Tiefes Blau

Architektur. Prächtige Synagogen: das jüdische Erbe der Slowakei

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Konfrontation mit der Realität anstelle des im Kommunismus gebotenen Schweigens: Das war der konzeptuelle Anspruch der Jan-Koniarek-Galerie, die Mitte der neunziger Jahre die große Synagoge in Trnava erwarb und den als Warenlager genutzten Bau renovieren ließ. Die Zeichen von Verfall an der Fassade wurden bewusst nicht übertüncht, im Inneren zeugen die fragilen Metallsäulen und Reste ornamentalen Schmucks von einstiger Schönheit. Es dominieren Leere und eine immaterielle Aura: Beides ist seit Jahren Gegenstand aufsehenerregender Installationen. Statt der verschwundenen Sitzbänke reihte Künstler Tóth Dezider Hunderte Schuhpaare zu einem ausdrucksstarken nonverbalen Memento. Später ließ Biennale-Kuratorin Jana Gerzová den slowakischen Künstler Lúbo Stacho Ort und Gedächtnis ausloten: Er projizierte zu Todesmasken verfremdete Porträts von Überlebenden der Shoah in den Raum und tauchte ihn in die Farbe des früheren Tora­schreins, ein ehemals tiefes Blau.

Der New Yorker Architekturhistoriker Samuel D. Gruber, einer der weltweit führenden Experten für jüdisches Bauerbe, registriert Modelle wie jenes im slowakischen Trnava mit Staunen. Neben der mächtigen Synagoge wurde dort auch eine kleinere wiederhergestellt und zur Kunstgalerie umgewandelt. Nach einer seiner Slowakei-Reisen schrieb Gruber, hier werde zentrales jüdisches Bauerbe innovativ erhalten, während in den USA immer mehr Synagogen „abgerissen und selbst Arbeiten von Größen wie Walter Gropius drastisch umgemodelt worden sind“.

Die Synagogen in Trnava sind mit weiteren bedeutenden in Nitra, Liptovský Mikulᚠoder Bratislava seit Kurzem in einer „Slowakischen Route des jüdischen Kulturerbes“ erfasst. In allen Teilen des Landes erschließt sie mehr als ein Dutzend Synagogen, wichtige Sammlungen jüdischer Kultur und Friedhöfe. Die Ausgangslage für das ehrgeizige Projekt, das vom jungen Vizepräsidenten der Jüdischen Gemeinde Bratislava, Maroš Borský, realisiert wurde, war schwierig. Die Synagogen der ehemals 750 jüdischen Gemeinden entgingen zwar der Brandschatzung des Novemberpogroms 1938, der in Deutschland und Österreich nur einzelne wenige verschont hat. Die große Welle der Devastierung folgte während des Kommunismus. Selbst die berühmte orthodoxe Synagoge von Bratislava, deren mächtiger Bau mit den typischen Ornamenten und horizontalen Streifen in maurisch-byzantinischem Stil das Stadtbild geprägt hatte, wurde abgerissen: Sie musste 1968 der megalomanen neuen Donaubrücke weichen.

Von manchen stehen nur noch Torsi, viele wurden zu Fabrikshallen, Geschäften und Gasthäusern, etliche zu Fitnesstempeln umfunktioniert. Sakral genützt wird nur eine Hand voll der Tempel, denn heute leben in der Slowakei noch rund dreitausend Juden, vor Beginn des Zweiten Weltkriegs waren es 136.000.

Trotz allem sind Synagogen von beeindruckender architektonischer und historischer Vielfalt erhalten geblieben. Sie machen Aufstieg und Öffnung der traditionellen jüdischen Gesellschaft ab der Mitte des 19. Jahrhunderts selbst in der Provinz erfassbar. Das bekannte Quartier Josefov in Prag bietet dagegen nur Einblick in jüdisches Leben im urbanen Kontext. Im ungarischen Teil des Habsburger-Reichs, dem auch die Slowakei angehörte, bekam die Synagogenarchitektur durch das Aufblühen des progressiven Judentums ein weites Experimentierfeld. Insgesamt wetteiferten drei Glaubensströmungen darin, ihre Identitäten auch baulich zu manifestieren: neben den Progressiven die zunehmend an den Rand gedrängten Orthodoxen sowie eine weitere Richtung, die das Schisma nicht anerkannte. Deshalb entstanden an einem Ort mitunter drei Synagogen in unterschiedlichen Stilrichtungen.

Die bekanntesten Architekten ihrer Zeit nutzten das spannende Umfeld: In der Slowakei bauten die Wiener Jakob Gartner und Wilhelm Stiassny, der herausragende ungarische Architekt Lipót Baumhorn und selbst die Koryphäe der avantgardistischen Industriearchitektur, der Berliner ­Peter Behrens. Er gewann 1929 mit einem atemberaubend modernen Entwurf die Ausschreibung der progressiven jüdischen Gemeinde im kleinen Žilina im Nordwesten der Slowakei. Unter seinen prominenten Konkurrenten war auch Josef Hoffmann, Mitbegründer der Wiener Werk­stätte, gewesen.