Autor und Musiker Sven Regener mit Katze
Interview

Sven Regener: "Männer verbrüdern sich, weil sie unsicher und unbeholfen sind"

Der Berliner Musiker und Autor Sven Regener stellt in seinem neuen Roman die wichtigen Fragen: Was ist der Sinn des Lebens? Ist Ikea schon Kunst? War früher alles einfacher? Ein Gespräch.

Drucken

Schriftgröße

Zehn Uhr morgens, im Internet zwischen Berlin und Wien. Sven Regener, für immer junge 60, hat sich Zeit genommen, um über seinen neuesten Roman zu plaudern. Verheißungsvoller Titel: „Glitterschnitter“. Der Autor, im Hauptberuf Musiker, Sänger und Frontmann der Band Element of Crime, wagt sich vier Jahre nach seinem Buch „Wiener Straße“ wieder in das Soziotop „Westberlin 1980“. Frank Lehmann, Karl Schmidt und all die anderen schrägen bis schrulligen Typen, die Regener vor 20 Jahren mit seinem Bestseller „Herr Lehmann“ in den deutschen Literaturbetrieb einführte, treten wieder auf. Es geht um die eher komplizierte Gründung einer Band, um die nicht weniger komplizierte Liebe, das Kneipenleben im Underground und die Frage, was Kunst mit Ikea zu tun hat. Nachdem die Sache mit der Technik auch nach eineinhalb Jahren Pandemieerfahrung nicht leichter geworden ist, funktioniert der Mitschnitt des Zoom-Interviews nicht sofort. Regener drückt, während seine Katze durchs Bild spaziert, sicherheitshalber selbst auf record und zeichnet das Gespräch auf seinem Heimrekorder auf. Es soll bloß nichts verloren gehen.

profil: Herr Regener, mit Element of Crime haben Sie diesen Sommer wieder Konzerte gespielt. Konnten Sie trotz Corona-Auflagen unbeschwert auftreten?
Regener: Als Musiker muss man da durch. Es gibt einen großen Abstand zum Publikum, die Stühle sind am Boden festgenagelt, manchmal sieht man das Publikum nur mit Mund-Nasen-Schutz. Auf der Bühne bekommt man wenig Feedback und hört den Applaus kaum. Es ist aber definitiv besser, als keine Konzerte zu spielen.

profil: Der Musiker Helge Schneider hat eines seiner sogenannten Strandkorbkonzerte abgebrochen, da ihm das Publikum zu viel Lärm gemacht hat. Verstehen Sie die Reaktion des Künstlers?

Regener: Man muss auf die Kraft der Musik vertrauen. Bei Element of Crime funktioniert das, auch wenn die Stimmung aktuell nicht wie bei einem normalen Rock’n’Roll-Konzert hochkocht. Das passiert auf einer subtileren Ebene.

profil: In Ihrem neuen Roman „Glitterschnitter“ geht es um die Gründung einer Band im Westberlin der 1980er-Jahre. Wie viel Magie ist da im Spiel?
Regener: Die Menschen im Roman sind Anfang 20 und wollen Kunst machen. So gesehen sind Glitterschnitter Kinder ihrer Zeit. Für sie liegt die Antwort in einem Crossover aus Performance, bildender Kunst und Musik, die nach Postpunk und Noise klingt. Da darf auch die Bohrmaschine nicht fehlen.

profil: Das Männertrio Glitterschnitter wird schnell aufgebrochen, als sich die Saxofonspielerin Lisa in die Band hineinreklamiert. Wie verändern die Frauenfiguren die Handlung?

Regener: Männer verbrüdern sich, weil sie unsicher und unbeholfen sind. Das macht ihnen die Zusammenarbeit mit Frauen natürlich schwer. Es ist außerdem interes- sant, zu beobachten, wie aus einem Trio ein Quartett wird. Wenn man zu dritt Musik macht, können alle Instrumente immer laut sein. Spielt man zu viert, wird die Sache kompliziert.

profil: „Glitterschnitter“ ist der fünfte Roman, in dem Ihre bekannteste Romanfigur Frank Lehmann vorkommt. Warum kehren Sie immer wieder zu denselben Personen zurück?

Regener: Für mich sind Figuren wie Frank Lehmann und seine Freunde lebendig, gute Freunde quasi. Ich kann mich auch mit all diesen Leuten identifizieren, nehme die Positionen vieler Charaktere ein, lasse gewissermaßen die Puppen tanzen und schaue ihnen dabei zu und schreibe das dann auf. „Glitterschnitter“ hat etwas von einer Sitcom, aber auch von einem Wimmelbild.

profil: Haben Sie auch Ihre Leserinnen und Leser stets im Kopf?
Regener: Beim Schreiben muss ich mich vor allem selbst amüsieren können. Ich bin nicht das brave Arbeitstier, das in die Maschine haut und sich an einem Thema gewissenhaft abarbeitet. Aber im Kopf ist immer der Anwalt des Lesers irgendwo – und das ist auch in der Musik nicht anders. Das ist eine Form von Kommunikation, aber auf einer sehr abstrakten, vielleicht auch ausgedachten Ebene. Hauptsache aber, man langweilt sich beim Schreiben nicht, denn dann wird es auch Leser geben, denen das ebenso gefällt.

profil: Ihre Romane changieren zwischen Tragik und Komik. Was fällt Ihnen leichter?
Regener: Je trauriger die Handlung, desto wichtiger ist die Komik. Bücher wie „Herr Lehmann“ sind tragische Geschichten, in denen alles drunter und drüber geht, die sogar traurig enden. „Glitterschnitter“ nicht ganz so, aber es gibt darin viel Melancholie. Humor ist dann ein wichtiges Distanzmittel, um diese Schwere überhaupt ertragen zu können. Für einen Moment entledigt man sich seiner Gefühle und macht einen Witz über das Problem. Das erleichtert. Das ist die Schwierigkeit mit humorlosen Menschen: Es gibt bei ihnen keine Erleichterung. Der Humorlose ist der anstrengendste Mensch überhaupt.

profil: „Glitterschnitter“ haben Sie während der Pandemie geschrieben. Spiegelt sich im Roman die Schwere diese Zeit?

Regener: Kann gut sein. Das Unbewusste spielt einem gern Streiche. Andererseits habe ich in meinen Romanen keine Aktualitätsprobleme. Ich habe nie verstanden, warum manche Menschen der Meinung sind, man müsste ein Theaterstück, das vor 300 oder 400 Jahren spielt, durch Kostüme aktualisieren. Die großen Probleme der Leute ändern sich nicht. Das Dilemma, in dem ein Macbeth steckt, seine Hybris, wie er sich selbst betrogen hat und wie er am Ende scheitern muss, versteht man auch heute noch. Dafür muss er weder Pyjama noch Smoking tragen.

profil: Auch die Probleme eines Frank Lehmann sind zeitlos?

Regener: Die Probleme, die man mit Anfang 20 hat, sind heute nicht anders als im Westberlin der 1980er-Jahre. Wie finde ich in mein Leben, in eine Gesellschaft, deren Regeln ich nur vorgefunden habe? Wie weit passe ich mich an, wie weit versuche ich, dagegen anzugehen? Ob die Menschen dabei Handys haben oder nicht, spielt keine Rolle.

profil: An einer Stelle des Buches schreiben Sie, dass selbst die größten Klassiker – egal ob Shakespeare, Schiller oder Goethe – irgendwann auf ein paar Bonmots zusammenschrumpfen. Machen Sie sich Gedanken, was von Sven Regener bleiben wird?

Regener: Solche Gedanken mache ich mir lieber nicht. Das bringt nichts. In der Kunst ist es vernünftig, weder zu sehr in der Vergangenheit zu leben, noch sich zu viele Gedanken über die Zukunft zu machen. Man hat auf die Rezeption sowieso wenig bis keinen Einfluss. In Wahrheit macht man das, was man am besten kann oder was am meisten Sinn ergibt. Wer hätte vor 100 Jahren gedacht, dass von den ganzen Literaten des frühen 20. Jahrhunderts gerade Kafka Franz später so verehrt und besprochen würde.

profil: Sie selbst haben die Kafka-Klassiker als Hörbücher neu eingelesen. War Ihnen davor bewusst, wie witzig Kafka sein kann?

Regener: Bei den wenigen Lesungen zu „Das Schloss“ gab es tatsächlich einige Lacher. Also bei einem Werk, das besonders mysteriös und düster ist. Wenn man Kafka laut liest, bekommt man einen ganz anderen Zugang zu seinem Werk. Diese Sprache, diese sich immer weiter steigernden Erregungszustände, sind sehr musikalisch und auch oft sehr witzig.

profil: In „Das Schloss“ geht es um das Gefühl der Unfreiheit einer Gesellschaft gegenüber den Mächtigen. Müssen wir uns Sorgen machen, dass Kafka heute noch so aktuell erscheint?

Regener: Es kann auch sein, dass es eher um die Unfreiheit des Einzelnen gegenüber einer Gesellschaft geht, in der sich die Mächtigen und die Machtlosen verbündet haben. Eine seltsame, auch seltsam realistische Sache. Aktuell ist das natürlich immer, solange es Individuen und Gesellschaften gibt.

profil: Kafka erzählt die Geschichte des Landvermessers K., der in einem Dorf am Fuße eines Schlossbergs versucht, seiner Arbeit nachzugehen, aber an einer mysteriösen Macht scheitert. Haben Sie Parallelen zu Ihrer eigenen Profession als Texter, Musiker und Autor entdeckt?

Regener: Das Tolle an Kafka ist ja, dass man immer Parallelen zu sich selbst sieht, aber nie genau weiß, worin die eigentlich bestehen oder wo die eigentlich verlaufen.

profil: Ihre Interpretation ist betont eigenwillig. Wollten Sie mit Ihrer recht schnoddrigen Lesung Kafka-Liebhaber vor den Kopf stoßen?

Regener: Nein. Und den Begriff „schnoddrig“ will ich gar nicht gelten lassen. Es bringt bloß nichts, Kafka absichtlich weihevoll vorzutragen, das lappt immer schnell ins Peinliche.

profil: Ändert sich die Herangehensweise, wenn Sie eigene oder fremde Texte lesen?

Regener: Nein. Wenn man Eigenes vorliest, ist es einem genauso fremd, das heißt, man muss es sich auch erst zum Vorlesen zu eigen machen. Es hat etwas vom Singen: Da ist es auch egal, ob das Lied von einem selbst oder von anderen geschrieben wurde. Hauptsache, man kann damit etwas anfangen. Dann trägt man es vor.

profil: Hatten Sie je das Gefühl, an Kafka zu scheitern?
Regener: Nein. Aber man muss das Kafka-Lesen üben. Es ist nicht leicht. Wenn es aber läuft, macht es viel Spaß.

Hinter der Geschichte

Ein Zoom-Gespräch ist kein Kaffeehausbesuch. Kein Wunder, dass sich Regener für Interviews in coronafreien Zeiten lieber im Wiener Café Westend trifft. Da gibt es keine Verbindungs- und Tonprobleme, und ein Kellner sorgt dafür, dass immer die nächste Melange bereit steht. Für gute Laune war aber auch diesmal gesorgt: Während des Videogesprächs lief immer wieder Regeners Katze durch das Bild. Für das gemeinsame Foto hat sich die graue Katze dann aber lieber doch aus dem Zimmer geschlichen

Sven Regener liest am 13. November im Wiener Rabenhof aus seinem neuen Roman „Glitterschnitter“.

Sven Regener: Glitterschnitter Buchcover
Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.