Klinischer Befund

AKH. Ein geheimer Prüfbericht weist Krankenhaus, Siemens und IBM Millionen-Schlampereien nach

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Die Diagnose fällt desaströs aus: "Ein so komplexes Projekt ohne eine adäquate Organisations- und Controllingstruktur abzuwickeln, halten wir für einen schweren Mangel, der eine wesentliche Ursache für die derzeit zu erwartenden Kostenüberschreitungen ist.“ Oder: "Projekte dieser Größenordnung werden in der Regel von einer Projektsicherung begleitet, die vom Projektmanagement unabhängig sein muss. Das ist hier nicht gegeben.“ Oder: "Bei einem Projekt dieser Größe und Tragweite wäre zu erwarten, dass hier ein ausgebildeter und erfahrener Projektmanager ausschließlich diese Belange wahrnimmt.“

Das komplexe Projekt:
Einführung des neuen IT-Systems AKIM (AKH-Informationsmanagement) im Wiener Allgemeinen Krankenhaus. Die bewertende Instanz: Deloitte Wirtschaftsprüfungs GmbH. Das allgemeine Fazit: Wäre das AKH ein Patient, wäre die Prognose nicht günstig. Laut dem profil vorliegenden vertraulichen Deloitte-Bericht vom Oktober 2011 entwickelte sich die seit einem Jahrzehnt laufende AKIM-Einführung zu einem planerischen und finanziellen Fiasko. Schlampereien und Dilettantismus verursachten Schäden in Millionenhöhe.

Auftraggeber des Berichts ist das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (BMWF), in dessen Verantwortungsbereich die am AKH angesiedelten Kliniken der Medizinischen Universität Wien fallen (siehe Grafik). Im Oktober 2000 hatte das Ministerium mit der Gemeinde Wien als AKH-Betreiberin einen Vertrag über die Einführung eines neuen EDV-Systems geschlossen. AKIM sollte einerseits alle IT-Bereiche eines modernen Spitals wie Operationsplanungen, Ambulanzmanagement oder elektronische Befunde-übermittlung abdecken und andererseits die gewonnenen Patientendaten für wissenschaftliche Tätigkeiten an den Universitätskliniken aufbereiten. Die Gemeinde Wien übernahm mit 21,8 Millionen 60 Prozent der projektierten Kosten, der Bund den Rest in Höhe von 14,5 Millionen Euro.

Elf Jahre nach Vertragsabschluss wird AKIM erst im Probebetrieb an einzelnen Universitätskliniken eingesetzt. Nach dem ursprünglichen Plan hätte das System bereits 2007 voll anlaufen sollen. Neuer Fertigstellungstermin: 2014 (siehe profil 36/2011).

Im Herbst 2010 war es, von der Öffentlichkeit unbemerkt, zum Eklat gekommen. Die AKIM-Projektleitung konnte laut profil-Informationen keine schlüssigen Zahlen über die Weiterfinanzierung der noch ausstehenden Projektteile vorlegen. Der Generalsekretär des Wissenschaftsministeriums, Friedrich Faulhammer, drehte daraufhin den Geldhahn zu und beauftragte Deloitte, das gesamte Projekt zu durchleuchten.

Wie aus dem Bericht der Wirtschaftsprüfer hervorgeht, war AKIM von Beginn an in finanzieller Schieflage. Schon in der Ausschreibungsphase ab 2002 "überstiegen die abgerechneten Beträge die projektierten Kosten erheblich, ohne dass die vereinbarte Leistung erbracht wurde“. Verantwortlich für die Abwicklung der Ausschreibung war IBM. Ursprüngliches Honorar: 3,8 Millionen Euro. Vom Datum der Ausschreibung bis zum eigentlichen Zuschlag vergingen freilich vier Jahre. Die Verzögerung rentierte sich zumindest für IBM. Der EDV-Konzern stellte Zusatzkosten in Höhe von 2,8 Millionen Euro in Rechnung. Fazit der Deloitte-Prüfer: "Das bedeutet, dass es bei den Planungsphasen unter der Federführung von IBM zu einer Projektverzögerung von 3 ¼ Jahren gekommen ist, IBM aber in Summe um 32 Prozent mehr lukrierte.“

