Die Schlüsselperson im Siemens-Skandal

Die Schlüsselperson im Siemens-Skandal: Wer war der 54-jährige Werbemanager?

Wer war der 54-jährige Werbemanager?

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Am einzigen Parkplatz des kleinen Skigebiets Unterberg herrschte über die Feiertage reger Betrieb. Auf der 1342 Meter hohen Erhebung rund 25 Kilometer nordwestlich von Wiener Neustadt liegt derzeit genügend Schnee, um auch Besucher aus dem benachbarten Ausland anzulocken. Vor einigen Wochen war das noch ganz anders. Anfang Oktober war es noch still im Piestingtal. Am frühen Abend des 2. Oktober waren es gerade einmal ein paar Jäger, die dem Unterberg einen Besuch abstatteten. Unter ihnen: Roland K. In der Dämmerung erspäht der 54-jährige Niederösterreicher, lange Jahre in der Werbebranche tätig, einen Hirsch – und schießt. Was sich in den folgenden Augenblicken abspielt, lässt sich nur noch rekonstruieren. K. steigt vom Hochstand herunter und will auf der untersten Sprosse stehend sein Gewehr nachziehen. Dabei löst sich aus der nicht gesicherten Flinte ein Schuss, der K. in den Kopf trifft. Der dreifache Familienvater ist auf der Stelle tot.

Rätselhaft. Für die Polizei ist der Todesfall geklärt. „Aufgrund der Spurenlage können sowohl Suizid als auch Fremdverschulden ausgeschlossen werden“, so Gerhard Gold, der ermittelnde Beamte des Landeskriminalamtes. Trotzdem wirft der Tod von Roland K. zahlreiche Fragen auf. Der Werber dürfte nach profil vorliegenden Erkenntnissen nämlich eine Schlüsselrolle im Schmiergeldskandal rund um den deutschen Technologiekonzern Siemens eingenommen haben. Sein Wissen hat K. nun mit ins Grab genommen. Dabei hätte er einiges zu erzählen gehabt: Ein ehemaliger hochrangiger Siemens-Manager hatte K. bei einer Einvernahme bei der Staatsanwaltschaft München vor mittlerweile mehr als zwei Jahren als einen der wichtigsten Kontaktmänner des Siemens-Schmiergeldkarussells in Österreich identifiziert.

Der Reihe nach:
In einer generalstabsmäßig geplanten Aktion durchsuchen am 15. November 2006 Polizeibeamte Siemens-Büros sowie Privatwohnungen in München, Erlangen und Wien. Der Verdacht: Eine Gruppe von Siemens-Managern soll über Jahre hinweg Millionenbeträge an Schmiergeldern bei Projektvergaben aus so genannten schwarzen Kassen bezahlt haben. Insgesamt, so stellt sich später heraus, geht es um einen Betrag in der Höhe von 1,3 Milliarden Euro. Alleine in Deutschland sind mehr als 270 Beamte unter der Leitung der Staatsanwaltschaft München I im Einsatz, mehr als 36.000 Aktenordner und etliche Festplatten werden sichergestellt. Eine der Briefkastenfirmen, über die Geld aus dem Siemens-Konzern auf die Schmiergeldkonten transferiert worden sein soll, ist in Österreich domiziliert. In der Wiener Innenstadt werden die Räumlichkeiten der Krhoma Handels GmbH durchsucht. Bei Krhoma dürfte es sich um eine von zahlreichen Briefkastenfirmen gehandelt haben, die Siemens-Gelder zur Weiterverteilung brachten. Das System war simpel: Briefkastenfirmen wie Krhoma stellten Millionenbeträge für Beratungsleistungen bei Siemens in Rechnung und reichten das Geld an „verbundene“ Gesellschaften weiter. Die Krhoma Handels GmbH, die sich mittlerweile in Liquidation befindet, stand beispielsweise im Einflussbereich einer Trans National Holdings Group Ltd. mit Sitz auf den britischen Virgin Islands. Über derlei undurchsichtige Vehikel im Ärmelkanal leiteten schließlich eingeweihte Siemens-Mitarbeiter die Schmiergelder an Entscheidungsträger für die wohlwollende Behandlung von Auftragsvergaben oder Privatisierungen weiter. Die direkte Spur zu Siemens war damit verwischt.

In Österreich gab es zunächst auch keinerlei Hinweise auf strafbare Handlungen. Die Behörden überließen die Ermittlungen den deutschen Kollegen. Diese stießen im Laufe der Recherchen auf immer mehr Spuren nach Österreich. Der Grund dafür heißt Reinhard Siekaczek. Der ehemalige Siemens-Direktor war jahrelang für die Organisation von so genannten schwarzen Kassen zuständig. Siekaczek besorgte den Kollegen, was Siemens-intern nur „NA“ genannt wurde – „Nützliche Aufwendungen“, also Schmiergeld. Im Konzern hatte sich über die Jahre eine Art Paralleluniversum gebildet, das mit Duldung und Wissen eines Großteils des Managements die Drecksarbeit übernahm. Allerdings war Siekaczek vorbereitet, als er Mitte November 2006 Besuch von der Staatsanwaltschaft bekam. Der heute 58-Jährige hatte zu seinem eigenen Schutz regelmäßig Unterlagen über seine Tätigkeit kopiert – insgesamt 39 Aktenordner mit brisanten Informationen über Zahlungen nach Libyen, Nigeria, Russland. Als Kronzeuge fasste er schließlich eine Geldstrafe von 108.000 Euro und zwei Jahre auf Bewährung aus.

Siekaczek dürfte längst nicht der Einzige bleiben, der in der Siemens-Affäre zur Rechenschaft gezogen wird. Erst kürzlich kündigte die Siemens AG an, Schadenersatzklagen gegen das ehemalige Management einzubringen. Angeblich auch gegen den langjährigen Konzernchef und späteren Aufsichtsratsvorsitzenden Heinrich von Pierer sowie dessen Nachfolger als Siemens-Vorstandsvorsitzender Klaus Kleinfeld. Beide legten im Verlaufe der Schmiergeldaffäre ihre Posten bei Siemens zurück. Die Siemens AG selbst wird nicht vor Gericht gestellt. Sowohl in den USA als auch in Deutschland konnte man sich mit Bußgeldzahlungen in der Höhe von insgesamt rund 1,2 Milliarden Euro vergleichen.

Verbindungen. Reinhard Siekaczek wusste bei einer Einvernahme bei der Staatsanwaltschaft München I am 20. November 2006 auch Interessantes über Verwicklungen von Siemens Österreich zu erzählen (profil berichtete ausführlich): „Namentlich bekannt ist mir noch Herr Dr. K., der offensichtlich zusammen mit einer Anwaltskanzlei eine so genannte Briefkastenfirma in Nikosia/Zypern als Geschäftsführer unterhält. Über diese Firmen wurden bzw. werden offensichtlich Provisionszahlungen von Siemens Com Wien (…) abgewickelt“ (siehe Kasten). Und weiter: „Den K. muss es in diesem Zusammenhang noch geben, er war doch sozusagen die Spinne im Netz.“ Siemens-Chefin Brigitte Ederer hat eine Beteiligung der österreichischen Landessparte stets ausgeschlossen. Während die österreichischen Behörden zunächst keine eigenen Ermittlungen anstellten, wurde Ende des Jahres 2007 ein Wiener Privatdetektiv von einer international tätigen Detektei mit Nachforschungen betraut. Sein Auftrag war es, herauszufinden, ob es eine Verbindung zwischen dem Siemens-Skandal und dem weltweit operierenden Werbeagenturnetzwerk Young & Rubicam gäbe. Die Investigationen verliefen im Sand. Dabei gab es die Verbindung tatsächlich: Roland K. war von 2001 bis zu seinem krankheitsbedingten Ausscheiden im März 2008 Geschäftsführer bei der Wiener Niederlassung von Young & Rubicam. Agenturchef Alois Schober wollte dazu auf Anfrage keinen Kommentar abgeben.

Seit dem Vorjahr ermitteln nun auch österreichische Behörden. Der Grund: Bei der Siemens-Hauptversammlung im Jänner 2008 wurden auf Nachfrage verdächtige Zahlungen in der Höhe von 60 Millionen Euro bei der österreichischen Teilgesellschaft eingeräumt. Die zuständige Staatsanwältin Petra Meissner sichtete über mehrere Monate hinweg Akten, die aus München angefordert worden waren. Zuletzt waren Vertreter der US-Anwaltskanzlei Debevoise&Plimpton zu Gesprächen in Wien. Die US-Anwälte sind von Siemens selbst mit der lückenlosen Aufklärung der Korruptionsaffäre beauftragt worden. „Einige der uns zu­gesicherten Unterlagen von Debevoise&Plimpton fehlen noch. Sobald die in Wien sind, wird mit den Einvernahmen begonnen“, so Gerald Jarosch, Sprecher der Staatsanwaltschaft Wien. Roland K. wird keine Gelegenheit haben, sich vor den Behörden zu rechtfertigen. „Wir hätten ihn natürlich gerne einvernommen“, so Jarosch.

Möglicherweise kann der ehemalige Finanzvorstand von Siemens Österreich, Harald Wasserburger, ein wenig Licht ins Dunkel der Affäre bringen. Wasserburger war vor seinem Aufstieg in die oberste Konzernetage Finanzvorstand der Kommunikationssparte gewesen, wo der überwiegende Teil der inkriminierten Handlungen stattgefunden haben soll. Im Oktober des Jahres 2007 legte Wasserburger seinen Posten bei Siemens zurück und machte sich selbstständig. Laut Siekaczek war Wasserburger „mit Sicherheit involviert“, dieser selbst stritt jede Verwicklung in die Schmiergeldaffäre vehement ab. Gänzlich unbekannt dürfte ihm aber zumindest Roland K. nicht gewesen sein. ­Anfang März 2007 wurden im Wiener ­Rathaus 13 Mitglieder österreichisch-­ausländischer Gesellschaften wegen ihres „unermüdlichen Einsatzes im Dienste der Völkerverständigung“ mit dem Goldenen Ehrenzeichen ausgezeichnet. Darunter Roland K. und Harald Wasserburger.

Von Josef Redl