25 Jahre lang war er Herausgeber dieses Magazins, und die Redaktion kannte ihn als vieles, aber nicht als Gourmet. Höchste Zeit, mal mit ihm essen zu gehen – an seinen legendären Do&Co-Stammtisch.
Das Do&Co im Haas-Haus am Stephansplatz, siebter Stock: Christian Rainer sitzt da, wo er immer sitzt und immer saß, und zwar am Tisch gleich links vom Ausgang auf die Terrasse. Eigentlich ist das kein besonders idealer Platz: Der Tisch steht ungünstig im Raum, es ist eng, die Kellner müssen dauernd vorbei, und wenn man jetzt mehr Zeit im Do&Co verbringt als im Fitnessstudio, dann wird es noch enger und richtig ungemütlich, sie kochen hier schließlich auch nicht nur mit Wasser. Der Tisch ist nicht gedeckt, als einziger im Restaurant, es gibt nicht einmal ein Tischtuch, und auch die Aussicht ist nicht so überragend, was angesichts der Lage und der Höhe schon eine Leistung ist. Und doch war für Christian Rainer sofort klar, dass wir uns genau hier, in diesem Lokal und an diesem Tisch, treffen: Es ist nämlich der Stammtisch, der längst verblichene, aber immer noch berühmte und vielleicht sogar berüchtigte Do&Co-Stammtisch.
„Ich wurde in Wien drei Mal sozialisiert: Einmal von den Aristo-Freunden meiner Brüder, dann durch die Affäre Waldheim, und das dritte und letzte Mal hier an diesem Stammtisch“, sagt Rainer, und er sagt das mit so viel Stolz, dass man gezwungen wäre, nachzufragen, wenn er nicht ohnehin selbst weitererzählen würde. Also, der Stammtisch: Es gab ihn ab Mitte der 1990er-Jahre, Niki Lauda war der Patron, Attila Doğudan hat ihn ausgerichtet, es gehörten aber auch Journalisten wie Elmar Oberhauser, Unternehmer, Werber, Künstler und diverse Anwälte dazu – und eben Christian Rainer. 20, 25 Mitglieder hatte der Stammtisch, gendern muss man nicht, „wir waren doch sehr männlich“. Man traf sich Samstag mittags, man diskutierte, stritt, soff und versöhnte sich dann wieder. Neuankömmlinge waren selten, und wenn jemand dazustieß, der nicht passte, dann ließ Doğudan ihn so bedienen, dass er eher nicht mehr kam: „Er war der Türsteher, ohne Türsteher zu sein.“ Ja, der Stammtisch war geheimnisvoll und gleichzeitig so öffentlich wie das Privatleben des Dom-pfarrers, der auch manchmal vorbeischaute. Jeder, der etwas wissen wollte, wusste alles, weil man sich ja am helllichten Tag mitten in einem Innenstadtlokal mit großer Glasfassade traf. Wann sich der Stammtisch aufgelöst hat, weiß Rainer nicht mehr so genau, gefühlt war es rund um 2010, als die meisten Stammtischmitglieder entweder Kinder hatten oder von denen ins Altersheim abgeschoben wurden.
Wir reden übers Leben, machen Witze, nicht alle sind altersadäquat. Wir sprechen über Politik, über Kinder, und er erzählt dann von seiner Freundin, die demnächst bei ihm einziehen wird, was ihn nervös macht, schließlich hat er die vergangenen 45 Jahre immer allein gelebt.
Wir bestellen, Rainer nimmt die Crispy Prawns als Vorspeise (26 Euro) und danach ein Pay Ca Paw (38 Euro), ich das Wasabi-Tuna-Steak (42 Euro). Er braucht dafür keine Karte: „Seit 25 Jahren esse ich das zwei Mal die Woche“, erklärt er, und ich schreibe in mein Notizbuch: „Beim Essen mag Christian Rainer keine Abwechslung.“ Wir trinken Gelben Muskateller. Rainer, der eigentlich lieber Cocktails trinkt, hat ihn ausgesucht, und es dauert nicht lange, bis ich mich tatsächlich wie an einem Stammtisch fühle: Wir reden übers Leben, machen Witze, nicht alle sind altersadäquat. Wir sprechen über Politik, über Kinder, und er erzählt dann von seiner Freundin, die demnächst bei ihm einziehen wird, was ihn nervös macht, schließlich hat er die vergangenen 45 Jahre immer allein gelebt. Wir bestellen noch ein Glas, und vielleicht ist das ein guter Zeitpunkt für eine Offenlegung: Christian Rainer war mehr als 25 Jahre Chefredakteur und Herausgeber dieses Magazins, so lange wie keiner vor und vielleicht auch niemand mehr nach ihm. Er hat das profil zu dem gemacht, was es heute ist. Auch ich habe ein paar Jahre für und mit ihm gearbeitet, allerdings nicht am Ende, in den nicht mehr ganz so glanzvollen Jahren, sondern gleich zu Beginn. Und deswegen wird Christian Rainer für mich immer der Herausgeber sein, der den Eigentümern siloweise Geld rausluchste, Geld, das wir in einem absurden Magazinkrieg verpulverten. Es waren großartige Jahre, ich war nie so gern Journalist wie damals, auch 25 Jahre später nerve ich mein Umfeld noch mit den Storys von diesem meinem profil, und bei Christian Rainer ist das offenbar ganz genau so. Er erinnert sich an jedes Cover, jede Diskussion, die wir in den Redaktionssitzungen führten, und auch daran, was wir nach Redaktionsschluss alles anstellten. Wir waren jung und hatten das Geld. „Es war schon super damals“, sagt er, und er sagt das nicht nur ein Mal.
