Die gescheiterte Familie

Familienpolitik. Maximale Kosten, minimale Geburtenrate, diskriminierte Frauen

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Neuerdings sind Verlobungs- und Ehevorbereitungskurse wieder en vogue. Unerfreuliche Scheidungs- und Geburtenraten haben die österreichische Bischofskonferenz veranlasst, einen Lehrplan für das Eheglück auszuarbeiten und an die Pfarren weiterzureichen. Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn erfreut sich indessen auch weltlicher Anerkennung. Freitag vergangener Woche, nachdem er sich mit sämtlichen katholischen Vorfeldorganisationen abgesprochen hatte, war er im Bundeskanzleramt zu Gast, um als Anwalt der Familien gegen geplante Kürzungen zu protestieren. Man kann davon ausgehen, dass die konzertierte Aktion katholischer Kreise den Erfolg zeitigt, den Hunderte Studentendemonstrationen nicht erreicht hätten. In den Fesseln der Kirche, so scheint es, ist Österreich nach wie vor schnell gefangen.

Dabei gäbe es, bei nüchtern-weltlicher Betrachtung, gute Gründe, die Familienpolitik von Grund auf zu reformieren. Sie ist sündteuer – und wirkt nicht. 8,6 Milliarden Euro verschleudern Bund und Länder jährlich für Förderung der Familie. Nach den Ausgaben für Pensionen und Gesundheit sind die Leistungen der drittgrößte Brocken im Sozialetat, mit einem Anteil von zehn Prozent deutlich besser dotiert als im Rest der EU. Trotzdem sind die Geburtenraten fast überall anders höher. In Österreich ist sie trotz leidenschaftlicher Appelle mittlerweile auf 1,4 Kinder pro Frau gesunken. Desaströser kann Politik kaum scheitern.

Die Bilanz kann eigentlich niemand verwundern. Quer durch Europa wird seit den sechziger Jahren vorexerziert, dass mehr Kinderbetreuungsplätze und Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen zu den besten Erfolgen führen. „In Skandinavien ist Familienpolitik Gleichstellungspolitik.

Überall dort, wo Männer und Frauen annähernd gleichgestellt sind, steigt die Bereitschaft zur Familiengründung“, sagt Gerda Neyer, die am deutschen Max-Planck-Institut für Demografie und in Stockholm forscht. Solche Erkenntnisse wollte in Österreich lange niemand hören. Mit dem Vorwurf der Rabenmutter war man schnell bei der Hand, eine unheilige Allianz aus Kirche, Konservativen in allen Großparteien und Gewerkschaften wies Frauen konsequent den Arbeitsplatz Familie zu. Die Mütter­ideologie geht auf Kosten der Frauen: Seit Jahren ist Österreich in allen Gleichstellungs-Rankings auf beschämenden Schlusslichtpositionen. Bei den Gehaltsunterschieden zwischen Männern und Frauen liegt nur Estland in der EU noch schlechter, im ­„Gender Gap Report“ des World Economic Forum reiht sich Österreich zwischen Uganda und Guyana ein.

Freilich beeinflussen auch kulturelle Leitbilder und Normen das Erwerbsverhalten und den Kinderwunsch. Frauen (und Männer) befinden sich in Österreich offenbar derart in der ideologischen Zwickmühle – höchste Ansprüche an Kindererziehung, die Angst, es nicht richtig zu machen und im Beruf keine Chance mehr zu haben –, dass sie es lieber gleich sein lassen.

Jahrzehnte zu spät dämmert nun auch in Österreich den Entscheidungsträgern, dass von der einst viel gerühmten Familienpolitik nur ein Scherbenhaufen übrig geblieben ist. Langsam beginnt in konservativen Kreisen ein Umdenken. „Die Kosten des Systems stehen in keiner Relation zu den Ergebnissen. Unsere vornehmlich auf Geldleistungen ausgerichtete Familienpolitik hat nicht zu einer höheren Geburtenrate geführt. Rein finanzielle Anreize haben sich europaweit nicht bewährt“, sagt Familienminister Reinhold Mitterlehner gegenüber profil und will eine „Kehrtwende“ in der Familienpolitik initiieren: „Bei uns herrschte das Bild, dass Kinder nur in der behüteten Umgebung der Familie gut aufwachsen. Das entspricht nicht der Realität. Wir müssen Sachleistungen wie Kindergartenplätze ausbauen.“ Für die ÖVP ist das ein großer Schritt. Bisher steckte Österreich auf Drängen der Konservativen 80 Prozent der Familienmittel in Geldleistungen. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt, subventioniert nur das reiche Luxemburg seine Familien noch üppiger mit Direktförderungen und anderen Geldmitteln.

Gewohnheitstier. Trotzig halten konservative Lobbys wider alle Studien unverdrossen am Mantra fest, dass Geld und nur Geld gut für Familien ist. Helmuth Schattovits, langjähriger Chef des Instituts für Familienforschung und geistiger Vater des Kindergelds, ist bis heute überzeugt, dass es „nur einen Geburtsfehler hat: Es ist zu niedrig.“ Schattovits plädiert dafür, noch mehr Gelder an Familien auszuschütten, irgendwann werde die Geburtenrate schon steigen. Sein Nachfolger als Vorsitzender des einflussreichen Instituts, der Sozialrechtler Wolfgang Mazal, argumentiert: „Die Mehrheit will, dass die Mutter bei den Kindern bleibt. Wir haben nicht das Recht, die Menschen umzuerziehen.“ Der Präsident des Katholischen Familienverbands, Clemens Steindl, sieht das keineswegs so rigid, doch Kürzungen bei der Familienbeihilfe will auch er nicht hinnehmen. „Das wäre ein symbolisches Zeichen, dass die Familie nicht wertgeschätzt, nicht ernst genommen wird.“

Die ehemalige ÖVP-Frauenministerin Maria Rauch-Kallat, die um liberale Ansätze in der Familienpolitik bemüht war, sieht heute einen „konservativen Backlash“. Die Politik müsse zwar „gegensteuern“, könne jedoch „nicht gegen den Willen der Leute agieren. Es gibt die Tradition.“

Jahrzehnte konservativer Familienideologie haben tiefe Spuren hinterlassen. Nirgendwo sonst in Europa stimmen mehr Menschen als in Österreich (ein Drittel der Befragten) der Aussage zu, dass „der Mann Geld verdienen und die Frau sich um Haushalt und Familie kümmern soll“. Ein Fünftel ist gar der Ansicht, dass Mütter auch dann nicht arbeiten gehen sollen, wenn das jüngste Kind schon zur Schule geht.

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.
Seine Vorstellungen von Geschlechterrollen, Haushaltsführung und Mutterschaft sind kulturell geprägt. In Österreich wurde die Hausfrauenehe für nachkommende Generationen im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) im Jahr 1811 festgelegt. Darin hieß es: „Der Mann ist das Haupt der Familie. In dieser Eigenschaft steht ihm vorzüglich das Recht zu, das Hauswesen zu leiten, es liegt ihm aber auch die Verbindlichkeit ob, der Ehegattin nach seinem Vermögen den anständigen Unterhalt zu verschaffen und sie in allen Fällen zu vertreten.“

Das ABGB wurde im Laufe der Zeit regelmäßig an die neuen Zeiten angepasst. Nicht aber der Eheparagraf. Er reicht weit in das 20. Jahrhundert hinein. Bis 1975 hatte der Mann die „Schlüsselgewalt“ inne, er entschied über den Wohnsitz und ob seine Frau arbeiten gehen darf. Sie hatte sich seinen Anordnungen zu fügen. Weder eine Schulanmeldung noch einen Passantrag für die Kinder durfte sie unterschreiben, selbst dann nicht, wenn die Ehe schon geschieden war.

Das Modell der Hausfrauenehe war schon zum Zeitpunkt seiner Entstehung ein ideologisches Konstrukt, gerade gut für bürgerliche Kreise, im Allgemeinen konterkariert von der Wirklichkeit. Die Mehrheit der Untertanen in der Habsburgermonarchie fristete ihre Existenz ohne die Möglichkeit, jemals heiraten, sich eine eigene Wohnung leisten, Weib und Kinder ernähren zu können. Im Jahr 1890, so eine der wenigen Arbeitsstatistiken aus dieser Zeit, waren 42,9 Prozent der unselbstständigen Erwerbstätigen Frauen. Deren Kinder waren meist in Findelhäusern oder bei Kostfamilien untergebracht. Ab dem zehnten Lebensjahr konnten auch sie zur Arbeit in Fabriken geschickt werden. Die Erwachsenen wohnten zusammengepfercht in elenden Unterkünften, oft als Bettgeher. Um die „Sanierung der Konkubinate der Armen“ bemühten sich katholische Vereine.

„Nebenwiderspruch“.
Familie blieb unerfüllte Sehnsucht. Aus der Tatsache, dass unter Geisteskranken fast nur Unverheiratete zu finden waren, schlossen Ärzte der damaligen Zeit, dass das Scheitern der Familiengründung das auslösende Moment einer Psychose sein könnte. Das Prekäre der Familienideologie zeigt sich in der Härte gegenüber ihren Kritikern. Die Sozialdemokratin Adelheid Popp wurde 1895 wegen „Herabwürdigung der Institution Ehe“ in einem Zeitungskommentar vor Gericht gestellt und arrestiert.

Katholische Frauenvereine sorgten für die Weiterbildung der Töchter aus bürgerlichem Milieu, um sie vor „Müßiggang zu bewahren“ und auf die Ehe vorzubereiten. Im Staatsdienst gab es das „Fräulein von der Post“ und die Lehrerin, ledige oder verwitwete Frauen. Beamtinnen unterlagen einem Heiratsverbot. Diese Bestimmung, gegen die auch bürgerliche Frauen revoltierten, wurde erst nach dem Zusammenbruch der Monarchie 1920 abgeschafft, doch bis auf das rot regierte Wien und das Burgenland in allen Ländern bald wieder eingeführt.

Unter dem Deckmantel der Kirche durften sich Frauen engagieren, in politischen Parteien war ihnen das verboten. Selbst in der revolutionären Arbeiterbewegung hatten Frauen wenig zu sagen. Am Gründungsparteitag der Sozialdemokratie in Hainfeld 1889 wurde die einzige weibliche Delegierte wieder heimgeschickt, „da die Frauen noch zu wenig politisiert wären“, wie die Genossen meinten. Auch zehn Jahre später stieß der Wunsch, eine eigenständige Frauenorganisation zu gründen, noch auf Spott und Hohn. „Meine bessere Hälfte brauchen sie nicht mehr zu organisieren, die habe ich mir schon selber organisiert“, meinte der Reichsparteisekretär Franz Schuhmeier. Das Protokoll vermerkt „große Heiterkeit“. Diese Einstellung änderte sich erst mit dem Erstarken der Christlichsozialen, die mächtige Hausfrauenbewegung und den Verband Christlicher Frauen, auch „Lueger-Garde“ genannt, in ihrem Schlepptau, die entscheidend zum Wahlsieg des populären, antisemitischen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger beitrugen.

Rhetorisch waren die Ahnherren der Arbeiterbewegung, Karl Marx oder auch August Bebel, zwar scharf gegen die „Heuchelei der bürgerlichen Ehe“ aufgetreten, hatten deren ideologische Wurzeln in der Klassengesellschaft des Kapitalismus ausgemacht, doch die Frauenfrage galt ihnen als so genannter „Nebenwiderspruch“, der sich erst nach vollbrachter Revolution lösen werde. Sozialdemokraten lancierten im Verein mit kirchlichen Verbänden sogar ein Arbeitsverbot für Frauen und ein staatliches Müttergehalt. 1906 resümierte man am Verbandstag der Metall- und Bergarbeiter bitter, dass „der Kampf der Fachgruppen gegen das Eindringen von Frauen nicht den gewünschten Erfolg hatte“.

Mit erfolgreichen Lohnkämpfen konnten allmählich auch Facharbeiter eine bescheidene Variante der bürgerlichen Ehe verwirklichen. Die sozialen Errungenschaften des roten Wien in der Ersten Republik, die Wohneinheiten in den Gemeindebauten, waren auf die Kernfamilie zugeschnitten. Frauen und Mütter sollten, ihrer „wahren Bestimmung“ gemäß, ihren Männern „ein behagliches Heim“ bereiten, meinte der sozialdemokratische Parteiführer Otto Bauer.

Sozialdemokratische Frauenrechtlerinnen wie Therese Schlesinger kritisierten, dass Proletarierfamilien „ihre Söhne von klein auf daran gewöhnen, sich von Mutter und Schwester bedienen zu lassen“. Sie blieben ungehört. Wiederholte Versuche der Genossinnen, das Verbot der Abtreibung und die patriarchalischen Ehegesetze im Parlament zu Fall zu bringen, das erste Mal im Jahr 1920, als die Sozialdemokraten noch in der Regierung waren, schlugen fehl.

1925 forderten die Frauen, dass auch für uneheliche Kinder Alimente gezahlt werden sollten. Ein „Bund für Männerrechte“ protestierte im Nationalrat gegen solch „überspitzte Emanzipationsbestrebungen“. Er wurde von Männern aus allen Parteien unterstützt. „Bei uns in deutschen Landen (…) ist es Sitte, dass der Mann die Frau erhält. Wenn es bei Rassefremden anders ist, Gott sei Dank, bei uns ist es noch so!“, rief ein Abgeordneter des konservativen Heimatblocks den Frauen zu. Ende der zwanziger Jahre wurde in sozialdemokratischen Publikationen diskutiert, ob „Männer Hausarbeit verrichten sollen“. Es war die Zeit der großen Arbeitslosigkeit, die zum Februaraufstand der Arbeiterschaft 1934 führte und in die Diktatur des Austrofaschismus mündete.

Eine der ersten Maßnahmen des Dollfuß-Regimes war eine Verfassungsänderung, in der Vorrechte „aufgrund des Geschlechts und der Religion“ festgeschrieben wurden. Verheiratete Beamtinnen mussten nun zugunsten ihrer Ehemänner aus dem Staatsdienst ausscheiden. In der programmatischen Wochenzeitschrift „Der Ständestaat“ dekretierten die Christlichsozialen, „die alte Frauenbewegung, die zunächst ganz in der männlichen Ideologie stecken blieb“, werde nun „durch Frauen von starkem Kulturwillen, die sich zu ihrem Wesen bekennen, abgelöst“.

Vizekanzler Ernst Rüdiger Starhemberg beschwor bei einer bombastischen Muttertagsfeier im Mai 1934 die „Heiligkeit des Begriffs Mutter“. In der Illustrierten „Frau und Heim“ war 1935 zu lesen: „Eine gesunde Frau in normalen Verhältnissen, die kein Kind will, ist ein entartetes, drohnenhaftes Geschöpf mit verkrüppelter Seele, das auch nicht genug Liebeskraft haben wird, den Mann dauernd an sich zu fesseln.“ Die Präsidentin der katholischen Reichsfrauenorganisation, Fanny Starhemberg, beklagte den „erschreckenden Geburtenrückgang, die Vergreisung des Volkes, die zahllos gewollt kinderlosen Ehen, die vielen illegalen Verhältnisse und alles, was damit zusammenhängt“. Es kam noch schlimmer. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1938 in Österreich wurden zwar erstmals die Zivilehe und die Möglichkeit der Scheidung eingeführt, doch nun war „die heiligste Aufgabe der Frau die Reinhaltung der Rasse“. Nach NS-Programmatik gehörten Frauen „in Haus und Hof“, und als sie kriegsbedingt in die Rüstungsbetriebe zwangsverpflichtet wurden, weitete man „Haus und Hof“ auf „unser Deutschland“ aus. Das Mutterkreuz, strengstes Verbot von Abtreibung und Verhütungsmitteln für „Arierinnen“ taten ihre Wirkung. Die Geburtenrate stieg.

Spuren der Vergangenheit.
Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus sollte alles anders werden. Doch im Gegensatz zu Deutschland, wo der Alliierte Kontrollrat das nationalsozialistische Ehegesetz schon 1946 zur Gänze außer Kraft setzte, blieben Reste davon in Österreich bis zum heutigen Tag erhalten. Noch immer ist im Ehegesetz die „Absicht“ der Partner, Kinder zu zeugen, festgeschrieben. So mancher Standesbeamter versucht heutzutage in seiner Ansprache, das Kinderthema erst gar nicht anzusprechen, vor allem, wenn es sich um ältere Paare handelt.

