Körperbewusstsein

Maria Lassnig bekommt Goldenen Löwen der Biennale

Kunst. Venedigs Biennale ehrt die revolutionäre Maria Lassnig

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Tote Kühe in Formaldehyd, mit Elefantendung verschmierte Madonnenbilder, zugemüllte Betten: Die Young British Artists der 1990er-Jahre versetzten dem internationalen Kunstpublikum einen Schock nach dem anderen. Nach solchen Aufregern konnte man meinen, dass sich das derart gestählte Londoner Bildungsbürgertum nicht mehr so leicht aus der Ruhe bringen ließe.

Doch dann trat Maria Lassnig auf die Bildfläche. 2008 riss ihre Ausstellung in der Serpentine Gallery einerseits die britische Presse zu regelrechten Lobeshymnen hin (eine "Jahrhundertentdeckung“ ortete etwa der "Observer“), andererseits verstörte sie das Publikum der Kunstgalerie in den Kensington Gardens gehörig: Gleich am Eingang attackierte sie auf ihrem Selbstporträt "Du oder ich“ sowohl den Betrachter als auch sich selbst mit einer Pistole - und das nackt. Der Kunstkritiker des "Guardian“, Adrian Searle, kürte die Lassnig-Schau zum "Schock des Jahres“ - ihr Selbstporträt habe die Besucher der Serpentine schlicht "weggefegt“. Kurze Zeit später sorgte das Bild auch in Wien für Aufregung, als es das Museum moderner Kunst (Mumok) anlässlich seiner Lassnig-Schau 2009 in der Stadt plakatierte; hitzige Diskussionen in Internet-Elternforen und empörte Anrufe in der Marketingabteilung des Museums waren die Folge. Aggression, Furcht, Selbstverletzung, die Hinfälligkeit des menschlichen Körpers: All das vereint sich in Lassnigs strenger Komposition.

Den Goldenen Löwen für das Lebenswerk, den ihr in der Vorwoche die Jury der Biennale Venedig zusprach (er wird am 1. Juni verliehen), hat Maria Lassnig absolut verdient. Die Malerin stelle ein "einzigartiges Beispiel für Eigensinn und Unabhängigkeit“ dar, hieß es in der Begründung des Gremiums. Gleichzeitig mit der Kärntnerin erhält die italienische Arte-Povera-Künstlerin Marisa Merz jenen Preis, den in den Jahren davor internationale Schwergewichte wie Richard Serra, Bruce Nauman, Louise Bourgeois, Yoko Ono und Jasper Johns bekamen; 2011 zeichnete die Biennale den im Vorjahr verstorbenen Österreicher Franz West aus.

"Ich habe die Jahre nie gezählt"
Lassnig, die aufgrund eines Krankenhausaufenthalts dieser Tage nicht erreichbar war, soll auf die Nachricht erstaunt reagiert haben. Wie Louise Bourgeois und andere Künstlerinnen entdeckt die internationale Kunst-Community Lassnig erst jetzt, im hohen Alter. Dabei wirken die kürzlich entstandenen Arbeiten der 93-Jährigen derart frisch, dass sie von Altersmilde ebenso wenig angekränkelt zu sein scheinen wie von abgeklärter Weisheit. "Ich habe die Jahre nie gezählt, ich war nie wirklich jung. Und bin jetzt nicht alt“, erklärte sie vor wenigen Jahren. Immer skurriler, immer farbenfroher wurden ihre Gemälde im vergangenen Jahrzehnt - ihr "Hochzeitsbild“ von 2007/08 etwa, ein großformatiges Tableau, auf dem biomorphe Figuren aufeinander treffen, oder ihre "Nasenflucht in die Wasenschlucht“, auf dem drei absurde Wesen in einer idyllischen Wiesenlandschaft einander bestaunen. Lassnigs beständige Beschäftigung mit dem, was sie "Body Awareness“ - Körperbewusstsein - nennt, hinderte sie nicht daran, sich stets neu zu erfinden; so verblüffte sie vor vier Jahren bei ihrer Mumok-Ausstellung mit neuen Bildern, in denen sie ihre Modelle in Zellophan wickelte und, völlig atypisch für ihr Werk, dramatisch ausleuchtete. Diese Malerei bedrängt ihren Betrachter, ihre Betrachterin regelrecht, rückt einem bisweilen unangenehm auf den Leib: Wem bleibt angesichts der siechenden Patienten in dem Gemälde "Krankenhaus“ (2005) kein Knödel im Hals stecken?

Seit wenigen Jahren ist Lassnig nicht nur in Kontinentaleuropa - wo 1994 das Amsterdamer Stedelijk Museum, zwei Jahre später das Centre Pompidou sie mit Einzelausstellungen ehrten -, sondern auch im angloamerikanischen Raum bekannt, seit ihrer erwähnten Personale in London, die später ins Cincinnati Art Center wanderte. Und doch fühlte sie sich stets unterschätzt, beschwerte sie sich etwa noch 2009 gegenüber profil über mangelndes Interesse internationaler Sammler an ihrem Werk. Dabei zog der Marktwert ihrer Kunst jüngst rasant an; bedeutende Lassnig-Gemälde können heute zwischen 100.000 und 200.000 Euro kosten.

Und vielleicht bald mehr: Ihre Ausstellung im New Yorker P.S.1, die im Herbst eröffnet, wird ihren Bekanntheitsgrad wohl weiter steigern. Die MoMA-Filiale versteht sich laut Eigendefinition als "Anwältin für neue Ideen, Diskurse und Trends in der Gegenwartskunst“. Das Werk der Malerfürstin kennt eben kein Alter.

Biennale-Info: labiennale.org

Nina   Schedlmayer

Nina Schedlmayer