Tausend kleine Nadelstiche

Bundesheer. Berufsarmee oder Wehrpflicht? Überzeugt hat beides nicht

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Neuerdings hat die übel beleumundete Figur des Söldners in die politische Debatte Einzug gehalten. Wollen wir wirklich eine „Söldnerarmee“ fragt der Präsident des ÖVP-nahen Milizverbands, Michael Schaffer, und schon sein Mienenspiel verrät, wie verwerflich er das findet.

SPÖ-Verteidigungsminister Norbert Darabos, auch nicht mundfaul, stellt ein „Profi-Heer“ mit Freiwilligen nach schwedischem Vorbild in Aussicht. Schweden ist immer gut. Schweden ist neutral.

Alle im Nationalrat vertretenen Parteien haben in der Frage der Wehrpflicht schon einmal eine Haltung eingenommen, die sie heute erbittert bekämpfen. So wird die Volksbefragung auch eher ein Politikmachen vortäuschen und von Korruptionsskandalen ablenken.

Österreich hat in der Frage seiner Landesverteidigung schon alles kennen gelernt: Eine dünkelhafte k. u. k. Armee, die eine zwangsverpflichtete, jedoch kriegstrunkene Jugend auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs führte. Einen Friedensvertrag, der Österreich in den zwanziger Jahren verbot, die Wehrpflicht wieder einzuführen, und auf einer kleinen Berufsarmee bestand. Ein Berufsheer, das gegen die Sozialdemokratie aufmunitioniert wurde und im Februar 1934 mit seiner Artillerie, ohne zu zögern, auf Gemeindebauten und Arbeiterwohnheime schoss. Dieselbe Armee rührte sich nicht, als vier Jahre später die Nationalsozialisten in Österreich einmarschierten.

Weder Berufs- noch Volksheere garantieren demokratische Verhältnisse. Die deutsche Wehrmacht war wehrpflichtig. Auch die Militärputsche in den sechziger und siebziger Jahren in Griechenland und Chile wurden von Volksarmeen inszeniert. Die Geschichte lehrt, dass die Wehrpflicht Machthaber sogar dazu verführen kann, in einen Krieg zu stolpern. Die nationalistische Aufheizung lässt sich nicht so leicht wieder eindämmen. Das österreichische Bundesheer hatte von Beginn an fiktionalen Charakter – gemessen an seinen Ansprüchen und seinem Selbstbild.

Es war nie in der Lage, Österreich zu verteidigen, es war nie ganz neutral und in seiner Traditionspflege nie ganz republikanisch. Österreich bekam in den fünfziger Jahren US-Militärhilfe im Wert von 20 Millionen Dollar. Die Lieferungen wurden am amerikanischen Kongress vorbeigeschwindelt, denn Österreich war ja neutral. Mit Geldern des US-Geheimdiensts CIA wurde die Königswarte errichtet, eine Abhörstation, die den Funkverkehr bis tief in die Sowjetunion hinein aufzeichnete. Die Bänder besaßen für Österreich wenig Wert. Sie wurden am US-Stützpunkt Wiesbaden ausgewertet. Im Luftraum bekamen die USA ein Kontingent von „unbewaffneten“ Überflügen durch Militärmaschinen zugestanden. Um die Sowjets nicht allzu sehr vor den Kopf zu stoßen, wurden die militärischen unter kommerzielle Transporte gemischt.

Das Lavieren zwischen Gegensätzlichem war systembegründend. Ununterbrochen wurden in den vergangenen Jahrzehnten Heeresteile neu gegliedert, reformiert, neue Verteidigungsstrategien und Initiativen zu Bundesheer light und Bundesheer neu ausgerufen. Die einzige politische Debatte über das Bundesheer fand in der Ära Kreisky statt.

Kreisky hing der Vorstellung an, dass für die Verteidigung eines Landes eine kluge Außenpolitik, eine realistische Strategie sowie der „aktive Widerstand der Arbeiterschaft oder ihr Streik (…) oft bedeutungsvoller sind, als es militärische Aktivitäten sein können“.

Unter seiner Kanzlerschaft wurde die Spannocchi-Doktrin geboren, die „Taktik der tausend Nadelstiche, von denen einige doch lebenswichtige Blutgefäße treffen. Es ist die Taktik des Bremseffekts. Weil hinter jedem eroberten Wald, am nächsten Pass die nächste Gefahr droht“, so stellte sich General Emil Spannocchi die Verteidigung Österreichs vor. Ortskundige Milizkräfte sollten in ihren Heimatregionen eingesetzt werden, wo sie das Gelände und jeden Schleichweg kennen. Dafür hätte es jedoch mindestens 300.000 Mann gebraucht. Diese Anzahl hat das Bundesheer nie auf die Beine gebracht.

Potenzielle Gegner wussten natürlich über den wahren Zustand Bescheid. Den Sowjets war völlig klar, dass bei einem allfälligen Durchmarsch kaum mit jenem „hohen Eintrittspreis“ zu rechnen sei, den der Landesverteidigungsplan androhte.

Woher stammt dann die relative Zuneigung der Österreicher zu ihrem Heer? Es ist der Einsatz im Katastrophenfall. In den vergangenen Jahrzehnten war das Bundesheer bei jedem größeren Unwetter, bei Hochwasser- und Sturmkatastrophen und Lawinenunglücken zur Stelle.

Schon Ende der sechziger Jahre mussten Soldaten zur Befreiung aus einem Stau auf der Gastarbeiterroute ausrücken. Starke Schneefälle im Dezember hatten rund um Wien zu einem Verkehrschaos geführt und Hunderte Wägen eingeschlossen. Beim Einsturz der Wiener Reichsbrücke 1976 halfen Soldaten, die ersten Trümmer wegzuräumen. Bei der Maul- und Klauenseuche 1981 mussten sie Seuchenteppiche überwachen. Bei der AKW-Katastrophe in Tschernobyl 1986 kam die ABC-Abwehrtruppe des Bundesheers zum Einsatz. Beim Eisenbahnunglück 1993 holten Soldaten die Menschen aus den ineinander verkeilten Waggons. Soldaten lotsten die jugendliche Menge beim Papstbesuch 1998 durch die Absperrungen. Sie bauten die Tribünen bei Veranstaltungen der österreichischen EU-Präsidentschaft. Sie wurden für die Umstellung der Computersysteme um die Jahreswende 1999/2000 gebraucht.

In ihrem angestammten Bereich, der Grenzsicherung und der „Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit“ im Inneren, war das Bundesheer dagegen seit jeher politischen Streitereien ausgesetzt. Es gab Pannen und Peinlichkeiten.

Als Ende der sechziger Jahre so genannte Südtirol-Bumser in Italien terroristische Aktivitäten entfalteten, sollte das Bundesheer den illegalen Grenzübertritt erschweren. Zu mehr als ein paar zusätzlichen Patrouillen konnte sich die Politik nicht entschließen.

Einmalig war der Fall „Fussach“.
Im Jahr 1964 hatte die Vorarlberger Sicherheitsdirektion die Hilfe des Bundesheers angefordert. Ein neues Bodenseeschiff der ÖBB sollte auf den Namen „Karl Renner“, des ersten SPÖ-Staatskanzlers, getauft werden. Doch die Vorarlberger waren dagegen. Die Landesregierung hatte beschlossen, das Schiff müsse „Vorarlberg“ heißen. 20.000 aufgebrachte Demonstranten hatten sich am Tag der Schiffstaufe bei der Anlegestelle am Bodensee versammelt. Doch das Bundesheer kam nicht. Es zeigten sich bloß ein paar ratlose Grundwehrdiener. Sie waren von Michael Klaus, Sohn des damaligen ÖVP-Kanzlers, der zufällig in Vorarlberg stationiert war, hingeschickt worden und wurden schleunigst wieder in ihre Kaserne zurückgerufen.

Ein unrühmliches Zwischenspiel war das Verhalten des Bundesheers in der CSSR-Krise 1968. Den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen im Nachbarland hatte man in Wien schockstarr registriert, das Bundesheer kaum in Bereitschaft versetzt. Die Sowjets waren früher an der österreichischen Nordgrenze als die österreichischen Soldaten. Und dann wurde auch noch verfügt, sie sollten einen Respektabstand von 30 Kilometern einhalten.

Auch in der Jugoslawienkrise 1991 sah man Präsenzdiener, die mit Angstaugen ausrückten. Zu Recht, wie Karl Schmidseder, Stabschef im Kabinett Darabos, der damals an der Grenze zu Slowenien eingesetzt war, meint. Er sagte, er möchte nicht noch einmal mit Grundwehrdienern eine solche Krise bewältigen müssen.

Die Selbsttäuschung des Bundesheers überlebte jedenfalls den Fall des Eisernen Vorhangs, die NATO-Debatte und die europäische Solidarität. Im jüngsten Soldatenbuch wird die Wehrpflicht als „Garant für Sicherheit und Stabilität Österreichs“ gepriesen.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling