Viva la Vagina: Zwei Frauenärztinnen im Kampf gegen Sex-Mythen

Ihr unverkrampfter Blog zu Sex und Gesundheit hat die beiden jungen Norwegerinnen Nina Brochmann und Ellen Støkken Dahl in ganz Europa bekannt gemacht. In ihrem Buch "Viva la Vagina!" decken sie Mythen rund um das weibliche Geschlecht auf.

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profil: Warum haben Frauen und Mädchen - trotz Sexualkunde - immer noch so viele Fragen und Unsicherheiten bezüglich ihres Körpers? Støkken Dahl: Die Fragen, die wir in unserem Buch beantworten, wurden bei uns in Sexualkunde nicht wirklich behandelt. Natürlich haben wir besseren Unterricht als viele andere Länder, aber er ist immer noch nicht gut genug. Die Menschen haben keine guten, wissenschaftlichen Quellen, die sie konsultieren können. Brochmann: Sexualkunde in der Schule ist meist sehr negativ geprägt, es geht um Gefahren, wie Geschlechtskrankheiten oder die Vermeidung von Schwangerschaften. Die positiven Aspekte – vor allem der weiblichen Sexualität – werden kaum behandelt. Frauen, die an uns herantreten, haben viele Fragen zu Sex und auch zu alltäglichen Problemen wie Menstruationsschmerzen oder ungewöhnlichen Gerüchen.

profil: Ist die Medizin immer noch zu sehr männlich geprägt? Støkken Dahl: Lange Zeit gab es nur männliche Mediziner. Diese haben Frauen nicht unbedingt immer absichtlich unterdrückt, sondern haben logischerweise einfach eine andere Sichtweise auf die Dinge. Sie versuchten die weibliche Perspektive aus ihrer Erfahrung heraus zu erklären. Freud ist hier ein gutes Beispiel: Er behauptete, dass erwachsene Frauen vaginale Orgasmen bekommen können müssen. Können sie das nicht, sind sie frigide. Heute wissen wir, dass nur eine von vier Frauen einen vaginalen Orgasmus erleben kann. Brochmann: Die Dominanz von Männern auf verschiedensten Ebenen führt dazu, dass auch die Medizin Männer-zentriert ist. Das ändert sich nach und nach, da immer mehr Frauen in Führungspositionen kommen.

profil: Hat die #metoo-Debatte des letzten Jahres dazu beigetragen, dass offener über Sexualität und auch ihre negativen Seiten gesprochen wird? Støkken Dahl: Es gibt eine größere Offenheit, was die Probleme, die "dunkle Seite" der Sexualität, wie Missbrauch und das Ausnützen von Machtpositionen betrifft. Es ist ein gutes Zeichen, dass Frauen auf der ganzen Welt über diese Dinge sprechen konnten und auch großteils ernst genommen wurden. Wir sehen diese feministische Bewegung auch in der Medizin: Frauen äußern vermehrt ihre Bedürfnisse und fordern Veränderung. Ein Beispiel ist die Kampagne gegen "period poverty" - die Unfähigkeit während der Periode Sanitärprodukte zu kaufen – in Großbritannien. Politiker setzen sich nun endlich mit solchen Themen auseinander. Brochmann: Und nehmen auch Geld in die Hand. Hier sehen wir: Wenn Frauen über ihre Probleme sprechen, kann das zu echter Veränderung führen. Ich hoffe, dass diese Art der Bewegung noch viel in unserer Gesellschaft ändern wird.

In Polen mussten wir sehr viel über Abtreibungsrechte diskutieren

profil: Ihr Buch wurde mittlerweile in 33 Sprachen übersetzt, wie waren die Reaktionen in den verschiedenen Ländern? Brochmann: Die Menschen wirken erleichtert und glücklich, dass es endlich ein Buch gibt, dass diese Themen ernst nimmt. Wir waren überrascht, dass die Reaktionen in konservativeren und liberaleren Ländern so ähnlich waren. Natürlich gibt es einige nationale Unterschiede, in Polen mussten wir zum Beispiel sehr viel über Abtreibungsrechte diskutieren. Die sollen dort ja verschärft werden.

