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Milliarden für Griechenland: Wer sind die Profiteure?

EU. Europa pumpt Milliarden nach Griechenland und verschweigt die Profiteure. Aus gutem Grund

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Zehntausende Menschen auf den Straßen, die Hauptstadt lahmgelegt, wütende Proteste. Griechenland befindet sich in einer Ausnahmesituation. Wieder einmal.

Nachdem Regierungschef Antonis Samara in einer Brachialmaßnahme über Nacht den staatlichen Rundfunk (ERT) abgedreht hat, steckt Griechenland erneut in heftigen Turbulenzen. Die Gewerkschaften streiken, die Opposition tobt, die Koalition steht an der Kippe. Von einem neuen Schuldenschnitt ist die Rede. Und während der New Yorker Indexbetreiber MSCI Griechenland mittlerweile als Schwellenland einstuft, teilt das Statistische Amt in Athen mit, dass die Arbeitslosigkeit einen neuen Rekordwert erreicht hat. 27,6 Prozent - die höchste des europäischen Kontinents.

Europa hat Milliarden in den Süden gepumpt, mit dem Ziel, das strauchelnde Land - und vor allem den Euro - aufzufangen. Dennoch: Das Land steckt inzwischen im sechsten Jahr der Rezession. Trotz drakonischer Sparmaßnahmen, trotz Schuldenschnitt und Anleihen-Rückkauf ist Griechenlands Schuldenberg in den vergangenen drei Jahren nicht kleiner, sondern größer geworden.

Das darf eigentlich nicht verwundern. Hätten sich die Experten der Europäischen Zentralbank (EZB), jene des Rettungsschirms EFSF oder jene des Internationalen Währungsfonds (IWF), bestenfalls alle drei, ihre eigenen Statistiken einmal genauer angeschaut, wären sie wohl zum selben Ergebnis gekommen wie jene Studie, welche die globalisierungskritische Organisation Attac nun vorlegt: Demnach ist nicht einmal jeder vierte Hilfseuro im griechischen Staatshaushalt angekommen. Jeder zweite Euro floss postwendend zurück an die Gläubiger - also an ausländische Banken, Hedgefonds und Versicherungen. In Summe sind rund drei Viertel aller Hilfsgelder mittelbar oder unmittelbar im Finanzsektor versickert. Mehr noch: Die Zahlungen zirkulieren seit dem Schuldenschnitt völlig sinnlos im Kreis und erfüllen zumindest einen Zweck: die EU-Granden vor einem Gesichtsverlust zu bewahren.

Dabei hat sich das offizielle Europa vor wenigen Wochen noch mit Jubelmeldungen überschlagen. Griechenland sei auf gutem Weg, sein Defizit in den Griff zu bekommen, meinte IWF-Chefin Christine Lagarde. Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem sprach von einer Wende in der krisengeschüttelten Wirtschaft. Der griechische Arbeitsmarkt schien erstmals Anzeichen einer Besserung zu zeigen: In den ersten fünf Monaten des Jahres wurden 76.000 Menschen mehr eingestellt als entlassen. Und die Alpha Bank, eines der größten Geldhäuser des Landes, konnte das nötige Kapital auftreiben, um ohne Hilfsgelder weiterzuarbeiten.

Die Budgetzahlen malen freilich ein anderes Bild. Trotz drakonischer Sparmaßnahmen, Schuldenschnitt und Anleihen-Rückkauf sind Griechenlands Schulden in den vergangenen drei Jahren von 299,7 Milliarden Euro auf 316 Milliarden Ende 2012 angewachsen. Noch beunruhigender ist der Anstieg der Schuldenquote. Sie erhöhte sich von 129 Prozent Ende 2009 auf inzwischen 174 Prozent.

206,89 Milliarden Euro
Wo also sind die bisher ausgezahlten 206,89 Milliarden Euro an Hilfsgeldern hingekommen? Wurden sie, wie der Boulevard argwöhnt, von den Griechen verjubelt? Mitnichten. Während 58,2 Milliarden Euro (28,13 Prozent) zur Rekapitalisierung der maroden griechischen Banken verwendet wurden, flossen vergleichsweise bescheidene 46,46 Milliarden (22,46 Prozent) in den griechischen Staatshaushalt. Höchstens. Eingerechnet sind hier auch über sieben Milliarden Euro, für die jegliche offizielle Dokumentation fehlt. Fast die Hälfte des Geldes, nämlich 101,33 Milliarden Euro, ging an die Gläubiger des griechischen Staates (siehe Grafik). In Summe kamen demnach 77 Prozent direkt oder indirekt dem Finanzsektor zugute.

Die ermittelten Daten sind nicht etwa das Ergebnis abstruser Kaffeesudleserei, sondern der Analyse von tausenden Seiten Berichten der Europäischen Kommission, des IWF und der EFSF. Das Attac-Team hat sich jene Arbeit angetan, welche die offiziellen Institutionen Europas nicht willens waren zu tun: eine transparente Auflistung der Zahlungsströme und ihrer Verwendung. "Die Darstellung der technischen Abwicklung und des Verwendungszwecks der Hilfsgelder sind höchst intransparent und zudem unvollständig“, kritisiert Lisa Mittendrein, Vorstandsmitglied von Attac Österreich. Böswillig könnte man meinen: Da steckt System dahinter.

Die Attac-Recherchen belegen überdies: Die Hilfszahlungen zirkulieren in einem paradoxen Kreislauf. Seit dem Schuldenschnitt, bei dem die Anleihen privater Gläubiger in niedriger verzinste EFSF-garantierte Papiere umgewandelt wurden, hat Griechenland praktisch nur noch staatliche Gläubiger: Die EZB, die EU-Staaten und den IWF. Europa überweist also regelmäßig Hilfen, die von den Griechen zur Bedienung ihrer Schulden gleich wieder retour geschickt werden. Mittlerweile laufen die Hilfszahlungen sogar über ein Sperrkonto, auf dem auch allfällige Privatisierungserlöse landen, auf das die griechische Regierung gar keinen Zugriff hat. Europa rettet also nur seine eigenen Forderungen.

Doch auch zuvor waren die Euro nicht in Griechenland geblieben: Sie waren postwendend an europäische Großbanken, Hedgefonds und Versicherungen weitergereicht worden.

"Um diesen Teufelskreis in Schwung halten zu können, lässt man die griechische Bevölkerung bluten. Ohne etwas am Grundproblem zu lösen“, kritisiert Mittendrein. Ökonomisch mache das wenig Sinn. Für die EU-Politik hat diese Vorgehensweise jedoch einen massiven Vorteil - lässt sich damit doch die Mär aufrecht halten, Griechenland könne seine Schulden irgendwann doch noch abstottern.

Das Attac-Dokument ist auch eines des Scheiterns. "Es ist ein Skandal, dass die EU-Kommission zwar hunderte Seiten an Berichten veröffentlicht, aber nirgendwo auflistet, wofür das Geld konkret verwendet wurde“, moniert Mittendrein. "Die Verantwortlichen sind aufgefordert, für volle Transparenz zu sorgen und zu belegen, wer von den Zahlungen tatsächlich profitiert.“

Schon erstaunlich: Der Weg jedes einzelnen Eies lässt sich in Europa mittlerweile fast bis zur legenden Henne nachverfolgen. Jener von hunderten Milliarden Euro jedoch nicht. "Welche Gläubiger in welcher Höhe bedient wurden, kann Ihnen die griechische Regierung beantworten“, beschied man beim ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) auf eine profil-Anfrage. In Athen hat man derzeit - wenig überraschend - andere Sorgen. Es kann aber getrost davon ausgegangen werden, dass auch unter politisch ruhigeren Umständen nicht mit einer Replik zu rechnen gewesen wäre.

Keine Frage, die Hauptschuld an ihrem Schuldendesaster tragen die Griechen selbst. Doch das Geld, etwa für die Finanzierung ihres aufgeblähten Staatsapparates, haben sie sich von ausländischen Investoren geliehen. Diese haben kräftig mitverdient am Verschwendungswahn Griechenlands.

Seit Beginn der Rettungsprogramme, nicht nur für Griechenland, sondern auch für Irland, Spanien, Portugal und zuletzt Zypern, sind die handelnden Akteure tunlichst darauf bedacht, die Nutznießer der Hilfsgelder im Dunkeln zu lassen. Bei Nachfragen reagieren sie regelmäßig verschnupft. "Wer die Begünstigten sind, ist irrelevant“, meint etwa Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble. Und EZB-Direktor Jörg Asmussen beruft sich auf das "Geschäftsgeheimnis“.

Das Argument sei nachvollziehbar, räumt der deutsche EU-Mandatar Sven Giegold ein. Völlig unverständlich sei hingegen, warum die Informationen nicht mit einem gewissen zeitlichen Abstand offengelegt werden. "Dass bis heute nicht bekannt ist, wer wie viel erhalten hat, ist ein Skandal. Dieses ‚Geschäftsgeheimnis‘ wird schließlich mit öffentlichen Geldern finanziert“, ärgert sich der grüne Obmann des Wirtschafts- und Finanzausschusses im EU-Parlament. Auch um den Begehrlichkeiten der Finanz-industrie besser Paroli bieten zu können. "Gerade diejenigen, allen voran die Deutsche Bank, die davon profitiert haben, versuchen nun mit einer unglaublichen Dreistigkeit, jegliche Regulierungsversuche wie etwa die Finanztransaktionssteuer zu desavouieren“, sagt Giegold (siehe auch Kasten "Rechenspiele“).

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Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).