Sophie Passmann im Interview: "Das oberste Ziel ist gute Unterhaltung"

Die deutsche Autorin und Feministin Sophie Passmann, 27, über Geschlechterrollen in der Corona-Pandemie, feministische Kunst in der Echokammer, ihre neue Generationenpolemik "Komplett Gänsehaut" - und warum ihr Milieu an Humorlosigkeit leidet.

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Mit ihrem Buch "Alte weiße Männer" landete Sophie Passmann 2019 einen Bestseller und wurde zum Twitter-Popstar eines neuen Feminismus. Im vergangenen Jahr führte sie in dem soeben für den Grimme-Preis nominierten TV-Film "Männerwelten" einem Millionenpublikum zur Primetime vor Augen, wie Frauen tagtäglich im Internet mit Sexismus und sexualisierter Gewalt konfrontiert werden. In ihrem literarischen Generationenporträt "Komplett Gänsehaut", das dieser Tage erscheint, rechnet die 27-Jährige mit selbstzufriedenen AltersgenossInnen ab, die lieber Risotto kochen, statt Revolutionen vom Zaun zu brechen. profil hat Passmann via Zoom in Berlin erreicht.

profil: Die Frauen in Ihrem neuen Buch führen nicht mehr die großen feministischen Kämpfe ihrer Mütter. Hat die Corona-Krise das Unbehagen der Geschlechter wieder verstärkt?

Passmann: Ich habe mich in den vergangenen Monaten sehr über das Narrativ geärgert, Corona sei der Grund für einen kulturellen Backlash im Häuslichen. Die Pandemie ist höchstens ein Katalysator für Gespräche, die man in seiner Partnerschaft noch nicht geführt hat. Man wird Frauen die Verantwortung nicht abnehmen können, ihre Partner in Sachen Pflege, Kinderbetreuung und Abwasch in die Pflicht zu nehmen.

profil: Können es sich Frauen heute noch leisten, nicht feministisch zu denken?

Passmann: Niemand, außer die betroffenen Frauen selbst, wird diese Kämpfe für sie führen. Das ist zum einen total deprimierend, zum anderen hilft es auch nicht, es deprimierend zu finden und dann zu sagen: Corona ist schuld. Ich würde unterstellen, dass Frauen, die seit der Pandemie der Meinung sind, sie machen zu viel und ihr Partner zu wenig, das früher auch schon so gemacht haben.

profil: Warum muss man in Sachen Gleichberechtigung seit Jahrzehnten dieselben Kämpfe führen?

Passmann: Nur weil ein Gesetz geändert wird, verschwindet nicht automatisch der Sexismus aus den Köpfen der Menschen. Aber über die Politisierung von weiblichen Körpern lässt sich viel schwieriger sprechen als zum Beispiel über den Abtreibungsparagrafen. Dazu hat man harte Fakten. Manchmal denke ich mir, wir müssten schon viel weiter sein - und dann sehe ich, wie Kolleginnen, oder ich selbst, mit blankem Frauenhass konfrontiert werden. Von Gleichberechtigung sind wir noch Generationen entfernt.

profil: Ist Gleichberechtigung stets das Ziel Ihrer Arbeit?

Passmann: Nein, das oberste Ziel ist gute Unterhaltung - und das ist gar keine Koketterie. Wenn meine Arbeit dann auch noch schlau, politisch oder literarisch ist, dann ist das ein Pluspunkt. Ich möchte nicht mit einer Aktivistin oder einer Journalistin verwechselt werden - diese harte Arbeit mache ich nicht. Wenn ich nicht mehr weiterkomme, schreibe ich einen Witz. Ich stoße vielleicht Debatten an, aber Unterschriften sammle ich nicht.

profil: Die Fernsehshow "Männerwelten", die Sie moderiert haben, war im vergangenen Jahr ein gewaltiger Publikumserfolg. Frauen berichteten darin schonungslos von Erfahrungen mit sexueller Belästigung. Hat die Show zu einem Umdenken geführt?

Passmann: Alle Protagonistinnen haben noch Wochen nach der Show Rückmeldungen von Männern erhalten, die noch nie über das Problem nachgedacht hatten, aufrichtig schockiert waren und eigene Handlungen überdacht haben. Das war der Jackpot.

profil: Haben Männer manchmal selber Angst, quasi unbewusst zu selbstgerechten Patriarchen zu werden?

Passmann: Ja, das gibt es: Männer, die die Sorge haben, durch die Welt zu gehen und gar nicht zu merken, wie sie sich verhalten. Andererseits gibt es Männer, die eine regelrechte Abwehrhaltung entwickeln und meinen, wir Frauen sollten uns mal beruhigen. Nach dem Motto: Ihr Frauen dürft wählen, in der Ehe darf nicht mehr straffrei vergewaltigt werden - und wenn ihr immer noch keinen Job im Aufsichtsrat habt, dann liegt es daran, dass ihr Frauen halt ein wenig hysterisch seid. Mit dieser Haltung lässt sich als Kolumnist noch immer gutes Geld verdienen.

profil: In "Komplett Gänsehaut" sezieren Sie Ihr eigenes Milieu. Wann ist Ihnen die eigene Spießigkeit zum ersten Mal aufgefallen?

Passmann: Spätestens in dem Moment, als ich nach Berlin gezogen bin. Die Erzählerin, die mir sehr ähnlich ist, wird in dem Buch als jemand entlarvt, der zur Selbstdarstellung alles um sich herum hasst.

profil: Dazu kommt irgendwann die Erkenntnis, dass man sich von den eigenen Eltern - und allen anderen Menschen in seinem Umfeld - kaum unterscheidet.

Passmann: Absolut. Und die Einsicht, dass man nicht der erste Mensch ist, der mit Ende 20 eine Lebenskrise hat. Dann stellt man fest: Liebeskummer ist gar nicht so weltbewegend und einzigartig, wie man dachte. Andere haben das auch schon gefühlt. Im nächsten Schritt stellt man fest: Ach so, ich bin doch nur Kind meiner Eltern. In dem Moment, in dem man diesen Gedanken nicht mehr gruselig findet, ist man endgültig erwachsen geworden. Dann kann man auch wieder in seinem Kinderzimmer schlafen und das nicht schlimm finden.

profil: War das schlimm für Sie?

Passmann: Mein Kinderzimmer fand ich eine Zeit lang furchtbar. Mich hat das sehr beengt, die alten Poster, diese Bettwäsche und der ganze Kram. Ich wollte das alles gar nicht mehr sehen. Heute ist es nur ein Raum, in dem ich zufällig Kind war. Mit mir hat das nichts mehr zu tun.

profil: Darf die Spießigkeit, in der man es sich bequem gemacht hat, nicht auch Spaß machen?

Passmann: Davon bin ich fest überzeugt. Das Buch ist der Versuch, klarzumachen, dass man nicht alles moralisch zerdenken muss. Warum machen wir keine Sachen, die einfach nur Spaß machen, die weder der Selbstdarstellung noch der Selbstoptimierung dienen? Wenn man einer Klientel Humorlosigkeit oder zumindest eine ausgeprägte Spaßallergie unterstellen kann, dann ist es das weiße, akademische Bildungsbürgertum. Hier sind ja sogar Hobbys dazu gedacht, etwas über sich selbst auszusagen.

profil: Alles Handeln muss einem höheren Zweck dienen?

Passmann: Ich wohne in Berlin in einem der üblichen Stadtteile und kenne hier niemanden, der einfach gerne PlayStation spielt. Die einen reiten, spielen Golf oder wandern gerne im Spreewald. Es sind immer Hobbys, die etwas über Naturverbundenheit oder Sportlichkeit aussagen. Dass mal jemand sagt: Am Wochenende zocke ich gerne oder schaue noch mal "Fast &Furious 5" - das gibt es nicht.

profil: Ihr Milieu beschreiben Sie als unpolitisch und bequem. Auf der anderen Seite gibt es eine Jugend, die für Fridays for Future oder Black Lives Matter auf die Straße geht.

Passmann: Meine Altersgruppe, also die der 25- bis 30-Jährigen, ist zwischen zwei Paradigmen gefangen. Einerseits gibt es da diese woke, also achtsame Generation an Jugendlichen, andererseits lässt sich die Sehnsucht nach dem Hedonismus vergangener Tage nicht abschütteln. Es gab tolle Partys, billige Mieten, leistbare Fernreisen, lange Studiengänge. Und dann kommen die jungen Leute, die sagen, dass dieses Leben nicht vernünftig war. Meine Generation führt stets eine Verhandlung zwischen Wokeness und Pop. Beidem gerecht werden zu wollen, führt manchmal zu einer gewissen Lächerlichkeit.

profil: Wohin führt dieses Austarieren?

Passmann: Es ist alternativlos, den Klimawandel einzudämmen, weniger Fleisch zu essen, weniger zu reisen, das eigene Leben weniger auf Wohlstand und Wachstum auszurichten. Gleichzeitig befürchte ich, dass bei diesem Wandel viele Menschen ausgeschlossen werden. Da bin ich Sozialdemokratin. Wenn es keine Billigflieger mehr gibt, heißt das dann, dass arme Menschen nicht mehr fliegen dürfen? Dass sie kein Fleisch mehr essen dürfen, wenn es nur noch Bio am Teller geben soll? Wie kleiden sich ärmere Menschen ein, wenn es nur noch teure Fair Fashion gibt?

profil: In die Politik wollten Sie nie?

Passmann: Nein. Man muss extrem extrovertiert sein, um einen Wahlkampf durchzuhalten. Spätestens nach drei Tagen würde ich mir denken: Wähl mich, aber ich will nicht mit dir reden! Je mehr ich den politischen Betrieb und die handelnden Personen kennenlerne, umso mühsamer stelle ich mir diesen Beruf vor. Da geht es hauptsächlich um Akten, Meetings, Wahlkampftermine und Bockwurstessen irgendwo auf dem Land.

profil: Bewegen Sie sich mit Ihrer Kunst nicht in einer Blase und erreichen hauptsächlich Menschen, die ein ähnliches Weltbild haben?

Passmann: Diese Angst vor der Echokammer ist ein sehr spezielles Social-Media-Phänomen. Es frustriert mich nicht, dass Leute, die meiner Meinung sind, meine Dinge konsumieren. Man schaut in der Unterhaltung nicht brachial über den eigenen Tellerrand.

profil: Was ist wichtiger: Harte Arbeit oder Talent?

Passmann: An Genialität glaub ich nicht. Das wird gerne von Männern benutzt, die sich danebenbenehmen wollen. Harte Arbeit schlägt Talent in jedem Moment.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.