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Salmorejo und Ajoblanco: Kalte Muntermacher

Spaniens Suppenkultur jenseits der berühmten Gazpacho mit Schlaftabletten

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Es gibt Dinge, die finden ihre Bestimmung irgendwann unweigerlich in PET-Flaschen, Dosen oder Tetra-Pak-Kartons. Zu denen gehört zweifelsfrei die Gazpacho, längst so etwas wie flüssige Tiefkühlpizza oder kalter Döner: weltweit populär, aber leider oft ziemlich verkommen. 1988, da war die spanische Gazpacho noch was. Da spielte sie in Pedro Almodóvars atemberaubender Farce „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ eine dramaturgisch bedeutsame Rolle. Die wunderbare Carmen Maura mixt die berühmte kalte Suppe frisch auf ihre ganz persönliche Art. Auf die Frage, was denn drin sei, sagt sie: „Tomato, pepino, pimiento, cebolla, una puntita de ajo, aceite, sal, vinagre, pan duro y agua.“ Aber eine Zutat erwähnt sie nicht: eine forsche Überdosis Schlaftabletten, die sie ihrem abtrünnigen Liebhaber Iván zudenkt. Blöd nur, dass alle anderen in diesem furiosen Kammerspiel davon trinken und reihenweise darniedersinken, nur Iván nicht. Als Zaubertrank, der das Leben der Darstellerinnen und Darsteller verändert und sie in eine andere Welt befördert, bezeichnete Almodóvar die kalte Suppe später einmal; ich hoffe, er hat nie davon gehört, welchen Frevel die deutsche Synchronfassung seines Films begeht: Da ist nämlich ständig von Carpaccio die Rede.

Auch wenn die spanische Suppenkultur immer wieder auf die Gazpacho (im Spanischen eigentlich der Gazpacho) reduziert wird, ist sie doch wesentlich vielfältiger. Vor allem die andalusischen Städte Málaga, Sevilla und Córdoba sind für ihre weit in die Geschichte zurückreichenden Süppchen bekannt. Eine Gazpacho in ihrer ursprünglichen Bedeutung, nämlich etwas Gemörsertes, wird schon um 1600 in Miguel de Cervantes’ „Don Quijote“ erwähnt; und um diese Zeit malt auch Diego de Velázquez eine alte Obstverkäuferin, der eine Schüssel Suppe zur Labung gereicht wird. Suppen im alten Spanien wurden oft auch nach ihrem Zweck kategorisiert: in pucheros para dolientes, Suppen für Leidende, und pucheros reconfortantes, Suppen zur Kräftigung und Erholung. Als Suppenstudenten wurden junge Menschen bezeichnet, die sich während ihrer Ausbildung wenig mehr als eine Suppe leisten konnten; das Wappen ihrer Umhänge zeigte einen hölzernen Löffel.

Ich habe zwei Suppen ausprobiert, die ich für deutlich interessanter halte als die Gazpacho, aber auch sie stammen aus Andalusien. Salmorejo ist eine Tomatensuppe mit Einlage. Für 4 Personen püriere ich ein knappes Kilo vollreife Paradeiser (manche schälen sie, ich tue das nicht) mit 150 ml Olivenöl, 80 g für einige Minuten im Tomatenpüree eingeweichtem altbackenem Baguette, 3 bis 4 zerdrückten Knoblauchzehen, etwas Salz und einem kleinen Schuss Sherryessig. Dann stelle ich die zähe Flüssigkeit, die jedenfalls dicker sein sollte als eine Gazpacho, für eine gute Stunde kalt und serviere sie mit Spalten von hartgekochtem Ei und feinen Streifen vom Serrano-Schinken als Einlage.

Suppe Nr. 2 heißt Ajoblanco und verlangt hierzulande einen kleinen Kompromiss. Die Hauptzutat frische Mandeln ist in Mitteleuropa nur schwer zu bekommen, aber geschälte blanchierte, die vor dem Pürieren kurz in kaltem Wasser eingeweicht werden, erfüllen ihren Zweck tadellos. Ich nehme für 4 Personen 200 g davon, gebe sie mit 500 ml eiskaltem Wasser in den Mixbecher und dazu 80 ml Olivenöl, 60 g altbackenes, kurz im Mandelwasser eingeweichtes Baguette, 3 zerdrückte Knoblauchzehen, etwas Salz und 40 ml Mandelöl. Auch diese Suppe rastet eine Stunde im Kühlschrank. Als Einlage bastle ich einen kleinen Holzspieß mit Trauben und Honigmelone, träufle ein wenig Mandelöl auf die Suppe und streue geröstete Mandelblättchen drüber. Die Ajoblanco wird auch weiße Gazpacho genannt; und das Schöne daran ist, dass Spaniens Spitzenküche überaus stimmig mit den Traditionen der spanischen Suppenkultur spielt. Carme Ruscalleda, die mittlerweile im Teilruhestand befindliche Drei-Sterne-Köchin von der katalanischen Costa Brava, servierte mir einmal eine Ajoblanco mit rohen Garnelen und weichgekochten frischen Mandeln: ein Traum von Textur und Geschmack, den ich heute noch, etwa 20 Jahre später, abrufen kann.