Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) am Mittwoch im Parlament.
Morgenpost

Hätte Sobotka noch eine Mehrheit? Sonntagsfrage für Abgeordnete

Wolfgang Sobotkas Zustimmug im Nationalrat schwindet. Die FPÖ möchte Nationalratspräsidenten abwählen können.

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Am Donnerstag steht im Parlament eine Milliarden-Entscheidung an: Die 183 Abgeordneten des Nationalrats beschließen planmäßig das Budget für 2023. Der Haushaltsentwurf sieht 98,1 Milliarden Euro an Einnahmen und 115,1 Milliarden Euro an Ausgaben vor.

Der Budgetpfad mag zwar in der Opposition umstritten sein, im Parlament steht aber eine klare Mehrheit dazu. Das gilt allerdings nicht für den Hausherren des Nationalrats, Präsident Wolfgang Sobotka (ÖVP). Seine Rolle als Vorsitzender des ÖVP-Untersuchungsausschusses ist schon länger umstritten, zuletzt kamen Vorwürfe von Thomas Schmid hinzu (die Sobotka vehement zurückweist). Sobotka polarisiert stark - und das ist durchaus unüblich für die überparteiliche, staatstragende Funktion.

In einer aktuellen Umfrage von Unique Research für profil sprechen sich 55 Prozent der 800 Befragten für einen Rücktritt Sobotkas aus. Aber wie sieht es bei seinen Wählerinnen und Wählern im Nationalrat aus? Ein profil-Rundruf in den Klubs für eine fiktive Sonntagsfrage unter Abgeordneten zeigt: Eine Mehrheit hätte Sobotka vemutlich auch im Hohen Haus nicht mehr, aber dazu gleich mehr.

Noch vor wenigen Jahren sah das ganz anders aus: Üblicherweise stellt die stärkste Partei den Nationalratspräsidenten. 2017 (nach einem kurzen Einsatz von Elisabeth Köstinger) und 2019 war das eben Sobotka. Er konnte zwischen den beiden Abstimmungen seine Beliebtheitswerte sogar steigern: Bei seinem ersten Antritt erhielt er 106 Stimmen, rund 61 Prozent der gültigen Stimmen und damit das schwächste Ergebnis seit 1990. Zwei Jahre später holte er allerdings auf und bekam starke 87,7 Prozent, das waren 143 von 163 gültigen Stimmen. Türkis-Grün hat gemeinsam 97 Sitze im Parlament, nicht nur Abgeordnete der Regierungsparteien haben also Sobotka gewählt.

Und was, wenn es heute wieder eine Wahl gäbe? „Das ist eine schwere Frage“, sagt Jörg Leichtfried, Vize-Klubobmann der SPÖ. Er formuliert seine Antwort diplomatisch: „Im hypothetischen Fall würde ich der ÖVP gut zureden, den Herrn Sobotka nicht zu nominieren.“ Sein Amtskollege von den Neos, Nikolaus Scherak, ist ähnlicher Meinung: „Sobotkas Verhalten über die letzten Jahre und seine Führung des Hauses haben nicht dazu beigetragen, dass das Vertrauen in ihn gesteigert wurde.“ Viele bei den Neos hätten ihm schon 2019 nicht ihre Stimme gegeben. Ein Sprecher des Grünen Klubs richtet aus: „Die gelebten Usancen sehen vor, dass das erste Vorschlagsrecht bei der stärksten Fraktion liegt. Im Lichte der aktuellen Debatten und Geschehnisse gehen wir aber davon aus, dass die aktuell stärkste Fraktion Wolfgang Sobotka nicht mehr zur Wahl stellen würde.“

Damit steht die ÖVP als einzige Partei noch klar zu Sobotka und verteidigt auch seine Position. Die FPÖ will nicht nur seinen Rücktritt, sondern strenggenommen seine Abwahl: Geht es nach den Freiheitlichen, sollte es gesetzlich möglich sein, einen Nationalratspräsidenten abzuwählen. Die Frage wurde – losgelöst von Sobotka - schon vor einigen Jahren diskutiert. Heute sprechen sich aber alle anderen Parteien dagegen aus: Aus den Klubs von ÖVP und Grünen heißt es, dass man an der jetzigen Situation nichts ändern möchte. Leichtfried spricht sich ebenfalls für den Status Quo aus, der mehr Stabilität bringe – auch für die Zweiten und Dritten Präsidentinnen und Präsidenten. Auch die NEOS wollen keine Änderung. Der jetzige Modus sei dazu da, „um einen Präsidenten die Möglichkeit zu geben, unabhängig von der Mehrheit im eigenen Haus zu agieren und sich auch für eine Minderheit einzusetzen“, sagt Scherak. Nachsatz: „Dass Sobotka dem nicht ganz so gerecht geworden ist, steht auf einem anderen Blatt.“

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.