Die Hakenkreuzfahrer Eichmann & Mengele

Die Hakenkreuzfahrer: Brisante Details über die Flucht hochrangiger Nazi-Verbrecher

Die Flucht hochrangiger Nazi-Verbrecher

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Mehr als dreißig Jahre lang war der verstaubte Aktenschrank in einer Ecke des römischen Palazzo Cesi, des Sitzes der Militäranwaltschaft, mit der Tür zur Wand gestanden. Irgendwann Anfang der sechziger Jahre hatte ihn jemand hierher verräumt, weil sein Inhalt das gute Verhältnis zum NATO-Partner Deutschland hätte trüben können. Immerhin enthielt er von den Alliierten unmittelbar nach Kriegsende angelegte Akten über Gräueltaten der NS-Besatzer in Italien, Zeugenaussagen über Geiselerschießungen, die Namen von SS-Größen und Angaben über deren vermuteten Aufenthalt.
Eigentlich hätte die Militärstaatsanwaltschaft als zuständige Behörde all dem nachgehen müssen. Aber dann änderten sich die Zeiten und die Fronten. Der Schrank kam in diese vergessene Ecke und wurde erst 1994 wieder entdeckt. Wie in Österreich war auch in Italien das Interesse an der Aufarbeitung der traumatischen Jahre der faschistischen Diktatur mit dem immer heißer werdenden Kalten Krieg erlahmt.

Jetzt apern die alten Papiere nach jahrzehntelanger Lagerung im ewigen Eis der Archive an verschiedenen europäischen Schauplätzen wieder aus. Viele Nationalarchive öffnen ihre Rollschränke, das Rote Kreuz in Genf gewährt Historikern erstmals Zugang zu bisher geheimer Korres­pondenz, und selbst kirchliche Quellen erschließen sich den Forschern nach und nach.
Die nun zugänglichen Dokumente werfen ein neues Licht auf ein bis heute in mystischem Dunkel liegendes Kapitel mitteleuropäischer Zeitgeschichte: die Flucht hunderter NS-Massenmörder nach Süd­amerika.

Der Tiroler Historiker Gerald Steinacher hat nach intensiver Quellen­arbeit die „Rattenlinie“, auf welcher Nazi-Schergen wie Adolf Eichmann und Josef Mengele entkamen, nachgezogen. Steinachers Schluss: Es waren nicht irgendwelche geheimen SS-Bünde wie die sagenumwobene „Odessa“, die den Kriegsverbrechern den Weg nach Übersee wiesen, sondern zwei Institutionen, die über solchen Verdacht erhaben schienen: der Vatikan und das Rote Kreuz. Die bisher umfassendste Darstellung dieses Themas erscheint am Montag dieser Woche in Buchform. Die Spitze des NS-Staats – Hitler, Goeb­bels, Himmler – hatte sich durch Selbstmord den Richtern entzogen, ein anderer Teil der für Krieg und Holocaust Verantwortlichen wurde bei Prozessen in Nürnberg, aber auch in Polen und der ­Sowjetunion abgeurteilt.

Korridor Südtirol. Bis zu 800 höheren NS-Funktionären, darunter rund 50 Schwerbelasteten, gelang nach Schätzung von Experten die Flucht. Fast alle nahmen den Weg über Italien. Der Mittelmeerstaat war aus mehreren Gründen das ideale Durchgangsland: Zum einen hatten die Alliierten Verwaltung und Rechtsprechung schon unmittelbar nach Kriegsende in die Hände der nationalen Behörden gelegt; zum anderen verfügte Italien über große Häfen, von denen Schiffe in alle Himmelsrichtungen ausliefen; und es hatte mit Südtirol ­einen Eingangskorridor, dessen deutschsprachige Bevölkerung den Nöten der Flüchtenden bisweilen recht aufgeschlossen war.
Vor allem aber nutzten die sich davonmachenden Nazis den Umstand, dass nach Kriegsende Millionen von Europäern heimatlos über den Kontinent und nach Übersee strömten. Allein auf dem Gebiet des heutigen Österreich befanden sich im Frühsommer 1945 rund 1,5 Millionen Ausländer: Volksdeutsche, die ihre Heimat im Osten verlassen mussten; mit den Nazis verbündete Kosaken, die nicht in ihre Heimat zurückkonnten; vor Tito flüchtende Ustascha-Männer aus Kroatien; Juden, die sich nach dem Grauen im KZ nach Paläs­tina durchschlagen wollten.

Ihre Pforte in ein neues Leben war der Brenner. Seine Überwindung hatte fixe Tarife: „Bei Juden wurde meist gewartet, bis sechs Mann beisammen waren, sie wurden pauschal für 4000 Schilling geführt. Namhafte Nationalsozialisten mussten den kostspieligsten Aufwand in Kauf nehmen: 1000 Schilling pro Mann“, schreibt Buchautor Steinacher. Die SS-Bonzen, KZ-Wärter, Gauleiter und Gestapomänner schwammen in diesem Strom der Heimatlosen wie Fische durch die Alpentäler. Simon Wiesenthal berichtete von einem Meraner Gasthof, in dem Holocaust-Opfer und SS-Schergen manchmal die Nacht unter demselben Dach verbrachten, ohne zu wissen, wer da im Nebenzimmer logierte. Ziel der meisten Emigranten war Argentinien, wo seit 1946 der Rechtspopulist Juan Perón regierte. Der Staat am Rio de la Plata war seit jeher deutschfreundlich und hatte als letztes Land der Welt erst am 27. März 1945 auf Druck der USA Deutschland den Krieg erklärt. Da stand die Rote Armee schon vor Wien.

Südtirol war eine bequeme Zwischenstation. Wie in Nordtirol, wo es, gemessen an der Bevölkerungszahl, die höchs­te Nazi-Dichte Österreichs gab, waren auch in Südtirol die Sympathien für die NS-„Emigranten“ überdurchschnittlich hoch. So siedelte sich etwa der im Nürnberger Prozess freigesprochene Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht in Meran an, von wo er problemlos auf seine Schweizer Konten zugriff. In einer Pension in Meran, die von einer ominösen „Tante Anna“ geleitet wurde, versteckte sich monatelang der SS-Arzt Emil Gelny, verantwortlich für zahllose Eutha­nasiemorde in Gugging und Mauer-Öhling. Er wanderte später nach Syrien aus. Der sicherste Hafen der flüchtenden Nazi-Bonzen war aber die südlich von Bozen gelegene Weinbaugemeinde Tramin, seit 1933 Hochburg des „Völkischen Kampfrings Südtirol“, einer Organisation, die sich von der NSDAP – vergeblich, wie sich später herausstellte – Hilfe gegen die brutale Italianisierungspolitik Mussolinis erhoffte. Nach Kriegsende hatte der Bürgermeister Schachteln mit Blankoformularen für Identitätskarten beiseitegeschafft. Pures Gold in Zeiten wie jenen.

1950 wurde auf diese Art Adolf Eichmann, der Organisator der Judentransporte in die NS-Vernichtungslager, Bürger Tramins. Der 1906 geborene, in Linz aufgewachsene Sohn eines Buchhalters war schon 1932 in die NSDAP eingetreten, hatte rasch Karriere gemacht und sich von 1935 bis Kriegsende der „Judenfrage“ gewidmet. Innerhalb von 18 Monaten vertrieb er 150.000 Juden aus Wien – ins Exil oder in den Tod. Noch kurz vor Kriegsende arbeitete er hektisch an der Vernichtung der ungarischen Juden.

Persilscheine. Im vertrauten Ausseerland, wohin er sich geflüchtet hatte, entkam Eichmann im Mai 1945 nur knapp der US Army, wurde wenig später dennoch geschnappt und floh abermals. Zwei Jahre lang lebte er unter falschem Namen als Holzfäller in der Lüneburger Heide und verdingte sich nach der Pleite des Betriebs als Gelegenheitsarbeiter. 1950 hatte er genug Geld für die Flucht nach Südamerika angespart. Die Grenze nach Österreich überquerte er bei Kufstein in Bergsteigermontur, mit Tiroler Hut und Gamsbart. Tirol durchquerte Eichmann im Taxi. Am Brenner warteten die Schlepper. Auf Südtiroler Seite angelangt, brachte der Pfarrer von Sterzing den Flüchtling ins Franziskanerkloster Bozen. Den Identitätsausweis verschaffte ihm der Bürgermeister von Tramin per Blankoformular: Nunmehr hieß er Josef Klement, Techniker, geboren 1913 in Bozen.

Eichmann hatte seine Biografie genau abgezirkelt: Er gab sich als einer jener 75.000 „Optanten“ aus, die sich nach dem Hitler-Mussolini-Abkommen von 1939 für eine Auswanderung ins Deutsche Reich entschieden und die italienische Staatsbürgerschaft zurückgelegt hatten – immerhin fast ein Drittel der Südtiroler Bevölkerung. Als Rückkehrer nach Südtirol war er somit staatenlos und berechtigt, einen Pass des Roten Kreuzes zu bekommen. Diesen beantragte Eichmann auch sogleich und fuhr nach Genua, um sich dort am 14. Juni 1950 einzuschiffen. Zielhafen: Buenos ­Aires. Zwei Jahre später holte Eichmann seine Familie nach. 1960 spürten ihn Mossad-Agenten auf und entführten ihn nach Israel. Nach einem aufsehenerregenden Prozess wurde Eichmann 1962 in Tel Aviv gehenkt.

Identitäten. Zwei Jahre zuvor war ein anderer Kriegsverbrecher auf demselben Weg entschlüpft. Josef Mengele, Jahrgang 1911, der Lager-„Arzt“ von Auschwitz, war drei Jahre lang auf einem abgelegenen Bauernhof in Deutschland untergetaucht gewesen, bevor er sich auf den Weg nach Süden machte. Mengele hatte Geld: Seine Familie betrieb einen florierenden Landmaschinenhandel und war froh, den Schwerbelasteten loszuwerden. Wie Eichmann wurde auch Mengele in Tramin mit einem Identitätsausweis versorgt. Jetzt hieß er Helmut Gregor und gab sich – ebenfalls wie Eichmann – als zurückgekehrter Südtiroler aus. Damit stand auch ihm als Staatenlosem der Pass des Roten Kreuzes zu. 1948 schiffte sich Mengele nach Argentinien ein. Als der Mossad 1960 Adolf Eichmann schnappte, floh Mengele nach Brasilien und stellte sich unter den Schutz der rechten Militärs. 1979 erlitt er beim Schwimmen im Meer einen Schlaganfall und ertrank.

Wusste das Rote Kreuz, wem es da zur Flucht verhalf? Die Hilfsorganisation hatte schon während des Krieges eine eher zweifelhafte Rolle gespielt. Ihr Präsident, der Schweizer Carl Jakob Burckhardt, hatte zunächst das Dritte Reich bewundert und war nach Angaben von Zeitzeugen zumindest latent antisemitisch. Spätestens seit 1943 wusste die Führung des Roten Kreuzes von den Vorgängen in den Vernichtungslagern, erklärte sich aber unzuständig: Die Genfer Konvention umfasse nur Kriegsgefangene, nicht jedoch zivile Gefangene, verteidigten sich die RK-Granden, als sie nach Kriegsende unter Beschuss kamen. So Nazi-affin agierte das Rote Kreuz, dass die US-Aufklärung 1944 in einem Dossier zum Schluss kam: „Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz wird wahrscheinlich vom deutschen Geheimdienst gesteuert.“

Die Ausgabe der von den meisten Regierungen anerkannten Rotkreuzpässe war zunächst ein Gebot der Stunde gewesen, um der gewaltigen Flüchtlingsströme Herr zu werden. Aber selbst als 1947 ruchbar wurde, dass sich dutzende Kriegsverbrecher mit diesem Papier aus dem Staub gemacht hatten, änderte man die Praxis nicht. Noch verwerflicher war freilich das Agieren des Vatikans. Rom hatte nach Kriegsende die Pontifica Commissione Assistenza eingerichtet, die ebenfalls Identitätskarten ausstellte. Diese Ausweise wurden allerdings nur von wenigen Regierungen anerkannt. Umso wirkungsvoller war ein Persilschein des Vatikans beim Ansuchen um einen Pass des Roten Kreuzes. So hatte sich auch Adolf Eichmann ein Empfehlungsschreiben der Pontifica Commissione besorgt, das von Pater Eduard Dömöter unterschrieben war. Dömöter war engster Mitarbeiter von Bischof Alois Hudal. Der 1885 in Graz geborene Hudal hatte im Vatikan Karriere gemacht und war von der Idee beseelt, den Nationalsozialismus zu verchristlichen. 1937 verfasste er das Buch „Die Grundlagen des Nationalsozialismus“, das er Hitler mit der Widmung „Dem Siegfried deutscher Größe“ zueignete. Hudal war überzeugter Antisemit und hatte die Nürnberger Rassengesetze überschwänglich begrüßt.

Nazi-Quartiergeber. Weder Papst Pius XII. noch dessen engster Mitarbeiter, Staats­sekretär Giovanni Montini (der spätere Papst Paul VI.), stießen sich an den Aktivitäten Hudals. Zumindest Montini, der die Aufsicht über die Pontifica Commissione hatte, musste über einen entsprechenden Informationsstand verfügen. Immerhin hielten sich in Hudals Haus ständig mindestens fünf flüchtige Nationalsozialisten auf. Selbst die schlimmsten Kriegsverbrecher konnten auf Hudal zählen. So bereitete er 1948 minutiös die Flucht Franz Stangls vor. Stangl, geboren 1908 in Altmünster, war Verwaltungsleiter der Vernichtungsanstalt Hartheim in Oberösterreich und später Kommandant der Todeslager Treblinka und Sobibor. 1948 gelang ihm die Flucht aus einem Linzer Gefängnis. Rasch schlug er sich nach Rom durch, wo ihn ein Kamerad in das Haus Hudals brachte. Nachdem man Stangl 1967 im brasilianischen São Paulo verhaftet und an Deutschland ausgeliefert hatte, beschrieb er die Begegnung mit Hudal: „Der Bischof kam in das Zimmer, in dem ich wartete, streckte mir beide Hände entgegen und sagte: ,Sie müssen Franz Stangl sein.‘“ In den folgenden Wochen jobbte der Massenmörder über Vermittlung Hudals in einer vatikanischen Bibliothek, ehe er mit einem Rotkreuzpass in sein erstes Exilland Syrien abreiste. Stangl starb 1971 in einem deutschen Gefängnis.

Der Greis auf der Vespa. Der SS-Offizier Erich Priebke, Jahrgang 1913, hatte seine Gräueltaten in Italien selbst verübt, wo er als Vergeltung für Partisanenüberfälle hunderte zivile Geiseln erschießen ließ. Nach Kriegsende verbargen ihn Franziskanerpatres auf Bitten Hudals in einem Kloster bei Bozen. 1948 setzte sich Priebke nach Argentinien ab. Anfang der neunziger Jahre ausgeforscht, wurde Priebke nach Italien überstellt und 1998 zu lebenslanger Haft verurteilt, die jedoch in Hausarrest umgewandelt wurde. Seit 2007 darf er sich wieder frei in Rom bewegen. Dort sieht man den rüstigen Greis oft mit einem Betreuer auf der Fahrt zum Einkaufen am Soziussitz einer Vespa. Auch der Wiener SS-Gruppenführer Otto Wächter, verantwortlich für Massenmorde in Galizien, logierte bei Hudal. Der Bischof hatte ihn in einem Kloster in Rom untergebracht, in welchem er 1949 starb. Durch Wächters Tod wurden allerdings erstmals Hudals Aktivitäten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Der Vatikan sah sich gezwungen, den Geldhahn zuzudrehen. Hudal wurde freilich längst auch vom US-Geheimdienst OSS finanziell unterstützt, den er davon überzeugt hatte, seine Aktivitäten würden ausschließlich dem Kampf gegen den Kommunismus dienen. „Das war auch das zentrale Interesse des Papstes“, meint Buchautor Steinacher. „Gerade in Italien waren die Kommunis­ten stark. Ihren Regierungseinzug zu verhindern war das Ziel, dem auch der Vatikan alles unterordnete.“ Und Antikommunisten waren die Nazis allemal.
Erst die dezidierte Forderung der österreichischen Bischofskonferenz zwang Hudal 1952 zum Amtsverzicht. Er zog sich verbittert in eine kleine Villa bei Rom zurück, wo er 1963 starb.

