Deutsche Fußball-Affäre: Wettersturz

Affäre: Wettersturz

Der Betrugsskandal zieht Kreise bis nach Österreich

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Es war ein Kopfball wie aus dem Lehrbuch: Freistoß in der achten Minute, Verteidiger Anthony Tiéku vom deutschen Zweitligisten Rot-Weiß Oberhausen schraubt sich hoch, trifft das Leder perfekt mit der Stirn und drückt es trocken ins Tor. Blöderweise ins eigene: 1:0 für Gastgeber Erzgebirge Aue.

49 Minuten später reißt Tiékus Mannschaftskollege Andre Izepon Astorga seinen Gegenspieler ohne Not im Strafraum nieder. Elfmeter: 2:0 für Aue.

Am Sonntag, dem 12. Dezember 2004, feierten 11.300 Zuschauer in der sächsischen Kreisstadt Aue den Triumph ihrer Mannschaft. „Aue“, sollte die Lokalpresse am nächsten Tag titeln, „besiegt biedere Oberhausener.“

Ein erwartbarer Heimsieg des Tabellenneunten Aue gegen Oberhausen, ebendort Nummer 13; ein Durchschnittskick, an den sich heute normalerweise nur ein paar Fans erinnern würden.

Dennoch wird auch Detlef Train, Geschäftsführer der in Salzburg ansässigen Intertops Sportwetten GmbH, den 12. Dezember so schnell nicht vergessen. Train hatte Wetten auf den Sonntagskick im fernen Sachsen angenommen und am Vormittag „auffällige Einsätze“ bemerkt. Zu spät: Als die Partie um 16.45 Uhr abgepfiffen wurde, war Train um einen fünfstelligen Euro-Betrag ärmer.
Der Verdacht, dass da nicht alles ganz sauber gelaufen sei, kam nicht nur ihm.

Inzwischen ist das Unterligaspiel Aue – Oberhausen zusammen mit fast einem Dutzend anderer Partien der laufenden Saison Zentrum der Ermittlungen einer Betrugsaffäre, die den deutschen Fußball ausgerechnet vor dem WM-Jahr 2006 in eine existenzielle Krise gestürzt hat. Eine Interessengemeinschaft aus Kickern, Schiedsrichtern und Geschäftsleuten soll Spiele manipuliert haben, um bei Wetten groß abzusahnen. Die Geschädigten: Buchmacher und deren Kunden in ganz Deutschland – und, wie profil-Recherchen ergaben, auch in Österreich. Alleine Intertops in Salzburg verlor bei einem einzigen mutmaßlich faulen Spiel fast 30.000 Euro.

Kronzeuge und zugleich Hauptbeschuldigter: der Berliner Schiedsrichter Robert Hoyzer. Der 25-jährige Unparteiische hat inzwischen die Einflussnahme auf zumindest vier Bundesligaspiele gestanden – nach Hoyzers Aussage habe er im Auftrag eines kroatischen Familienclans gehandelt, dem er dadurch zu enormen Wettgewinnen verholfen haben soll. Des Schiris Lohn: 67.000 Euro und ein Plasmafernseher. Die deutsche Justiz ermittelt wegen banden- und gewerbsmäßigen Betruges.

Ende Jänner klickten im Berliner Café King die Handschellen: Milan S., Betreiber des Lokals und mutmaßlicher Kopf der Bande, wanderte mit seinen Brüdern Ante und Filip in Untersuchungshaft.

Inzwischen umfasst der Kreis der Verdächtigen bereits 25 Personen, darunter vier Schiedsrichter, ein Funktionär und ein Dutzend Fußballer mehrerer Klubs. Der Deutsche Fußballverband (DFB), der vergangenen Sommer einschlägige Hinweise schlichtweg ignoriert haben soll, musste nun eine Sonderkommission einrichten. Die Aufarbeitung des Skandals wird noch Monate dauern.

Geständnis. Eines steht freilich schon jetzt fest: Die Täter gingen meistens nach ähnlichem Muster vor. Sie durchforsteten Spielpläne und Wettangebote nach attraktiven Quoten. Dann wurden gedungene Schiedsrichter und Spieler aufs Feld geschickt, um die gewünschten Ergebnisse zu ermöglichen. Hoyzer hat inzwischen zugegeben, von seinen Auftraggebern zum Teil sogar in der Halbzeitpause „Anweisungen“ per SMS bekommen zu haben. Ein Schiedsrichterkollege des Hauptverdächtigen gab an, von den mutmaßlichen Wettbetrügern mehr als einmal „zum Spiel begleitet“, also bis zur Umkleidekabine eskortiert worden zu sein.

War der Spielverlauf solchermaßen programmiert, schwärmten die Fußtruppen der Mafia aus, um zu setzen. In Deutschland, aber auch in Österreich. Die auf Online-Wetten spezialisierte Wiener Interwetten AG etwa bekam über einen Berliner Partner hohe Einsätze auf das Cupspiel des deutschen Regionalligisten SC Paderborn 07 gegen den hoch favorisierten Hamburger SV am 21. August 2004.
Durchschnittliche Buchmacherquote: 1:6.
Spielleiter: Robert Hoyzer.

Nachdem der HSV bereits mit 2:0 in Führung gegangen war, kippte Hoyzer die Partie. Er sprach den Außenseitern zwei Elfmeter zu und stellte HSV-Stürmer Emile Mpenza wegen angeblicher Beleidigung („Arschloch“) vom Platz. Endstand: 4:2 für die Amateure aus Paderborn.

Das österreichische Wettbüro verlor an diesem Spiel an die 30.000 Euro. Interwetten-Vorstand Heinz Patzelt will sich unter Hinweis auf die laufenden Ermittlungen nicht dazu äußern.

Weitaus schlimmer als Interwetten erwischte es die pagobet GmbH im salzburgischen Seekirchen. Im Anschluss an eines der mittlerweile ebenfalls inkriminierten deutschen Zweitligaspiele musste Geschäftsführerin Nicole Engelbart eine „sechsstellige Summe“ an vorerst Unbekannte überweisen. Auch pagobet hatte im Vorfeld der Begegnung überdurchschnittlich hohe Einsätze verzeichnet. So hoch, dass die Annahme weiterer Wetten noch vor Anpfiff eingestellt wurde.

Das Risiko der Buchmacher ist hoch. Um Manipulationen frühzeitig zu erkennen, haben die Wettbüros Frühwarnsysteme eingerichtet, im Branchenjargon „Monitoring“ genannt. Wenn auf ein Resultat überdurchschnittlich oft und hoch gespielt wird, schlagen die Computer Alarm. Die Wette wird dann in aller Regel gesperrt. Allerdings: Ist bis zu diesem Zeitpunkt ein Einsatz angenommen, muss der Gewinn auch ausgeschüttet werden. Ehe pagobet den Zockerangriff parieren konnte, waren bereits 75.000 Euro gesetzt worden. Ein Vielfaches davon gelangte schließlich zur Auszahlung.

Die deutschen Behörden wollen inzwischen nicht mehr ausschließen, dass der Täterkreis über den kroatischen Familienclan hinausgeht und auch Verbindungen nach Westösterreich unterhält. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Berlin: „Kein Kommentar. Laufende Ermittlungen.“

Millionenschaden. Allein in Deutschland wird der Schaden, den die Umtriebe der Wettmafia in der vergangenen Saison verursacht haben, auf bis zu 20 Millionen Euro geschätzt. Der Großteil davon dürfte bei der staatlichen Buchmachergesellschaft Oddset entstanden sein.

Wie viel in Österreich abgecasht wurde, lässt sich vorerst nicht genau feststellen. Auffallend dabei: Während in Deutschland Wetten hauptsächlich bei Branchenprimus Oddset platziert wurden, kamen hierzulande – mit Ausnahme von Interwetten – vorwiegend kleinere bis mittlere Wettbüros zum Handkuss. Anbietern wie Admiral Sportwetten, betandwin, Wett-Punkt und Cashpoint blieben substanzielle Ausfälle nach eigenen Angaben erspart. Hannes Bohinc, Eigentümer der niederösterreichischen Wett-Punkt-Gruppe: „Bei mir kommen gewisse Leute gar nicht mehr über die Schwelle. Unser Geschäft lebt letztlich auch von der Erfahrung und dem Gespür des Buchmachers.“

Norbert Teufelberger, Co-Vorstandsvorsitzender des international tätigen Online-Anbieters betandwin.com nennt zwei Gründe, warum sein Unternehmen ungeschoren davongekommen sei: „Das kann nur passieren, wenn einerseits manipuliert wird und andererseits das Monitoring versagt. Dank unseres Monitorings ist bei uns jeder Betrugsversuch zum Scheitern verurteilt.“

Der hiesige Buchmacherverband hat unterdessen seine 74 Konzessionsnehmer via Rundschreiben um sachdienliche Hinweise ersucht. Präsident Harald Kochman: „Es hat immer wieder auffällige Spiele gegeben. Jetzt haben wir einen Fall, bei dem offensichtlich auch Beweise zutage treten. Ich lege aber Wert auf die Feststellung, dass die Wettbüros nicht Teil der mutmaßlichen kriminellen Machenschaften sind, sondern deren Opfer.“

Reinhard Tutic, österreichischer Partner des international tätigen Anbieters Oddscompany: „Die Vorkommnisse in Deutschland sind kein Einzelfall. Wir kriegen immer wieder sonderbare Sachen rein.“ Sein Unternehmen hat im letzten Jahr, wie andere europäische Anbieter auch, einen nennenswerten Betrag bei der Europacup-Partie Panonios Athen gegen Dynamo Tiflis verloren. Die Georgier waren am 1. Dezember 2004 bis zur Pause 1:0 in Führung gelegen, hatten schließlich aber 2:5 verloren. Das Match steht nun im Zentrum von Ermittlungen des europäischen Fußballverbands UEFA.

Wie auch zahlreiche andere Begegnungen: Bei der Österreichischen Sportwetten GmbH, die für die Österreichischen Lotterien das Wettsystem „tipp3“ anbietet, gibt das Frühwarnsystem immer wieder Laut. „Wir haben im letzten dreiviertel Jahr drei Matches gesperrt, weil uns das Wettverhalten eigenartig vorgekommen ist“, sagt Sportwetten-Geschäftsführer Friedrich Stickler, der zugleich auch den Lotterien und dem österreichischen Fußballbund ÖFB vorsteht: „Zwei UEFA-Cup-Qualifikationsspiele und eine Champions-League-Qualifikation.“

„Bei der nächsten ersten UEFA-Cup-Runde sollten wir vorsichtshalber auf Urlaub gehen“, feixt Oddscompany-Chef Reinhard Tutic.

Problem-Ligen. Die österreichische Cashpoint-Gruppe nimmt diverse Ostligen oder auch unterklassige italienische Begegnungen inzwischen gar nicht mehr ins Programm. Gesellschafter Josef Münzker: „Dort stehen Schiebungen mittlerweile auf der Tagesordnung.“

Offensichtlich nicht nur dort. Aussagen mehrerer Wettanbieter nähren den Verdacht, dass es auch im österreichischen Fußball nicht nur mit rechten Dingen zugeht. Demnach soll es unterhalb der Bundesliga („T-Mobile“) und der ersten Division („Red Zac“), also von den Regionalligen abwärts, in der jüngeren Vergangenheit immer wieder zu denkwürdigen Spielen gekommen sein. Buchmacher Tutic: „Es gibt Fußballer, die sich mittels Absprachen ein kleines Zubrot verdienen wollen. Bei Spielen, die keine TV-Öffentlichkeit haben, ist das vergleichsweise einfacher.“

Mit der Konsequenz, dass inzwischen so gut wie alle Anbieter Spiele der heimischen Regional- und Landesligen aus dem Programm genommen haben.

Der ÖFB hat seinerseits nach Auffliegen der Affäre sämtliche Bundes- und Erstligaspiele seit Mitte 2003 auf mögliche Manipulationen durchchecken lassen. Präsident Stickler: „Wir haben keinerlei Verdachtsmomente gefunden.“ Bei Unterligaspielen sehe die Sache freilich anders aus: „Wenn in diesem Bereich gewettet wird, gibt es immer eine Verlockung.“ Ausschließen könne man da „sehr, sehr wenig“.

Eine Einschätzung, die auch Buchmacher-Präsident Kochman teilt: „Gute und Schlechte gibt es überall. Es wäre unvernünftig anzunehmen, dass Ähnliches nicht auch hierzulande passieren könnte – oder passiert.“