Hopp oder dropp

Das Staatsbürgerschaftsgesetz wird novelliert

Einwanderung. Das Staatsbürgerschaftsgesetz wird novelliert. Die großen Probleme bleiben

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Rainer Bauböck ist seit 2007 Professor für politische Theorie am Europäischen Hochschulinstitut (EUI). Dort erforscht der gebürtige Österreicher in lauschiger Hügellage über Florenz derzeit das Staatsbürgerschaftsrecht in 36 Ländern.

Vergangene Woche reiste er zu einer Tagung nach Wien, im Gepäck die taufrischen Daten seiner Vergleichserhebung. Mit Blick auf die kleine Alpenrepublik zeigen seine Tabellenungetüme vor allem eines: Österreich ist für angehende Staatsbürger ein hartes Pflaster.

Schuld daran ist ein Staatsbürgerschaftsrecht, das zuletzt 2009 verschärft wurde. Nun brütet das Innenministerium eine neue Novelle aus. "Der Entwurf geht im Herbst in Begutachtung“, sagt eine Ministeriumssprecherin knapp.

Experten fordern seit Langem eine Rundumerneuerung des Paragrafenwerks. Das Verbot von Doppelstaatsbürgerschaften, lange Wartezeiten für die Einbürgerung, hohe Einkommensgrenzen und strenge Anforderungen an Sprachkenntnisse drückten die Zahl der Neu-Österreicher in den Keller. 2003 bekamen über 45.000 Menschen einen österreichischen Pass, im Vorjahr waren es nur noch 6690.

Das ist alles andere als eine Jubelmeldung. Hohe Hürden für die Einbürgerung halten niemanden davon ab, ins Land zu kommen. Sie schließen aber viele, die schon lange hier leben, vom politischen Geschehen aus. "Die Staatsbürgerschaft ist der Zugang zur Demokratie“, sagt Politikwissenschafter Bauböck: "Je höher der Anteil von Nicht-Eingebürgerten an der Wohnbevölkerung, desto weniger repräsentativ ist sie.“

Im Laufe dieses Jahres wird die Zahl der Nicht-Österreicher im Land die Millionengrenze überschreiten. 40 Prozent EU-Bürger dürfen bei Kommunal- und EU-Wahlen mitstimmen. Von Landtags- und Nationalratswahlen sind alle Ausländer ausgeschlossen, egal, wie lange sie hier leben. In Wien betrifft das mehr als ein Fünftel der Bevölkerung. Bauböck: "Das wird zu einem Problem für die Demokratie.“

Entschärft würde es bereits, ränge sich der Gesetzgeber dazu durch, der zweiten und dritten Zuwanderergeneration die Staatsbürgerschaft bei der Geburt zu verleihen. In Frankreich, Spanien, Irland, Belgien, Portugal, Griechenland, Großbritannien und Holland ist das geltendes Recht; Deutschland zog unter Rot-Grün nach.

In Österreich besteht die geschrumpfte Schar frisch Eingebürgerter mittlerweile zu mehr als einem Drittel aus Menschen, die im Land geboren wurden. Jedes Jahr erblicken hier 10.000 Babys das Licht der Welt, deren Eltern legal niedergelassen sind. "Leider machen wir diese Kinder zuerst zu Ausländern, nur um sie später kostspielig und langwierig wieder einzubürgern“, sagt die grüne Abgeordnete Alev Korun.

Im heimischen Staatsbürgerschaftsrecht zählt Abstammung mehr als der Geburtsort. Kinder von österreichischen Eltern bekommen einen österreichischen Pass. Ist das Paar nicht verheiratet, der Vater Österreicher und seine Partnerin Ausländerin, wird das Kind nicht per Geburt Österreicher - eine Ungleichbehandlung, die dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) aufstieß. Bei der nächsten Novelle muss sie repariert werden.

Zehn Jahre wartet man hierzulande auf die Einbürgerung. Nur in der Schweiz dauert es noch länger (zwölf Jahre). 2006 und 2009 hatte der Gesetzgeber auch noch die finanzielle Latte für Einbürgerungen höher gelegt. Zu Gebühren von rund 1000 Euro - Kosten für Übersetzungen, Beglaubigungen, Deutschkurse und Prüfungsgebühren nicht eingerechnet - kamen strenge Einkommensgrenzen.

Dahinter steht für Joachim Stern vom Institut für Staats- und Verwaltungsrecht eine "recht elitäre Vorstellung davon, wer Österreicher werden darf“. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Arme gar nicht erst eingebürgert. Damit verhinderte der Staat, dass sie ihm als Österreicher auf der Tasche lagen. 1965 nahm der Gesetzgeber Menschen, die unverschuldet in Not geraten waren, von dieser Bestimmung aus. Selbst diese Härteklausel fiel 2006.