profil: Welcher Mythos rund um den weiblichen Körper oder die Sexualität nervt Sie am meisten? Støkken Dahl: Auf jeden Fall der Mythos um das Jungfernhäutchen. Der Mythos besagt, dass Jungfrauen beim ersten mal Geschlechtsverkehr bluten, weil das Hymen reißt. Und dass man Jungfrauen und sexuelle aktive Frauen dadurch unterscheiden kann. In vielen Kulturen spielt das leider noch immer eine wichtige Rolle. Tatsächlich ist das Hymen eine offene und flexible Struktur wie ein Ring oder eine Mondsichel. Es wird also beim Sex nicht unbedingt geschädigt und auch nicht jede Frau blutet beim ersten Verkehr. Bei Vergleichen zwischen Sexarbeiterinnen und Jungfrauen konnte man zum Beispiel keine signifikanten Unterschiede feststellen.

Frauen zu helfen, Kontrolle über ihr Leben zu bekommen, hilft ihnen auch sich zu integrieren.

profil: Sie haben auch mit Flüchtlingen gearbeitet, mit welchen Fragen kommen sie nach Europa? Støkken Dahl: Wir haben uns in einer Sexualkunde-Organisation während des Studiums kennengelernt, wo wir auch mit Flüchtlingen gearbeitet haben. In diesen Kulturen sind andere Themen mehr präsent, zum Beispiel das Jungfernhäutchen, Beschneidung oder generell Gleichberechtigung. Brochmann:Diese Arbeit war gewissermaßen der Funke für unsere Leidenschaft zu dem Thema. Wir haben so vielen Frauen und Pärchen getroffen, deren Informationsmangel negative Auswirkungen auf ihr Leben hatte. Wir haben gesehen, wie sehr wir ihnen mit Informationen helfen können, zu entspannen, und ein schöneres Leben zu haben. Frauen zu helfen, Kontrolle über ihr Leben zu bekommen, hilft ihnen auch sich zu integrieren.

Schwanger zu sein, hat tatsächlich mehr Nebenwirkungen als jede hormonelle Verhütung.

profil: In den letzten Jahren kam vor allem die Pille in die Kritik, es gibt einen Trend zur nicht-hormonellen Verhütung, wie berechtigt sind Ängste vor den Nebenwirkungen? Brochmann: Ja, es ist ein Trend, der aber auch daraus entspringt, dass Frauen sich bessere Informationen und bessere Alternativen auch für Männer wünschen. Es gibt Nebenwirkungen und Frauen, die Nebenwirkungen haben, sollten ernst genommen werden. Viele Medien schreiben aber leider sehr einseitig über die Risiken. Sehen wir uns die Studien dazu an, gibt es zum Beispiel eine Korrelation mit Depressionen oder reduzierter Lust, das heißt aber noch nicht, dass die Pille der Verursacher ist. Tatsächlich zeigen Untersuchungen, dass ein großer Teil der Frauen, über 90 Prozent, hormonelle Verhütung ohne Nebenwirkungen nützen kann. Schwanger zu sein, hat tatsächlich mehr Nebenwirkungen als jede hormonelle Verhütung. Viele fangen aber nun an nicht-effektive Verhütung zu nutzen, zum Beispiel Apps wie "Natural Cycles". Das ist keine gute Alternative und wird zu mehr Abtreibungen führen. Støkken Dahl: Wir vergessen, wie sehr darum gekämpft wurde, überhaupt diese Verhütungsmöglichkeiten zu haben. Wir sollten hin und wieder einen Schritt zurück machen und uns über die vielen sicheren und effektiven Verhütungsmittel freuen, die es heute gibt. Brochmann: Wir wollen Frauen das ganze Bild und die Wissenschaft dahinter zeigen, dann können sie gute Entscheidungen treffen.

profil: Ihr Buch versucht nicht zu moralisieren, war das schwierig für Sie? Støkken Dahl: Diese Art das Thema zu behandeln war sehr natürlich für uns, niemand sollte sich für seine sexuellen Präferenzen oder seinen Körper schämen. Frauen sollten stolz auf ihre Anatomie sein und wissen, worin sie sich von Männern unterscheiden und daraus Ermächtigung schöpfen.