Schlussakkord

Triumph: Arbeiterinnen ringen um ein Leben nach der Fabrik

Arbeitslosigkeit. Im Burgenland ringen frühere Triumph-Mitarbeiterinnen um ein Leben nach der Fabrik

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Im Büro von Roswitha Plesser fehlen die persönlichen Gegenstände. Das Fenster, durch das sie das Treiben in der Werkshalle beobachtete, ist sinnlos geworden. Aufgeräumte Tische, zugedeckte Nähmaschinen, leere Regale: Viel mehr ist nicht mehr zu sehen. Die 95 Frauen, die hier Dessous nähten, haben zusammengepackt. Auf Plessers Wandkalender rahmt ein roter Plastikschieber den 23. Mai ein: "Und der bleibt da wie der Zeiger einer Uhr, die stehen geblieben ist.“

Es ist der Tag, an dem die Arbeiterinnen in der Triumph-Fabrik im niederösterreichischen Aspang die letzten BHs nähten. 2007 war Plesser hier Werksleiterin geworden. Die 54-Jährige zeigt auf die Stelle, wo das Foto von der Schlüsselübergabe hing. Sie hat es abgenommen, nachdem sie mit ihren Arbeiterinnen auf den letzten LKW gewartet hatte: "Dann wurde die Ware weggebracht. Es war wie bei einem Begräbnis.“

Triumph baut 350 Jobs ab
350 Arbeitsplätze streicht der deutsche Dessous-Hersteller Triumph in Österreich. Nicht nur der Standort im niederösterreichischen Aspang wird geschlossen, auch die Produktion in Oberpullenorf im Burgenland ist Geschichte. Nur die Fabrik in Oberwart soll überleben und zum Kompetenzzentrum für die Marke Sloggi werden. Knapp 200 Menschen sollen dort noch arbeiten, ein paar Dutzend weniger als bisher.

Helga Mayerhofer, Betriebsrätin in Aspang, trug vergangene Woche eine Jacke in knalligem Pink, als wollte sie der Tristesse des Abschieds etwas Lebensbejahendes entgegenhalten. "Die Fabrik war für uns mehr als Arbeit, das war eine Heimat“, sagt sie. Draußen rümpfte man die Nase über die Frauen, die im Akkord Unterwäsche erzeugten. Niemand riss sich um die Jobs der Fabriksarbeiterinnen, die vergangene Woche in Gruppen in der Kantine und in der Werkshalle saßen und - gemeinsam mit externen Beraterinnen - darüber nachdachten, wie es nun weitergehen soll.

Orientierungskurs nennt sich das. Bezahlt wird er vom Unternehmen. Auch ein Sozialplan wird ausgehandelt. "Man kann nichts Schlechtes gegen die Firma sagen“, sagt Betriebsrätin Helga Mayerhofer. Vor 27 Jahren hatte sie in der Triumph-Fabrik in Kirchschlag in der Buckligen Welt zu arbeiten begonnen, die es auch schon längst nicht mehr gibt. So randvoll waren die Auftragsbücher damals, dass 20 Maschinen ins Dorfwirtshaus geschafft und zusätzliche Arbeiterinnen angestellt wurden. Sie nähten damals beige Nachthemden mit türkisfarbenen Besätzen. Trafen sie bei den Ärmeln nicht genau aufeinander, hieß es sauber auftrennen und neu machen.

Plesser, die Werksleiterin, hatte fünf Jahre vor Mayerhofer in Kirchschlag zu arbeiten begonnen. Sie war in den 1960er-Jahren im südlichen Burgenland nahe am Eisernen Vorhang aufgewachsen. "Wozu brauchst du einen Beruf? Du heiratest eh“, hatte sie als junges Mädchen gehört. Fließbandarbeit war für die Frauen aus der Gegend die einzige Chance auf Unabhängigkeit und bescheidenen Wohlstand. Jeden Morgen stieg Plesser in den Werksbus und fuhr in die Fabrik. Sie schätzte sich glücklich, hier zu arbeiten.