In der ersten Phase nach dem Zweiten Weltkrieg waren mehr Frauen als Männer erwerbstätig, auch in typisch männlichen Berufen, als Kranführerinnen oder in der Stahlproduktion. Als die Männer aus der Gefangenschaft heimkehrten, wurden die Frauen wieder nach Hause geschickt. Der beginnende Wirtschaftsaufschwung war auch der Siegeszug der Hausfrauenehe. Die Erwerbsquote der Frauen lag damals bei 35 Prozent, doch gerade jüngere Frauen blieben vermehrt daheim. Der stolze Satz „Meine Frau braucht nicht arbeiten zu gehen“ kennzeichnete die Mentalität der sozialen Aufsteiger in den fünfziger Jahren. „Als Gattin und Mutter fühlt die Frau ins­tinktiv, worum es geht: Die Frau hat die Zukunft des Volkes zu wahren und Kinder zu erziehen“, ließ die ÖVP-Frauenbewegung 1954 über ihre Zeitung verlautbaren.

Sozialdemokratinnen bemühten sich in diesen Jahren, das alte Eherecht abzuschaffen. Von der SP-Führung wurde ihr Ansinnen nicht gerade leidenschaftlich unterstützt, von der ÖVP und kirchlichen Kreisen als „Umkehr der natürlichen Ordnung“ rundweg abgelehnt. „Die Rechtsordnung stimmt im Wesentlichen mit dem Rechtsempfinden der Bevölkerung überein“, war das Argument der Konservativen, die sogar die „obligatorische Zivilehe“ wieder rückgängig machen wollten, wie ÖVP-Justizsprecher Franz Gschnitzer im Parlament kundtat.
Erst 1975 unter der SPÖ-Alleinregierung von Bruno Kreisky wurde die Unterordnung der Frau in der Ehe abgeschafft und Abtreibung in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten straffrei gestellt. Doch die Unsitte, Familienpolitik als „verkappte Arbeitsmarktpolitik“ einzusetzen, wie Sozial­expertin Gerda Neyer formuliert, wurde fortgesetzt. Die SPÖ-dominierten Gewerkschaften verwendeten viel Energie darauf, Frauen den Arbeitsplatz Familie zuzuweisen. Noch im Jahr 1976 war es für Anton Benya, den Präsidenten des Gewerkschaftsbunds, selbstverständlich, dass Frauen bei steigender Arbeitslosigkeit zugunsten der Männer das Berufsfeld räumen.

Während in Skandinavien seit den sechziger Jahren Frauen gezielt auf den Arbeitsmarkt geholt wurden, warb Österreich lieber Gastarbeiter an. Und um den Frauen das Berufsleben nicht zu attraktiv zu machen, gab es bis in die achtziger Jahre ­hinein „Leichtlohn“-Gruppen für Frauen. Ein Freibrief für geringere Gehälter. Die Politik, Frauen vom Arbeitsmarkt fernzuhalten, war durchaus erfolgreich: 1890 stellten Frauen 42,9 Prozent der unselbstständig Beschäftigten. Heute sind es mit 47 Prozent unwesentlich mehr.

In den achtziger Jahren machte sich der konservative Trend auch unter Spitzenpolitikern bemerkbar. Die Gattin des sozialdemokratischen Kanzlers Franz Vranitzky und der ÖVP-Ideologe Andreas Khol waren ein Herz und eine Seele bei der Einschätzung, dass es für Kleinkinder nicht gut sei, wenn sie morgens „wie Milchkannen“ (Khol) bei einer Betreuungsstelle abgegeben würden. FPÖ-Chef Jörg Haider, der in diesen Jahren seinen Aufschwung nahm, hatte schon immer gewusst, dass solche Zustände „neurotische Verwahrlosung“ nach sich zögen und es kein Wunder sei, wenn solche Kinder später zu Drogen griffen. In den neunziger Jahren wurde das erhöhte Karenzgeld für Alleinerzieherinnen abgeschafft, eine Maßnahme, die Johanna Dohnal, die einzige Politikerin in der SPÖ, die stets kampfbereit die Sache der Frauen vertrat, fast zum Rücktritt genötigt hätte. Mit vereinten Kräften von Politikerinnen aller Parteien wurde in den neunziger Jahren auch das unterschiedliche Pensionsalter von Frauen und Männern in der Verfassung verankert. Ein Danaergeschenk. 60-jährige Frauen werden heute gegen ihren Willen aus den Jobs gedrängt.

Die schwarz-blaue Koalition erfand das Kindergeld und übergab einem Mann das Frauenministerium. Sämtliche Frauenberatungsstellen und Frauenhäuser wurden finanziell beschnitten, stattdessen eine Männerberatungsstelle mit beträchtlichen Mitteln ausgestattet. Die Geburtenrate schnellte nur einen Frühling lang nach oben.

