Die Zukunft des Fernsehens

Das Ende der Flimmerkiste - Vor fünfzig Jahren begann in Österreich das TV-Zeitalter

Vor 50 Jahren begann bei unsdas TV-Zeitalter

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Das sollte sich ändern. Der anfangs noch belächelte „Flimmerkasten“ avancierte rasch zum Leitmedium, das den Tagesablauf von Milliarden von Menschen rund um den Globus nachhaltig beeinflusste. Die These des Hollywood-Produzenten und Gründers des Filmstudios 20th Century Fox, Darryl F. Zanuck, der dem Fernsehen im Jahr 1946 allerhöchstens sechs Monate Lebenszeit zugestand, „weil die Menschen es bald satt haben werden, jeden Abend auf eine Sperrholzkiste zu starren“, erwies sich als krasse Fehleinschätzung. Schon fünf Jahre später starrten zehn Millionen Amerikaner jeden Abend andächtig auf ihre Sperrholzkisten.

Kollektives Gedächtnis. Das Fernsehen hat im vergangenen halben Jahrhundert in mehrerlei Hinsicht Geschichte gemacht: Die Mondlandung, der Vietnamkrieg, die Hochzeit von Charles und Diana, unzählige Sportereignisse und, nicht zuletzt, die 9/11-Katastrophe konnten nur durch die televisionäre Aufbereitung ins kollektive Gedächtnis eingehen. Die bewusstseinsformende Übermacht der TV-Kultur rief auch zahlreiche Kritiker auf den Plan: Von Neil Postman bis zu Hans Magnus Enzensberger, vom Moralapostel bis zur besorgten Pädagogin reicht das Spektrum derer, die im Fernsehen ein Menetekel für galoppierende Verdummung, wachsende Gewaltbereitschaft oder die Verwahrlosung der Sitten sehen.

Eines jedoch war das Fernsehen nie: ein Medium der Veränderung. Trotz zahlreicher, durchaus praktischer Erfindungen (der Fernbedienung etwa, des Farbfernsehens, des Vollprogramms oder der Satellitenübertragung) blieb es, rein technisch gesehen, im Grunde immer dasselbe. Doch das ist Vergangenheit: Das Fernsehen steht vor entscheidenden Veränderungen, die Technologie, Programm und Sehgewohnheiten auf radikale Weise umwälzen werden. Kurz: Das Fernsehen steht vor seiner ersten echten Revolution. Darryl F. Zanuck dürfte, rückblickend betrachtet, doch richtig gelegen haben.

1.
Alles für jeden - Wie die Digitalisierung des Fernsehens die Senderlandschaft umkrempeln wird.

Sogar in Österreich hat die Fernsehzukunft schon begonnen: Seit August 2000 sind die Programme des ORF via Satellit digital zu empfangen, seit Herbst 2003 laufen erste Versuche, digitale Signale auch über herkömmliche terrestrische Sender in die Wohnzimmer zu schicken. Die „Digitale Plattform Austria“ des Bundeskanzleramts gab in ihrem Digitalisierungsbericht 2003 die Ziele vor: Bis zum Jahr 2012 soll die Umstellung vom analogen auf das digitale Programm abgeschlossen sein. Ob dieser Termin zu halten sein wird, ist jedoch fraglich. Digitales Fernsehen ist international nach wie vor ein Minderheitenprogramm. Nur rund 22 Prozent der europäischen Haushalte, so schätzt das Marktforschungsunternehmen Forrester Research, haben derzeit Zugang zum Digital-TV, in den Vereinigten Staaten sind es bereits 46, in Österreich hingegen noch deutlich unter 15 Prozent. Das Marktforschungsinstitut Informa rechnet frühestens für 2014 mit einer vollständigen Umstellung in den digitalen Vorreiterstaaten. Andere Länder werden deutlich länger brauchen.

Aber was bedeutet digitales Fernsehen eigentlich? Auf den ersten Blick vor allem bessere Bild- und Tonqualität. Außerdem – viel wichtiger – erhält die viel beschworene Interaktivität, die sich bis dato weit gehend auf Telefonabstimmungen bei Casting-Shows beschränkte, mit der Digitalisierung ein technologisches Fundament. Die ehemalige Einbahnstraße vom Sender zum Empfänger wird damit für den Gegenverkehr geöffnet. In Österreich heißt dies bisher freilich nur, frei entscheiden zu können, welche der neun „Bundesland heute“-Sendungen man sich anschauen will.

Auch für die Sender selbst birgt die digitale Technik ungeahnte Möglichkeiten. Während analoge Signale gewaltige Frequenzbandbreiten belegen, kommen digitale TV-Kanäle mit einem Bruchteil davon aus, was potenziell Platz für unzählige neue Kanäle schafft, die ohne weiteren technischen Aufwand von jedem TV-Teilnehmer zu empfangen wären. Der umfassenden Individualisierung des TV-Programms sind damit keine Grenzen mehr gesetzt.
ORF-Programmdirektor Reinhard Scolik sieht diese Entwicklung naturgemäß mit Sorge. In einem Interview musste der Fernsehmanager vor wenigen Tagen einräumen, dass es „die Sendertreue wie früher“ leider nicht mehr gebe. Die Digitalisierung wird der guten alten „Sendertreue“ endgültig den Garaus machen, denn mit den elektronischen Programm-„Zeitschriften“, die über das digitale Netz direkt auf dem heimischen Bildschirm landen, werden dem Zuseher ganz neue Möglichkeiten der Programmauswahl geboten. Wer jetzt bereits vor der Unübersichtlichkeit von 50 TV-Sendern zurückschreckt und im Zweifel dann doch lieber bei den vier, fünf immer gleichen hängen bleibt, dem ermöglichen die ausgefeilten Such- und Orien-
tierungsmöglichkeiten der „Electronic Program Guides“ ein unkompliziertes Navigieren auch durch hunderte von Kanälen.

2.
Immer und überall - Wie neue Technologien das alte Fernsehprogramm durcheinander wirbeln.

Eigentlich ist das Prinzip schon seit 1975 bekannt, als mit Sonys Betamax der erste Videorekorder für den Heimgebrauch vorgestellt wurde. Dem Zuseher stand es damit frei, sich entweder dem Programmschema der Sender zu beugen und beispielsweise die „Waltons“ um exakt 14.15 Uhr zu genießen, oder aber die Sendung aufzuzeichnen und John Boy und Familie auf einen späteren Zeitpunkt zu vertrösten.

Diese durchaus einschneidende Entwicklung blieb jedoch praktisch ohne Folgen: Das System war zu kompliziert, zu unhandlich, um die Sehgewohnheiten der großen Zuschauermasse nachhaltig zu beeinflussen. Doch jetzt sorgt neue Technik für neue Möglichkeiten: Digitale Videorekorder (DVRs), wie sie in den USA schon zur Standardausstattung zeitgemäßer TV-Wohnzimmer gehören, reduzieren die Frage, wann ein Sender was ausstrahlt, endgültig zur Marginalie. Mit DVRs bekommt der bisher so mühselige Prozess der persönlichen Fernsehaufzeichnung eine neue Qualität: Aufgenommen wird auf eine Festplatte (womit die ewige Suche nach unbespielten Videokassetten entfällt), programmiert über simple Benutzeroberflächen. Diese wiederum eröffnen ungeahnte Möglichkeiten: Plötzlich ist es kein Problem mehr, ganze Serienstaffeln im Voraus zu programmieren – mittels Datenbanksuche kümmert sich der DVR selbstständig um Details wie exakte Beginnzeiten und allfällige Sendeplatzverschiebungen. Außerdem analysieren die Geräte das Sehverhalten ihrer Benützer und geben von sich aus Hinweise auf möglicherweise interessante Programme. Schon bald soll es auch möglich sein, Sendungen „aufzuzeichnen“, die längst ausgestrahlt wurden – der Videorekorder greift in diesem Fall, analog zum Musikdownload aus dem Internet, direkt auf die beim Sender gespeicherten Daten zurück.
Ein weiteres stichhaltiges Argument für die neuen Gerätschaften ist die Möglichkeit, noch während der Aufzeichnung vor- und zurückzuspulen und lästige Werbeblöcke somit zu überspringen. Noch beschränkt sich der DVR-Trend weit gehend auf die Vereinigten Staaten: Von weltweit 16 Millionen DVR-Geräten stehen knapp 13 Millionen in US-Wohnzimmern. Nach einer Prognose der Informa Media Group wird die Zahl der DVRs jedoch auch in Europa von derzeit zwei Millionen auf über 30 Millionen im Jahr 2010 ansteigen. „Im Jahr 2005 wird der Durchbruch erfolgen“, heißt es im Bericht der Marktforscher.
Doch nicht nur die Zeit, auch der Ort des Fernsehens wird in der digitalen TV-Welt zur flexiblen Größe. Die schleichende Anverwandlung von TV-Apparat und Computer macht das einstige Wohnzimmer- zum mobilen Vergnügen. Digitaler TV-Empfang auf Handys und Laptops ist längst keine Zukunftsmusik mehr. Und woran Handy-Gesellschaften hierzulande noch mit recht bescheidenem Erfolg arbeiten, ist etwa in Südkorea bereits Alltag: Rund 600.000 Menschen sehen im Tigerstaat schon via Handy fern.