Aus der schleißig abgewickelten Ausschreibung ging 2006 Siemens als Sieger hervor. Auftragssumme: 18,6 Millionen Euro. Doch offenbar fehlte es dem renommierten Konzern schlicht am notwendigen Know-how. Beispielsweise wurde der MedUni bei der Vernetzung von Patientendaten von Siemens "eine Funktionalität zugesagt, die schlussendlich nicht eingehalten werden konnte“. Pauschal kritisiert der Deloitte-Bericht, "dass sich Siemens als der Experte für die Einführung von Krankenhaussoftware dargestellt hat. Von Seiten des Auftraggebers wurde deshalb erwartet, dass Siemens entsprechendes Expertenwissen beisteuert und sich dieses nicht erst im Laufe des Projekts aneignet.“ Besonders kurios: 28 Monate nach Zuschlag kamen die Siemens-Experten zur Erkenntnis, dass die von ihnen "angebotene Softwarelösung nicht zielführend sei“, und wählten einen neuen Ansatz. Auf die dadurch entstandenen Verzögerungen und Kosten hätte Siemens, so Deloitte, "rechtzeitig aufmerksam“ machen müssen.

So scharf die Kritik an den Industriegiganten Siemens und IBM auch ausfällt, Hautptangeklagter im Deloitte-Bericht ist deren Auftraggeber: das AKH.

Zu Beginn ihrer Recherchen im März 2011 fiel es den Prüfern schwer, sich einen Überblick über die Finanzsituation von AKIM zu verschaffen, "da von Seiten des AKH keine haltbaren Zahlen über Gesamtausgaben übermittelt wurden“. Die Mängel der vorgelegten Buchhaltungsunterlagen wertete Deloitte bereits als "eindeutiges Indiz dafür, dass das AKH keine hinreichenden Strukturen eingerichtet hat, um so ein Projekt ordnungsgemäß abzuwickeln“. Überdies kritisierten die Prüfer, es sei ihnen "kein aktuell gültiger Projektfahrplan vorgelegt“ worden. Die lange Projektdauer erhöhte automatisch die Kosten: So musste "bereits vor der Inbetriebnahme von AKIM neue Hardware als Ersatz angeschafft werden. Teile der ursprünglichen Hardware werden nur mehr als Testsystem eingesetzt.“

Als katastrophal erwies sich die anfängliche Strategie des AKH, AKIM nicht nach und nach, sondern über Nacht einzuführen. Deloitte: "Dass eine so komplexe Neueinführung nur schrittweise und nicht pötzlich möglich ist, mag verständlich erscheinen, warum dennoch bei der Planung an einer, Big Bang‘-Lösung festgehalten wurde, entzieht sich unserem Wissensstand.“ Mittlerweile erfolgt die AKIM-Einführung in Stufen. Die Folge der notwendigen Terminänderungen: "ein nicht einkalkulierter Mehraufwand in Logistik, Prozessen und Schnittstellen und damit zeitliche Verzögerungen bzw. deutliche Kostensteigerungen“.

Das gesamte Ausmaß der Kostensteigerung im Vergleich zu den geplanten 36,3 Millionen Euro ist selbst für die Spezialisten von Deloitte noch nicht absehbar. Insider rechnen mit Mehrkosten von bis zu 14 Millionen Euro.

In der AKH-Führung herrscht dennoch Optimismus. Ende November sei AKIM erfolgreich an der Universitätsklinik für Orthopädie eingeführt worden. Der Bericht von Deloitte, so AKH-Direktor Herwig Wetzlinger, sei "einseitig“. Statt privaten vertraue man eher öffentlichen Prüfstellen. Daher habe die AKH-Leitung von sich aus das Wiener Kontrollamt um eine Überprüfung von AKIM ersucht.

Dem Allgemeinen Krankenhaus droht damit ein Auflauf von Revisoren. Denn auch der Rechnungshof könnte bald anrücken. Das oberste Leitungsgremium der Medizinischen Universität Wien, der Universitätsrat, bewertet AKIM - laut internen Sitzungsprotokollen - seit einem Jahr als "sehr, sehr kritisch“. Im Oktober richteten der Vorsitzende des Rats, Ex-Vizekanzler Erhard Busek, und der Rektor der MedUni, Wolfgang Schütz, einen Brief an Rechnungshofpräsident Josef Moser mit der Bitte, das Projekt zu prüfen.

Das Wissenschaftsministerium wartet nun auf eine Stellungnahme des AKH zu den Vorwürfen im Prüfbericht. Zahlungen würden laut einer Sprecherin erst wieder erfolgen, "wenn sämtliche Bedenken ausgeräumt sind“.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.