„Dann sind wir tot“

Alpine Konzern stand schon 2012 vor der Zahlungsunfähigkeit

Alpine. Interne E-Mails belegen: Der Konzern stand schon im Sommer 2012 vor der Zahlungsunfähigkeit

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Der Verfasser des E-Mails, das José Liébana Alcantarilla am Abend des 25. Juni 2012 ereilte, hatte schon beim Formulieren der Betreffzeile keinen Zweifel daran gelassen, dass er die ungeteilte Aufmerksamkeit des Empfängers einfordern würde: „URGENT Liquidity support!!!“
Alcantarilla war damals wie heute leitender Angestellter des spanischen Baukonzerns FCC, zuständig für „Internationale Finanzen“.

Der Absender wiederum: Michael Dankovsky, zwischen 2008 und 2012 kaufmännischer Geschäftsführer der Alpine Bau GmbH, neudeutsch deren „Chief Financial Officer“.

Zwei Finanzer also, ein heikles Thema: Liquidität. Dabei handelt es sich, wie der Begriff vermuten lässt, tatsächlich um flüssiges Geld (nicht zu verwechseln mit Vermögen, das etwa in Betriebsanlagen, Immobilien oder Beteiligungen gebunden ist). Liquidität ist so etwas wie der Blutkreislauf jedes Unternehmens; sie quantifiziert dessen Fähigkeit, Verbindlichkeiten fristgerecht zu bedienen. Ohne Liquidität keine Löhne, keine Mieten, keine Rechnungen, keine Kreditraten und erst recht keine der im Baugeschäft so wichtigen Vorfinanzierungen.

Der Grat zwischen Illiquidität und Insolvenz ist schmal.
Und genau da stand Alpine, als Dankovsky sein E-Mail aufsetzte. Natürlich konnte er nicht wissen, dass die Unternehmensgruppe fast auf den Tag genau ein Jahr später kollabieren würde.

Seit 19. Juni 2013 ist die Alpine Bau GmbH ein Fall für den Masseverwalter, seit 2. Juli gilt das auch für die übergeordnete Alpine Holding GmbH. Das ist nicht nur jene Gesellschaft, in welcher zwischen 2009 und 2010 Alfred Gusenbauer und hernach Benita Ferrero-Waldner als Aufsichtsräte agierten; das ist auch jene Gesellschaft, die zwischen 2010 und 2012 mit tatkräftiger Unterstützung der Hausbanken drei Anleihen im Volumen von zusammen 290 Millionen Euro auf den Markt geworfen hat, die letzte Tranche erst im Mai 2012. In Summe führt der Konzern Schulden von mehr als 2,6 Milliarden Euro in den Büchern – denen vergleichsweise bescheidene Vermögenswerte gegenüberstehen.

Der profil nun vorliegende – im Original englische – Mailverkehr zwischen Dankovsky und seinem spanischen Kollegen vom Juni vergangenen Jahres belegt: Der Salzburger Konzern stand im Frühsommer 2012 vor der Zahlungsunfähigkeit, also genau in jener Phase, in der tausende ahnungslose Anleger die letzte Anleihetranche zeichneten.

Im Sinne der besseren Lesbarkeit überträgt profil die Korrespondenz ins Deutsche.

„DRINGEND Liquiditätshilfe!!!”
Am 25. Juni, 20.33 Uhr, schrieb Dankovsky an seinen Kollegen bei FCC, José Alcantarilla; eine Kopie ging an Enrique Sanz, einen den spanischen Repräsentanten bei Alpine: „DRINGEND Liquiditätshilfe!!! Lieber Jose, weißt du etwas über das für heute angesetzte Meeting von Finanzen und Bau? Uns läuft die Zeit davon! Wir brauchen die Liquiditätshilfe bis Donnerstag (Freitag, der 30. ist ein zu großes Risiko). Ein geplanter Zufluss aus der A. Energie (Anm.: der Teilkonzern Alpine Energie) wurde zerstört (17 Millionen). Die 100 Millionen von FCC werden nicht ausreichen! Danke, Michael.“

Soll heißen: In der Kalenderwoche 26 des Vorjahres 2012 war der österreichische Baukonzern nicht mehr in der Lage, seinen Verpflichtungen aus eigener Kraft nachzukommen, und benötigte – „dringend“ – mehr als 100 Millionen Euro von der Mutter FCC (der von Dankovsky genannte 30. Juni 2012 war übrigens kein Freitag, sondern ein Samstag).

Señor Alcantarilla antwortete um 22.27 Uhr. Eine Kopie erging an Enrique Sanz und zwei weitere Kollegen: „Betreff: Re: DRINGEND Liquiditätshilfe!!! Michael, ich bin heute und morgen in Paris. Soweit ich weiß, wurde heute kein Meeting abgehalten, es war auch keines geplant. Ich nehme den Geldbedarf zur Kenntnis. Der Juni ist ein schwieriger Schlussmonat für die gesamte Gruppe, und nicht nur Alpine verlangt. Die Dezemberhilfen waren letzten Endes nicht wirklich notwendig, so wird keine Glaubwürdigkeit vermittelt. Ich habe keinen endgültigen Stand, ich schlage vor, H. (Leiter der Alpine-Abteilung „Konzernfinanzierung“, Anm.) soll die erforderliche Logistik in den kommenden paar Tagen mit I. (ein FCC-Mann, Anm.) koordinieren. Grüße.“

Dass Unternehmen in einem Konzernverbund einander bei Bedarf Geld leihen, um die Liquidität zu sichern, ist zunächst unspektakulär. Anders liegen die Dinge jedoch, wenn eines der Unternehmen innerhalb weniger Monate zweimal um Hilfe ruft.

Als Michael Dankovsky darauf replizierte, war es kurz vor Mitternacht. Der guten Ordnung halber erweiterte er den Kreis der Empfänger gleich auf ein Dutzend Personen: „Betreff AW: Re: DRINGEND Liquiditätshilfe!!! Wenn das die FCC-Position ist, dann sind wir tot! Es stimmt, dass der Dezember sich viel besser entwickelt hat als angenommen, aber der Handlungsspielraum ist jetzt viel kleiner. Und welchen Sinn soll es ergeben, wenn H. und I. über die ‚Logistik‘ diskutieren? Es sind nur noch zwei Tage übrig (und nicht etwa ‚ein paar Tage‘) und wir brauchen eine Entscheidung von FCC und anschließend den simplen Transfer von 115 Millionen. Ich werde das an niemanden delegieren. Ist FCC sich der Tatsache bewusst, dass wir kurz vor einem Vertragsbruch stehen, was letale Konsequenzen hätte?“

Um welchen Vertrag es sich handelt, geht aus dem Mail nicht hervor. Im Original verwendete Dankovsky den Begriff „covenant“ – dieser bezeichnet explizit die Bedingungen in Anleiheprospekten. Eine der Bedingungen ist, dass ein Schuldner seine Verbindlichkeiten zu vertraglich fixierten Zeitpunkten bedient. Tatsächlich musste die Alpine Holding nur eine Woche später, am 1. Juli, die jährlichen Zinsen auf die Anleihe 2010–2015 auszahlen: 5,25 Prozent auf 100 Millionen Euro Nominale, insgesamt also 5,25 Millionen Euro. Das benötigte Geld war aber offensichtlich nicht in der Kasse. Zwei Wochen zuvor, am 10. Juni, waren die Zinsen auf die Anleihe 2011–2016 fällig geworden: 5,25 Prozent auf 90 Millionen Euro, mithin 4,725 Millionen Euro.

Das Dankovsky-Mail schließt: „Sorry für die direkten Worte, aber wir haben keine Zeit mehr für Diplomatie. Bitte hilf, Michael.“

Nach außen drang von all dem nichts. Im Gegenteil. Mitte Mai hatte Alpine die letzte der drei Anleihen (Laufzeit 2012–2017, 100 Millionen Euro schwer, sechs Prozent Zinsen jährlich) platziert und den Anlegern eine heile Welt vorgegaukelt. In einer vom damaligen Holding-Geschäftsführer Johannes Dotter am 10. Mai 2012 verantworteten Pressemitteilung heißt es vielmehr: „Die Alpine-Anleihe richtet sich an alle Investoren, die in ein stabiles, österreichisches Traditionsunternehmen mit einem klaren Zukunftsprogramm investieren wollen. Wer in das Zukunftsprogramm von Alpine investiert, wird mit einer Verzinsung von sechs Prozent belohnt.“

Im Anleiheprospekt, welchen die Emissionsbanken Bawag PSK und Raiffeisen International sorgfältig „geprüft“ haben wollen, findet sich kein Hinweis auf die desaströse Liquiditätslage. Erst recht nicht im Jahresabschluss 2011, der ein mit 26. März 2012 datiertes Testat der Wirtschaftsprüfer von Deloitte trägt.

Michael Dankovsky bestätigt die Authentizität der E-Mails. Gegenüber profil legt er aber Wert auf die Feststellung, dass der erhöhte Liquiditätsbedarf zum Zeitpunkt der letzten Anleiheemission nicht absehbar gewesen sei: „Es handelte sich um einen kurzfristigen und temporären Engpass in Zusammenhang mit Projekten in Polen und auf dem Balkan.“ Laut Dankovsky gab FCC dem Drängen der österreichischen Tochter im August nach und stellte frisches Geld bereit, wenn auch nicht in voller Höhe. „Die Lage war zwar angespannt, die genannten 115 Millionen Euro waren aber ohnehin zu hoch gegriffen.“ Es sei „völlig normal“, dass man gegenüber dem Eigentümer im Rahmen der laufenden Liquiditätsplanung einen erhöhten Puffer einfordere. Und die drastischen Formulierungen? „Wenn Sie das nicht machen, passiert gar nichts.“

Tatsache ist: Ein Jahr später war die Liquidität abermals aufgebraucht – und dieses Mal ließ FCC Alpine fallen.

Nicht auszuschließen, dass Dankovsky schon an diesem 25. Juni 2012 dunkle Vorahnungen hatte und den Mailverkehr lieber nicht archiviert sehen wollte. Um 23.37 Uhr schrieb er allen Empfängern: „Dankovsky Michael möchte die Nachricht RE: URGENT Liquidity support!!! zurückrufen.“

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.