Seither müssen Anwärter auf eine Staatsbürgerschaft ein Einkommen über den Richtsätzen der Ausgleichszulagen vorweisen (Paare: 1222 Euro, Alleinstehende: 815 Euro). Vor drei Jahren schlug der Gesetzgeber auch noch Mieten, laufende Kreditraten und Unterhaltszahlungen drauf - für drei Jahre rückwirkend. Wer in dieser Zeit Sozialhilfe bezogen hat, braucht um die Staatsbürgerschaft gar nicht erst anzusuchen. "Menschen mit Behinderungen, Flüchtlinge im Pensionsalter und Kranke haben keine Chance mehr, Österreicher zu werden“, sagt Judith Hörlsberger vom Beratungszentrum für Migranten und Migrantinnen.

Auch Alleinerzieherinnen scheitern in Scharen. Syrine C.* wanderte 1979 aus Tunesien nach Österreich ein. Ihre vier Kinder kamen hier zur Welt. Die Alleinerzieherin schlägt sich mit geringfügiger Beschäftigung durch. Was der Familie zum Leben fehlt, schießt die Mindestsicherung (früher Sozialhilfe) zu. Die Chance auf eine Staatsbürgerschaft ist verwirkt - auch für ihre Kinder. Die Mehrkosten, die dadurch entstehen, muss wiederum die Mindestsicherung - also die öffentliche Hand - decken. Alle drei Jahre werden 120 Euro pro Kind für die Verlängerung des Aufenthaltstitels fällig.

Müsste die heimische Bevölkerung zum Staatsbürgerschafts-Check, fielen inzwischen ganze Schichten durch, errechnete Staatsrechtler Stern: 65 Prozent der Arbeiterinnen und fast jede zweite Pensionistin erfüllten die finanziellen Voraussetzungen nicht. Das Gros der Passinhaber - und Wahlberechtigten - wäre männlich und gut dotiert. "Das sind Ausschlusskriterien wie im 19. Jahrhundert“, sagt Stern. Bis 1918 hatten nicht nur Frauen, sondern auch Sozialhilfeempfänger kein Wahlrecht.

Dazu kommen zahlreiche Fristenschikanen. Katalina A.*, 43, Akademikerin aus Peru, ist seit 1994 in Österreich und seither fast durchgängig als Verkäuferin tätig. 2005 stand die Verlängerung ihres Aufenthalts an. Am letztmöglichen Tag wartete sie in einer Schlange vor dem Schalter. Die Beamten baten sie, ein anderes Mal wiederzukommen. Als A. in der darauffolgenden Woche den Verlängerungsantrag stellte, klaffte in ihrer Visa-Geschichte eine Lücke von zwei Tagen. Die Folge: Die Wartefrist für eine Einbürgerung begann neu zu laufen. Frau A. verlor zehn Jahre. Statt 2005 kann sie erst 2015 Österreicherin werden.

"Wir brauchen endlich ein Staatsbürgerschaftsrecht des 21. Jahrhunderts“, fordert die Grüne Korun. Menschen schließen binationale Ehen, gehen für eine Weile ins Ausland, lassen sich woanders nieder: "Das alles spiegelt sich nicht wider.“ Österreich gehört zu den letzten Ländern, in denen Doppelstaatsbürgerschaften tabu sind. 2006 wurde die Bestimmung gelockert - allerdings nur für Auslandsösterreicher, nicht für Zuwanderer.

Doch das, was aus dem Innenressort durchsickerte, deutet nicht auf einen "großen Wurf“ hin: Nur für Behinderte sollen die finanziellen Hürden bei der Einbürgerung niedriger werden. Eine vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) aufgehobene Bestimmung wird korrigiert. Vor dem Höchstgericht war seinerzeit der Fall einer Serbin verhandelt worden, die bereits aus ihrer alten Staatsbürgerschaft ausgetreten war, während des Einbürgerungsverfahrens arbeitslos wurde, die Einkommensgrenzen nicht mehr erfüllte und in der Staatenlosigkeit landete. Darüber hinaus bastelt man in der Herrengasse an einer Lösung für Putativ-Österreicher, das sind Menschen, die aufgrund eines Behördenfehlers irrtümlich als Staatsbürger galten.

Für Politikforscher Bauböck sind das "Reparaturen statt Reform“: "Wenn es dabei bleibt, ist eine Chance vertan“, sagt er, bevor er Richtung Florenz aufbricht. Übrigens: Dort könnte er schon eingebürgert werden. Die Wartefrist für EU-Bürger beträgt vier Jahre. Und Italien akzeptiert Doppelstaatsbürgerschaften. Für Bauböck freilich eine "höchst theoretische Option“, solange Österreich am Hopp-oder-dropp-Regime festhält: Entweder Österreicher. Oder Italiener.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges