Krieg der Sterne

Wehrpflicht: Jetzt streiten auch die Generäle

Bundesheer. Der Streit um die Wehrpflicht spaltet auch das Offizierskorps

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Rund 180 goldene Sterne schmücken Schulterklappen und Kragenspiegel der Generalität des österreichischen Bundesheers. Vier Sterne trägt nur ein Offizier im Heer, der Generalstabschef. Dazu kommen sieben 3-Sterne-General­leutnante, 12 Generalmajore (zwei Sterne) und etwa 130 Brigadiere mit einem goldenen „Keks“. Laut ungeschriebenem Gesetz sind Österreichs Generäle – von ein- bis viersternig – prinzipiell miteinander per Du. Doch seit einiger Zeit wird die Kameradschaft im höherrangigen Offizierskorps auf eine harte Probe gestellt. Auslöser der Zwistigkeiten ist das absolute Gegenteil eines Generals: ein Zivildiener. Seit Verteidigungsminister Norbert Darabos vor zwei Jahren auf Befehl von Wiens Bürgermeister Michael Häupl, SPÖ-Chef Werner Faymann und der „Kronen Zeitung“ vom Feind zum Fan eines Berufsheers mutierte, finden sich auch die Generäle mit der wehrpolitischen Gretchenfrage konfrontiert: „Wie hältst du’s mit der Wehrpflicht?“

So wie jeder Staatsbürger können auch Österreichs Berufsoffiziere bei der Volksbefragung am 20. Jänner 2013 geheim über das zukünftige Bundesheersystem abstimmen. Als Militärs sind sie per Eid zu Gehorsam verpflichtet, obwohl das Prinzip der Meinungsfreiheit auch für sie gilt. Doch während eine Gruppe ihr Gelöbnis auch als Loyalität zum Minister versteht, sehen sich andere nur der geltenden Bundesverfassung verpflichtet – vor allem Artikel 9a, 3. Absatz: „Jeder männliche österreichische Staatsbürger ist wehrpflichtig.“

Der Riss geht quer durch die Generalität.
Öffentlich sichtbar wurde der Krieg der Sterne im ORF-Talk „Im Zentrum“ Sonntag vorvergangener Woche. Studiogast Generalmajor Karl Schmidseder, Stabschef im Kabinett des Verteidigungsministers, schlug im olivgrünen Feldanzug mit aufgekrempelten Ärmeln eine argumentative Bresche pro Berufsheer. Generalstabschef Edmund Entacher verteidigte via aufgezeichneter Einspielung das bestehende Milizsystem mit allgemeiner Wehrpflicht. Und er wird es auch bis zur Volksbefragung tun.

Denn der von Darabos für diesen Herbst erhoffte freiwillige Abgang des unbeugsamen Generals und Parteikollegen, der die im Jänner 2011 nach kritischen Aussagen in einem profil-Interview erfolgte Absetzung durch den Ressortchef später erfolgreich gerichtlich bekämpft hat, wird nicht stattfinden. In einem profil-Interview gibt Entacher bekannt, dass er vorerst nicht in Pension gehen, sondern zumindest bis zum 20. Jänner „auf dem Gefechtsstand“ bleiben wird.

Fest steht:
Die ranghöchsten Generäle im Verteidigungsministerium befürworten im Gegensatz zu ihrem zivilen Ressortchef die Beibehaltung der Wehrpflicht, auch wenn sich die meisten offiziell nicht mehr deklarieren wollen. Als prominenteste Verteidiger des Status quo gelten in der ministeriellen Freund-Feind-Kennung neben Entacher der Leiter der Sektion Einsatz, Generalleutnant Christian Segur-Cabanac, der Chef der Bereitstellungs-Sektion, Freyo Apfalter, und der Leiter der Direktion für Sicherheitspolitik, Generalmajor Johann Pucher. Außerhalb des Ministeriums zählt vor allem Generalleutnant Günter Höfler, als Kommandant der Streitkräfte funktionshöchster Offizier der Truppe, zum Lager der Wehrpflichtan­hänger.

Der Einsatzchef des Bundesheers, Segur-Cabanac, will sich gegenüber profil wegen der „politisch aufgeheizten“ Lage nicht als Anhänger einer der beiden Optionen outen. „Aber ich finde es sehr ernüchternd und frustrierend, dass man jetzt die Existenzberechtigung des Bundesheers nur mehr aus subsidiären Leistungen wie Katastrophenhilfe oder polizeilichen Assistenzeinsätzen ableitet“, klagt der General. Schließlich sei die militärische Landesverteidigung noch immer die wichtigste Aufgabe.

Aber auch Segur-Cabanac sieht unabhängig vom Ausgang des Referendums erheblichen Reformbedarf. „Es wäre unangemessen zu glauben, dass die Wehrpflicht so weiter ausgeübt werden kann, wie sie seit 2006 gehandhabt wird“ (Segur-Cabanac).

Als „glühender Befürworter eines Berufsheers“ wagt sich der Kommandant der 7. Jägerbrigade in Klagenfurt, der parteilose Brigadier Thomas Starlinger aus der Deckung. Das Jägerbataillon 25 der Brigade soll im Rahmen von Darabos’ Pilotprojekten schon ab Mitte 2014 als reiner Berufssoldatenverband – ohne Grundwehrdiener als Systemerhalter – geführt werden.

Starlinger, der mehrere Auslands­einsätze erfolgreich geleitet hat, beschrieb schon vor zwölf Jahren in einer Diplomarbeit an der Uni Wien die Vorteile einer Freiwilligenarmee. Auch heute seien für die immer komplexeren Militäreinsätze nur mehr Spezialisten geeignet, im Ausland, aber auch im Inland. „Wir müssen uns endlich vom pragmatisierten Schützenloch verabschieden. Bei neuen Kriegen kann der Feind mitten in der Zivilbevölkerung zuschlagen“, so der Brigadier. Daher seien auch beim Schutz sensibler Objekte wie Umspannwerke oder Wasserleitungen vor Terroranschlägen Grundwehrdiener fehl am Platz. „Da muss ein Wachtposten in einem Checkpoint blitzschnell entscheiden, ob in einem heranrasenden Auto ein Attentäter sitzt oder eine nervöse Frau, die bloß ihr Kind ins Spital bringen will“ (Starlinger).

Auch beim Katastrophenschutz sei der Einsatz von Grundwehrdienern ökonomisch fragwürdig, so Starlinger. Umgerechnet auf 11.000 Manntage pro Jahr bei Hilfseinsätzen entfalle auf jeden Rekruten nur ein einziger Tag. „Und deswegen soll ein Grundwehrdiener sechs Monate bei uns bleiben?“, so Starlinger.

Im Ministerium selbst finden sich Profiarmee-Befürworter außerhalb des Kabinetts von Darabos vor allem im zweiten Glied. So verfasste die Gruppe Grundsatzplanung auf Anordnung von Darabos nach seinem Schwenk zum Berufsheer ein Bewertungsmodell, das die verschiedenen Wehrsysteme verglich. Fazit der Grundsatzplaner: Unter allen Modellen schnitt das von Darabos bevorzugte System – Profiheer mit Profimiliz – am besten ab. Insider berichten von massiven Interventionen des Ministerbüros. Die Kosten für das Berufsheermodell mussten mehrfach so angepasst werden, dass es nicht teurer als die Wehrpflichtarmee kam.

Folgt man parteipolitischer ­Logik müssten die Berufsheergegner im Verteidigungsministerium in der Mehrheit sein. Bei den letzten Personalvertretungswahlen 2009 kamen die Christgewerkschafter des ÖVP-Angestelltenbunds (ÖAAB) auf 52 Prozent. Die Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter erreichte 27 Prozent, die freiheitlichen Personalvertreter (AUF) 19 Prozent. Ein Insider schätzt die Lage dem Wahlergebnis entsprechend ein. Demnach wäre sowohl in der Generalität als auch im gesamten Berufsoffizierskorps eine klare Mehrheit für die Beibehaltung der Wehrpflicht.

Öffentliches Bekenntnis pro oder kontra Berufsheer will freilich derzeit kaum ein General abgeben. Da das Ergebnis der Volksbefragung im Jänner noch nicht absehbar ist, wäre eine Festlegung ein Karrierehindernis. Im kommenden Jahr laufen etliche Verträge von Sektions- und Gruppenleitern des Verteidigungsministeriums aus. Auch die Posten des General­stabschefs und des Streitkräftekommandanten müssen neu besetzt werden. Dass Norbert Darabos ­deklarierte Berufsheergegner in Höchstämter befördert, ist auszuschließen.

Auch unter den Militärkommandanten in den Bundesländern will sich kaum jemand zum Thema der Volksbefragung äußern. Was an einem Maulkorbbefehl des Ministeriums in Wien lag: Laut profil-Informationen ordnete das Darabos-Büro zunächst an, Anfragen von Medien zu ignorieren. Schließlich wurde es den regionalen Kommandanten doch freigestellt, sich in der wohl wichtigsten Grundsatzfrage zu erklären. Offen für die Wehrpflicht sprachen sich bei einem Rundruf der Austria Presse Agentur Niederösterreichs Militärkommandant Rudolf Striedinger, sein oberösterreichischer Kamerad Kurt Raffetseder und der Tiroler Militärkommandant Herbert Bauer aus. Pro Profiarmee deklarierte sich kein einziger Militärkommandant.

Unter Berufssoldaten herrscht derzeit Bunkerstimmung. Viele fühlen sich von der Politik getäuscht. „Wir haben schon in den letzten 20 Jahren nie die politischen Rahmenbedingungen für effiziente Reformen erhalten“, erklärt ein Generalstäbler. „Warum soll es jetzt beim Umstieg auf ein Berufsheer anders sein?“

Der Präsident der Österreichischen Offiziersgesellschaft, Milizhauptmann Eduard Paulus, sieht in der fehlenden Umsetzung von Reformen durch die Politik den Grund für den wachsenden Frust in der Armee.

Von den 2006 vorgelegten Vorschlägen der Bundesheer-Reformkommission unter Leitung des früheren Wiener Bürgermeisters Helmut Zilk wurde so gut wie nichts umgesetzt: weder Reformen im Dienstrecht, wie eine Verpflichtung zur Teilnahme an Auslandseinsätzen für Berufssoldaten, noch Änderungen bei der Ausbildung und Verwendung von Grundwehrdienern. Paulus: „Dieses Heer hat Tausende Profis, unprofessionell ist lediglich die politische Führung dieses Heers, die seit Jahren keine Reform auf den Weg bringt.“

Die Vereinigung von 6000 Offizieren – Berufssoldaten und Reservisten – hat sich 2011 einstimmig für die Wehrpflicht mit tiefgreifender Reform, samt Wiedereinführung der Truppenübungen, ausgesprochen.
Ein kaum lösbares Problem stellt die Überalterung der Kaderkräfte im Heer dar. Viele der derzeit rund 12.000 Berufssoldaten hätten in einer auf Auslandseinsätze und Katastrophenschutz spezialisierten Profiarmee noch weniger Aufgaben als jetzt. Somit müssten diese „Überstände“ bis zur Pension mitgeschleppt werden. Das bindet Personalkosten. Für die Anwerbung von 9000 jüngeren Soldaten, die sich für mehrere Jahre Dienst in der Truppe als Ersatz für Grundwehrdiener verpflichten sollen, fehlen somit ausreichende Budgetmittel.

Der Chef des Milizverbands, ­Michael Schaffer, kritisiert, dass es in den vergangenen 20 Jahren im Heer keine strategische Personalplanung gegeben habe. „Gekürzt wurde immer nur bei der Miliz und bei den Grundwehrdienern, nicht beim immer älter werdenden Beamtenheer. Diese Offiziere fern von der Truppe haben das Bundesheer an die Wand gefahren“, so Schaffer. Die Volksbefragung am 20. Jänner werde in jedem Fall zu überfälligen Reformschritten führen, so Schaffer. „Das Schlimmste für das Bundesheer wäre eine Fortsetzung der bisherigen Politik des Nichtentscheidens.“

Dass Darabos bei wichtigen ­Entscheidungen gerne die „Kronen Zeitung“ zurate zieht, zeigte sich jüngst wieder am 7. September. An diesem Freitag besprach Darabos zunächst in seinem Büro mit Innenministerin Johanna Mikl-Leitner den Text für die Volksbefragung. Einige Stunden später, um 16 Uhr, empfing er den Herausgeber der „Krone“, Christoph Dichand, zu einem Gespräch über aktuelle Heeresthemen, wie profil herausfand. „Das war ein länger vereinbarter Termin und steht mit dem vorherigen Treffen mit Mikl-Leitner in keinerlei Zusammenhang“, erklärt Darabos-Sprecher Stefan Hirsch.