Ein Mann von oben

Porträt. Ex-Oberstaatsanwalt Eckart Rainer soll zur Ehrenrettung der Justiz antreten

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Eckart Rainer sagte sofort Ja. Aus seiner Sicht gab es nicht viel zu überlegen, als die Justizministerin ihm ausrichten ließ, sie hätte ihn gerne im „Expertenrat“. Vierzig Jahre lang war er Staatsanwalt gewesen, fast ein Jahrzehnt lang der oberste Ankläger in Tirol. Er fühlte sich „erfahren genug“, das angekratzte Bild der Justiz wieder aufzupolieren.

Von Freunderlwirtschaft, willfährigen Staatsanwälten und undurchsichtigen Entscheidungen ist die Rede, seit die Wochenzeitung „Falter“ aus jenem Vorhabensbericht zitierte, mit dem die Klagenfurter Staatsanwaltschaft ein Amtsmissbrauch-Verfahren gegen Landeshauptmann Gerhard Dörfler niedergeschlagen hat. Nun steht eine „Zweiklassenjustiz“ am Pranger, die Mächtige schont und Kleine verfolgt.

Dass sich Ex-Oberstaatsanwalt Rainer als Galionsfigur für mehr Transparenz eignet, darf bezweifelt werden. In Tiroler Juristenkreisen gilt er als „braver Systemerhalter“ und, von seiner politischen Einordnung abgesehen – „dunkelschwarz, eh klar“ –, als „unscheinbar und unverbindlich“. Heldentaten sind von ihm nicht überliefert. Politisch genehme Entscheidungen mehrere.

Bevor er sich Anfang des Vorjahrs in den Ruhestand verfügte, ließ er „von Amts wegen“ gegen den Publizisten Markus Wilhelm ermitteln. Zwar hatte der Ötztaler nicht mehr angestellt, als den Mitschnitt einer Rede zu veröffentlichen. Doch weil darauf nicht irgendwer zu hören war, sondern Landeshauptmann Herwig van Staa und dieser im Zusammenhang mit dem deutschen Ex-Minister Joschka Fischer ein Wort in den Mund nahm, das mit „Schw“ begann und ein „ei“ enthielt, wurde die Sache zum Politikum.

„Schweigen“ habe das geheißen, behauptete van Staa, nachdem sein feuriger Hüttenvortrag publik geworden war. Wilhelm und viele, die der Passage lauschten – der ORF strahlte den Originalmitschnitt aus, und wer wollte, konnte ihn als MP3-File von der Homepage „dietiwag.org“ herunterladen –, waren anderer Meinung.

Rainer sei auf „Zuruf der ÖVP“ aktiv geworden, hieß es. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Verleumdung, übler Nachrede und Beweismittelfälschung. Für die ÖVP Tirol fügte es sich glücklich, dass erst nach der Landtagswahl am 8. Juni 2008 der Vorwurf der Beweismittelfälschung fallen gelassen wurde – und das, obwohl die Echtheit des MP3-Files ein Dreivierteljahr zuvor durch Gutachten festgestellt worden war. Der Landeshauptmann hat also genau das gesagt, was man auf dem Band hört.

Die Staatsanwaltschaft verfolgte den Van-Staa-Kritiker weiter wegen übler Nachrede. Das Verfahren ist in der zweiten Instanz.

Einzigartig in der heimischen Justizgeschichte:
Dieselbe Staatsanwaltschaft, die Wilhelm Beweismittelfälschung vorwarf, legte ihrerseits ein gefälschtes Beweismittel vor. Auf dem Band fehlte vor dem „Schw“-Wort der Artikel. Ein Eklat. Kaltschnäuzig erklärte man im Büro für Interne Angelegenheiten (BIA) im Innenministerium, das in der Causa Wilhelm ermittelt hatte, beim Kopieren sei ein „Fehler“ passiert. Der Fall wurde eingestellt. Da war Oberstaatsanwalt Rainer schon in Pension.

Er bestreitet gar nicht, dass es die ÖVP war, die ihn seinerzeit auf Markus Wilhelms „Schwein“-Sager aufmerksam gemacht hatte. Landesparteigeschäftsführer Georg Keuschnigg habe ihn angerufen und davon erzählt. Kurz darauf habe er, Rainer, in den Medien von einem Mitschnitt gelesen. Keuschnigg habe ihm erklärt: „Das Band ist gefälscht.“ Daraufhin bat Rainer die Staatsanwaltschaft Innsbruck zu einer Besprechung: „Bei so einem Vorwurf ist von Amts wegen zu ermitteln. So ist das Verfahren ins Laufen gekommen. Nichts zu machen, nur weil ein Hinweis aus einer Partei kommt, wäre Amtsmissbrauch gewesen.“

Im Griff.
Rechtsanwalt Thaddäus Schäfer hat in der Justiz schon einiges erlebt. Doch er könne sich „beim besten Willen nicht erinnern, dass die Anklagebehörde jemals wegen des Verdachts auf Beweismittelfälschung von sich aus tätig geworden wäre. Das war neu.“ Für ihn zeige das nur, dass die „Staatsanwaltschaft im Griff der Politik ist“.

War es das, was den Oberstaatsanwalt für den Expertenrat empfahl?

Ein paar Jahre zuvor hatte die Tiroler ÖVP-Landesrätin Anna Hosp alle Hände voll zu tun, der Öffentlichkeit zu erklären, warum sie für ein privates Immobiliengeschäft den Landeskulturfonds einspannte. Auch in dieser Causa stach Eckart Rainer nicht gerade durch Mut und Unabhängigkeit hervor.

Die Politikerin hatte Mitte der achtziger Jahre einen Hof in Osttirol geerbt, den sie nun zu Geld machen wollte. Eckart Rainer, der leibliche Neffe der verstorbenen Bäuerin, hatte ein Vorkaufsrecht, auf das er zu ihren Gunsten verzichtete. Dennoch erklärte er sich später, als die Landesrätin in die Kritik kam, nie für befangen.

Hosp trennte die Felder vom Hofgebäude, was nicht im Sinne des Grundverkehrsgesetzes ist, und verkaufte einen Großteil ihres Besitzes an den Landeskulturfonds. Der mit öffentlichen Mitteln dotierte Fonds soll Bauernhöfe in Not auffangen und verhindern, dass landwirtschaftliche Nutzflächen auseinandergerissen werden und in nichtbäuerliche Hände geraten. Im Fall Hosp half er – gegen seinen gesetzlichen Daseinszweck –, einen zu zerschlagen. Das malerisch im Freiland gelegene Hofgebäude hat Hosp behalten.

Beamte des Landes bescheinigten, der erlöste Preis – rund 250.000 Euro – sei in Ordnung gewesen. Die Optik war windschief. Als Hosp 2003 Landesrätin und Büroleiterin des Landeshauptmanns wurde – dieser wiederum war für den Landeskulturfonds zuständig –, dürfte es ihr nicht schwer gefallen sein, in den Reihen der Landesbeamten Gutachter zu finden. Personalchefin war sie obendrein.

Die Grünen prangerten das an.
Hosp klagte Klubobmann Georg Willi wegen Ehrenbeleidigung. Die Klage wurde in beiden Instanzen abgewiesen. In dem Urteil hielt das Zivilgericht fest, der Landeskulturfonds habe der ÖVP-Politikerin einen unveräußerlichen Grund zu einem überhöhten Preis abgenommen. Detail am Rande: Der Landesrechnungshof hatte 2005 nach einer Sonderprüfung kaum Gründe für Beanstandungen gefunden. Kritische Anmerkungen muss man zwischen den Zeilen herauslesen.

Oberstaatsanwalt Rainer sagt, er habe nie einen Anlass zu Ermittlungen gefunden: „Jeder Verdacht setzt zwei Dinge voraus. Erstens, dass objektiv gegen Vorschriften verstoßen wurde, zweitens wissentlich und mit dem Vorsatz, jemanden zu schädigen. Dafür gab es keine Anhaltspunkte. Deshalb haben wir auch nicht den Eindruck gehabt, das ist ein Tatbestand, den man verfolgen müsste.“

Nicht nur Rechtsanwalt Andreas Brugger, der seit der Wahl 2008 für die „Liste Fritz“ im Landtag sitzt, stößt diese Argumentation sauer auf: Für einen Diebstahl genügt der normale Vorsatz, aber Amtsmissbrauch und Untreue sind nur strafbar, wenn sie wissentlich als Gesetzesbruch passieren. Da bleibe immer ein Seitenausgang für Staatsanwälte: „Will man jemanden bestrafen, unterstellt man ihm Wissentlichkeit. Kommt ein Politiker daher, den man nicht bestrafen will, sagt man: Wahrscheinlich hat er geglaubt, dass er das darf.“

Ähnlich klangen kürzlich die juristischen Windungen im Fall Dörfler. Die Justizministerin erklärte, der Kärntner Landeshauptmann habe zwar gewusst, dass er etwas macht, was nicht in Ordnung ist – nämlich Ortstafeln verrücken, um ein VfGH-Erkenntnis zu umgehen –, aber er habe niemanden schädigen wollen.

Staatsanwälte entscheiden, ob ein Fall vor ein Gericht kommt oder nicht. 70 Prozent aller Vorhabensberichte enden ohne Anklage. Die Liste der folgenlosen politischen Skandale ist entsprechend lang: Sie reicht von der verschleppten Steueraffäre Hannes Androsch über die von FPÖ-Polizeigewerkschafter Josef Kleindienst losgetretene Spitzelaffäre bis zur Homepage-Affäre von Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser. Dem Willen zur Schonung der Mächtigen lässt sich mit dem Weisungsrecht alleine wohl nicht beikommen. Ex-Verfassungsgerichtshofpräsident Ludwig Adamovich erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass in der Praxis ein Augenzwinkern reicht, um Amtsträgern zu signalisieren, was von oben gewünscht wird.

Es wäre schon viel gewonnen, könnten sich Staatsanwälte „zumindest durchringen, sich in Vernehmungen ein Bild von der inneren Tatseite zu verschaffen, bevor sie eine Causa zurücklegen“, sagt Rechtsanwalt Brugger. Amtsträger, die im Verdacht stehen, ihre Macht zu missbrauchen, müssten sich ein paar gute Erklärungen für ihre Handlungen einfallen lassen. „Allein das hätte eine unglaubliche generalpräventive Wirkung.“

Vielleicht hätten so auch jene Tiroler Agrarbeamte eingebremst werden können, die sich in den vergangenen Jahrzehnten an öffentlichem Grund und Boden vergriffen. Rund 2000 Quadratkilometer – die Fläche Osttirols – in über 150 Tiroler Gemeinden wechselten den Besitzer, und zwar, wie der Verfassungsgerichtshof 2008 festgestellt hat: „offenkundig verfassungswidrig“. „Da hätte man längst wegen Untreue auf Gemeindeseite und Amtsmissbrauch auf Seite der Landesbeamten ermitteln müssen. Das stinkt ja zum Himmel“, sagt ein Strafrechtler.

Als Eckart Rainer Ende des Vorjahrs in Pension ging, hinterließ er Journalisten ein staatstragendes Resümee: „Ein Staatsanwalt muss mit Talar und Gesetzbuch gegen das Verbrechen in den Kampf ziehen. Um ohne Ansehen der Person dem Recht zum Durchbruch zu verhelfen.“ Schön wär’s.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges