„Mr. Umsturz”

Srdja Popovic, der friedliche „Mr. Umsturz”

Porträt. Srdja Popovic, der friedliche „Mr. Umsturz”

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13. März, Kinopremiere in Wien. Es ist einer von vielen Auslandsterminen im Kalender von Srdja Popovic. Im eben angelaufenen Film von Arash und Arman T. Riahi, "Everyday Rebellion“, spielt der gebürtige Serbe eine tragende Rolle. Oder vielmehr, er gibt sich selbst, eine Art Guru für friedliche Revolutionen des 21. Jahrhunderts.

In dieser Rolle fliegt er im echten Leben über 100.000 Meilen im Jahr um den Erdball, um auf Symposien in Europa Vorträge zu halten, Studenten in Amerika zu unterrichten, Aktivisten aus Burma zu trainieren oder im Wiener Gartenbau-Kino die Fragen des Premierenpublikums zu beantworten.

Globetrotter-Dasein
"Vielleicht habe ich ein paar verrückte Gene geerbt“, sagt er. Schon sein Vater tingelte um die Welt, magisch angezogen von Krisenzonen. Als Reporter im Tito-Jugoslawien hatte er aus Afrika und dem Mittleren Osten berichtet und war in den 1970er-Jahren in den Bürgerkriegswirren im Libanon verwundet worden. "Von irgendwem muss unser Sohn sein Globetrotter-Dasein haben“, seufzte die Mutter, eine bekannte Journalistin, im serbischen Fernsehen.

In der Öffentlichkeit hielten sich die Eltern politisch zurück. Zu Hause aber machten sie aus ihrer Abscheu für Slobodan Milosevic kein Hehl. Das hielt die Familie zusammen, als Studenten in den 1990er-Jahren gegen sein autoritäres Regime aufstanden und ihr 1973 geborener Sohn, ein hochgewachsener junger Student der Biologie, Kopf und Kragen riskierte, um ihn aus dem Amt zu jagen.

Widerstandsbewegung "Otpor!"
Srdja Popovic gehörte zur Kerntruppe, die im Oktober 1998 die Widerstandsbewegung "Otpor!“ gründete, für die der Kampf um Freiheit und Demokratie sogar ein bisschen Spaß machen durfte. Die Aktivisten hielten martialisch adjustierten Sicherheitskräften Spiegel vor, um sie mit ihrem eigenen Anblick zu erschrecken, richteten Partys aus, auf denen sie sich von Milosevic verabschiedeten, und überzogen das Land mit "Gotov je!“-Aufklebern ("Er ist erledigt“).

Die geballte Faust, das Logo der Bewegung, tauchte nicht nur auf Häusern, Bannern und Flugzetteln auf, sondern auch auf T-Shirts prominenter Künstler und Titelseiten von Zeitungen. Immer wieder verhaftete die Polizei Otpor-Leute, verhörte und schlug sie. Trotzdem gewann der prowestliche Oppositionsführer Vojislav Kostunica im Herbst 2000 die Wahlen. Es brauchte allerdings noch wochenlange Proteste, Millionen-Aufmärsche und einen Generalstreik, um Milosevic endgültig zu stürzen.

"Bringing Down a Dictator"
Popovic wechselte in die Politik, legte sein Mandat als Abgeordenter der Demokratischen Partei (DS) jedoch nieder, als sein Mentor Zoran Djindjic 2003 ermordet wurde. Im selben Jahr lief in den Kinos eine Doku über den serbischen Kampf für Demokratie an ("Bringing Down a Dictator“ von Steve York). Bald meldeten sich Menschen aus Weißrussland, Zimbabwe, Ukraine und Georgien, begierig darauf, die Lektionen vom 5. Oktober 2000 zu lernen.

Strategien des gewaltlosen Kampfes
Gemeinsam mit Otpor-Mitstreiter Andrej Milivojevic rief Popovic das "Zentrum für angewandte gewaltfreie Aktionen und Strategien“ (Canvas) ins Leben, eine Art Denkfabrik mit angeschlossenem Trainingszentrum. Die Gründer hatten sich nichts Geringeres vorgenommen, als erfolgreiche Taktiken und Strategien des gewaltlosen Kampfes gegen repressive Regime zu entwickeln und sie weltweit unter die neuen Aktivisten-Generationen zu bringen.

Ihr Plan ging auf. 2005 wurde auf canvasopedia.org das Booklet "50 entscheidende Punkte für den gewaltlosen Kampf“ online gestellt, in sechs Sprachen. Es liest sich wie ein Handbuch für eilige Revolutionäre, wurde bis heute mehrfach überarbeitet und von zehntausenden Menschen aus aller Welt heruntergeladen. Srdja Popovic, der daran mitschrieb, avancierte zum international gefragten Experten für gewaltlosen Widerstand.

„Die Welt verändern”
Das US-Politik-Magazin "Foreign Policy“ reihte ihn 2011 unter die 100 einflussreichsten Denker weltweit, für die IT-Lifestyle-Kollegen von "Wired“ gehörte er 2012 zu den "50 Menschen, die die Welt verändern“. Proponenten der ägyptischen Jugendbewegung 6. April machten sich bei Otpor kundig. Während des Arabischen Frühlings war das Faust-Logo auch auf dem Tahrir-Platz in Kairo zu sehen. Und als im Februar dieses Jahres Bosnien von einer Welle des Protests erschüttert wurde, baten "Newsweek“-Reporter Popovic um eine Einschätzung.

Seine Botschaft stützt sich auf seriöse Befunde, etwa der US-Politikwissenschafterin Erica Chenoweth, die gemeinsam mit Maria J. Stephan Rebellionen der vergangenen 100 Jahre untersuchte und zu dem Ergebnis kam, dass der Kampf mit friedlichen Mitteln fast doppelt so oft zu stabilen und demokratischen Verhältnissen führt wie gewalttätige Bewegungen.

Bis heute richtete Canvas mehrere hundert Workshops in 40 Ländern aus. Die friedlichen Revolutionen in der Ukraine und in Georgien nahmen Anleihen bei Otpor. Mohamed Adel, einer der Köpfe der Proteste in Ägypten, buchte 2010 einen Crashkurs in Belgrad. Meistens aber reisen die Rebellionsexperten zu ihren Adepten vor Ort, so Popovic: "Das kostet weniger und ist in der Regel sicherer.“ In dem 60-Quadratmeter-Büro im Stadtteil Neu-Belgrad wäre für Trainingscamps auch gar kein Platz.

"To Make Oppression Backfire"
Das Wissen fließt dabei in beiden Richtungen. Auf Erfahrungen von unbekannten Schauplätzen sind die Canvas-Leute mindestens so aus, wie sie darauf brennen, ihre Expertise mit Aktivisten aus Thailand oder Venezuela zu teilen. Was an einem Ort funktioniert hat und anderswo ebenfalls erfolgreich sein könnte, liefert Stoff für benutzerfreundliche "Best of“-Kompendien. Das jüngste trägt den Titel "To Make Oppression Backfire“ und beschreibt die Kunst, die Kraft des Gegners zu nützen. "Politisches Jiu-Jitsu“ nennt der führende US-Theoretiker zivilen Ungehorsams, Gene Sharp, diese fernöstliche, für den politischen Protest nutzbar gemachte Kampftechnik.

In naher Zukunft sollen ganze Canvas-Workshops, interaktiv aufbereitet, im Internet abrufbar sein, inklusive praktischer Übungen zur Umsetzung der Botschaft, die Popovic wie ein Wanderprediger um den Globus trägt: "Gewaltlose Taktiken sind nicht nur ethisch überlegen, sondern auch wirksamer.“ Viele Rebellionen habe er scheitern gesehen - in Syrien und anderswo -, weil sie eines von drei Grundprinzipien nicht erfüllten: Einigkeit, Vision und Disziplin zur Gewaltlosigkeit.

Die zwölf Canvas-Trainer erzählen, dass Staatenlenker ohne ihre institutionellen Stützpfeiler verloren sind und selbst die schlimmsten Despoten weder Steuern einheben noch Gesetze verabschieden, ja nicht einmal Züge pünktlich abfahren lassen können, wenn ihnen die Gefolgschaft aufgekündigt wird. Und sie lehren ihre Schüler, die lähmenden Folgen der Angst zu beherrschen, die Menschen befällt, wenn sie aufhören, repressiven Regimen zu gehorchen: mit Trommelmusik, riesigen Bannern und viel Humor.

Auch Zwickmühlen gehören zum Handwerk. Otpor-Aktivisten hatten seinerzeit vor dem Belgrader Nationaltheater eine Blechtonne mit dem Konterfei von Milosevic aufgestellt. Wer "einen Dinar für den Wechsel“ hineinwarf, durfte mit einem Schlagstock draufdreschen. Es hatte etwas Komisches, als die Polizei zehn Aktivisten mitsamt ihrem malträtierten Benzinfass verhaftete.

Zu Popovic‘ Favoriten zählt die Spielzeug-Demo. Nach den angeblich manipulierten russischen Parlamentswahlen Ende 2011 waren fast überall im Land Proteste untersagt worden. In der sibrischen Stadt Barnaul standen Playmobil-Männchen im Schnee stramm, umringt von Kuscheltieren und bunten Plastikautos, und hielten auf Zahnstocher gespießte, winzige Transparente in die Höhe. Bilder davon gingen um die Welt. Die örtlichen Behörden machten sich zum Gespött einer globalen Öffentlichkeit, als sie der niedlichen Kundgebung mit behördlichen Auflagen zu Leibe rückten.

"Was sollte die Polizei tun?"
Und dann ist da noch Erdem Gündüz, der als "stehender Mann“ in die Geschichte des Dilemma-Aktionismus einging. Nachdem der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan alle Zusammenkünfte untersagt hatte, stellte sich der Performancekünstler am 18. Juni des Vorjahres auf den Taksim-Platz in Istanbul und starrte auf ein Porträt Kemal Atatürks, des Vaters der Nation, und wurde seinerseits angestarrt von einer ratlosen Polizei. Für Popovic markiert er einen Höhepunkt in der Entwicklung des gewaltlosen Widerstands: "Was sollte die Polizei tun? Es gibt nichts, das man stehenden Menschen vorwerfen könnte.“

"Voneinander lernen“ lautet die Devise von Canvas. 2004 waren Popovic und einige Mitstreiter den Aktivisten der unblutigen Orangen Revolution in der Ukraine zur Seite gestanden, die sich um einen Wahlsieg betrogen fühlten und für freie und faire Wahlen auf die Straße gingen - zunächst mit Erfolg. Doch die neue politische Elite war kaum installiert - Viktor Juschtschenko als Präsident, Julia Timoschenko als Premierministerin -, zerbrach das Bündnis auch schon wieder an internen Streitigkeiten.

Dass der Aufstand zehn Jahre später nicht friedlich blieb, überrascht den Otpor-Veteranen nicht: Ein repressives Regime mit Massendemos auf dem wichtigsten Platz des Landes herauszufordern, verlange eine gute Vorbereitung, Protestformen, die für entspannte Stimmung sorgen, und versierte Sicherheitsbeauftragte, die vor Ort deeskalieren: "Sonst haben Provokateure leichtes Spiel, sich unter friedliche Bürger zu mischen, Steine auf Polizisten zu werfen und der Bewegung zu schaden.“

