Die Nation feiert Mo-zarts 250. Geburtstag

Der unbekannte Mozart: Österreich feiert den 250. Geburtstag des Jahrtausendgenies

Jetzt droht dem Klassiker die totale Vermarktung

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„Ich gehöre zu viel anderen Leuten und zu wenig mir selbst“
Wolfgang A. Mozart

Bis zuletzt arbeitete er am Requiem, doch die Schmerzen in seinen geschwollenen Gliedern und den entzündeten Gelenken machten es ihm praktisch unmöglich zu schreiben. Mozart bot einen erbärmlichen Anblick. Er war zwei Wochen zuvor am rheumatischen Fieber erkrankt, immer wieder musste er sich übergeben. Seit seiner Kindheit hatte er drei oder vier solcher Attacken erlitten, mit immer gravierenderen Folgen einschließlich heftiger Infektionen und Schädigungen der Herzkranzgefäße.

Mozarts Sohn Karl war sieben Jahre alt, als er seinen Vater sterben sah: Wie er sich später erinnerte, sei „bemerkenswert“ gewesen, „dass ein paar Tage vor dem Tode eine so große allgemeine Schwellung eintrat, welche den Kranken an jeder kleinsten Bewegung hinderte, ferner der Gestank, der eine innerliche Auflösung ankündigte“.

Trotz professioneller Behandlung verschlechterte sich Mozarts Zustand rapide. Sein Arzt Thomas Franz Closset hatte gegenüber einem Kollegen bereits Tage zuvor illusionslos konstatiert, dass der berühmte Tonsetzer Wolfgang Amadé Mozart wohl „verloren“ sei. Nachdem Closset am 5. Dezember 1791 zu dem Kranken gerufen worden war, tauchte er Mozarts Schläfen und Stirn in Essig und kaltes Wasser. Drastisch beschreibt Mozarts Frau Constanze das nächtliche Drama: „Plötzlich bekam er ein Erbrechen – es fuhr aus ihm heraus in einem Bogen – das war braun, und er war tot.“

Die tagelange Angst schlug um in Szenen der Besinnungslosigkeit. Constanze legte sich zu ihrem toten Mann ins Bett, mit der Absicht, sich mit der Krankheit anzustecken und ebenfalls zu sterben. Während sie von Freunden außer Haus gebracht wurde, nahm der Inhaber eines Wachsfigurenmuseums von Mozarts Gesicht eine Totenmaske. Emanuel Schikaneder, Textautor der „Zauberflöte“, lief in der Wohnung auf und ab und meinte, Mozarts Geist zu sehen.

Mozart war ein Star im heutigen Sinne gewesen: Er hatte höchste Adelskreise mit seiner Musik beliefert, auf großem Fuß gelebt und sich eine Reihe außerordentlicher Skandale geleistet. Dennoch wurde das ehemalige Wunderkind fast beiläufig beigesetzt. Gemeinsam mit fünf oder sechs anderen Leichen senkte man ihn in ein Schachtgrab – nur ein Armenbegräbnis wäre noch billiger gewesen.

Die klassischen Konzertgänger sind ob der Achtlosigkeit, mit der man den Lieferanten apollinischer Harmonien dem Herrgott empfahl, bis heute schockiert. Zwar galten pompöse Begräbnisse im aufgeklärten Wien von Kaiser Josef II. als reaktionär, dennoch hatte man Mozarts Kollegen Christoph Willibald Gluck 1787 in einem Einzelgrab und mit angemessenem Gedenkstein feierlich beigesetzt. Auf Mozarts Grab standen nicht einmal die Namen der Verstorbenen.

Während in Wien, Prag, Kassel und Berlin Trauerfeiern abgehalten wurden, ignorierte Mozarts Geburtsstadt den prominenten Todesfall: Der Salzburger Lokalpresse war das Ereignis gerade mal einen Elfzeiler wert. Mozart war an der Salzach Persona non grata gewesen: Frech hatte er Fürsterzbischof Hieronymus Graf Colloredo den Dienst aufgekündigt und auch aus seiner Meinung über die Salzburger nie ein Hehl gemacht: „Ihre Sprache und ihre Lebensart sind mir ganz unerträglich“, hatte er 1779 geätzt.

Salzburg hatte den Quergeist mit aller Macht aus seinem offiziellen Gedächtnis gelöscht – und fast scheint es, als hätte man sich damit den nötigen Raum geschaffen, um Mozart neu zu erfinden. Wie sollte die Stadt auch ehrerbietig einen Sohn in ihren Annalen führen, der 1778 seiner Cousine versprochen hatte: „Ich werde Ihnen den Arsch petschieren, Sie hinten und vorn kristieren, einen wackeren Furz lassen erschallen und vielleicht auch etwas lassen fallen.“ Die betuchte Klientel der Salzburger Mozart-Woche reagierte selbst im vergangenen Jänner noch empört, als man in einem Gesprächskonzert Mozarts herzhafte Fäkal-Poetik unzensuriert rezitierte.

Österreich zimmerte sich ein Mozart-Bild zurecht, das frei war von allen unpassenden Obszönitäten. Bereits 1798 veröffentlichte Franz X. Niemetschek eine Mozart-Biografie, in der er seinen Zeitgenossen zum lichten Klassiker stilisierte. War der Autor der „Kleinen Nachtmusik“ Ende des 19. Jahrhunderts endgültig zum süßen Wunderkind verniedlicht worden, erreichte die Mozart-Rezeption während und nach der NS-Zeit ihren geistigen Tiefpunkt: „Es war ganz ernsthaft furchtbar“, erinnert sich Publizist Franz Schuh an seine erste Mozart-Oper. „Man reduzierte Mozart auf eine Art Putzigkeit, die man unter allen Umständen wollte.“

Goldesel. Doch mit dem putzigen Mozart ließ sich nun mal Kasse machen. Zurzeit sind rund 300 Merchandising-Produkte am Markt, die den Namen Mozart und meist auch sein geschöntes Konterfei auf der Verpackung tragen. Hartgesottene Mozart-Fans können im Salzburger Hotel Wolf Dietrich eine „Papageno-Suite“ mieten, „Mozart-Wein“ schlürfen, sich mit „Mozart-Duftwasser“ parfümieren und bei Heiratsveranstaltern die „Hochzeit des Figaro“ buchen – Statisten in barockem Kostüm inklusive. „Mozart und der Kitsch, das ist eine kommerzielle Liebesbeziehung“, unkte unlängst sogar die „Kronen Zeitung“.

Dabei war Mozart alles andere als ein schöner Mann gewesen. Sein Gesicht war von Pockennarben ein wenig entstellt, er war bemerkenswert klein und hatte fleischige Hände. Doch liebte der Frauenschwarm mit der hellen Tenorstimme vornehme Kleidung und ließ sich jeden Morgen von einem Friseur wecken: Sein Auftreten war so elegant, dass ihn Kollege Muzio Clementi 1781 anlässlich ihres Wettspiels am Cembalo „für einen kaiserlichen Kammerdiener“ hielt.

Um seinen Lebensstandard halten zu können, arbeitete Mozart praktisch ununterbrochen. Er gab Klavierunterricht, konzertierte als Pianist, kam gesellschaftlichen Verpflichtungen nach und dirigierte seine eigenen Opern. Constanze fürchtete, dass sich ihr Mann noch „umbringe vor Überanstrengung“, und erinnerte sich später: „Er komponierte oft bis zwei Uhr nachts und stand um vier Uhr morgens auf, eine Anstrengung, die zu seinem Tode beitrug.“

Der Workaholic komponierte extreme Szenarien. In „Don Giovanni“ vertonte er sexuelle Eskapaden, in der „Zauberflöte“ brachte er einen Selbstmordversuch auf die Bühne. Mozart als Garanten für Unbeschwertheit zu vermarkten beruht auf einem jahrhundertealten Missverständnis. Gab der Freimaurer in „Figaros Hochzeit“ die aristokratische Obrigkeit dem Gelächter preis, räumte er in „Così fan tutte“ zynisch mit der Illusion vom ewigen Liebesglück auf: Mozarts Musik ist auch deshalb modern, weil sie an keine Heilsversprechen glaubt.

Doch schon die Zeitgenossen stilisierten Mozarts Genie zum putzigen Mythos. Geboren am 27. Jänner 1756, begann der Sohn des Geigers Leopold Mozart bereits im Alter von drei Jahren, Cembalo zu spielen. Als Fünfjähriger komponierte er seine ersten Stücke, zwei Jahre später brachte sich der barocke Zauberlehrling das Violinspiel selber bei. Während skeptische Kollegen Mozarts gespenstische Fähigkeiten immer wieder harten Tests unterzogen und den Teenager etwa ganze Werke nach einmaligem Hören auswendig niederschreiben ließen, entrückte Leopold seinen Sohn dem Diesseits und erklärte ihn kurzerhand zum „Wunder der Natur“.

Kurz nach seinem sechsten Geburtstag traten Mozart und seine ebenfalls gut Klavier spielende Schwester vor der österreichischen Kaiserin auf: Das Publikum „konnte kaum seinen Augen und Ohren trauen“, als der Junge in die Tasten griff. Der Hof spendete nicht nur Applaus, sondern schickte als Entlohnung 100 Dukaten – eine Summe, die der Vater in zwei Jahren nicht verdiente. Für Leopold eröffnete sich ein ungeahntes Geschäftsfeld. Er begann, Mozart professionell zu vermarkten.

In den Jahren 1763 bis 1766 organisierte Leopold in 88 Städten hunderte Auftritte seiner Kinder. Wolfgang und Nannerl konzertierten am Pariser und Londoner Königshof, musizierten mit verbundenen Augen vor dem Bayerischen Kurfürsten und saßen beim europäischen Hochadel an der Tafel. Nicht jeder Auftritt freilich verlief derart glamourös. In London mietete Leopold das Hinterzimmer eines Gasthauses an: Gegen Eintritt waren seine Kinder „täglich von zwölf bis drei Uhr zu hören“.

Als die Mozarts in ihrer eigenen Kutsche und mit Dienerschaft nach Salzburg zurückkehrten, wurden sie gebührend empfangen. Sie hatten die bis dahin wohl erfolgreichste Konzerttournee der Musikgeschichte und einen außerordentlichen sozialen Aufstieg absolviert. „Wir hatten nur mit dem Adel Kontakt“, berichtete Leopold stolz von der langen Reise. Satte 16.500 Gulden konnte er als Gewinn verbuchen – ein Betrag, der dem Fünfzigfachen seines Salzburger Jahresgehalts entsprach.

Ewiges Kind. „Damals hat sich das Bild des Kindes Mozart für immer ins Gedächtnis der westlichen Zivilisation eingebrannt“, schreibt Maynard Solomon in seiner brillanten Biografie „Mozart. Ein Leben“ – und noch in Formans Hollywoodfilm „Amadeus“ (1984) wirkte das Image vom ewigen Kindskopf nach: Ordinär blödelte sich Schauspieler Tom Hulce durch die Prunkräume von Schloss Schönbrunn. Schon Mozart selbst hatte zu spüren bekommen, dass Wunderkinder nicht erwachsen werden dürfen. Als der 22-Jährige 1778 vergeblich nach Paris gereist war, um sich in Versailles als Kapellmeister zu bewerben, schrieb er verärgert nach Salzburg: „Die dummen Franzosen glauben, ich sei noch immer sieben Jahre alt.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits mehrere Opern und seine fünf Violinkonzerte komponiert.

Für Österreich ist Mozart bis heute jener Goldjunge geblieben, der er als Zehnjähriger gewesen war. „Die Marke Mozart ist von unschätzbarem Wert“, erklärt der Chef der Österreich Werbung, Arthur Oberascher, unverblümt und zählt Mozart mit einem Gesamtumsatz von geschätzten fünf Milliarden US-Dollar zu den 50 Top-Marken der Welt. Umfragen bestätigen: Kein anderer Österreicher ist international bekannter als Mozart.

Während die deutschsprachigen Verlage aus Anlass von Mozarts 250. Geburtstag kommendes Jahr rund dreißig neue Bücher auf den Markt bringen, hofft vor allem die Musikindustrie auf neue Rekordumsätze. „Mozart ist der bestverkaufte Komponist“, begründet Martin Kienzl von Universal Classics seinen Optimismus. Mozart setze viermal so viele CDs wie Beethoven ab und lasse selbst Verdi hinter sich. Im Jubiläumsjahr 1991 spielte Mozart beim Plattenlabel Philipps stolze 25,8 Prozent des Umsatzes ein.

Festivals, Solisten, Intendanten: Wer kann, stimmt 2006 ein in den Dreiklang von Genie, Geschäft und Götzendienst. Flächendeckend will Wien seine Bürger mit Mozarts Œuvre beglücken: Während die Teilnehmer des Wien-Marathon mit Serenaden und Sonaten beschallt werden sollen, schickt Mozart-Jahr-Intendant Peter Marboe ganzjährig Streichquartette durch Altersheime, U-Bahnen und Fußgängerzonen. „Es wird eine Mozart-Klangwolke über der Stadt schweben“, schwärmt Bürgermeister Michael Häupl.

Das Epizentrum des Mozart-Kults freilich liegt in Salzburg: Die Festspiele setzen alle 22 Bühnenwerke des „Weltmeisters der Musik“ (Friedrich Gulda) auf das Programm, auch in den Konzerten wird es nur Mozart und Musik des 21. Jahrhunderts zu hören geben. „Die Festspiele 2006 sind der radikale Testfall, ob Mozart allein ein so riesiges Festival bespielen kann“, meint Pressesprecherin Susanne Stähr.

Insgesamt 150 Millionen Euro Sonderbudgets investiert Österreich in die wohl größte Geburtstagsparty der Musikgeschichte. Wer etwas von dem außerordentlichen Geldsegen will, muss sich, so die Vorgabe, gehörig an dem großen Vorbild abarbeiten: In Salzburg durften acht Neutöner eine kollektive Suite mit dem grotesken Titel „Viva! Mozart“ komponieren, in Wien wurden mit den Subventionsmillionen Komponisten und Theaterautoren zu neuen Dramen über Mozart animiert. Prägnanter Arbeitstitel des Beitrags von Bernhard Lang: „I hate Mozart.“

Auch wenn Intendant Marboe betont, den Künstlern völlig freie Hand zu lassen, sträubten sich dem Mozart-Beauftragten vergangene Woche dann doch die Haare, als er den Film von Regisseur Ulrich Seidl („Hundstage“) zu sehen bekam: Zwei dickliche Männer sitzen in einem Wohnzimmer und onanieren zur Musik des Meisters gelassen vor sich hin. 28 je einminütige Kurzfilme hat Marboe bei heimischen Filmemachern in Auftrag gegeben, die nicht nur im Kino, sondern auch im ORF und bei 3sat zu sehen sein sollen: Höflich bat er Seidl, seinen Film noch einmal zu überdenken.

Dabei hatte Mozart 1789 aus Dresden sein „liebstes Weiblein“ höchst amüsiert wissen lassen, was er mit ihrem „lieben Porträt anfange“, wenn sie nicht selbst zugegen sei. „Ich sage: Grüß dich Gott, Grüß dich Gott; – Spitzbub; – Knallerballer; – Spitzignas – Bagatellerl – schluck und druck!“ Doch schon Mozart ahnte, dass die Nachwelt seine Musik nur als das Werk eines lichten Genies akzeptieren konnte: „Nun glaube ich, so ziemlich was Dummes (für die Welt wenigstens) hingeschrieben zu haben – für uns aber, die wir uns so innig lieben, ist es gewiss nicht dumm.“

„Wir können an Mozarts Werke nicht denken, ohne Schönheit mit ihnen zu verbinden“, erklärt Biograf Solomon. Selbst skeptische Geister kapitulieren, wenn sie Mozarts Talent erklären sollen: „Ein Meister fällt vom Himmel, von woanders kommt er nicht“, orakelt Dirigent Nikolaus Harnoncourt, und schon Johann Wolfgang Goethe meinte schulterzuckend: „Eine Erscheinung wie Mozart bleibt immer ein Wunder, das nicht zu verstehen ist.“

Rein technisch resultiert die Schönheit von Mozarts Musik aus Symmetrien, die seinen Partituren von Beginn an wie ein geheimer Masterplan zugrunde liegen. Auf musikalisch komplexe Fragen findet er stets wohltönende Antworten. Zwar komponierten ganze Generationen von Tonsetzern nach diesem klassischen Prinzip, doch übertraf sie Mozart in der Delikatesse des verwendeten Materials. Im Gegensatz zu Joseph Haydn, der gleich reihenweise neue Gattungen schuf, war Mozart kein Revolutionär. Er wollte nicht anders, sondern besser als die Konkurrenz komponieren.

„Auf seine Zeitgenossen konnte er nur arrogant wirken“, meint Opern-Regisseur Hans Neuenfels. „Geniale Menschen können auftreten, wie sie wollen, sie hinterlassen bei vielen etwas Neidvolles und grundsätzlich Aggressives.“ Obwohl Mozart als Konzertpianist im Wien der 1780er Jahre Triumphe feierte, wurde er nie ein Mitglied des Establishments. Vergeblich bewarb er sich um die prestigeträchtige Stelle des Hofkapellmeistes, auch Kaiser Leopold II. ließ seine Kinder lieber von anderen Komponisten unterrichten.

Mythos. 1788 erlebte Mozart einen veritablen Karriereknick: Seine Einkünfte brachen um die Hälfte ein. War der Komponist süffiger Melodien stets stolz darauf gewesen, dem Publikum zu gefallen, blieb er nun auf Konzert-Abos und Notendrucken sitzen. Gerüchte über seinen angeblich ausschweifenden Lebenswandel setzten seinem Ansehen nachhaltig zu. „Meine Lage ist so, dass ich genötigt bin, Geld aufzunehmen“, schrieb er im ersten der vielen verzweifelten „Bettelbriefe“ an seinen Freund Michael Puchberg.

Mozart reagierte auf Probleme so, wie er es von seinem Vater gelernt hatte: Er ging auf Reisen. Der König von Preußen könne seine Ankunft in Berlin kaum noch erwarten, schrieb er von unterwegs an seine Frau. Doch als das ehemalige Wunderkind am 26. April 1789 in Potsdam ankam, wurde es nicht vorgelassen: Friedrich Wilhelm II. wusste nichts von einem Besuch. Um Constanze zu beruhigen, gab Mozart dennoch vor, königliche Kompositionsaufträge erhalten zu haben. Diese dürfte es nie gegeben haben.

Wahrheit und Vermutung liegen in Mozarts letzten Lebensjahren nah beieinander. 1787 war Leopold Mozart gestorben, und mit dem Briefwechsel zwischen ihm und seinem Sohn versiegte auch die Hauptinformationsquelle der Biografen. „Die Quellen eignen sich nur für Missbrauch und Manipulation“, urteilt Nikolaus Harnoncourt scharf. Mozart sei nichts anderes als die „perfekte Konstruktion einer Public-Relations-Akademie“.

Tatsächlich legte sich jede Generation ihr eigenes Mozart-Bild zurecht. Von Engeln umrankt, steht Mozart seit 1896 im Wiener Burggarten, die Nazis erklärten den Salzburger zum Inbegriff teutonischen Künstlertums, in den achtziger Jahren integrierte Falco seinen Kollegen mit „Rock Me, Amadeus“ in die Popkultur.

Mozart starb am 5. Dezember 1791. Obwohl er finanziell wieder Fuß gefasst haben und mehr als je zuvor verdient haben dürfte, musste Constanze beim Kaiser um eine Pension und die Erlaubnis für Benefizkonzerte ansuchen, um aus dem Erlös die restlichen Schulden bezahlen zu können. Doch „schon bald war sie imstande, beträchtliche Summen einzunehmen, weil sie ihre Situation als Not leidende Witwe ausnutzte“, wie Solomon in seiner Biografie schreibt.

Constanze verkaufte Mozarts Noten, verhandelte mit Verlagen Honorare aus und machte Briefpassagen unleserlich, die ihr nicht genehm waren. Unerbittlich kämpfte sie um die Deutungshoheit über das Leben ihres Mannes – und trat damit gegen Mozarts Schwester Nannerl an, die ihre Dokumente ebenfalls einem Biografen übergeben hatte: Constanze kaufte die zweite Auflage des Buches kurzerhand auf und ließ sie zur Gänze makulieren.

„Constanze hatte ein Interesse entwickelt, Mozarts Armut und den Mangel an Anerkennung zu übertreiben, und hat deshalb viele falsche Berichte bestätigt“, resümiert Solomon. Gemeinsam mit ihren Zeitgenossen legte sie so den Nährboden für jene gewinnträchtigen Klischees, ohne die Mozarts Biografie deutlich konventioneller ausgesehen hätte. Als er am 6. oder 7. Dezember beerdigt wurde – über das Datum gehen die Angaben auseinander –, fiel laut Augenzeugen Regen und Schnee gleichzeitig, sodass „nur wenige Freunde und drei Frauen die Leiche begleiteten. Da das Unwetter immer heftiger wurde, entschlossen sich auch die wenigen Freunde, beim Stubenthore umzukehren.“

Wie die Wetteraufzeichnungen der Stadt Wien belegen, schien am 6. die Sonne und fielen auch am 7. Dezember, der als schöner Tag begann, weder Schnee noch Regen. Nachmittags kam leichter Südwind auf, der um zehn Uhr abends in einen kräftigen Südwestwind überging. Mozart wurde bei schönstem Winterwetter bestattet.

Von Peter Schneeberger