Gesellschaft

ORF-Spartenkanal Sport+ im Selbstversuch: Hidden Champions League

Der ORF-Spartenkanal Sport+ ist-nicht zum ersten Mal-in akuter Existenznot. Unser Autor hat sich den Sender intensiver angesehen und weiß jetzt, was er vermissen würde.

Drucken

Schriftgröße

Geschichte wiederholt sich, wie Sportinteressierte wissen, mindestens zwei Mal. Zum Beispiel am vergangenen Montagnachmittag, auf ORF Sport+:Wiederholung einer Partie aus der 17. Runde der 2. Bundesliga vom vorvergangenen Freitag, Vorwärts Steyr gegen Blauweiß Linz, Endstand 0:4. Strömender Regen, entsetzte Heimfans, exotische Bandenwerbung: "Wohnbau 2000", "Elefantenstark Reinigung GmbH". Wo sieht man so was heutzutage schon noch, außer in der Liwest-Arena? Nun: auf ORF Sport+, dem Spartensender für Hidden Champions, nicht nur des heimischen Sports, sondern auch aus dem Bereich Klein-und Mittelbetriebe.

Leider ist der Sender, 2011 in seiner heutigen Form eingeführt, gerade akut von der Einstellung bedroht. ORF-Generaldirektor Roland Weißmann skizzierte am 20. Februar im Finanzausschuss des ORF-Stiftungsrats ein Sparkonzept, mit dem er bis Ende 2026 mehr als 300 Millionen Euro einsparen will, unter anderem durch ein Ende von ORF Sport+ als linearem Kanal. Eine Überführung in die Sendeflächen von ORF 1 sowie auf digitale Kanäle steht im Raum, am 23. März soll das konkrete Konzept in einer Stiftungsrats-Sitzung beschlossen werden. Gegenüber profil betont die ORF-Generaldirektion: "Mit der Entscheidung für eine Haushaltsabgabe und eine Digitalnovelle sind wesentliche Grundlagen für eine zukunftssichere Weiterentwicklung des ORF geschaffen.()Diese Neuregelungen ändern nichts an der Tatsache, dass der ORF seinen Einsparungs-und Restrukturierungskurs nach den Maßgaben der Sparsamkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit konsequent fortsetzen muss( ).Um dies leisten zu können, wird der ORF weitere Einsparungen in Strukturen und Personal vornehmen und muss sich in seinen Angeboten auf seinen gesetzlichen Auftrag fokussieren. Die Finanzierung darüber hinausgehender Leistungen wie etwa des Radio-Symphonieorchesters, des Sport-Spartensender ORF Sport+ sowie der Streaming-Plattformen Flimmit und Fidelio kann der ORF nicht mehr tragen." ORF-General Weißmann versuchte schon vorab, die erwartbare Aufregung zu kalmieren: "Wir werden dem Breitensport noch größeren Stellenwert geben, da wir ihn im Wesentlichen nach ORF 1 verlagern."

46-194713233-osp_yoga_magazin_kristallwelten_01.jpg

Einige Dinge werden dort aber wohl nicht mehr in der aktuellen Form möglich sein, zum Beispiel: Dienstagabend, 20.15 Uhr: Faustball-Bundesliga, Finalspiele aus dem Turnsaal des BRG Linz-Auhof, bei den Herren spielt die Union Compact Freistadt gegen TSG UKJ Froschberg. Die Entscheidung fällt im 5. Satz für die favorisierten Freistädter, vorm Bildschirm entwickeln sich romantische Erinnerungen an Breitensporterfahrungen aus eigener Jugend. Ein Hauch von Schülerliga liegt in der Luft: fanatische Teenager auf den Rängen, schräge Maskottchen am Winken, strenge Ehrenamtsträger in der Turnierjury. Tagesaktuelle Quoten werden für ORF Sport+ nicht ausgewiesen, die durchschnittliche Tagesreichweite belief sich im Jahr 2022 auf 236.000 Personen. Als mediale Plattform ist der Sender für viele Rand- und Breitensportarten lebensnotwendig. Entsprechend viele Sportverbände meldeten nach Weißmanns Vorstoß dringenden Diskussionsbedarf an. Hans Niessl, Präsident der Bundessportorganisation Sport Austria, sah "einen budgetären Zwerg mit großem gesellschaftspolitischem Potenzial geopfert".Eine Streichung des Senders kappe eine "Lebensader" des Breitensports, aber auch "für einen Großteil des Spitzensports, für spezielle Formate des Behindertensports, des Schulsport sowie des Frauensports." ASKÖ-Präsident Hermann Krist stieß ins selbe Horn: "Eine öffentliche Diskussion anzustacheln, ohne gesetzliche Grundlage, ohne Konzept und ohne die betroffenen Sportverbände davor zu informieren, verschlägt mir die Stimme, ruft aber jedenfalls zu Widerstand und Protesten auf."

Das Sparpotenzial erscheint tatsächlich gering; ORF Sport+ soll jährlich unter zehn Millionen Euro kosten, digitale Alternativen würden wohl nicht wesentlich günstiger ausfallen. Der Schaden ist allerdings längst angerichtet, ÖSV-Langlaufchef Alois Stadlober etwa findet die Debatte "einfach peinlich. So etwas dürfte gar kein Thema sein."

Ist es freilich schon länger. Tatsächlich ist Sport+, wie wir es heute kennen, das Produkt seiner eigenen Beinahe-Einstellung: Elmar Oberhauser, damals Info-Intendant des ORF, wollte 2009 den einstigen Kanal Sport Plus einstellen, denn: "Ich kann es mir nicht mehr leisten. Schließlich fordert der Stiftungsrat strikte Sparmaßnahmen." Am Ende konnte er es sich dann doch leisten. Es wurde ein neues ORF-Gesetz beschlossen, mit dem die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorläufig gesichert-und ORF Sport+ als Spartensender verankert wurde: Paragraf 3, Ziffer 8, ORF-Gesetz: "Zum Versorgungsauftrag zählt auch die Veranstaltung eines Sport-Spartenprogramms gemäß §4b".Paragraf 4b, Ziffer 1: "Der Österreichische Rundfunk hat nach Maßgabe der wirtschaftlichen Tragbarkeit ein Fernseh-Spartenprogramm zu veranstalten, das der insbesondere aktuellen Berichterstattung über Sportarten und Sportbewerbe-einschließlich der Ausstrahlung von Übertragungen von Sportbewerben-dient, denen üblicherweise in der österreichischen Medienberichterstattung kein breiter Raum zukommt."

Ja, die Geschichte wiederholt sich; ungefähr so regelmäßig wie der aktuelle Sport vom Vortag: "Sport 20" vom 27.2., eine Meldung in eigener Sache: Sportminister Werner Kogler empört sich öffentlich über den ORF-Chef: "So kann es nicht bleiben, da bin ich wirklich verärgert."

Für große Emotionen ist Sport+ allerdings nicht geschaffen. Das liegt auch an den vielen Wiederholungen. Die wiederum haben oft juristische Gründe: "Premium-Sportarten" wie Fußball-Bundesliga oder Ski-Weltcup dürfen nur mit zeitlichem Abstand zum Bewerb gezeigt werden. ORF Sport+ erfüllt also die Buchstaben, aber möglicherweise nicht ganz den Sinn des Gesetzes. Die Highlights des Weltcup-Slaloms in Lake Tahoe hat man nach drei Tagen jedenfalls schon ziemlich genau intus, dafür erfährt man erstaunlich wenig über andere aktuelle Sportereignisse. Im Grunde wird Sport auf Sport+ als Berieselungsangebot geführt. Dabei eröffnen sich aber auch Perspektiven, die man anderswo nie zu sehen bekommt. Bestes Beispiel: "Silent Sports", frühmorgens ab 6 Uhr: Sport ganz ohne Kommentar; nur der reine, visuelle Genuss etwa am Skispringen zur Nordischen Kombination in Seefeld, unterlegt von poppigen Gitarrensolos, oder an der Fußballkunst der Wiener Austria (Chillout-Elektronik).

46-194713231-osp_2_liga_linz_steyr_01.jpg

Und dann gibt es noch Dinge, mit denen man einfach nicht gerechnet hat. Montagfrüh, im ORF-"Yoga-Magazin" (Folge 135),ist der Schauspieler Philipp Hochmair zu Gast bei Viktoria Ecker und outet sich als langjähriger Yoga-Praktikant. Zum Beweis führt er einen tatsächlich einwandfreien Kopfstand vor. Eine kurze Recherche ergibt leider, dass die spektakuläre Neuigkeit gar nicht so neu, Hochmairs Yoga-Expertise längst bekannt und die Sendung eine Wiederholung von vor vielen Monaten ist-so wie auch "Fit Aktiv für Junggebliebene" (Folge 114),Dienstag, 8.30 Uhr: Moderatorin Heidi Sykora begrüßt im Skimuseum Werfenweng Frau Frieda vom Seniorenbund Pfarrwerfen und Andi Goldberger, Skisprunglegende, zu Rumpftraining und Körperspannung mit Turnmatte und Tennisball; zum Aufwärmen werden Übungen gezeigt, die mit Gehstock oder Regenschirm durchgeführt werden können.

Ja, ORF Sport+ wirkt hin und wieder ein wenig aus der Zeit gefallen, aber es geht hier eben nicht um den hochgezüchteten Eventbetrieb, um adrenalinfördernde Livespektakel, und schon gar nicht geht es um das schlichte Endergebnis. Hier hat auch das Fußballspiel vom vergangenen Wochenende noch seinen Platz, die Yoga-Übung von vor zwei Jahren und das Tischtennisturnier aus Mödling. Im Grunde regiert auf ORF Sport+ der olympische Fernsehgedanke-man kann jederzeit reinschauen und wird immer etwas Erstaunliches entdecken, von dem man sein Leben lang nicht wusste, dass es einen erstaunen würde. Stichwort: Faustball.

SEBASTIAN HOFER hat in seinem Leben noch nie Faustball gespielt. Aber beim Betrachten von ORF Sport+ kamen dann doch Erinnerungen an die Handball-Schülerliga hoch.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.