"Bewegungen brauchen Geld"
Gerüchte, der ukrainische Oligarch Dmitrij Firtasch habe die Oppositionsbewegung "Euromaidan“ finanziert, machen die Runde. "Ich weiß nicht, ob etwas daran ist“, sagt Popovic. Überrascht wäre er nicht: "Bewegungen brauchen Geld. Wenn sie es nicht in den eigenen Reihen auftreiben können, bleibt als zweitbeste Möglichkeit nur die Hilfe lokaler Wirtschaftsgrößen.“ Im Serbien der ausklingenden 1990er-Jahre habe er Unternehmenschefs erlebt, "die tagsüber in Sitzungen mit Vertretern der Milosevic-Regierung waren und uns in der Nacht mit Büros, Kopiergeräten und Mobiltelefonen versorgten“. Wie Roulettespieler setzten sie gleichzeitig auf Rot und Schwarz, "um sicherzugehen, dass ihre Geschäfte weitergehen, egal, wer am Ende gewinnt“.

Dass man mitunter schneller als Marionette angegriffen wird, als man die Mittel ausgeben kann, weiß Popovic aus Erfahrung. Otpor operierte mithilfe regierungsnaher US-Organisationen wie dem International Republican Institut (IRI) oder National Endowment for Democracy (NED), "allerdings erst, als die Bewegung geeint war, eine Vision hatte und 50.000 Unterstützer zählte“, sagt Popovich. Diese Reihenfolge empfiehlt er allen Aufständischen: "Zuerst stark werden. Dann erst mit Leuten aus dem Ausland reden. Sonst ist man anfällig für eine fremdbestimmte Agenda.“

Eine Welle von Bürgererhebungen zog in den vergangenen beiden Dekaden über den Erdball: Tunesien, Ägypten, Jemen, Türkei, Brasilien, Ukraine, Venezuela. Popovic hatte das revolutionäre Handwerk im nationalstaatlichen Kontext gelernt. Viele der neuen Proteste aber richten sich nicht gegen Staaten, sondern - wie in Spanien - gegen eine rigide Austeritätspolitik oder - wie in Slowenien - gegen korrupte Politiker oder - wie die Occupy-Bewegung - gegen einen Kapitalismus, der nach oben umverteilt.

"Wir sind die 99 Prozent!"
Die Zivilgesellschaft hat sich globalisiert. So sieht es zumindest aus. Der Occupy-Slogan "Wir sind die 99 Prozent!“ tauchte auf Transparenten in New York, Prag und Kairo auf. Auf Straßen und Hauptplätzen erprobte Taktiken verbreiten sich über soziale Netzwerke von einem zum anderen Ende der Welt. "Sie sollten aber nicht mit substanziellen Anliegen verwechselt werden, die immer vor einem bestimmten kulturellen und sozio-politischen Hintergrund entstehen“, warnt Popovic, der seit zwei Jahren vermehrt an der akademischen Reputation von Canvas arbeitet und 2015 sein erstes eigenes Buch herausbringen will. "Blueprint for the Revolution“ wird es heißen.

In der Geschichte der Umstürze fehlt Österreich. Mit ihrem Film und dazugehöriger Mobilisierungsplattform everydayrebellion.net wollen die Riahi-Brüder den widerständischen Funken auch hierzulande überspringen lassen: "Der Hypo-Skandal wäre ein Anlass, auf die Straße zu gehen.“ Und was meint Mister Umsturz? "Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum das nicht funktionieren sollte.“

Dem gewaltlosen Protest sagt er jedenfalls glorreiche Zeiten voraus. In der internationalen Staatengemeinschaft sickere nach den Erfahrungen in Serbien, im Irak, in Afghanistan oder Libyen die Erkenntnis, dass Militärschläge niemals Stabilität und Demokratie bringen.

Popovic hat längst eine neue Generation von Aktivisten im Auge. Proteste würden nicht mehr von den üblichen Verdächtigen losgetreten, Uni- und NGO-Leuten, sondern von Nobodys, die mit sozialen Netzwerken aufgewachsen sind und den politischen Eliten zutiefst misstrauen: "Sie fühlen sich ausgeliefert und haben das Gefühl, dass man ihnen die Zukunft stiehlt. Alles, was es braucht, um etwas in Gang zu setzen, ist eine kleine Gruppe von verrückten Troublemakern.“

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges