Turm und Drang: Streit um "Funken" in Lustenau

Funkenfeuer sind Tradition in Vorarlberg. Das weltweit größte soll an diesem Wochenende entzündet werden. Eine Posse aus der Provinz.

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Diese Geschichte wird mit einer Feuersbrunst enden. Sie beginnt mit einer Gemeinde, die ins Guinness-Buch der Rekorde wollte. Lustenau ist ein weitläufiger Landstrich von gut 22.000 Einwohnern entlang der Schweizer Grenze, ein Ort mit blau gefärbtem Platz in der Ortsmitte, vielen Spielplätzen, Cafés, drei Kirchen, zwei Fußballclubs. Das älteste Haus im Ort ist über 350 Jahre alt, das höchste Gebäude, die Pfarrkirche St. Peter und Paul, misst 58,60 Meter. Lustenau ist bekannt für Stickerei, Senf und seine Sprache. Selbst für den ungeübten Zuhörer aus den Vorarlberger Nachbargemeinden ist der Lustenauer Dialekt eine Herausforderung. Wenig deutete darauf hin, dass Lustenau auf Weltrekordjagd gehen könnte.

Seit Jahrhunderten werden in Vorarlberg am Wochenende nach Aschermittwoch bei Einbruch der Dunkelheit "Funken" entzündet, meist aufgeschichtete Türme aus Holz. Dazu gibt es Bier und Würste. Weit über 100 Funken brennen jedes Jahr über das ganze Land verteilt, ein regionales Großereignis. Der Funken treibt den Winter aus. Es verheißt Glück, wenn die mit Schießpulver gefüllte Hexenpuppe an der Spitze mit peitschendem Knall explodiert. Der Funken ist Brauchtum und Business, Party und altertümliche Prozedur. Für die einen gelebte Tradition, für andere vorsintflutlicher Zinnober. Seit 40 Jahren gibt es in Lustenau die "Hofstalder Funkenzunft". Im Jubiläumsjahr 2019 wird man den weltweit größten Funken abfackeln. 58,60 Meter, so hoch wie das höchste Gebäude der Gemeinde.

Die Politik tobt sich auf unserem Rücken aus

Marco Hollenstein, 33, ist Obmann der "Hofstalder Funkenzunft". Er trägt eine schwarze Vereinsjacke mit rötlich züngelnder Flamme auf dem Rücken. Hollenstein arbeitet bei der Rettung und ist Notfälle gewohnt. Auf den Tumult um den Funken war er nicht vorbereitet. "Die Politik tobt sich auf unserem Rücken aus", sagt er: "Nie hat ein Hahn danach gekräht - und jetzt dieses Theater." Auch mit einigem guten Willen ist es für Hollenstein schwer, die Frage nach dem Sinn der Megafackel sinnvoll zu beantworten: "Brauchtum und der Brauch, nach dem Bauen gemeinsam ein Bier zu trinken." Hollenstein hält seit vier Monaten mit charmanter Bockigkeit an der Idee des Weltrekordfunkens fest. Am Samstag dieser Woche, 16. März, soll der Funken in Lustenau entzündet werden, später als sonst üblich. Brauchtumsfeuer sind in Vorarlberg bis 15. März befristet. Die Vorarlberger Landesregierung verlängerte per Sonderbestimmung die Genehmigung zum Zündeln.

Zu Jahresbeginn brach das Für und Wider los, das tiefer ging als das übliche Wutgeschrei in Blogs und Internetforen. In den Leserbriefspalten wurden Weltanschauungsdebatten geführt, der Turm wurde zur Projektionsfläche. Brauchtumsfeier versus Borniertheit gegenüber Natur und Mensch. Ressourcenverschleuderung gegen Rekordversuch. Hybris-Symbol kontra Heidenspaß. Es ist ein Symptom unruhiger Zeiten, wenn sich eine Gemeinde in Grabenkämpfe verstrickt, in denen Hexen, Symbolpolitik, Lebensqualität und Donald Trump eine Rolle spielen. Das kolossale Oktogon aus Holz, Stahl und Beton ist zum neuralgischen Punkt einer kleinen Welt geworden. Schwer zu sagen, wo die Provinzposse in die Groteske mündet. Man muss viele Menschen fragen, um einigermaßen zu verstehen, weshalb der Holzkoloss seit Wochen die Gemüter erregt.

Noch sticht der Turm aus einem eigens zementierten Fundament unversehrt in den Himmel, gerahmt von aufgeschütteten Erdhügeln und braun-schmutziger Wasserlache, unweit eines bizarr hässlichen Verkehrsknotenpunkts mit McDonald's-Filiale und Gebrauchtwagenparkplatz. Ein Schwerlastkran und zwei Traktoren auf dem Gelände, ein Metallzaun, der sich um das Areal schlängelt. Es gibt schönere Flecken in Lustenau. Seit Wochen wird hier jeden Samstag gearbeitet. Es wirkt während der Woche, als ob Riesen die Lust an ihrem Spielzeug auf einem gigantischen Sandhaufen verloren hätten.

Reine Gigantomanie, eine einzige Materialschlacht, Krieg gegen die Natur.

