Patient Mann: Das schlappe Geschlecht

Das schlappe Geschlecht: Alkoholismus, Beziehungsprobleme, Impotenz & Burn-out

Die Wirtschaftskrise wird zur Zerreißprobe

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Er weiß, dass er nicht alle Frauen auf diesem Planeten flachlegen kann, aber er möchte es zumindest versuchen. Seine Sexsucht ist aber auch das einzige Spurenelement von Machismo, das Hank Moody geblieben ist. Ansonsten personifiziert der „Californication“-Protagonist eine einzige Bankrotterklärung seines Geschlechts. Als Hollywood-Drehbuchautor versagt er, weil er – bedingt durch einen Dauer-Hang-over – an einer Schreibblockade laboriert. Seine bezaubernde Ehefrau hat sich längst einem austherapierten Buchhaltertyp an den Hals geworfen, der im Einklang mit seinen Gefühlen steht. Wenn Moody morgens die Knautschzone, die sein Gesicht ist, im Spiegel betrachtet, möchte er am liebsten kotzen. Wenn einer seiner One-Night-Stands auf der Fußmatte mit dem Satz „Wir müssen reden“ steht, nuschelt er so was wie: „Du hättest mich anrufen sollen. Ich hätte zwar nicht abgehoben, aber du hättest eine Message auf meiner Mailbox hinterlassen können. Eine Message, die ich übrigens gleich gelöscht hätte.“

Der Schauspieler David Duchovny spielt seinen Serien-Antihelden mit nahezu schmerzhafter Authentizität. Der ansonsten „gossip“-resistenten „New York Times“ war es jüngst sogar eine Erwähnung wert, dass der 48-jährige Vater zweier Kinder in Scheidung von seiner Frau Tea Leoni lebt und sich in eine Klinik einwiesen ließ, um seine Sexsucht unter Kontrolle zu bringen. „Diese Rolle ist ein Traum“, erklärt David Duchovny, „ich kann so endlich die Sau rauslassen.“ Die Populärkultur hat sich immer als verlässlicher Seismograf für gesellschaft-liche Befindlichkeiten erwiesen. Die immer häufiger im Fernsehen und Kino vorgeführten Männer sind rat- und orien-tierungslos. Sie haben es satt, ständig funktionieren zu müssen, und mit der jahrzehntelangen Klischeepolarisierung zwischen Softie und Macho wollen sie sich nicht mehr arrangieren. Denn irgendwo zwischen dem Image vom Mann als Sklave seines eigenen Testosteron-Haushalts, der in seinem Karrierestreben in einem Korsett aus Leistung, Macht und Härte gefangen ist, und der jogginghosentragenden Frauenversteher-Karikatur, die die Claire-Bretécher- und „Emma“-Cartoons dominiert, liegt die Wirklichkeit.

Und die Wirklichkeit mit ihrem immer schärferen Anforderungsprofil macht das männliche Geschlecht zunehmend krank. Typen wie Barack Obama, der gerüchteweise trotz Supermacht-Führungsstress bei einem italienischen Juwelier einen 30.000-Euro-Ring für die Gattin Michelle anfertigen ließ und sich auch noch um einen nicht allergieerregenden Weißen-Haus-Welpen für die Töchter kümmert, besitzen nun einmal Raritätswert. Selbst Hollywoods Ein-Mann-Krisenkommando James Bond ist nach Jahren im bindungsresistenten Heldenfach des Genres müde: Daniel Craig laboriert in „Ein Quantum Trost“ hauptsächlich am Verlust des Bond-Girls aus dem vorangegangenen 007-Abenteuer. Als der britische Schauspieler 2005 erstmals – auf einem Elektroboot – in London der Presse vorgeführt wurde, besaß er den Mut zur Schwäche und trug eine Schwimmweste. Tony Soprano, der Vorstadt-Pate in der mehrfach preisgekrönten HBO-Mafia-serie „Die Sopranos“, leidet an Panikattacken und Erektionsstörungen. Nach monatelangem Drängen seiner Frau und mehreren Zusammenbrüchen schleppt er sich widerwillig zu einer Psychiaterin. „Was wurde eigentlich aus Gary Cooper und dem amerikanischen Mann?“, fragt er seine Therapeutin, „der hatte doch auch schließlich keine Gefühle, sondern tat, was zu tun war.“ „Viele amerikanische Männer fühlen so wie Sie“, bestätigt Doktor Melfi in mildem Ton sein Elend. Dann geht Tony Soprano nach Hause und weint, weil die Wildenten aus seinem Pool davongeflogen sind. Und er weint auch deswegen, weil ihm die Werte, an denen sich sein Vater noch festhalten konnte, längst davongeschwommen sind. Die zunehmende physische Anfälligkeit der Männer ist für Experten ein Symptomträger für seelische Zerrüttungen.

Keine Krankheitseinsicht. Zwei Drittel der Notfallpatienten und drei Viertel der Selbstmörder sind männlichen Geschlechts, so europaweite Statistiken. Bis zum Pensionsantritt sterben im Geschlechtervergleich 14-mal so viele Männer an Aids, viermal so viele an Lungenkrebs, dreimal so viele an Herzerkrankungen und doppelt so viele an Leberzirrhose. Die Anfälligkeit für bösartige Tumore hat bei den Männern in den vergangenen 30 Jahren um 21 Prozent zugenommen; bei den Frauen ist sie gleich geblieben. 15 Prozent der Männer, aber nur fünf Prozent der Frauen erkranken in Österreich im Lauf ihres Lebens an Alkoholismus; 29 Prozent der Männer und neun Prozent der Frauen gelten heute als „Alkoholmissbraucher“. Der Österreichische Bundesverband für Psychotherapie schätzt, dass von den rund 27.000 Menschen, die Psychotherapie auf Krankenschein erhalten, ein Drittel männlich sind. Eine stetig steigende Tendenz von Männern, die psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, ist zwar nicht statistisch ausgewertet, aber laut Verband bemerkbar. Paradox scheint angesichts dieser Anfälligkeitsdiagnose, dass der österreichische Mann sich selbst um einiges fitter fühlt als die Frauen: 77,8 Prozent beurteilen den eigenen Gesundheitszustand als sehr gut oder gut, bei den Frauen liegt dieser Anteil bei 73,4 Prozent. Was mit dem männertypischen Mangel an Krankheitseinsicht zu tun hat. Der fahrlässige Umgang mit medizinischen Problemen ist beim Mann weit ausgeprägter. Die kürzesten Arzt-Patienten-Gespräche stoppten Forscher laut dem deutschen Magazin „Focus“, wenn sich zwei Männer gegenübersaßen. Den Weg zum Arzt zögern Männer doppelt so lange hinaus wie Frauen. Durchschnittlich zehn Tage benötigen Männer für die Reaktion auf ein medizinisches Problem, während Frauen im Schnitt nach drei bis fünf Tagen reagieren. Geschätzte 30.000 Österreicher leiden an Potenzproblemen – vor allem an frühzeitigem Samenerguss, gefolgt von erektiler Dysfunktion. Die psychischen Ursachen dafür sind vor allem Depressionen und Stress. Und noch immer ist das „Schamgefühl des Mannes ungleich höher als das der Frau, wenn es um die Thematisierung sexueller Defizite geht“, so der Wiener Urologe Walter Stackl. Die Psychiaterin am Wiener AKH Gabriele Fischer sieht die Ängste- und Depressionsanfälligkeit bei beiden Geschlechtern als „relativ ähnlich“: „Der wesentliche Unterschied ist der Umgang damit. Frauen holen sich Hilfe, sie haben ein besseres soziales Netzwerk, das sie auffängt.“ Männer verfügen eher über „berufsbedingte oder sportlich orientierte Seilschaften“. Aber sie sind bereits – wenngleich zaghaft – „lernfähiger“ beim Aufbauen „emotionaler Auffangnetze“ und empfinden es langsam nicht mehr als „Schwäche, psychosoziale Hilfe in Anspruch zu nehmen“. Repräsentative Burn-out-Untersuchungen existieren für Österreich nicht; da es angesichts der jungen Forschungshistorie an der Diagnosepräzision für das Syndrom des „Ausbrennens“ im hiesigen Gesundheitssystem noch mangelt. Der Leiter der AKH-Psychiatrie Siegfried Kaspar schätzt jedoch, dass jeder fünfte Österreicher von der Krankheit betroffen ist. Lisa Tomaschek-Habrina ist Leiterin des Wiener Instituts für Stressmanagement und Burn-out. Das Geschlechterverhältnis ihrer Klienten hält sich die Waage, aber Männer glauben viel länger, „allein gegen ihre Zustände ankämpfen zu müssen“.

Prototypisch für Männer sei, dass sie in der Regel in einem weit fortgeschritteneren Stadium das Institut aufsuchen: „Nach einem Erstgespräch verschwinden sie dann oft wieder, weil sie meinen, sich doch alleine durchbeißen zu müssen. Sie kehren oft erst dann zurück, wenn der komplette Zusammenbruch bereits stattgefunden hat.“ Da der Mann-Frau-Anteil mit seelischen Störungen sich im medizinischen Praxisalltag in etwa die Waage hält und Männer, statistisch erwiesen, über ein viel höheres Selbstverleugnungspotenzial als Frauen verfügen, ist die Schlussfolgerung zulässig, dass die Dunkelziffer an psychisch erkrankten Männern weit höher liegt als angenommen. Als zeitliche Gefahrenzone für das männliche Burn-out-Syndrom sieht Tomaschek-Habrina die Lebensmitte: „Nach dem Überschreiten der vierzig fallen viele in ein Loch. Bis dahin haben sie zielorientiert ihre Karrierepläne gelebt und unter Verzicht auf Privatleben eine Position erreicht, ein Haus gebaut. Dann kommt die innere Leere, denn irgendwann kann das Erreichte diese Männer nicht mehr ausfüllen.“

In der US-Psychologie wurde für das männliche Sinnkrisensymptom die Definition „männliche Depression“ geprägt. Als Namensspender gilt der Psychotherapeut Terence Real, der in der Zeitschrift „Psychologie heute“ erklärt: „Die konsequente Abspaltung von ihren Gefühlsimpulsen bewirkt bei äußerlich erfolgreichen Männern zunehmend eine große Leere – ihr Dasein erscheint ihnen als freud- und sinnlos. Durch die fortlaufende Gefühlsabwehr verlieren sie auch jeglichen Zugang zu ihrem Innenleben. Als Folge brechen ihnen die Partnerschaften weg.“ Die direkte Reaktion auf diese Sinnkrisen, so beobachtet die Psychiaterin Gabriele Fischer in ihrem Berufsalltag, „wären Aggression, Sport oder übertriebener Arbeitseinsatz“.

Der Job und das berufliche Selbstwertgefühl sind für Männer noch immer die zentralen Säulen ihrer Identitätsstiftung. Der Verlust der Arbeit würde sich auf das Seelenleben des Mannes weitaus drastischer auswirken als auf die Frauen. Männer sind im Zustand der Arbeits-losigkeit erheblich risikogefährdeter für Depressionen, Angststörungen oder Panik-attacken als Frauen. Denn Männer ohne Job empfinden diesen Zustand „wie eine Kastration“, so das Autorenduo Michael Eichhammer und Peter Thiel in „Der -verletzte Mann“, „ihr Selbstbewusstsein wird durch das Wissen, ihre Familie nicht mehr länger versorgen zu können, nachhaltig zertrümmert“. Mit Sicherheit kann man davon ausgehen, dass die drohende Massenarbeitslosigkeit für Männer mit weitaus größeren psychischen Konsequenzen verbunden sein wird. Die aktuelle Krise auf dem Arbeitsmarkt betrifft – zumindest bis dato – ausschließlich die männliche Bevölkerung: Während die Zahl der arbeitslosen Frauen im Jahresvergleich um 1,6 Prozent zurückging (auf 104.209 Betroffene), waren im November 3,2 Prozent mehr Männer (insgesamt 121.381) ohne Job als im Vorjahreszeitraum.