Wenn eine Frau ein Kind bekam oder in Pension ging, rückte eine Junge nach. 1988, vor dem Fall des Eisernen Vorhangs, eröffnete Triumph ein erstes Werk in Ungarn. Roswitha Plesser avancierte zur fliegenden Vorarbeiterin. Jeden Tag schlängelte sie sich an grimmigen, mit Maschinengewehren bewaffneten Zöllnern vorbei, um den Frauen jenseits der Grenze mit Händen und Füßen klarzumachen, wie man eine Naht millimetergenau setzt. Ihre "ungarischen Jahre“, in denen "eine Produktionsstätte nach der anderen aufgesperrt hat“ - in den kleineren arbeiteten 20 bis 30 Näherinnen, in den großen fanden über 100 Arbeit - bedeuteten Aufbruch und Zukunft. Sie war stolz, dabei zu sein, "als es bergauf gegangen“ ist.

Zu den Firmenfesten reiste der Chef an, der 1959 das erste Triumph-Werk in Wiener Neustadt gegründet hatte, und drückte allen die Hand. Die Oberen waren sich für nichts zu gut. Wenn eine der Frauen mit einer Naht nicht zu Rande kam, zog der Fertigungsleiter sein Sakko aus, krempelte die Hemdsärmel auf und setzte sich an die Maschine. "Lass mich das versuchen. Das gibt es nicht, dass das nicht geht.“ Es ging immer.

Draußen, vor dem Fabrikstor, änderte sich die Welt: Die Kinder der Arbeiterinnen gingen ins Gymnasium. Auch die Mädchen zogen in die Stadt, um zu studieren. 2008 stellte der Werksbus seinen Betrieb ein. Zwischen Vorarlberg und dem Burgenland gab eine Textilfabrik nach der anderen auf. Produziert wurde nun in Osteuropa oder in China. Auch Triumph baute Arbeitsplätze ab und legte Standorte zusammen. Helga Mayerhofer war eben Betriebsrätin geworden, als Kirchberg zusperrte und ein Teil der Belegschaft nach Aspang übersiedelte. Drinnen in der Fabrik hielten die Arbeiterinnen wie eh und je zusammen, sagen Mayerhofer und Plesser: "Wir sind jeden Tag in die Arbeit gegangen, als wäre es unsere Firma.“ Drei Kolleginnen starben im Laufe der Jahre an Krebs. An ihren Todestagen stellten die Triumph-Arbeiterinnen eine Laterne auf dem Weg zur Kantine auf.

Werksleiterin Plesser war nicht die Einzige, die damit rechnete, in Aspang in Pension zu gehen. Es gab Phasen der Kurzarbeit. 2009, im Jahr der Finanz- und Wirtschaftskrise, erwischte es das Triumph-Werk in Hartberg. Den Gedanken, es könnte irgendwann ihren Standort treffen, verscheuchte sie: "Natürlich, es gibt Anzeichen, man spürt etwas, aber man glaubt es nicht“, sagt Plesser - bis zu dem Tag, an dem der rote Plastikschieber des Wandkalenders stehen bleibt.

Noch vor ein paar Wochen quoll das Infoboard vor ihrem Büro über vor Zetteln: Sanitäterkurse wurden angekündigt, Leistungskurven und Jobbeschreibungen ausgehängt. Jetzt verlieren sich darauf zwei einzelne A4-Blätter: Mit dem einen verabschiedet sich der Fleischhauer, bei dem die Belegschaft jeden Donnerstag die Wurstsemmeln kaufte. Auf dem anderen sucht ein Gasthaus aus einem Nachbarort Abwäscherinnen. Die Triumph-Näherinnen aus Aspang, die ihre Arbeit verloren, sind durchschnittlich Mitte 40. Die Chancen, dass ein Teil von ihnen im Kompetenzzentrum in Oberwart unterkommt, sind gering. Auch dort wackeln Jobs.

Vor Kurzem redete Betriebsrätin Mayerhofer ihren "Mädels“ ins Gewissen. Die meisten hätten vergessen, ihre Träume zu leben, sagte sie: "Passt auf, schaut auch einmal auf euch selbst.“

Einige satteln jetzt auf Altenpflegerin um. Auch Mayerhofer hat einen sozialen Beruf im Auge. Und die Werksleiterin ertappt sich neuerdings bei dem Gedanken, dass es auch noch ein Leben nach der Fabrik geben könnte. Auf ihrem Computer klebt ein Post-it. Plesser gefällt die Vorstellung, dass sich der Mensch, der in der nächsten Zeit ihren PC abstecken und wegtragen wird, kurz hinsetzen und lesen wird, was sie mit Kugelschreiber darauf geschrieben hat: "Am Ende ist alles gut. Und wenn nicht, dann ist es nicht das Ende.“


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Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges