Philosophin Lisz Hirn

"Philosophie wird die Welt nicht retten, ein Superman aber auch nicht!“

Nachdenken über die Krise: Die Philosophin Lisz Hirn über die Unmöglichkeit, die Zukunft vorauszusehen.

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In seiner nächsten Ausgabe wird sich profil auch essayistisch-philosophisch mit Corona, der Krise und deren Folgen für Mensch und Gesellschaft beschäftigen. Einen Vorgeschmack liefert an dieser Stelle die Philosophin Lisz Hirn, 36. Soeben hat Hirn ihr Buch „Wer braucht Superhelden. Was wirklich nötig ist, um unsere Welt zu retten“ (Molden-Verlag) veröffentlicht. Von der aktuellen Krise, in der diese Welt gerade steckt, konnte sie bei der Verfassung noch nichts wissen. Ihre zentrale These – dass es die menschliche Vernunft, „unsere geheime Superkraft“ sei, auf die wir bei der Errettung der Welt zählen sollten – gilt unverändert. Was Hirn, die seit kurzem auch den Podcast „Philosophieren mit Hirn“ betreibt (https://www.ohwow.eu/philosophierenmithirn), über die Macht des Denkens in den Zeiten von Corona hält und warum sie nicht über die Zeit danach spekulieren möchte, hat sie im Gespräch mit profil erläutert.

INTERVIEW: SEBASTIAN HOFER

profil: Sie betreiben in Ihrer Praxis so etwas wie angewandte Philosophie. Wie kann man Philosophie in diesen Tagen anwenden? Hirn: Genauso wie sonst auch. Philosophie ist eine Möglichkeit, mit Welt und Existenz umzugehen, diese rational einzuordnen und darüber in Kommunikation zu treten. Das besondere an der derzeitigen Situation ist, dass wir alle betroffen sind. Vor allem die Verletzlichkeit unserer Körper ist uns gerade schmerzlich bewusst geworden.

profil: Dazu kommt die gravierende Unsicherheit: Wir haben derzeit alle keine klare Zukunft. Hirn: Ja, es gibt im Moment große Unsicherheitsfaktoren. Aber Zukunft ist immer unberechenbar. Es ist nicht möglich, jetzt den Zustand der Welt nach der Krise zu prognostizieren. Ich warne vor der trügerischen Vorstellung, wir hätten jemals ein sicheres Wissen über die Zukunft gehabt.

profil: Diese Krise wird aber wohl nicht folgenlos bleiben. Hirn: Ich bin keine Hellseherin. Wie sich die Krise auswirkt, ob wir Arbeit neu denken werden, Gesundheit neu denken werden, ob wir politische oder ökonomische Systeme verändern werden, bleibt offen. Das kommt auch drauf an, wie schlimm es wird und wie lange sie dauert. Und nein, Philosophie wird die Welt nicht retten, ein Superman allerdings auch nicht. Philosophie kann aber wesentliche Impulse liefern, dass wir die komplexe Situation aus anderen Perspektiven und Aspekten beobachten, erfassen und einordnen können.

Das Leben lässt sich nicht auf 'danach' verschieben, diese Zeit ist ein Teil unseres Lebens.

profil: Wäre es wünschenswert, dass auch Philosophinnen in den Krisenstab der Regierung einrücken? Hirn: Ich denke, dass Philosophinnen auch medial und in der Zivilgesellschaft Wichtiges leisten können - und es auch versuchen. Zum Beispiel darauf hinzuweisen, dass wir uns im Moment in einem Stadium befinden, in dem es vor allem ums nackte Überleben geht. In diesem Ausnahmezustand nehmen wir als Kollektiv sehr viele Einschränkungen in Kauf, notwendigerweise, mit der Hoffnung, dass diese Phase wieder vorübergehen wird. Das macht uns zu diesen Opfern bereit. Diese Phase könnte aber länger dauern, schwieriger werden. Das Leben lässt sich nicht auf „danach“ verschieben, diese Zeit ist ein Teil unseres Lebens. Daneben stellt die Krise auch ethische Frage von großer Bedeutung an das Kollektiv: In Italien, wo Ärztinnen mittlerweile entscheiden müssen, welchen Patienten sie am Leben erhalten wollen, also welcher die größeren Chancen hat zu überleben, greift man schon auf ethische Leitfäden zurück.

profil: Wie funktioniert die Beratung in Ihrer philosophischen Praxis? Hirn: Personen, die zu mir kommen, haben in der Regel ein ganz konkretes Anliegen, ein Problem im Beruf oder im Privatleben, eine ganz bestimmte philosophische Frage, die sie beschäftigt. Sie wissen, dass es sich nicht um eine Psychotherapie handelt. Sie nehmen dieses Gespräch in Anspruch, weil sie ein moralisches Dilemma haben, das sie lösen wollen. Ich versuche, gemeinsam mit ihnen diesen Knoten im Gehirn aufzulösen.

profil: Indem Sie falsche Gewissheiten hinterfragen? Hirn: Auch. Die eigenen Denkgewohnheiten kennenzulernen, zu schauen, was sind die Ideen, die Argumente, die im Denken des Klienten widersprüchlich sind, gehört dazu. Es kann auch sein, dass die Person bestimmte moralische Grundhaltungen hat, die sie handlungsunfähig machen. Wo es hakt, ist individuell sehr unterschiedlich. Es geht aber nicht darum, sich mit den eigenen Gefühlen, sondern mit dem eigenen Denken zu beschäftigen.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.