Jetzt-Chefredakteurin Elisalex Henckel-Donnersmarck

Was ist „Jetzt“, Frau Henckel-Donnersmarck?

Das mitgliederfinanzierte Online-Medium „Jetzt“ will eine neue Form von Journalismus in Österreich etablieren. Aber der Start wackelt.

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Elisalex Henckel-Donnersmarck hat Stress. Der Countdown läuft, und er ist gnadenlos: Etwas mehr als 48 Stunden bleiben – zum Zeitpunkt dieses Gesprächs – bis zur Deadline, an der sich entscheiden soll, ob das neue Medium, dessen Chefredakteurin die 45-Jährige sein soll, überhaupt zur Welt kommt: 5000 zahlende Mitglieder braucht „Jetzt“, eine digitale, journalistische Plattform, um ihre Finanzierung zu gewährleisten. Zwei Tage vor Ablauf der Kampagnenfrist steht der Ticker bei knapp 3000. 

Haben Sie am Beginn Ihrer Kampagne vermutet, dass es am Ende so knapp werden könnte?

Henckel-Donnersmarck

Wir sind tatsächlich optimistischer hineingegangen. Zum einen, weil unser skandinavisches Vorbild, das dänische „Zetland“, schon seit Jahren sehr erfolgreich läuft und weil auch das finnische Spin-of „Uusi Juttu“, das im vergangenen Herbst startete, nach wenigen Tagen das 5.000-Mitglieder-Ziel erreicht hat. Zweitens haben wir vor Projektstart eine ausführliche Marktforschung gemacht. Diese ergab ein erstaunlich großes Interesse. Sehr viele Leute haben auf das Konzept positiv und auch zahlungsbereit reagiert. Deshalb, ja, wir haben uns mehr erwartet.

Sie hatten auch viele prominente Unterstützer, darunter den Staatssekretär Sepp Schellhorn, der sich für „Jetzt“ persönlich ins Zeug legte – und damit einen ziemlichen Bauchfleck landete, weil viele Beobachter das für unvereinbar mit seiner politischen Funktion hielten. Hat er Ihnen wenigstens Mitglieder gebracht?

Henckel-Donnersmarck

Sepp Schellhorn hat gemacht, worum wir alle unsere Unterstützer immer wieder gebeten haben: Unser Anliegen im jeweiligen Umfeld und mit den jeweiligen Mitteln so gut wie möglich weiterzuverbreiten. Das haben auch andere aktive Politikerinnen und Politiker getan, etwa Judith Pühringer von den Grünen oder der oberösterreichische SPÖ-Chef Martin Winkler. Davon abgesehen hat er uns sicher Aufmerksamkeit gebracht, gerade in Medien, die sonst gar nicht über uns berichtet hätten, also zum Beispiel in „Krone“, „Heute“ oder „Österreich“. Aber es hat uns auch dazu gezwungen, noch einmal ganz genau zu erklären, wie das bei uns geregelt ist mit der Unabhängigkeit.

Diese Unabhängigkeit schreibt sich „Jetzt“ als zentrales Verkaufsargument und Alleinstellungsmerkmal auf die Fahnen. Worin besteht denn nun der Unterschied zu anderen Medien wie zum Beispiel dem „Standard“, der mehrheitlich Oscar Bronner und Familie gehört, oder dem profil, das im Eigentum von Raiffeisen und Funke-Gruppe steht, aber per Statut redaktionell ebenso unabhängig arbeitet?

Henckel-Donnersmarck

Ich möchte betonen, dass viele Redaktionen in Österreich hervorragenden Journalismus betreiben. „Jetzt“ geht es aber darum, sich strukturell nicht in eine Abhängigkeit zu begeben – nicht zuletzt von der staatlichen Medienförderung und öffentlichen Werbegeldern. Wir wollen uns nicht irgendwann die Frage stellen müssen, was mit uns passiert, wenn eine neue Regierung Förderungen streicht oder Anzeigenvolumen verlagert. Der zweite Druck, den wir ausschließen möchten, ist jener, der aus der Digital-Ökonomie kommt. Die Social-Media-Plattformen sind inzwischen ein feindliches Umfeld für Journalismus und werden den Teufel tun, ihren Traffic an uns weiterzuleiten. Dasselbe passiert gerade bei den Suchmaschinen. Deshalb wird es zunehmend wichtig, einen direkten Kanal aufzubauen, der weder von der Politik noch von den Digital-Konzernen verbaut werden kann. Wir wollen uns so aufstellen, dass wir existenziell von nichts anderem abhängig sind als von den Beiträgen unserer Mitglieder.

Gibt es denn ein Szenario, was mit „Jetzt“ passiert, wenn bis Donnerstagabend nicht 5.000 Mitglieder einzahlen?

Henckel-Donnersmarck

Angesichts der furchtbaren Ereignisse in Graz haben wir am Dienstag beschlossen, unsere Marketingaktivitäten für die Dauer der Staatstrauer auszusetzen. Wir beraten gerade, wie es weitergeht. Aber ohne 5000 Mitglieder wird es "Jetzt" definitiv nicht geben.

Dass doch ein Großsponsor das Projekt weiterträgt, wenn die reine Mitglieder-Finanzierung scheitert, schließen Sie aus?

Henckel-Donnersmarck

Wir bieten schon jetzt Firmenmitgliedschaften an, über die sich größere Sponsoren einbringen können. Die Benchmark der 5.000 Mitglieder ist allerdings der Grundsockel, den wir brauchen – auch als Commitment, dass unsere Mitglieder den journalistischen Betrieb längerfristig finanzieren können. Bis dahin zahlen die Investoren ohnehin den laufenden Betrieb.

Sie meinen die bestehenden Gesellschafter von „Jetzt“?

Henckel-Donnersmarck

Genau.

Das ist in erster Linie Ihr Gründer Florian Novak, Privatradiomacher („Lounge FM“), der 84 Prozent hält, sowie mehrere Kleingesellschafter, darunter die Compass-Gruppe und die Schiebel-Gesellschaft. Warum wurde zu Projektstart um diese Gesellschafter eigentlich so ein Geheimnis gemacht?

Henckel-Donnersmarck

Das kann ich nicht im Detail beantworten, weil ich erst seit April an Bord bin, aber die Kommunikationsstrategie war zu Beginn doch die, dass man die Strukturen und Visionen von „Jetzt“ in mehreren Etappen kommuniziert hat. Ich hatte nicht das Gefühl, dass da irgendwas versteckt werden sollte.

In ihrer Mitglieder-Kampagne blieb bislang auch relativ unklar, welchen inhaltlichen Fokus „Jetzt“ haben soll. Können Sie das aufklären? Was ist „Jetzt“?

Henckel-Donnersmarck

Das abstrakte Ziel lautet, Menschen zu helfen, bessere Entscheidungen zu treffen – als Bürgerinnen und Bürger, als Konsumentinnen und Konsumenten, in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen. Also werden wir uns erst einmal auf Politik und Gesellschaft konzentrieren. Das heißt aber nicht, dass auf „Jetzt“ nie eine Sportgeschichte oder eine Kulturgeschichte stehen kann.

Kommentar- oder Meinungsstücke haben Sie aber schon vorab dezidiert ausgeschlossen. Warum?

Henckel-Donnersmarck

Weil es ohnehin schon extrem viel Meinung gibt. Als Journalistin interessiert mich das Verstehen mehr als das Meinen. Ich glaube, dass wir im Journalismus insgesamt zu wenig Inhalte haben, die beim Verstehen helfen. Hier gibt es eine wesentlich größere Lücke als bei den Meinungen. Auch weil es wohl einfacher ist, Meinungen zu generieren, als Hintergründe zu recherchieren.

Ein deklariertes Anliegen von „Jetzt“ besteht auch darin, die öffentliche Debatte anzuregen. Wie soll das mit einer exklusiven Mitglieder-Öffentlichkeit funktionieren, die nur hinter einer Paywall existiert?

Henckel-Donnersmarck

Es gibt ein Feature, das dem entgegenwirkt: Jedes Mitglied hat die Möglichkeit, unsere Inhalte unlimitiert mit anderen Menschen zu teilen. In unseren Foren kann aber tatsächlich nur mitdiskutieren, wer zahlendes Mitglied ist und das auch mit Klarnamen macht. Allerdings sehe ich einen solchen geschützten Ort des Austausches sehr positiv. Heute werden Debatten sehr oft von Algorithmen angeheizt, die polarisierende Inhalte hochspielen. Unsere Idee ist, dass ein geschützter Ort, der anders funktioniert, auch Menschen zur Debatte anregt, die sich vielleicht bisher aus dem öffentlichen Diskurs herausgenommen haben, weil sie keinen Bock haben, sich auf Social Media mit anonymen Accounts zu streiten. Und ich bin überzeugt, dass auch bei ganz klassischen Kulturkampfthemen viele Leute die Bereitschaft haben, zu sagen: Okay, das wäre meine bevorzugte Lösung – und das ist meine zweitliebste Lösung. Wenn mehr Leute über ihre zweitliebste Lösung nachdenken, macht das einen ganz neuen Raum auf an Möglichkeiten, sich vielleicht doch wieder zu treffen.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur. Ist seit 2020 Textchef und seit 2025 stellvertretender Chefredakteur dieses Magazins.