Aber Hudal war nicht der einzige Helfer der Nazi-Größen. So lotste etwa der im Vatikan für die kroatischen Katholiken zuständige Pater Krunoslaw Draganovic den Chef des mit Hitler kooperierenden kroatischen Ustascha-Staates, Ante Pavelic, ins argentinische Exil. Pavelic war für den Tod zehntausender Serben, Juden und Roma verantwortlich. Draganovic stattete auch den „Schlächter von Lyon“ genannten Klaus Barbie, einen Folterknecht der schlimmsten Sorte, mit einem vatikanischen Passierschein aus. Barbie hatte aber auch noch andere Schutzherren: Der US-Geheimdienst CIC heuerte ihn 1951 an und brachte ihn nach Bolivien, wo Barbie in „Sicherheitsakademien“ der Militärjunta Folterer für den Kampf gegen die linke Guerilla ausbildete. Nebenbei fädelte er für die österreichische Steyr AG Panzergeschäfte in Südamerika ein. Als 1983 in Bolivien eine demokratische Regierung an die Macht kam, wurde Barbie festgenommen und an Frankreich ausgeliefert. Er starb 1991 in französischer Haft an Krebs.

In den neunziger Jahren flammte eine längst überfällige Debatte über die Rolle der Kirche als Fluchthelfer von Kriegsverbrechern auf. Papst Johannes Paul II. zeigte wenig Einsicht. „Die Arbeit der päpstlichen Hilfskommission als Unterstützung zur Flucht von Kriegsverbrechern darzustellen ist historisch falsch“, ließ er über seinen Sprecher Navarro-Vals mitteilen. Roma locuta – causa finita.

Schlepper. Nicht immer ging die Flucht der NS-Bonzen glatt. Der frühere Gestapo-Chef von Linz, Gerhard Bast, war wie viele seiner Gesinnungsfreunde in Südtirol untergetaucht. Seinen Rotkreuzpass, lautend auf den Namen Franz Geyer, und das Visum für Argentinien hatte er bereits in der Tasche, er wollte aber noch einmal seine in Innsbruck lebende Frau besuchen. Bast heuerte einen Schlepper an, einen 25-jährigen Hilfsarbeiter aus Brennerbad, der ihn nach Österreich und später zurück nach Italien bringen sollte. Nahe der Pass­höhe zog der Schlepper eine Pistole und erschoss Bast – offenbar in der Hoffnung auf Beute. Basts Sohn Martin Pollack, bis 1998 Korrespondent des „Spiegel“ in ­Wien, hat das Leben und Sterben seines Vaters 2004 in einem Roman verarbeitet („Der Tote im Bunker“, Zsolnay Verlag).

Auf der österreichischen Seite des Brenners, in Gries, war der Gastwirt Jakob Strickner der begehrteste Schlepper. Strickner hatte auch dem KZ-Arzt Josef Mengele den Weg in den Süden gewiesen. Nach 1945 war Strickner 24 Jahre lang ÖVP-Bürgermeister von Gries am Brenner. 1985 deckte die „Bunte“ die Vergangenheit des nunmehrigen Ex-Bürgermeis­ters auf. Damals wurde auch bekannt, dass Strickner schon 1934 der SS beigetreten war und bei den Novemberpogromen 1938 die Wohnungen von Innsbrucker Juden geplündert hatte. Daraufhin entschuldigte sich der damals amtierende Bürgermeister von Gries, Andreas Hörtnagel, bei den Holocaust-Opfern für die Taten seines Amtsvorgängers. Strickner klagte Hörtnagel wegen Ehrenbeleidigung, blitzte aber vor Gericht ab. 1992 wurde Hörtnagel abgewählt, weil er 20 rumänische Asylanten in der Gemeinde aufgenommen hatte.

Oft war es gar nicht nötig, das Risiko der Flucht zu wagen, wie das Beispiel von Karl Hass zeigt, einem SS-Sturmbannführer, der gemeinsam mit Priebke in den ardeatinischen Höhlen hunderte Geiseln hatte erschießen lassen. Hass, geboren 1912 in Kiel, lebte nach dem Krieg abwechselnd in Österreich und in Italien und wirkte, obwohl auf der Fahndungsliste stehend, 1969 sogar in einer Nebenrolle im Visconti-Film „Die Verdammten“ mit. Er spielte – sehr glaubhaft – einen NS-Offizier. Hass starb 2004 in einem römischen Altersheim.

Von Herbert Lackner