Zwei Juristen, eine Meinung
Den 16. November 2009 werden die Männer der Freiwilligen Feuerwehr Haslau, Bezirk Bruck an der Leitha, nie vergessen. Am frühen Abend wurde Alarm ausgelöst. Eine Rübenerntemaschine war auf dem nur durch Andreaskreuze gesicherten Bahnübergang von einer Garnitur der ÖBB-Schnellbahnlinie S7 erfasst worden. Der 47-jährige Traktorlenker hatte den Zug in der Dämmerung wohl übersehen. Der Schock für die Helfer: Das Opfer war ihr Kamerad. Jahrelang hatte der Landwirt selbst bei der Freiwilligen Feuerwehr gedient.
Zwei Jahre später mutiert das Unglück in Haslau zu einer bürokratischen Posse. Die Akteure: Dr. Gerald Wurmitzer, Jurist im Verkehrsministerium (BMVIT); Mag. Dieter Wurmitzer, Jurist bei den ÖBB; Doris Bures, Verkehrsministerin; Erwin Pröll, Landeshauptmann von Niederösterreich.
Nach dem Unfall hatte der Landeshauptmann auf Anregung der verantwortlichen Polizeiinspektion Regelsbrunn ein Gutachten beauftragt. Der Amtssachverständige kam laut dem profil vorliegenden Akt zum Schluss, dass die Sicherung des Bahnübergangs durch Andreaskreuze im Normalfall ausreiche, allerdings "bei schlechter Sicht und unsichtigem Wetter "Sichteinschränkungen gegeben seien. Daher sei eine "Absicherung durch "eine Lichtzeichenanlage erforderlich, "deren Einsatz auch durch die Zugfrequenz von zirka 50 Zügen täglich für gerechtfertigt erachtet wird.
Am 20. Juli 2011 legte Landeshauptmann Pröll als erstinstanzliche Behörde fest, die Unglückskreuzung müsse mit einer Lichtzeichenanlage gesichert werden. Adressat des Bescheids war die ÖBB Infrastruktur AG. Deren Experten beurteilten die Rechtslage gänzlich anders. Und so legte die ÖBB Infrastruktur am 5. August bei der übergeordneten Behörde, dem Verkehrsministerium, Berufung gegen den Pröll-Bescheid ein. Die Ausfertigung übernahm der Anlagerechtsspezialist des Unternehmens, Mag. Dieter Wurmitzer. Der ÖBB-Jurist argumentierte, dass "witterungsbedingte Sichteinschränkungen für die Art der Sicherung eines Bahnübergangs nicht relevant seien, da sonst die Ausnahme zur Regel gemacht würde.
Am 30. September 2011 entschied das BMVIT im Sinne der ÖBB. Die Begründung folgte der Argumentation der Bahn. Entscheidend für die Sicherung eines Bahnübergangs sei nach derzeitiger Rechtslage der "Normalfall und nicht Ausnahmefälle wie "Nebel oder andere sichtbehindernde Verhältnisse. Der niederösterreichische Bescheid wurde per BMVIT-Bescheid aufgehoben; Geschäftszahl: 265.265/0010; "Für die Bundesministerin gezeichnet von: Dr. Gerald Wurmitzer, Leiter der Obersten Eisenbahnbaubehörde. Die Namensgleichheit der involvierten Juristen ist kein Zufall. Der Doktor ist Vater des Magisters.
Eine familiäre Koinzidenz, die auch die Opposition im Nationalrat irritierte: Im November vergangenen Jahres richtete die grüne Verkehrssprecherin Gabriela Moser eine Anfrage an Doris Bures: ob es die Verkehrsministerin für "unbedenklich halte, "wenn sich eisenbahnrechtliche Verfahren im Ministerium "praktisch innerhalb einer Familie abspielen würden. Schließlich sei es eine "sehr bedenkliche Optik, dass "im Doppelpass von Junior und Senior der niederösterreichische Bescheid aufgehoben und damit eine moderne Sicherung des Bahnübergangs verhindert wurde. Bures Antwort vom 18. Jänner fiel kurz aus. Mosers Anfrage sei "der Versuch, eine Befangenheit zu konstruieren.
Den ÖBB ersparte die Eisenbahnbaubehörde viel Geld. Hätte sich das Verkehrsministerium dem Landeshauptmann angeschlossen, wäre die Bahn gezwungen gewesen, Tausende nur mit Tafeln gesicherte Bahnübergänge elektronisch nachzurüsten, da "sichtbehindernde Verhältnisse theoretisch überall auftreten können.
Die Ironie: Abseits des Einzelfalls befürworten die Beamten im BMVIT eine stärkere Sicherung von Bahnübergängen. Seit Jahren wird an der Novellierung der aus dem Jahr 1961 stammenden Eisenbahnkreuzungsverordnung (EKVO) gearbeitet. Kernpunkt: die flächendeckende Installierung von Rotlichtanlagen auf 1700 weiteren Bahnkreuzungen. Der verantwortliche leitende Beamte: Gerald Wurmitzer. Ein Entwurf zur neuen EKVO liegt vor. Wäre sie schon in Kraft, so Wurmitzer zu profil, wäre im Fall Haslau wohl gegen die ÖBB entschieden worden. Er selbst habe den Akt nicht bearbeitet, sondern als Behördenleiter nur unterschrieben.
Der zweite Sohn des Spitzenjuristen ist ebenfalls bei der ÖBB Infrastruktur AG beschäftigt. Dipl.-Ing. Philip Wurmitzer wickelte etwa als Projektkoordinator die Errichtung einer Hochspannungsfreileitung der ÖBB im Grazer Feld ab. Per Bescheid vom 11. Juli 2011 genehmigte die vom Vater geleitete Oberste Eisenbahnbaubehörde die Anlage.