Eine Zeit lang war Rainer überall, in allen Medien, in den „Seitenblicken“, sein Datingverhalten füllte die Klatschspalten, und natürlich frühstückte er auch bei Claudia Stöckl. „Drei Mal“, sagt er. Ja, er weiß so etwas auswendig.
Und wenn man Rainer so zuhört, dann bekommt man den Eindruck, dass diese Jahre, man kann sie auch „die Stammtischjahre“ nennen, die letzten guten Jahre der Branche waren, vor allem, was das Sozialprestige des Jobs betrifft. „Als ich mit 16 Jahren begann, profil zu lesen, da dachte ich, es wäre schwerer, profil-Redakteur zu werden als Minister“, sagt Rainer. Wir sind mittlerweile beim dritten Glas Muskateller angekommen, er ist picksüß, passend: „Journalisten waren damals Popstars und auch Meinungsmacher. Ich wollte da unbedingt dazugehören.“ Und wie er dazugehörte, wie er dieses Popstarsein auslebte: Rainer machte Homestorys – nicht in seiner Zeitung, sondern in seiner Wohnung –, er ließ sich für Modestrecken fotografieren und gab Interviews, die man sich schon vor der Veröffentlichung weiterschickte, eher nicht wegen der politischen Analysen. Eine Zeit lang war Rainer überall, in allen Medien, in den „Seitenblicken“, sein Datingverhalten füllte die Klatschspalten, und natürlich frühstückte er auch bei Claudia Stöckl. „Drei Mal“, sagt er. Ja, er weiß so etwas auswendig.
Fehlt ihm der Journalismus? Fehlt ihm das profil? Rainer denkt länger nach. Er bestellt noch ein Glas und schüttelt dann den Kopf. „Nein“, sagt er.
Im Rückspiegel betrachtet ist das Irrsinn, grauenhaftes Alter-Weißer-Mann-Gehabe, gefühlt war seine Nachfolgerin als profil-Chefin in ihren ersten drei Arbeitswochen länger im Büro als Rainer in seinen letzten drei Arbeitsjahren. Aber andererseits ist er vielleicht der letzte Printmedien-Macher, der so etwas wie Glamour vermittelte – weil es ihm wichtig war. Denn bei allem Respekt: Selbst Medienjournalisten sind sich im Zweifel unsicher, wer aktuell gerade Chef von „News“ ist und ob das Blatt überhaupt noch erscheint. Wer weiß, wer aktuell „Woman“ macht? Und wer hat die Chefredakteure von „Presse“, „Kurier“, „Kronen Zeitung“ oder auch „Heute“ jemals in freier Wildbahn gesehen? Rainer kannte man, er trug sein Medium nach außen, an die Stammtische dieser Welt. Was auch immer das für das Medium bedeutet hat.
Nach seinem Rückzug aus dem profil hat Christian Rainer zunächst gar nichts gemacht, außer seine Tätigkeit als freiberuflicher Reisejournalist ohne Veröffentlichungsverpflichtung weiter zu verstärken. Seit einiger Zeit schreibt er eine Kolumne für die „VN“ und tritt in Talk-Runden im Fernsehen auf, „aus intellektueller Eitelkeit“, wie er sagt. Er berät drei Regierungen, zwei davon unentgeltlich, wozu genau, will er nicht sagen: „Aus Österreich hat mich aber noch niemand gefragt.“ Fehlt ihm der Journalismus? Fehlt ihm das profil? Rainer denkt länger nach. Er bestellt noch ein Glas und schüttelt dann den Kopf. „Nein“, sagt er: „Es ist einfach so: Wenn du heute als Printjournalist über den Stephansplatz gehst, dann erkennt dich kein Mensch mehr. Dieser Rückgang der Bekanntheit und der Bedeutung von uns Journalisten hat mir das ‚fading out‘ leichter gemacht. Sonst hätte ich vielleicht länger gelitten.“
Für einen Business-Lunch dauert unser Essen bereits ungewöhnlich lange, nach fast drei Stunden brechen wir aber doch auf. Rainer muss zu einem nächsten Treffen, ich zur Arbeit. Es fühlt sich alles ein bisschen an wie früher.
Auch wenn es die Runde von damals nicht mehr gibt – man kann den Stammtisch übrigens nach wie vor nicht reservieren. Deswegen wird er traditionell von der Do&Co-Crew auch nicht gedeckt. Hier sitzt nach wie vor nur, wer ein Freund des Hauses ist – selbst wenn er dann allein sitzt.
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Markus Huber
ist im Hauptberuf Herausgeber des Magazins „Fleisch“ und schreibt für profil alle zwei Wochen die Kolumne „Powerlunch“.