Bleischwerer Rettungsring

Euro. Neue Hilfspakete setzen die Währungsunion weiter unter Druck

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Als wäre die Zeit stehen geblieben. Athen, Mittwoch vergangener Woche: Generalstreik, Zehntausende ziehen aus Protest gegen den Sparkurs der Regierung durch die Straßen. Wie schon vor einem Jahr. Wie seit Monaten. Griechenland, die Krise und kein Ende. Das Land sucht zunehmend verzweifelt einen Ausweg aus dem Schuldensumpf - und gerät dabei nur noch tiefer hinein.

Mit unabsehbaren Konsequenzen für die gesamte Eurozone. So war die vergangene Woche geprägt von Gerüchten, Dementis und Kalmierungsversuchen. Ein aufgeflogenes Geheimtreffen in Luxemburg zwischen Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker, EZB-Präsident Jean-Claude Trichet, EU-Währungskommissar Olli Rehn und den Finanzministern großer Eurostaaten (Österreich war nicht geladen) ließ die Nervosität nur weiter ansteigen. Dabei zeigte sich eines deutlich: Krisenmanagement und Kommunikationspolitik der EU sind vornehm ausgedrückt stark verbesserungswürdig. Die Frage eines Austritts Griechenlands aus der Eurozone stelle sich nicht, beteuerten die EU-Granden. Eine Umschuldung "schließen wir in welcher Form auch immer absolut aus“, stellte die französische Finanzministerin Christine Lagarde klar. Auch neue Finanzhilfen für das überschuldete Land wurden tagelang geleugnet und alle Berichte ins Reich der Spekulation verwiesen. Wenig später kam heraus: Die EU berät doch über eine zusätzliche Unterstützung Griechenlands. Nach dem bereits gewährten 110 Milliarden Euro schweren Rettungspaket 2010 wird nun über eine Aufstockung mit einem Volumen von bis zu 60 Milliarden Euro spekuliert.

Während sich die Politik offiziell ein Denkverbot auferlegt hat, sind die Finanzinstitute bereits einige Schritte weiter. Dort werden die möglichen und auch weniger wahrscheinlichen Szenarien durchgespielt. "While this is dirty work, someone has got to do it“ ("Irgendjemand muss die Drecksarbeit ja machen“), meint das Research-Team der niederländischen Bankengruppe ING. Die Ökonomen haben errechnet, dass ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion das griechische Bruttoinlandsprodukt (BIP) um zusätzliche 7,5 Prozent schrumpfen ließe. Die anderen Länder der Eurozone wären mit einem BIP-Minus von bis zu einem Prozent konfrontiert. Noch dramatischer wären laut Bericht die Auswirkungen bei einem völligen Zerfall der Währungsunion: Das BIP Deutschlands würde sich um vier Prozent verkleinern, jenes von Griechenland um neun Prozent.

An der ausweglosen Lage haben die milliardenschweren Rettungspakete bisher nichts geändert. Im Streit um weitere EU-Hilfen verschärft sich indes der Tonfall innerhalb der Eurozone: Vor allem in Deutschland und Finnland spitzt sich die Debatte zu, ob und unter welchen Voraussetzungen das überschuldete Griechenland zusätzliche Hilfe bekommen könnte - im Gegenzug für noch striktere Reformauflagen. Die Griechen verfolgen bereits einen straffen Sparkurs und konnten das Defizit von 15,4 auf 9,6 Prozent drücken. Viel Spielraum haben sie jedoch nicht mehr. Die Exporte lassen sich mangels entsprechender Produkte kaum noch steigern, Löhne, Pensionen und Sozialleistungen wurden bereits massiv gekürzt. Als großes Versäumnis werten jedoch Experten, dass die Steuereinnahmen nicht effektiv erhöht wurden. Freie Berufsgruppen wie Ärzte, Notare oder auch Elektriker zahlen kaum Steuern. Sie verfügen über eine starke Lobby, die sich massiv gegen eine Abschaffung ihrer jahrzehntealten Privilegien wehrt.

Derzeit überprüfen Vertreter von EU, Europäischer Zentralbank und IWF bei ihrer Mission in Athen, ob Griechenland seine Schuldenlast noch meistern und die versprochenen Reformen umsetzen kann. Sie entscheiden darüber, ob dem Land die nächste Tranche des alten Hilfskredits ausgezahlt werden kann. Sollte Griechenland diese zwölf Milliarden Euro nicht erhalten, liefe das auf seine Zahlungsunfähigkeit bereits Ende Juni hinaus.

Doch ein Staatsbankrott in der EU, und das auch noch in der Eurozone, ist für viele noch undenkbar. Politiker und Zentralbanker ignorieren die Fakten. Die meisten Marktteilnehmer und -beobachter sind davon überzeugt, dass es früher oder später zu einer Umstrukturierung der griechischen Schulden kommen muss. "Sie wird definitiv kommen“, sagt Stefan Homburg, Leiter des Instituts für öffentliche Finanzen an der Universität Hannover, "das ist keine Frage des Wollens, sondern eine der Mathematik.“

Rund 330 Milliarden Euro schuldete Griechenland im vergangenen Jahr seinen Gläubigern. Fast 14 Prozent der Staatseinnahmen gingen 2010 für Zinszahlungen drauf. Nach den ursprünglichen Plänen sollte Griechenland schon im nächsten Jahr in der Lage sein, selbst Mittel auf dem Kapitalmarkt aufzunehmen. Das ist völlig illusorisch.

Für die Abwendung der Staatspleite bleibt immer weniger Zeit. Diesen Montag wollen die EU-Finanzminister über die Bedingungen für neue Finanzhilfe beraten und das 78 Milliarden schwere Hilfspaket für Portugal absegnen. Was Griechenland betrifft, lehnen noch alle EU-Politiker einen Schuldenschnitt ("haircut“) ab, da dies auch höhere Zinsen für die anderen Euroländer bedeuten würde und die Europäische Zentralbank griechische Staatsanleihen in der Höhe von 80 Milliarden Euro abschreiben müsste. Außerdem sei auch mit "Gefahren für europäische Banken zu rechnen“, warnte der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank, Ewald Nowotny. "Eine Umschuldung käme für alle Beteiligten teuer.“

Am Montag will Italien offiziell den Ökonomen und Bankchef Mario Draghi als Kandidaten für die Nachfolge von EZB-Präsident Jean-Claude Trichet ins Rennen schicken. Der von gleich mehreren großen EU-Staaten protegierte Italiener hat bisher auch in seinem eigenen Land vor zu hohen Schuldenlasten gewarnt. Die Währungsunion, so predigte Draghi, habe nur dann eine Zukunft, wenn alle Mitgliedsländer wieder zu mehr Wachstum zurückfänden und Reformen durchsetzten.

In Finnland könnte indes ein drohendes Veto gegen neue Hilfspakete abgewendet worden sein. Die rechtspopulistische Partei "Wahre Finnen“ hat sich aus den Koalitionsverhandlungen mit den Konservativen zurückgezogen. Sie wolle nicht Teil einer Regierung sein, die neue Finanzhilfen für Portugal und andere notleidende Eurostaaten beschließt, erklärte ihr Parteichef Timo Soini. Ein Veto der "Wahren Finnen“ hätte den Aufbau des permanenten Euro-Rettungsschirms, der ab 2013 wirksam sein soll, blockiert. Trotz aller Beteuerungen, dass Griechenland nicht von der Staatspleite bedroht ist, sind viele Ökonomen skeptisch. Ein neuerliches Hilfspaket würde die Zahlungsunfähigkeit nur aufschieben, aber nicht verhindern. Der frühere Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, Otmar Issing, hält eine Umschuldung des Landes für unausweichlich: "Daran führt kein Weg vorbei, da kann man rechnen, wie man will.“