Franz Ströhles Mimik verrät, dass er den Funken für Wahnwitz hält. Ströhle, 69, sitzt in einem Café beim Dornbirner Bahnhof. Mit brauner Funktionshose und blauer Gore-Tex-Jacke könnte er sofort eine Bergwanderung antreten, ohne sich groß umziehen zu müssen. Den Funken in Lustenau meidet er wie Teufelszeug. Als Obmann des Vorarlberger Alpenschutzvereins hat er eine Anzeige gegen den Lustenauer Bürgermeister eingebracht. "100 Tonnen Holz verkohlen, Unmengen an Kohlenstoffdioxid, Feinstaub und Ruß werden freigesetzt", rechnet Ströhle vor, der zum Gesicht des Widerstands geworden ist. "Reine Gigantomanie, eine einzige Materialschlacht, Krieg gegen die Natur." Ströhle hat Leserbriefe geschrieben, Unterschriftenlisten organisiert und die UNESCO, die das Vorarlberger Funkenabbrennen 2010 zum immateriellen Kulturgut erhoben hatte, zur Distanzierung gegenüber dem Lustenauer Feuersturm veranlasst. Seine Anzeige geht den Gang der Behörden. Derzeit ist ungeklärt, was in der Causa weiter passieren wird. Seine Trümpfe hat Ströhle fürs Erste ausgespielt. Passiert kein Wunder, brennt der Funken bald lichterloh. "Wir stecken im Mittelalter. Wir treiben den Winter mit Feuer und Flamme aus und beschneien zugleich mit Schneekanonen Skipisten." Man kommt schwer los von der kuriosen Wucht dessen, was hier passiert.

Kurt Fischer, 55, muss sich nicht in Fahrt reden. Seit Wochen treibt der Funke den Lustenauer Bürgermeister um. Müsste man den Prototyp eines untypischen Politikers zeichnen, käme mit ziemlicher Sicherheit der promovierte Philosoph Fischer heraus. Die Geschichte mit dem Funken fliegt Fischer derzeit um die Ohren wie dem Zauberlehrling sein Besen. Fischer, der von seinem Bürgermeisterbüro aus auf die 58,60 Meter von St. Peter und Paul blickt, redet über Luftqualitätsprogramme und Eco-Point-Systeme. Dann sagt er: "Millionen Autos frequentieren den Kreisverkehr beim Funken jedes Jahr. 100 Funken brennen im Land. Auf regionaler Ebene lösen wir Probleme noch immer in Gesprächen, nicht durch Anzeigen und postfaktische Symbolpolitik." Der "Windmühlenkampf", ärgert sich Fischer, habe seinen Turm gefunden, der Trumpismus krieche auch hier langsam in die hintersten Winkel. "Toxic" steht auf einem blauen Kugelschreiber auf Fischers Schreibtisch. Giftig.

Sollen wir gemeinsam den Funken bauen - oder jeder seinen eigenen?

An dieser Stelle kommt Manfred Tschaikner, 61, ins Spiel. Niemand weiß mehr über Funken als er. Der Historiker im Vorarlberger Landesarchiv sitzt tief in seinem Sessel. Der Mann ist von sympathischer Entspanntheit, den Trubel in Lustenau verfolgt er amüsiert. Tschaikner fasst 200 Jahre Vorarlberger Geschichte am Beispiel der Funkenkultur zusammen. "Früher sah die Dorfgemeinschaft einer Tanne beim Abbrennen zu. Während der Industrialisierung wurde der Arbeiterschaft der Funken gleichsam als Freizeitgestaltung verordnet - der Funken als sozialer Kitt für die Dorfgemeinschaft, die sich auflöst. Schließlich die Spektakelkultur: Man wartet mit dem Anzünden, bis die Touristen mit dem Abendessen fertig sind." Einfache Frage, schwierige Antwort: Worum geht's beim Funken? "Weltbilder prallen aufeinander", sagt Tschaikner: "Verhandelt wird, wie sich unsere Gesellschaft weiter entwickelt: Sollen wir gemeinsam den Funken bauen - oder jeder seinen eigenen? Nach seinen Regeln? Ich oder wir?"

Zwei Minuten Autofahrt vom Funkenturm entfernt liegt der Biobauernhof, auf dem Christine Bösch-Vetter aufgewachsen ist. Tische werden für die Schlachtpartie am Abend gedeckt, Lustenaus grüne Umweltgemeinderätin hilft bei den Vorbereitungen. Bösch-Vetter, 36, ist eine der wenigen Frauen, die in der Diskussion um den Funken mitmischen. Funken ist Männersache, die Hexe ausgenommen. Auf dem Lustenauer Funken ist sie fünf Meter groß, Kopftuch, geschnitzter Holzkopf, Warzen. Bösch-Vetter rollt mit den Augen: "Man verheizt eine Frauenfigur! Was für ein Signal!" Auf dem Bauernhof gibt es kalten Kaffee und Ratschläge für den Bürgermeister. "Der Funken sprengt jedes Maß und Ziel. Daher ist jede Kritik angebracht. Ich lebe aber hier und versuche, mit meinen Mitmenschen auch nach dem Feuer halbwegs gut auszukommen." Die Shitstorms überlasse sie anderen. "Schitt uf Schitt", hatte Bürgermeister Fischer in seinem Büro gelustenauert. Holzscheit auf Holzscheit. Fertig ist der Funke.

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.