Die viel beschworene „Wahlfreiheit“ ist bis heute eine Floskel: Nur 14 Prozent der Kinder unter drei Jahren haben einen Betreuungsplatz, damit liegt Österreich meilenweit von der EU-Vorgabe von einem Drittel entfernt. Die Öffnungszeiten sind oft nicht berufstauglich. In der Steiermark etwa sind Kindergärten im Schnitt 54 Tage pro Jahr geschlossen, das übersteigt jeden Urlaubsanspruch. Nur 17 Prozent aller Pflichtschulkinder besuchen ganztägige Schulen und Horte. Laut einer Elternbefragung aus dem Jahr 2009 bräuchte es mindestens dreimal so viele Plätze. So überrascht es nicht, dass mehr als die Hälfte der Frauen nur Teilzeit arbeiten. Unter den 30- bis 44-jährigen Frauen sind es sogar 62 Prozent, so viel wie nirgendwo sonst in Europa.

„Das System fördert die Versorger- und Dazuverdienerehe“, analysiert Ingrid Moritz, die Leiterin der Abteilung Frauen und Familie in der Arbeiterkammer. Mit Alleinverdienerabsetzbeträgen wird die Hausfrauenehe subventioniert. Arbeitslose Frauen verlieren ihren Anspruch auf Notstandshilfe, wenn der Partner zu viel verdient – egal, wie lang sie in den Topf der Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. Im Scheidungsrecht hält Österreich neben der Türkei, Italien und Spanien das anachronistische Prinzip aufrecht, dass man „schuldig geschieden“ werden kann, was Auswirkungen auf den Unterhaltsanspruch (meist der Ehegattin) hat. Frauen werden so weiterhin in der Versorgtenmentalität gehalten.

Selbst unter dem Deckmantel der Modernisierung schwappen erzkonservative Ideen hoch. Die nach der Wahlniederlage 2006 eingesetzte und von Josef Pröll geleitete „Perspektivengruppe“ der ÖVP diskutierte Uraltforderungen wie das Hausfrauengehalt. Homosexuelle dürfen seit 2010 heiraten, aber nicht am Standesamt. Außenminister Michael Spindelegger hatte damals eingewandt, dass es im Frühling, wenn viele heiraten, „am Standesamt automatisch zum Kontakt zwischen heterosexuellen und homosexuellen Paaren“ komme, und das sei zu vermeiden. Kardinal Christoph Schönborn hält die eingetragene Partnerschaft für Homosexuelle „weder für angebracht noch für notwendig“.

Die Definitionshoheit darüber, was in der Frauenpolitik schicklich und erforderlich ist, obliegt auch im 21. Jahrhundert zu einem erstaunlich hohen Grad dem Männerverein katholische Kirche. Im Herbst 2009 protestierten Schönborn und Bischof Klaus Küng gegen eine Jubiläumsfeier des Wiener „Ambulatoriums für Schwangerenhilfe“ im Wiener Rathaus, weil dort auch Abtreibungen durchgeführt werden. Wiens Bürgermeister Michael Häupl gab nach und verlegte die Feier in den Rathauskeller. Scheinheilige Begründung: Die Klimaanlage im Stadtsenatssitzungssaal sei defekt geworden.

Wäre es der Lernkurve von katholischen Würdenträgern und ihrem Familienbild zuträglich, wenn sie sich (auch offiziell) fortpflanzen und so der Lebenswirklichkeit begegnen könnten? Seniorenbund-Obmann Andreas Khol, über Jahrzehnte ein Bannerträger der konservativen Mütterideologie, gibt offen zu, dass auch seine sechs Kinder und deren Lebensentwürfe sein Bild von der heiligen Familie ins Wanken gebracht haben. „Mit dem moralischen Standpunkt kommen wir nicht weiter“, erklärt Khol heute seine Worte von gestern für überholt. „Man muss ganz ideologiefrei und objektiv eingestehen, dass die Familienpolitik gescheitert ist.“

Lesen Sie im profil 45/2010 ein Interview mit Andreas Kohl über die notwendige Kehrtwende bei der Familienförderung und ein Interview mit Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek über den Mutterkult.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling