Neue Wendung im Anlegerskandal AvW

Die Akte „v. Welsbach“: Finanzministerium wusste bereits 2000 von Ungereimtheiten

Finanzministerium wusste von Ungereimtheiten

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Er ist einer der letzten Menschen, die Jörg Haider lebend gesehen haben. Am Nachmittag des 10. Oktober 2008 verfügte sich Wolfgang Auer v. Welsbach, Gründer und Vorstandschef des Kärntner Investmenthauses AvW Gruppe AG, zu einem eilig arrangierten Treffen mit dem Landeshauptmann ins Café der Klagenfurter Nobelherberge Moser-Verdino. Welsbach hatte ein Anliegen, das keinerlei Aufschub duldete: AvW war nach verlustreichen Spekulationen eines fehlgeleiteten Mitarbeiters in Schieflage geraten und brauchte Geld. Haider, ganz der langjährige Freund der Welsbachs, soll freundliche Nasenlöcher gemacht und umstandslos Unterstützung des Landes signalisiert haben. Doch dazu sollte es letztlich nie kommen – wenige Stunden später war Jörg Haider tot.

Das damalige Meeting, so fruchtlos es auch verlaufen sein mag, ist ein wichtiger Puzzlestein bei der Aufarbeitung des im Herbst 2008 aufgeflogenen AvW-Skandals. Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt ermittelt seit Monaten gegen Haiders Spezi Auer v. Welsbach, geborener Schurian, und 19 ­weitere Personen aus seinem Umfeld wegen des Verdachts der Untreue und des schweren gewerbsmäßigen Betrugs (Aktenzahl 13St173/08x) – hauptsächlich in Zusammenhang mit dem Vertrieb und dem Handel von Genussscheinen. Parallel dazu häufen sich Schadenersatzforderungen verprellter Anleger. Allein der Liezener Anwalt Erich Holzinger vertritt mittlerweile die Interessen von etwa tausend potenziell Geschädigten (www.avw-schaden.at). Im Kern geht es um die alles andere als einfach zu beantwortende Frage, ob AvW-Kunden systematisch über den Tisch gezogen wurden oder nicht. Welsbach hat die Vorwürfe bisher allesamt zurückgewiesen, für alle Beteiligten gilt bis zu einer allfälligen rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung. Eine profil-Anfrage bei Welsbachs Klagenfurter Anwalt Franz Großmann blieb unbeantwortet.

Kärntner Seilschaften. Diesem Magazin gingen unterdessen bisher unveröffentlichte Dokumente aus dem Strafakt zu. Diese nähren einen schwer wiegenden Verdacht. Das Finanzministerium hatte bereits ab dem Frühjahr 2000 detaillierte Kenntnis über möglicherweise strafrechtlich relevante, jedenfalls aber aufklärungswürdige Vorgänge bei AvW – und blieb untätig. Auffallend: Finanzminister war damals ein gewisser Karl-Heinz Grasser, Haiders politischer Ziehsohn. Und auch KHG dürfte Herrn Welsbach, dessen Urahn Carl Auer von Welsbach gilt als Entdecker mehrerer chemischer Elemente und Erfinder des Glühstrumpfs, ganz gut kennen. Nach dem unschönen Ende seines Meinl-Abenteuers versucht Grasser sich heute unter anderem als Aufsichtsratsvorsitzender des Wiener Fondsanbieters C-Quadrat Investment AG, wo Welsbachs Gruppe seit Jahren substanziell beteiligt ist, zuletzt mit rund 33 Prozent.

AvW hatte Ende der neunziger Jahre begonnen, Genussscheine gegen Provision bei Anlegern zu platzieren. Dabei handelt es sich um ein der Aktie nicht unähnliches Wertpapier, das Inhaber am Gewinn und Vermögen einer Gesellschaft beteiligt, darüber hinaus aber keinerlei Mitsprache ermöglicht. Zuletzt sollen rund 100.000 dieser Papiere (Bezeichnung: „AvW Index“) in Umlauf gewesen sein, angebliches Volumen: irgendwo bei 300 Millionen Euro. Und genau da beginnt es sich zu spießen. Denn bis heute ist unklar, wie viel die Papiere tatsächlich wert sind. Vereinfacht gesagt lief der Handel bis November 2000 direkt über AvW, ab da waren die Titel auch in einem Nebensegment der Frankfurter Börse gelistet (2001 wurden die Papiere schließlich gegen etwas anders ausgestaltete Genussscheine getauscht).
Ein Tradinggeschehen im engeren Sinn des Wortes dürfte es in Frankfurt jedoch nie gegeben haben. Wer Genussscheine losschlagen wollte, konnte sich nach einer Behaltefrist von einem Jahr vertrauensvoll an AvW wenden und die Genussscheine zu „gesicherten Kursen“ an die Gesellschaft zurückverkaufen. Diese Rücknahme erfolgte zwar stets nur auf freiwilliger Basis, war aber dennoch ein schlagendes Verkaufsargument, das vor allem bei kleineren, in Finanzfragen mithin unbedarften Anlegern Zugkraft entfaltete.

Bis in den Herbst 2008 hinein lief das Geschäft einigermaßen klaglos, auch deshalb, weil die Genussscheine zumindest auf dem Papier konstante Wertsteigerungen auswiesen. Doch Anfang Oktober, also ausgerechnet in den ersten Tagen der Finanzkrise, platzte die Affäre um krumme Wertpapierdeals des damaligen AvW-Prokuristen Harald K. (dessen Malversationen spielen nach derzeitigem Kenntnisstand nur am Rande in die Causa hinein).

Herr „v.“ Welsbach, er trägt das abgekürzte Adelsprädikat trotzig in seinem österreichischen Reisepass, selbst gestand daraufhin öffentlich einen Schaden in der Höhe von 50 Millionen Euro ein, was die ohnehin verunsicherten Anleger in Scharen aus ­seinen Genussscheinen trieb. AvW konnte den Rücklauf jedoch mangels Liquidität nur zu einem sehr kleinen Teil stemmen und stellte die Ankäufe am 20. Oktober kurzerhand ein. Erst hieß es, die Kunden mögen sich bis Jahresende 2008 gedulden, mittlerweile wurden sie auf unbestimmte Zeit vertröstet. Die Folge: Tausende Investoren sitzen auf nunmehr unverkäuflichen Genussscheinen. An der Börse Frankfurt wären sie derzeit sehr theoretisch 500 Euro wert – im ­Oktober 2008 waren es noch angebliche 3300 Euro –, nur wird ebendort seit Monaten kein Umsatz mehr registriert. Der Kursverlauf kann bestenfalls als originell bezeichnet werden.

Die Justiz hegt in diesem Zusammenhang den Verdacht, das AvW-System sei gezielt auf Täuschung ausgelegt gewesen. Kunden erwarben Genussscheine, im guten Glauben, sie hätten damit ein liquides Wertpapier zu transparenten Kursen. Die Welsbach-Seite beteuert zwar gebetsmühlen­artig, der Preis sei stets Angebot und Nachfrage gefolgt. Die Behörden mutmaßen aber, dass der Kurs eher willkürlich von Welsbach selbst festgesetzt wurde, also quasi Pi mal Daumen.

Und genau dieser Verdacht kursierte bereits 2000 im Finanzministerium. Wie sich jetzt erst herausstellt, war die AvW-Gruppe – genauer deren Vertriebstochter AvW Invest AG – zwischen 15. und 16. Mai 2000 Schauplatz einer so genannten Vor-Ort-Prüfung durch die damals noch direkt dem Minister, also Karl-Heinz Grasser, unterstellte Kontrollinstanz Bundeswertpapieraufsicht (BWA, die Vorgängerin der heutigen Finanzmarktaufsicht). Der 55-seitige Prüfbericht, er liegt profil vollständig vor, releviert eine Fülle teils haarsträubender Sachverhalte. Die BWA-Revisoren beanstandeten Lücken in der Dokumentation, Sorgfaltspflichtverletzungen in Zusammenhang mit Geldwäschereibe­stimmungen und vernachlässigte Informationspflichten gegenüber Kunden.

So sollen umtriebige „Finanzberater“ – in der Blütezeit waren rund 300 für AvW unterwegs – die Genussscheine auch Leuten angedreht haben, die wenig bis gar nichts von Risikopapieren verstanden und diese teils auch explizit nicht wollten. Vor allem aber stießen die BWA-Revisoren auf massive Ungereimtheiten bei der „Preisbildung“ der damals noch nicht börsennotierten Genussscheine. Welsbach hatte im Verlauf der Untersuchung zwar versucht, seine Kursgestaltung anhand von „Berechnungsblättern“ zu plausibilisieren, die Prüfer wollten ihm jedoch nicht recht glauben. In dem Bericht heißt es wörtlich: „Es ist … nicht möglich festzustellen, wie der Kurs tatsächlich ermittelt wurde … Es ist daher die willkürliche Heranziehung bzw. Außerachtlassung von konkreten Vermögens­positionen nicht auszuschließen.“

Die Verdachtsmomente wogen offenbar so schwer, dass die BWA im Frühjahr 2001 kurz davor stand, Wolfgang Auer v. Welsbach wegen Betrugs anzuzeigen. Dies geht aus einem mit 18. April 2001 datierten internen BWA-Aktenvermerk hervor, der profil ebenfalls vorliegt. Darin wird wörtlich auf folgenden „Tatvorwurf“ Bezug genommen: Die Preisermittlung der Genussscheine sei „in strafrechtswidriger Weise vorgenommen worden, indem der jeweils durch Herrn Dr. Auer Welsbach ermittelte Kurs nicht den wahren Wert der Genussscheine widergespiegelt habe und indem die Kunden der AvW Invest AG daher in der Werthaltigkeit der ihnen verkauften bzw. vermittelten Wertpapiere getäuscht worden seien“.

Mit anderen Worten: Die BWA, dazumal nachgeordnete Dienststelle im Finanzministerium unter Aufsicht von Karl-Heinz Grasser, hatte es bereits vor Jahren an der Hand, Schlimmeres zu verhindern. Und doch kam Welsbach mit einem blassblauen Auge davon. Für eine ebenfalls aufgedeckte, aber vergleichsweise marginale Ordnungswidrigkeit bekam er eine kleine Verwaltungsstrafe, eine Betrugsanzeige dagegen wurde nie eingebracht. Die Akte wurde nach Rücksprache mit der hauseigenen Rechtsabteilung geschlossen und schubladisiert. Es ist anzunehmen, dass viele Anleger erst gar nicht in AvW investiert ­hätten, wären die Erkenntnisse der Untersuchung öffentlich geworden.

Vertuschung. Die Bundeswertpapieraufsicht ist lange Geschichte. Sie wurde im April 2002 durch die mit umfassenderen Kompetenzen ausgestattete Finanzmarktaufsicht (FMA) ersetzt. Dass Karl-Heinz Grasser (oder auch Jörg Haider) zuvor für Welsbach interveniert hätten, lässt sich zwar nicht ­belegen. Dass aber damals weisungsgebundene Beamte des Finanzministeriums über derart schwere Verdachtsmomente einfach hinwegsahen, wirft Fragen auf – umso mehr, als die Justiz sich jetzt, neun Jahre später, genau dafür interessiert.

Auch dem amtierenden FMA-Direktorium scheint bei der Sache nicht ganz wohl zu sein – wiewohl die Behörde rasch durchgegriffen hat. Am 22. Oktober 2008, nur zwei Tage nachdem AvW die Rücknahme der Genussscheine eingestellt hatte, installierte die FMA einen so genannten Regierungskommissär bei der Vertriebstochter AvW Invest, kurz darauf legte die an der Wiener Börse gehandelte Gesellschaft ihre Konzession zur Wertpapiervermittlung zurück. Eine Sachverhaltsdarstellung der FMA war es schließlich auch, welche die Ermittlungen ins Rollen brachte. Warum all das nicht schon vor neun Jahren passiert ist, dürfte auch der FMA selbst nicht klar sein. „Der damalige Bericht ist sehr kritisch ausgefallen, die Prüfer haben die richtigen Fragen gestellt und auf gravierende Mängel hingewiesen“, betont FMA-Sprecher Klaus Grubelnik. Diese seien „eingehend“ mit der AvW-Geschäftsleitung diskutiert worden.
Aber eben auch nicht mehr.

„Der kritische Prüfbericht wurde der BWA-Rechtsabteilung zur rechtlichen Würdigung übergeben. Diese hat aber in ihren Stellung­nahmen lediglich in wenigen Punkten behördlichen Handlungsbedarf gesehen“, so Grubelnik. Eine plausible Erklärung dafür hat auch er nicht: „Die involvierten Mitarbeiter der BWA-Rechtsabteilung sind vor Gründung der FMA aus der Aufsichtsbehörde ausgeschieden.“

Die Untätigkeit der damaligen Aufsicht könnte aus Sicht des Steuerzahlers noch ein unschönes Nachspiel haben. Findige Juristen könnten daraus im Namen geschädigter AvW-Anleger Amtshaftungsansprüche gegenüber der Republik Österreich ableiten. Ob es dazu wirklich kommt, hängt auch von den Erkenntnissen des Grazer Sachverständigen Fritz Kleiner ab – er soll die AvW-Affäre im Auftrag der Justiz auf strafrechtliche Tatbestände hin untersuchen, seine Expertise soll noch vor Weihnachten vorliegen.
Wie klein die österreichische Welt tatsächlich ist, manifestiert sich in einem Detail. Im BWA-Prüfbericht taucht auch der Name eines Wiener Rechtsanwalts auf, der Welsbach jedenfalls damals eng verbunden war: Christian Hausmaninger. Jener Christian Hausmaninger also, der schon Wolfgang Flöttl rechtlichen Beistand geleistet hatte, jener Christian Hausmaninger, der für Grassers Yacht-Amigo Julius Meinl bis heute durchs Feuer gehen würde.

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.