dafür zu interessieren?
Für die Medialisierung - die nach Medienwissenschafter Jörg Müller Lietzkow eine der sieben Bedingungen zur Wahrnehmung des E-Sports als echter Sport darstellt - müssen mindestens mehrere der folgenden vier Kriterien erfüllt sein:
- Klassischer Sport als Grundlage
- Kenntnis der Regeln durch die Zuschauer
- Mediale Umsetzung des Spiels, ähnlich der klassischen Sportberichterstattung im Fernsehen
- Medienberichterstattung im Sportteil
Alle vier Kriterien werden selten erfüllt. Das große Problem ist die Wahrnehmung des E-Sports in den Medien. In den letzten Jahren konnten Berichte über E-Sport in den Sportabschnitten von Zeitschriften oder in Fernsehsendungen leicht an einer Hand abgezählt gezählt werden.
Durch Covid-19 und die überregionalen Lockdowns hat sich dies schlagartig geändert. Und jene digitalen Spiele bei denen alle vier Punkte zutreffen haben es in den Sportteil – zumindest von Onlineportalen – und in Sportsendungen geschafft. Am prominentesten vertreten waren sicherlich E-Sport Formel 1-Rennen (oft auch E-Sims genannt). Wurde am Anfang noch nur der Live-Stream der Plattform Twitch ins Fernsehen übertragen, so wurden die Rennen später immer häufiger von bekannten Profi-Kommentatoren der TV-Sender moderiert. Neben ehemaligen Formel-1-Fahrern wurden aber auch E-Sportler als Co-Kommentatoren eingeladen. Aber nicht nur hier gab es einen „bunten Mix“, besonders spektakulär war dieser bei den Teilnehmern der Rennen selbst: So haben sich E-Sport-Stars, aktuelle Formel-1-Größen, ehemalige Rennstars verschiedener Klassen, Nachwuchsfahrer*innen und auch Gaststars wie Fußballer live im „klassischen“ Fernsehen beim Formel-1-Fahren am Computer gemessen. Um daran teilzunehmen brauchte man einen professionellen Simulator und die nötige IT-Infrastruktur. Gefahren wurde auf halber Renndistanz der Originalstrecken und beim raschen Hinsehen war nicht mehr zu erkennen, ob nun die „echte“ Formel 1 wieder ihren Betrieb aufgenommen hat, oder ob ein Spiel übertragen wird.
Dass bei diesen Rennen auch der Ernst ins Spiel kam, zeigt das Beispiel von Daniel Abt. Der Profi-Fahrer in der Formula E hat sich bei einem E-Sims rennen von einem E-Sims-Profi vertreten lassen. Abt meinte es wäre ein „Scherz“ gewesen, aber die Konsequenzen waren hart: Er hat seinen Platz im realen Cockpit von Audi-Sports verloren.
Äußerst spannend war es auch die Radfahrszene zu beobachten. Hier wird die Profi-Simulationssoftware Zwift zum E-Sports-Tool. Radrennfahrer sitzen auf ihren echten Rädern, die auf einer Walze montiert sind und fahren mit realer Anstrengung simulierte oder 1:1 nachempfundene Strecken nach. Kurzerhand wurden aufgrund von Covid-19-Restriktionen daraus fernsehtaugliche Sportereignisse. Mit einer Besonderheit: Fans, die das Equipment zuhause hatten, konnten sich dazuschalten und in einer eigenen Instanz des Spiels sehen, wie gut sie sich im Vergleich zu den Profis schlagen.
Eine sportliche Extremleistung in der virtuellen Welt lieferte der österreichische Extremsportler Franz Preihs. Er absolvierte den höchsten Berg im Zwift-Universum namens Alpe De Zwift, welcher eine exakte Replika des legendären Alpe de Huez-Anstiegs in Frankreich ist, 8,5 Mal und radelte dabei in 11 Stunden und 17 Minuten 211 Kilometer und 8855 Höhenmeter.
Somit darf er sich zu einem kleinen, feinen Kreis von Ausdauer-Spezialisten zählen, die die Höhe des Mount Everest sowohl outdoor als auch indoor erfahren haben.
Aber auch bei FIFA oder World Tennis Tour gab es spannende Turniere: Reale Sportler haben sich im digitalen Spiel mit E-Sportlern in „ihrem“ Sport gemessen. Und man muss sagen: Sie schlugen sich gar nicht so schlecht. Die Sportler meinten in Interviews, sie würden FIFA oder World Tennis Tour ohnehin oft und viel in ihrer Freizeit spielen und es käme neben der Fingerfertigkeit vor allem auf das Verständnis der Spielzüge an. Simuliert sind auch diese beiden Sportarten digital bis ins kleinste Detail.
In Anlehnung an Lietzkow hat sich aufgrund von Covid-19, zumindest bis die realen Sportstätten wieder in Vollbetrieb sind, also scheinbar ein fünftes Kriterium für die Wahrnehmung von E-Sport als Sport gebildet: nämlich, dass die Anstrengung oder der Simulationsgrad so gut wie möglich dem realen Äquivalent entsprechen muss. So hat Covid-19 dazu beigetragen jenen E-Sportarten, die echten Sportarten nachempfunden sind, zu einer breiten Wahrnehmung zu verhelfen. Bis dies mit anderen Computerspielen so weit ist, wird es aber noch ein paar Jahre dauern. Doch es muss dafür lediglich die nächste Generation heranwachsen.
Alexander Pfeiffer forscht im Rahmen eines Max-Kade Fellowships vergeben durch die Österreichische Akademie der Wissenschaft am Massachusetts Institute of Technology (MIT) zum Thema Blockchain im Bildungswesen. Im Sinne seines Mottos des „Lifelong Learnings“ ist der „PhD-Candidate“ am Department für Artifical Intelligence an der Universität Malta (UoM). Davor war er 9 Jahre Leiter des Zentrums für Angewandte Spieleforschung an der Donau Universität Krems (DUK). Mit E-Sport beschäftigt er sich bereits intensiv seit 2009. Im Jahr 2019 war er Initiator der E-Sport Schulliga Floridsdorf. In Amerika verfolgt er die North America Scholastic E-Sport Federation und die Uni E-Sport Ligen hautnah.