Ingrid Brodnig
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Twitter gibt zu: Sachslehner-Sperre war ein Fehler

Die Plattform Twitter hat ein umstrittenes Posting der ÖVP-Politikerin Laura Sachslehner gesperrt – fälschlicherweise. Der Fall zeigt grundsätzliche Probleme auf.

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Vielleicht erinnern Sie sich: Anfang Juni sorgte ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner kurz für Aufregung. Sie twitterte: „Insgesamt 16.000 Asylansuchen wurden heuer bereits gestellt. Die allermeisten Asylwerber stammen aus Afghanistan & Syrien. Damit leidet Österreich an der pro Kopf zweithöchsten Belastung durch Asylanträge in der EU.“ Daraufhin wurde ihr zum Beispiel von der grünen Nationalratsabgeordneten Ewa Ernst-Dziedzic „rassistische Polemik“ vorgeworfen. Aber nicht nur das: Twitter sperrte den Tweet für deutsche Internetnutzer:innen. Es wurde erklärt, dieser würde gegen lokale Gesetze verstoßen.

Diese Erklärung ließ mich stutzig werden: Auch wenn man die Aussage Sachslehners für kritikwürdig hält, stellt sich die Frage, gegen welches deutsche Gesetz und welchen  Paragrafen die Politikerin verstoßen haben soll. Also fragte ich bei Twitter nach, auf welche Gesetzesstelle sich die Plattform hier stützt. Mittlerweile antwortete ein Sprecher des Unternehmens: „Wir haben bei dem genannten Account fälschlicherweise Maßnahmen ergriffen und diese aus diesem Grund wieder rückgängig gemacht.“ Twitter gibt also zu, dass es einen Fehler gemacht hat, dass es fälschlicherweise das Posting einer hochrangigen Politikerin für deutsche Nutzer:innen entfernt hat.

Dieser Fall zeigt ein größeres Problem: Die Moderation bei Twitter ist auffällig schlecht – solch fehlerhafte Sperren passieren immer wieder. Es ist bezeichnend, dass selbst hochrangigen Politiker:innen (egal wie man über ihre Aussagen denkt) derartige Sperren passieren können. 
Ich kritisiere diese Aussage von Laura Sachslehner inhaltlich: Die Formulierung, Österreich „leide“ an Asylwerbern, ist meines Erachtens ein  Signal die  rechten Wählerinnen und Wähler in Österreich, die einst der frühere Bundeskanzler Sebastian Kurz geschickt angesprochen hat.

Selbst Spitzenpersonal der Politik ist der Willkür großer Plattformen ausgeliefert.

Die Formulierung blendet aus, dass es hier um Menschen geht, die in vielen Fällen vor  Gefahren, etwa vor Krieg, Ermordung und politischer Verfolgung,   fliehen. Zwischen Jänner und April dieses Jahres wurden rund drei Viertel der Asylanträge von Menschen aus Syrien angenommen. Selbst österreichische Behörden sehen hier also einen Fluchtgrund vorliegen, wie der Blog diesubstanz.at recherchiert hat. Skurril an dem Tweet ist auch: Während derzeit ganz andere Themen wie die Teuerung diskutiert werden, versucht die ÖVP-Generalsekretärin das Thema Migration und Asyl auf Twitter anzustoßen – da wundert es nicht, dass manche darin ein Ablenkungsmanöver seitens einer Partei wittern, welche derzeit  schlechte Umfragewerte hat und womöglich hofft, frühere Wahlkampfschlager aufwärmen zu können. 

Nur abseits dieser inhaltlichen, politischen Kritik muss man auch die Frage stellen: Ist es angemessen, was die Plattform Twitter macht? Nein. Die Plattform hat behauptet, die Politikerin Sachslehner hätte gegen ein deutsches Gesetz verstoßen (in meinen Augen handelt es sich schon um einen schwerwiegenden Vorwurf, wenn man behauptet, jemand hätte etwas Rechtswidriges gesagt). Das tiefer gehende Problem ist, dass Twitter auffällig oft schlecht moderiert. Zum Beispiel gibt es eine bereits mehrfach durchgeführte Auswertung der EU-Kommission, in welchem Ausmaß die großen Plattformen illegale Hassrede entfernen. Wenn solche Postings den großen IT-Konzernen gemeldet wurden, entfernten sie die Mehrheit davon, Facebook löschte 70,2 Prozent der gemeldeten Posts, YouTube 58,8 Prozent, Instagram 66,2 Prozent – Twitter nur 49,8 Prozent. Das geht aus dem Bericht der EU-Kommission vom Oktober 2021 hervor.

Mein Eindruck ist: Betroffene von Hass im Netz haben es auf Twitter besonders schwer, weil dort einiges bei der Moderation durchrutscht. Und gleichzeitig gibt es Grund zum Verdacht, dass Tweets, die polarisieren und von vielen Andersdenkenden gemeldet werden, auch eher gesperrt werden – ohne genaue Prüfung. Das könnte womöglich Laura Sachslehner passiert sein: dass ihr Tweet viele aufregte, diese die Aussage Twitter meldeten und  die Moderation zu ungenau ablief. Übrigens halte ich nicht viel von der Theorie Elon Musks, dass rechte oder konservative Stimmen besonders unfair auf Twitter behandelt würden. Denn nicht nachvollziehbare Sperren treffen Accounts aus unterschiedlichen politischen Richtungen: Der deutsch-israelischer Autor und Twitterant Eliyah Havemann, der unter anderem Rassismus und Antisemitismus vielfach anprangert, wurde zum Beispiel gesperrt, nachdem er einen Witz über antisemitische Verschwörungsmythen gemacht hatte. Er hat das Foto einer alten Schreibmaschine geteilt, welche hebräische Tasten aufweist und die Marke „Corona“ als Namen trägt. Dazu schrieb er: „Juden haben Corona schon vor Jahrzehnten geplant! Hier der, äh, Beweis!“ Für diesen deutlich satirischen Tweet erhielt er eine Posting-Sperre für sieben Tage. Interessanterweise wurde die Sperre dann auch wieder aufgehoben, womöglich, weil ein Anwalt interveniert hatte – aber eine inhaltliche Erklärung Twitters gab es dazu nie.

Der Fall Laura Sachslehner zeigt auf, dass selbst Spitzenpersonal der Politik der Willkür großer Plattformen ausgeliefert ist – Twitter ist zwar nicht die wichtigste Plattform im Netz, aber relevant für die politische Debatte. Und es sollte uns zu denken geben, dass solch leicht erkennbare Fehler passieren und  es wenig Debatte darüber gibt, sondern  Fehler womöglich erst auf Nachfrage hin eingeräumt werden.

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.