Gernot Bauer

Warnung: AKW kann Leben retten!

Kommentar. Warnung: AKW kann Leben retten!

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Geht es um Pestizideinsatz in der Landwirtschaft oder um Klimawandel, berufen sich Umweltschützer von Global 2000 bis Grüne 2013 gern und völlig zu Recht auf wissenschaftliche Studien. Nüchterne Forschungsergebnisse von Universitätsprofessoren wiegen schwerer als alarmistische Hysterie.

In der Atomkraftdebatte werden Ratio und Wissenschaftlichkeit endversorgt und durch einseitige Glaubenskriegserklärungen ersetzt. Tatsache ist: Der Tsunami an der japanischen Küste tötete im März 2011 unmittelbar 19.000 Menschen. Durch die freigesetzte Strahlung des havarierten Atomkraftwerks Fukushima Daiichi starb niemand. Die Schätzungen der Langzeitfolgen für Japan schwanken – je nach Atom-Glaubenslehre – zwischen 0 (Nationales Institut für Strahlenforschung) und 100.000 (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs) zusätzlichen Krebserkrankungen. Im Vergleich dazu herrscht in der Analyse von Ursache, Folge und Lösung der Finanz- und Wirtschaftskrise weltweite Einigkeit.

Sowohl das der japanischen Regierung nahe­stehende Forschungsinstitut als auch die Vereinigung Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs haben eine Agenda. Wem also glauben? Vielleicht am ehesten der Weltgesundheitsorganisation WHO der Vereinten Nationen, deren Zweck laut Artikel 1 ihrer Verfassung darin besteht, „allen Völkern zur Erreichung des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu verhelfen“. Im Februar 2013 kam ein internationales WHO-Expertenteam nach Analyse sämtlicher verfügbarer Fukushima-Daten zum Schluss, dass die „vorhergesagten Risiken für die allgemeine Bevölkerung innerhalb und außerhalb Japans niedrig und keine messbaren Steigerungen der Krebsraten über das Basisniveau hinaus zu erwarten sind“.

Unscear, der in Wien angesiedelte UN-Ausschuss zur Untersuchung der Auswirkung radioaktiver Strahlung, kam erst vergangene Woche zum gleichen Ergebnis.

Wenn ein veraltetes AKW (40 Jahre in Betrieb) am falschen Platz (Strandlage) mit ­skandalösen Sicherheitsstandards (wie vom Betreiber Tepco eingestanden) bei einem Jahrtausendereignis wie der 15 Meter hohen Tsunami-Welle keine größere Katastrophe auslöst, kann Atomkraft dann wirklich so teuflisch sein? Anders formuliert: Sprechen die vergleichsweise geringen Folgen des Super-GAUs nicht für Investitionen in die Atomkraft in Form von modernen Reaktoren inklusive Endmüllvermeidung?

Zum Vergleich: Jährlich sterben in Japan mehr als 5000 Menschen im Straßenverkehr. Und im Jahr 2011 infizierten sich 3900 Japaner aufgrund verdorbener Lebensmittel mit dem lebensgefährlichen EHEC-Virus.

Wer guten Willens und intellektuell redlich ist, wird Risiko und unerwünschte Nebenwirkungen der Atomkraft nicht leugnen. Natürlich könnte ein Jumbo-Jet in ein AKW rasen. Jahrtausendereignisse finden wahrscheinlichkeitsrechnerisch möglicherweise auch übermorgen statt. Der Jet könnte auch in die Staumauer des Kraftwerks Kaprun stürzen – mit feuchten Folgen für den Pinzgau.

Laut einer Studie von US-Wissenschaftern (nachzulesen in der „Neuen Zürcher Zeitung“ vom 12. Mai) wurden in den vergangenen Jahrzehnten dank Atomkraft weltweit 1,8 Millionen vorzeitige Todesfälle vermieden – unter der Annahme, der von AKWs erzeugte Strom wäre von Kohle- und Gaskraftwerken geliefert worden, deren Emissionen erwiesenermaßen gesundheitsschädlich sind. Einer der Autoren der Studie, James Hansen (Columbia University), war einer der ersten Wissenschafter weltweit, die vor der Erd­erwärmung warnten. Man sollte über Ansatz und Schlüsse der Studie sachlich diskutieren – was mit Glaubenskriegern leider unmöglich ist.
Fazit aus rationaler Sicht: PKW kann töten, AKW eher nicht.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.