Seit vier Jahren ist Ortlechner Sportdirektor der Austria. Nach einer Profikarriere, in der er als Innenverteidiger jetzt auch nicht unbedingt fürs Toreschießen zuständig war (ganze 18 Mal hat er in 17 Profijahren getroffen, Anm.), hat er einen Verein übernommen, bei dem es nicht gerade großartig lief. Sportlich nicht, finanziell aber schon gar nicht. Die Austria hatte sich nämlich beim Neubau ihres Stadions gewaltig übernommen und auch am Spieler- und Transfermarkt lange über die Verhältnisse gelebt. Dass der Klub überhaupt noch eine Lizenz hat, verdankt er der Stadt Wien, die der Austria das Stadion um 40 Millionen Euro abgekauft hat. Budgettechnisch liegt der Klub auf Platz sechs in der Bundesliga, schätzt Ortlechner, und das sind eigentlich keine guten Voraussetzungen: „Es stimmt schon, Geld schießt keine Tore. Aber Geld kauft die Spieler, die Tore schießen.“ Dass die Austria dann so wie in diesem Jahr trotzdem vorn mitspielen kann, habe auch ein bisschen mit Glück zu tun, glaubt er: „Wir zahlen nicht mehr die Top-Gehälter der Liga. Du kannst nicht erwarten, dass wir immer unter den Top 3 liegen. Das ist unrealistisch.“
Aber andererseits: Gehört das nicht zum Fußball dazu? Welcher Fan denkt sich zu Beginn der Saison: Wir werden heuer mehr Partien verlieren als gewinnen, wenn alles gut läuft, dann werden wir solider Achter, sonst Neunter. Es wird also eine rundum langweilige Saison – da will ich unbedingt dabei sein, ich hol mir ein Abo.
Cafe Azzurro, Wien
Jetzt ist es Montagmittag, und wir sind die einzigen Gäste im Lokal. Dass es bei den Hipstern vom Urban-Loritz-Platz neuerdings auch einen Mittagstisch gibt, scheint sich noch nicht so rumgesprochen zu haben, aber vielleicht ist das auch gar nicht so schlecht, weil ehrlich: Wer will jetzt, ein paar Stunden nach der Niederlage, hämische Rapidler am Nebentisch haben?
Fußball hat etwas mit Träumen zu tun, mit Scheinrealitäten, mit unerfüllten, weil unerfüllbaren Erwartungen, und Manuel Ortlechner ist dafür scheinbar der richtige Mann. Er hat viel über das Image der Austria nachgedacht und versucht, dem Klub wieder ein bisschen Selbstbewusstsein zu geben. „Ich habe versucht, den Klub ganzheitlicher zu denken“, sagt Ortlechner: „Die Austria war jahrelang ein schwerer Dampfer, aber links und rechts zischten die Partyboote vorbei. Ich wollte, dass wir wieder relevanter werden, vor allem bei den Jungen. Und ich glaube, das haben wir geschafft.“ Bevor Ortlechner zur Austria kam, hat er sich als Start-up-Unternehmer versucht, und ganz offenbar ist er sprachlich immer noch ein bisschen in dieser Welt stecken geblieben. „Spannend“, würden das Austria-Fans wohl nennen.
Manuel Ortlechner ist ein netter Kerl. Wenn man mit ihm beim Mittagessen sitzt, dann redet er ziemlich viel und ziemlich schnell, und zwar mit vollem Körpereinsatz. Seine Hände fliegen nur so durch die Luft, sein Oberkörper ist ständig in Bewegung, und als ich ihn frage, wie viele Fußballspiele er sich pro Wochenende live anschaut, fliegt auf einmal sein Ehering auf den Tisch: „Wenn ich mir noch mehr Partien anschaue, als ich jetzt mache, dann würde das passieren“, sagt er dazu und lacht. Ortlechner, 45, ist seit 24 Jahren mit einer Ärztin zusammen, Kerstin Ortlechner, einer der bekannteren Dermatologinnen des Landes, zumindest wenn man Frauen über 30 fragt. „Sie macht aber nicht nur Schönheitssachen“, sagt er, „sie freut sich auch sehr, wenn mal wer kommt, der sich ein Muttermal entfernen lassen will.“ Wobei sich natürlich die Frage stellt, ob Muttermal-Entfernen allein die wirklich sehr feudale Ordination in Wien-Neubau finanzieren würde.
Manuel Ortlechner redet viel über Fußball, darüber, wie sich der Sport verändert hat und dass heute schon jeder 15-jährige Nachwuchskicker einen Berater hat. Er erzählt, wie unangenehm es werden kann, wenn man als Austria-Sportdirektor im Lokal sitzt und dann eine Gruppe Rapid-Ultras hereinkommt, und so wie er es körpersprachlich erzählt, hat man Angst, dass irgendwer gleich ein blaues Auge bekommt. Er kann gut erzählen und ist dabei sehr witzig, aber es ist ihm wichtig, nicht nur übers Kicken zu reden, immer wieder schweift er deswegen ab. Die Menschen sollen ganz offenbar nicht nur die Austria, sondern auch ihn „ganzheitlicher denken“. Er erzählt, dass die Austria auch deswegen sein Verein ist, weil sie eben stolz auf ihre jüdischen Wurzeln ist, „sie ist weltoffen, liberal, genauso bin ich selbst auch“. Aus dem oberösterreichischen Innviertel, wo Ortlechner geboren wurde, hat er sich sehr weit wegentwickelt, sprachlich vielleicht nicht, inhaltlich aber in jedem Fall. Er könnte dort nicht mehr leben, sagt er, „ich fahr gern auf Besuch hin, aber mehr als zwei, drei Tage halt ich es nicht aus“. Theater, Konzerte, all das braucht er zum Leben, sagt er, aus dem Landei Ortlechner ist durch die Profi-Karriere ein richtiger Stadtmensch geworden.
Eigentlich fast ein Hipster.
Gut, dass wir im Azzurro sitzen. Irgendwie passt er nämlich doch sehr gut her.