Sie haben sich vor Ihrer offiziellen Wahl mit Teamchef Rangnick getroffen und mit David Alaba telefoniert. Beide hatten Kritik an den Querelen im ÖFB geäußert. Worum ging es in den Gesprächen?
Pröll
Ich habe ihnen signalisiert, dafür Sorge zu tragen, dass Ruhe in den Verband kommt.
Ihr Vorgänger Wolfgang Bartosch bezeichnete Teamchef Rangnick, der durchaus fordernd sein kann, vor wenigen Monaten im profil als „sehr schwierig“. Wie nehmen Sie ihn wahr?
Pröll
Wir besprechen alles miteinander und haben bereits einige Sachen umgesetzt, andere sind im Laufen. Zum Beispiel die Einbürgerung von Erik Kojzek (19-jähriges, in Slowenien geborenes Stürmer-Talent des Wolfsberger AC, Anm.), der dann für Österreich spielen soll. Der Teamchef schickt mir regelmäßig Sprachnachrichten – und ich antworte sehr schnell.
Es heißt, Rangnick schreibt Mitarbeitern oft bis Mitternacht Nachrichten. Ihnen auch?
Pröll
Ja, da treffen sich unsere Usancen manchmal.
Was besprechen Sie um Mitternacht mit dem Teamchef?
Pröll
Was einen gerade bewegt. Vor Kurzem, als Sturm Graz beim norwegischen Klub Bodø/Glimt 0:5 verloren hat, sind wir offenbar beide vorm Fernseher gesessen und haben uns ausgetauscht, warum die Norweger mit neun Landsleuten spielen und Sturm Graz nur mit zwei Österreichern.
Sie haben zuletzt erwähnt, dass Rangnick Ihnen gegenüber „deutliche Wünsche“ formuliert hat. Welche?
Pröll
Es ging dabei um Interessen, die jeder von uns hat. Und auch um eine Multifunktionsarena für Österreich.
Österreich muss sparen. Wer soll ein neues Stadion finanzieren? Laut profil-Informationen gibt es auch private Investoren, die Interesse haben.
Pröll
Ich habe in meinem Leben schon oft von Investoren gehört. Aber immer, wenn es ums Unterschreiben gegangen ist, ist man dann plötzlich allein. Andererseits habe ich in dieser Sache schon Gespräche mit Investoren geführt, die total interessant sind und die ich sehr ernst nehme. Klar ist: Wir brauchen auch die Stadt Wien und den Bund.
Rangnick wollte anfangs den österreichischen Fußball langfristig in neue Sphären führen. Durch Querelen im Verband ebbte seine Euphorie ab. Haben Sie Sorge, dass er den ÖFB nach der WM verlässt?
Pröll
Ralf Rangnick hat einen Vertrag bis zur WM 2026. Er hat mehrmals öffentlich gesagt, dass er aufhört, wenn wir die Qualifikation nicht schaffen. Aber nachdem wir diese schaffen werden, stellt sich diese Frage nicht.
Rangnick liegen immer wieder reizvolle Angebote vor. Wäre es nicht sinnvoll, ihm schon jetzt eine Verlängerung schmackhaft zu machen, um ihn nach der WM nicht ablösefrei zu verlieren?
Pröll
Das müssen wir mit den Gremien und operativen Kräften diskutieren. Es gibt einen Vertrag, es gibt ein Ziel – und wir werden zeitgerecht die richtigen Schlüsse ziehen. Derzeit gibt es keinen Grund, aktiv zu werden.
Sie haben als Austria-Funktionär Erfahrung im Fußball gesammelt. Damals hat sich der Klub mit dem Stadionbau übernommen und einen riesigen Schuldenberg angehäuft. Haben Sie Fehler gemacht?
Pröll
Die Entscheidung, Infrastruktur zu schaffen, war nicht falsch. Zum Problem wurde, dass wir im Budget Europacup-Teilnahmen eingeplant haben, weil sie lange Standard waren. Nicht jede Saison, aber alle paar Jahre. Aber danach hat nichts mehr funktioniert. Die Ausgaben für das Stadion und die Einnahmen aus dem Europacup sind diametral auseinandergelaufen. Ein Planungsfehler war das aber nicht, weil man von diesen Einnahmen durchaus ausgehen konnte.
Planen Sie beim ÖFB auch bereits mit den Einnahmen aus einer möglichen WM-Teilnahme?
Pröll
Nein, die haben wir nicht budgetiert; wir waren seit 28 Jahren nicht mehr bei der WM und wissen auch im Qualifikationsfall noch gar nicht genau, welche Geldströme es da von der FIFA geben wird.
Eigentlich ist Ihr Hauptjob nicht ÖFB-Präsident, sondern im Landwirtschafts- und Lebensmittelsektor bei Raiffeisen. Wie sehen Sie die Diskussion über Preisdeckel oder eine Senkung der Mehrwertsteuer bei Grundnahrungsmitteln?
Pröll
Pauschale – oder gar planwirtschaftliche – Lösungen halte ich für gefährlich. Man muss genau analysieren, warum Preise unterschiedlich sind. In Ungarn haben Preisdeckel etwa dazu geführt, dass Regale leer blieben, weil Produzenten zu den staatlich festgesetzten Preisen nicht mehr liefern konnten. In meiner Produktgruppe – etwa beim Mehl – sehe ich zwischen Österreich, Deutschland oder Tschechien kaum Unterschiede im Einkauf – also im Agrarpreis. Den oft genannten „Österreich-Aufschlag“ kann ich weder bei den Bauern noch bei der verarbeitenden Industrie feststellen.
Dennoch: Viele Österreicher kommen gerade aus dem Sommerurlaub und sehen, dass in umliegenden Ländern alles viel billiger ist. Wie kann das sein?
Pröll
Unterschiede gibt es, aber man muss sie produktgruppenweise analysieren. Ich sehe schon auch, dass es bei internationalen Markenartikeln offenbar eine Schieflage zwischen großen und kleinen Ländern gibt – auf EU-Ebene gibt es da aber bereits Vorhaben, das zu bereinigen.
Der Ukraine-Krieg hat die EU veranlasst, den Markt für ukrainische Agrarprodukte zu öffnen, die allerdings nicht europäischen Standards entsprechen. War das sinnvoll?
Pröll
Beim Getreide sehe ich keine massiven Verwerfungen, die Exporte Richtung Afrika laufen wieder annähernd wie vor dem Krieg. Im Zuckersektor allerdings hat die Maßnahme den europäischen Markt destabilisiert: Billige Importe aus der Ukraine drücken die Preise, heimische Produzenten wie Agrana und Rübenbauern geraten unter Druck. Da wurde deutlich über das Ziel hinausgeschossen. Die Ukraine zu unterstützen, ist wichtig, aber nicht auf Kosten unserer eigenen Landwirtschaft. Die Ergebnisrückgänge spüren wir. Deshalb muss die EU Schutzmechanismen und Kontingente im Auge behalten – da gehört nachgeschärft.
Apropos nachschärfen. Das muss die Regierung auch dauernd, wenn es um das Budget geht. Verstehen Sie das als ehemaliger Finanzminister? Wie konnte es so weit kommen?
Pröll
Ich habe großen Respekt vor den Entscheidungen der letzten Jahre – diese Aussage wird jetzt vielleicht viele überraschen. Keine Regierung war seit 1945 so gefordert wie in Pandemie, Energiekrise und Ukraine-Krieg. Alle haben nach Hilfe geschrien, auch finanziell. Entscheidungen mussten unter Zeitdruck und ohne Erfahrungswerte getroffen werden. Retrospektiv kann man sagen: Ja, da wurden Fehler gemacht. Und wir Gescheiten, die wir hier sitzen, tun jetzt so, als hätte man damals gewusst, was man besser machen soll. Fehler im Detail mag es gegeben haben, aber Österreich ist ein resilientes Land. Und ja, die Situation ist brenzlig – im Herbst wird es deutliche Signale geben müssen, in welche Richtung es nun geht.
Das Budgetloch klafft jedenfalls – so hört man – bis Ende des Jahres noch weiter auf als gedacht. Böse gesagt: Kann in diesem Finanzministerium keiner rechnen?
Pröll
Ich hab keine Zahlen, weiß aber aus Erfahrung, dass die Beamten im Finanzministerium höchst kompetent sind. Prognosen beruhen auf Annahmen, und wenn die Konjunktur schlechter läuft als erwartet, entstehen Lücken. Das ist ärgerlich, aber nicht zwangsläufig fahrlässig. Wichtig ist, die Kaufkraft und den Optimismus zu stärken, damit die Wirtschaft wieder anspringt.
Sie haben damals als Finanzminister die Bankenabgabe eingeführt. Stehen Sie noch dahinter?
Pröll
Ja, sie war damals notwendig, um das Budget nach der Finanzkrise zu stabilisieren. Heute verstehe ich sowohl den Unmut der Banken über zusätzliche Belastungen als auch den staatlichen Finanzbedarf. Am Ende geht es darum, einen tragfähigen Mittelweg zu finden. Ich habe Vertrauen in diese Dreierkoalition, dass sie das schaffen wird.
Woher kommt dieses Vertrauen?
Pröll
Zugegeben, ich hatte während der Koalitionsverhandlungen große Sorge – und gerade mit meiner politischen Geschichte hab ich mir nicht vorstellen können, dass so eine Koalition funktioniert. Aber sie zeigt bisher, dass sie gesprächsfähig ist und selbst bei unterschiedlichsten Meinungen Lösungen bringt. Diese Regierung zelebriert den Kompromiss – übrigens auch etwas, das wir in der Gesellschaft wieder mehr lernen müssen: Kompromisse schließen.
Kompromiss, schön und gut. Aber ist der kleinste gemeinsame Nenner nicht immer falsch? Vor allem in einer Zeit, in der man große Reformen braucht?
Pröll
Da ist ein Unterschied. Ein Kompromiss kann einmal da und einmal dort hinfallen. So ist Demokratie. Auf Wienerisch gesagt und auf diese Koalition gemünzt, heißt das: Einmal muss der eine die Krot fressen, einmal der andere.
Wer muss beim ÖFB jetzt die Krot fressen?
Pröll
Keiner. Es gibt grad keine.
Vermissen Sie manchmal die Politik, gerade in dieser schwierigen Lage? Oder tut Ihnen Ihr Sohn Alexander Pröll gerade leid, der das als Staatssekretär und Mitglied dieser Regierung mitausbaden muss?
Pröll
Ich war neun Jahre in drei Regierungen, das reicht. Politik heute erfordert ganz andere Skills, insbesondere Social Media, das ist nicht meine Welt. Und zu meinem Sohn: Ein 35-Jähriger, der seine Entscheidungen trifft, tut mir prinzipiell nicht leid. Jeder muss seinen Weg gehen, dazu motiviere ich alle jungen Menschen, auch meinen Sohn.
Die Volksparteien verlieren in ganz Europa an Boden, leiden an Identitäts- und Machtverlust. Auch Ihre Partei wirkt etwas ausgehöhlt. Was ist da los? Wie kommt man raus?
Pröll
Radikale Positionen am Rand sind einfacher zu vermitteln und scheinen kurzfristig erfolgreicher. Dadurch haben die Parteien der Mitte Orientierung verloren. Die frühere Aufstiegsfantasie, die die Partei nach dem Krieg nach oben gebracht hat, ist verschwunden, Bedrohungsszenarien dominieren. Für die ÖVP bleibt der Markenkern Wirtschaft entscheidend: Eigenverantwortung, Eigentum, Unternehmertum. Verliert man diesen Kern, verliert man seine Identität. Und auf viele Fragen werden die richtigen Antworten noch gesucht. Wichtig ist: Man darf sich nicht aufgeben, und der Kampfgeist muss bleiben.
Die Erosion der ÖVP – auch personell – hat viel mit Strafverfahren zu tun, die geführt wurden. Etliche sind abgetreten, allen voran Ex-Kanzler Sebastian Kurz, gegen den das Verfahren noch läuft. Er sprach kürzlich davon, dass die Justiz „als politische Waffe“ genutzt wird. Auch Sie waren jahrelang Beschuldigter, eigentlich ohne Substrat – das Verfahren wurde erst vor Kurzem eingestellt. Sehen Sie es wie Kurz?
Pröll
Das war sehr belastend, privat wie beruflich. Nach Hausdurchsuchungen und fünf Jahren Beschuldigtenstatus wurde das Verfahren, ohne dass ich auch nur ein einziges Mal durch einen Staatsanwalt einvernommen wurde, eingestellt. Da kann sich jeder seinen Reim darauf machen, was das soll. Für mich unverständlich, aber ich habe es ausgehalten. Grundsätzlich funktioniert die Justiz. Aber die Länge und Härte mancher Verfahren sind problematisch – und was die Gründe waren, das so handzuhaben, werde ich nicht bewerten.
Apropos Sebastian Kurz: Der ist ja momentan medial wieder sehr präsent. Manche wünschen ihn sich zurück in der Partei – andere nicht. Was meinen Sie? Kommt er zurück in die Politik?
Pröll
Dazu habe ich keine konkrete Meinung. Jeder gestaltet sein Leben selbst und trifft so seine Entscheidungen.