Testosteron-Crash. Neurologen führen gar das Entstehen der Finanzkrise auf die überhöhte Testosteron-Produktion der Broker zurück. Das wichtigste männliche Geschlechtshormon sorge für die Kampfbereitschaft und Risikolust, das freigesetzte Cortisol wiederum hilft den Stress unter Kontrolle zu kriegen, der sich mit der Angst vor Verlusten in das System schleicht. Durch den aktuellen Sinkflug ist diese hormonelle Balance zwischen Gier und Furcht völlig aus dem Ruder geraten. Ein biochemischer Fluch, denn die Schreckensstarre der Broker versetzt den Markt in Lähmung. Allerdings gaben Testosteronwallungen angeblich auch den Ausschlag für den Crash. John M. Coates, Neurologe in Cambridge, publizierte jüngst eine Studie über die hormonellen Einflüsse beim Marktverhalten von Londoner Brokern. „Eine Kette von Erfolgen“, so Coates, „pusht das Testosteron auf immer höheres Niveau. Dieser Effekt zieht nach sich, dass das Urteilsvermögen schwindet und man glaubt, ewig auf der Siegerstraße zu bleiben.“ Ein Lösungsvorschlag, um das System wieder in Bewegung zu setzen, wäre laut Coates, „mehr Frauen in das Spiel einzubringen, denn sie besitzen eine bessere Einschätzungsfähigkeit für Gefahren“. Eine Tendenz, die ohnehin absehbar ist, wenn man den schulischen Leistungsvergleich zwischen Buben und Mädchen anstellt. Der „Spiegel“ spricht sogar von einer „Jungenkatastrophe“, die mit der Absenz männlicher Bezugspersonen in „einer vaterlosen Gesellschaft“ zu begründen ist. Die Aufholgeschwindigkeit des weiblichen Bildungsniveaus ist in Österreich statistisch dokumentiert: In den letzten Jahrzehnten stellen Frauen, sowohl bei den Matura- als auch bei den Hochschulabschlüssen, über 50 Prozent. Der deutsche Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter konstatiert in seinem letzten Buch „Die Krise der Männlichkeit“ vor allem bei jungen Männern „ein Ansteigen von Depressionen“: „Sie haben ja keine männlichen Vorbilder mehr, sondern müssen sich mit den Muskelmännern aus den Medien zufriedengeben.“

Während Richter die NS-Historie als Wegbereiter für die Krise des Mannes klassifiziert, zieht die US-Starkolumnistin Kathleen Parker in ihrer Artenschutz-Polemik „Save the Males!“ den Feminismus ins Treffen. Im Zerfall der Familie und der wachsenden Horde der Alleinerzieherinnen ortet sie, ähnlich wie der „FAZ“-Herausgeber Frank Schirrmacher zuvor in seiner düsteren Polemik „Minimum“, den Sprengsatz, der die Gesellschaft in Zukunft zersplittern lassen wird. Die hohe Scheidungsrate sei vor allem den Frauen anzulasten, die „zu 80 Prozent die Trennungsbetreibenden“ seien, so die Wiener Scheidungsanwältin Helene Klaar. Die Zäsur kommt für Männer oft überraschend, denn in der Abwehr von emotionalen Warnsignalen haben sie es über die Jahrhunderte zur Weltmeisterschaft gebracht. Und jetzt? „Befreiung vom Männlichkeitswahn“, „die männliche Anerkennung der unterdrückten weiblichen Eigenschaften“, „Verweigerung der Feminisierung“, „Mut zur Schwäche“ steht in der Flut von Analysen und Ratgebern zu lesen. Die Lösungsvorschläge klingen so hanebüchen wie die Titel der Bücher – „Was vom Mann übrig blieb“, „Ein Mann – ein Buch“, „Der verletzte Mann“ et cetera. „Sehen wir es so,“ erklärt die einstige Hardcore-Feministin Erica Jong, „der Mann ist verletzt und frustriert. Wie wir Frauen auch. Man kann ihm nur folgenden wohlwollenden Rat geben: Wer jetzt noch an den alten Männlichkeitsidealen festhält, wird sich zu Recht impotent fühlen.“

Von Angelika Hager
Mitarbeit: Sebastian Hofer, Tina Goebel