Die Programmentwickler passen sich dem Trend an und produzieren Shows mit kürzeren Laufzeiten und handydisplay-freundlichen Großaufnahmen. Auch der US-Sender Fox hat entsprechend reagiert – mit flotten, einminütigen „Mobisoden“ seiner Erfolgsserie „24“. Pendler-Entertainment sozusagen für die Durststrecke zwischen zwei U-Bahn-Stationen. Bis zum Ende der Dekade werden, so eine Schätzung der Informa Media Group, bis zu 125 Millionen Menschen über mobiles TV verfügen. Nicht umsonst wirbt Microsoft mit immensem Aufwand für seine – gemeinsam mit dem DVR-Marktführer TiVo entwickelte – Software fürs Unterwegs-TV. Die entsprechenden Abspielgeräte – Microsofts Portable Media Centers – gibt’s natürlich auch dazu.

3.
Alles Werbung - Wie die Werbeindustrie auf das Ende des traditionellen TV-Spots reagiert.

Die Zeiten, in denen man mit dem TV-Konsum wohl oder übel auch endlose Werbespot-Stakkatos in Kauf nehmen musste, neigen sich ihrem Ende zu. Über die Streuverluste durch smarte User, die sich dieser meist lästigen Begleiterscheinung per Fernbedienung verweigerten, sah die Werbewirtschaft bislang großzügig hinweg. Doch angesichts des Siegeszugs digitaler Videorekorder mit ihren effizienten Werbevermeidungs-Features (die Studien zufolge rund 70 Prozent der DVR-Besitzer fleißig nutzen) stellen immer mehr Unternehmen ihre Investitionen in das Werbemedium TV infrage. Nach einer Einschätzung der britischen Media-Agentur ZenithOptimedia wird der Anteil der TV-Spots am globalen Werbeaufkommen heuer seinen Höhepunkt überschreiten – und in der Folge stetig sinken. Der traditionelle 30-Sekunden-Spot hat ausgedient.

Die Sender, besorgt um ihre wichtigste Einnahmequelle, sind nur allzu gern bereit, ihren Anzeigenkunden neue, weniger offensichtliche Werbeformen anzubieten. Der aktuelle Skandal um Schleichwerbung im deutschen öffentlich-rechtlichen Sender ARD wirkt vor diesem Hintergrund geradezu drollig: Effektives Product Placement wird im Fernsehen der Zukunft zum wesentlichen Standbein der Sender werden.
Die Strategie kleiner US-Kanäle, ihr Programm für „Spendenaufrufe“ zu unterbrechen und erst dann fortzusetzen, wenn die Zuseher genügend Geld überwiesen haben, dürfte sich dagegen wohl kaum durchsetzen. Dafür gehört im individuellen, interaktiven Fernsehen von morgen die Zukunft dem individuellen, interaktiven Werbespot: Schon heute sind die Anbieter digitaler Videorekorder in der Lage, das Fernsehverhalten ihrer Kunden bis ins Detail zu ermitteln – und entsprechende Zielgruppenprofile zu erstellen. Auch das gezielte Einspeisen von Werbung in ausgewählte Haushalte ist längst kein Problem mehr. Dank der – einstweilen freilich noch theoretischen – Möglichkeit, per Fernbedienung die Reisebuchung zu bestätigen oder die erste Leasingrate für das Auto zu überweisen, wird die Werbeindustrie auch im Fernsehen der Zukunft auf ihre Kosten kommen.

4.
Alle Macht dem Publikum - Das Ende der herkömmlichen TV-Sender.

Live-Sendungen sind altmodisch. Programmzeitschriften ebenso. Schon sehr bald wird sich niemand mehr genau dann vor den Fernseher setzen, wenn es den Programmchefs passt – WM-Finalspiele oder Wahlabende vielleicht ausgenommen. Geglotzt wird, wann immer man will – und zwar genau das, was man will.

Mit der zunehmenden Verschmelzung von Fernsehen und weltweitem Datennetz wird das Lebensgefühl der „Generation iPod“ auch auf das televisionäre Freizeitvergnügen übertragen: Ungebundenheit und grenzenlose Wahlmöglichkeit. Bestand die Freiheit des verkabelten oder Satelliten-gestützten TV-Konsumenten bisher weit gehend darin, zwischen 30 bis 50 Kanälen hin und her zu zappen, wird er schon bald jederzeit sehen können, was er gerade will – und sei es die Übertragung eines Bundesligaspiels von vor vier Jahren. Mit Internet Protocol Television (IPTV), der Übertragung von Fernsehsignalen via Internet, und den entsprechenden Suchmaschinen wird es möglich sein, ganz einfach nach Fernsehsendungen zu „googeln“ – nach aktuellen, aber auch nach längst gesendeten. Das Konzept eines herkömmlichen TV-Senders mit demografisch strukturiertem Vollprogramm wird damit freilich obsolet. Der Kunde ist König – und bald wohl auch selbst Produzent. Was heute noch das Privatvergnügen einer Hand voll Technikfreaks, könnte bald zum Massensport werden: Video-Blogging, die audiovisuelle Form des Weblogs. Jeder gestaltet sein TV-Programm selbst.

Von Sebastian Hofer