Gernot Zippe, der dritte Mann

Erfinder: Der dritte Mann

Die Anreicherung von Uran in der Gaszentrifuge

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Wenn auf der Passagierliste eines Fluges ein Name stand, der seinem ähnlich war, erschien noch vor ein paar Jahren regelmäßig „der US-Geheimdienst bei mir, um zu schauen, ob ich daheim bin“, schmunzelt der rüstige 86-Jährige.

Nicht zu Unrecht war der Nuklearpionier stets ein viel gefragter Mann, denn der Doktor der Philosophie Gernot Zippe, der heute in München und Wien lebt, hat eine Maschine erfunden, die eine technische Basis sowohl für Kernkraftwerke als auch für Atombomben ist – und gewissermaßen als einer der Eckpfeiler des nuklearen Zeitalters gilt.

Es handelt sich dabei um eine Zentrifuge, deren Grundprinzip es ist, verschieden schwere Massen voneinander zu trennen. So wie im Haushalt die Zentrifuge der Waschmaschine im Schleudergang die schwerere Wäsche vom leichteren Wasser trennt, separiert Zippes Maschine im Element Uran, nachdem es in gasförmigen Zustand gebracht worden ist, das leichtere Isotop 235 vom nur unwesentlich schwereren Isotop 238. In dem Zylinder, der sich 1500-mal pro Sekunde dreht, wird das Isotop 238 an die Wand gepresst, das in der Mitte verbleibende Isotop 235 wird mit einem Spezialgerät herausgefischt – und kann als spaltbares Uran sowohl für den Betrieb eines Atomkraftwerks als auch zur Konstruktion einer Atombombe dienen.

Da Zippe der einzige Freiberufler ist, der eventuell eine „handliche Bombe“ konstruieren könnte, bemühten sich Länder des Fernen und des Nahen Ostens jahrelang, ihn zu engagieren. „Vergeblich“, versichert Zippe. „Bei jeder Firma, für die ich früher als freier Berater gearbeitet habe – ich war niemals angestellt, immer eine Ich AG –, habe ich in den Vertrag hineinschreiben lassen, dass meine Erfindung und zusätzliche Entwicklungen nur für friedliche Zwecke verwendet werden dürfen.“

Dessen ungeachtet befürchteten erst unlängst der US-amerikanische Außenminister Colin Powelll und der US-Waffenkontrolleur David Albright, es könnten im Irak oder einem Nachbarstaat „kleine Anlagen stehen, die sehr schwer zu finden sind“.

Genährt wurde ihre Besorgnis im Februar dieses Jahres, als der Nuklearexperte Pakistans, Abdul Khadir Khan, zugab, er habe nicht nur für sein Land Atombomben gebaut, sondern Pläne einer Uranzentrifuge auch an Libyen, Nordkorea und den Iran verkauft. Während Libyens Staatschef Muammar Gaddafi schon zuvor erklärt hatte, sein Land werde die militärische Kernforschung einstellen (siehe auch Seite 88), brüsteten sich kürzlich Repräsentanten der Terrororganisation al-Qa’ida damit, „kleine Atombomben an geheimen, sicheren Orten versteckt“ zu haben.

Die „New York Times“ schrieb allerdings Ende März, „dass viele Experten sich vorsichtig optimistisch äußern, was die Zukunft der Uranzentrifuge betrifft. Neuere Modelle seien schwerer herzustellen und weniger leicht nachzumachen, besonders illegal.“ Und der Erfinder selbst weiß, „dass so was Jahre braucht, denn so einfach ist die Geschichte nicht“.

Die Entstehung. Gernot Zippe wurde „im Sudetenland geboren“, wuchs im niederösterreichischen Laa an der Thaya auf und studierte an der Universität Wien in den Jahren 1935 bis 1939 Physik: „Ich war der letzte Student, als Physik noch zur Philosophie und nicht zu den Naturwissenschaften gehörte.“

Weil „mein Hobby seit 1936 das Segelfliegen war“, wurde er, als er gleich zu Kriegsbeginn mit 15 Soldat wurde, von der Luftwaffe als „Segelfluglehrer“ in die Flugschule Wels abkommandiert. 1943 wurde er zur Deutschen Radar-Forschung nach Berlin geholt. Obgleich Armee-Angehöriger, bekam er keinen Sold mehr, sondern wurde vom Unternehmen Pinsch bezahlt, welches das Radar-Messgerät „Forsthaus“ entwickelte. „Aber das ist nicht fertig geworden, denn die Firma wurde 1945 zerbombt.“ Zippe wurde nach Prag geschickt, um dort herauszufinden, warum Propeller bei Überschallgeschwindigkeit „nicht antreiben, sondern bremsen“. Doch auch dieses Werk wurde bombardiert, und schließlich geriet Zippe in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Da er an der Ruhr erkrankte, urteilten seine Kameraden: „Der kleine Leutnant lebt aa nimmer lang.“

Doch da er beim Reparieren von Motoren und Transformatoren 110 Prozent der Norm erreichte, bekam er die doppelte Brotration, und sein Gesundheitszustand besserte sich wieder. Der Lagerkoch war ein Studienkollege und machte den Sowjets weis, Zippe sei „anerkannter fertiger Physiker“. So kam dieser in ein spezielles Lager, in dem er Ferdinand Brandner kennen lernte, der Fachmann für Flugzeugtriebwerke war. Dazu stieß der deutsche Physiker Max Steenbeck (in den späten fünfziger Jahren Direktor von Siemens), der sich seit den dreißiger Jahren mit der Plasmaforschung beschäftigte.

Angesichts der amerikanischen Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki forderte Lawrentij Berija, der mächtige Boss des sowjetischen Geheimdienstes NKWD, von „den Spezialisten“: „Das macht ihr uns jetzt auch.“ Im Juni 1945 entstand ein geheimes Forschungslager in Suchumi am Schwarzen Meer. Kommandant war Manfred von Ardenne, Chef-Physiker war Steenbeck, der dritte Mann war Zippe. Was den arrivierten Technikern nicht gelungen war, schaffte der 22-jährige Anfänger schrittweise.

Er ließ Zentrifugen mit sehr langen Kreiselarmen bauen, um das Gewicht bei hoher Drehzahl auszubalancieren. Die Trommel einer Waschmaschine rotiert bis zu 15-mal pro Sekunde – Zippes Zentrifuge musste hundertmal so schnell kreiseln, annähernd mit Schallgeschwindigkeit. Die Experten lachten ihn aus: „An rotierende Schornsteine glaube ich nicht.“ Aber das Prinzip funktionierte, und Zippe übergab im Winter 1953/54 in Leningrad seine Erfindung „zur industriellen Weiterverarbeitung“. Die Sowjets aber verlangten plötzlich „eine kurze Zentrifuge“. Zippe berechnete, es ginge wohl auch mit drei Meter Länge, aber seine Techniker weigerten sich, „an so was zu arbeiten“. Dennoch sagte er frech: „In einem halben Jahr bin ich damit fertig“, und obwohl er den Prototyp bis auf Hilfsarbeiten im Alleingang herstellte, stand das Ding in sechs Monaten da.

Kostengünstig. Drei Jahre später erfuhr er etwas Wichtiges: Der Zentrifuge war Konkurrenz erwachsen, das „Gas-Diffusions-Verfahren“. Großbritannien und Frankreich, Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, sicherten sich die Patente dieses Verfahrens, „obwohl eine Diffusionsanlage damals halb so viel Strom verbrauchte wie die ganze BRD“. Die Zentrifuge benötigte hingegen nur ein Zehntel der elektrischen Energie des Konkurrenzverfahrens. (Großbritannien stieg später auf die Zentrifuge um, Frankreich, sagt Zippe, „überlegt erst jetzt, ob es umsteigen soll“.)

Nachdem er 1956 heimgekommen war, wollte er sein Patent den USA verkaufen, doch Lewis Strauss, damals Vorsitzender der dortigen Atomenergiekommission, „hat es nicht genommen, weil in den USA Energie billig war“. So unterschrieb er schließlich einen Konsulentenvertrag mit dem deutschen Chemiekonzern Degussa.

Degussa. Zippe wusste eigenen Angaben zufolge nicht, dass er nun für ein einschlägig beleumundetes Unternehmen arbeitete. Die Degussa war vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten ein kleinerer chemischer Betrieb, danach durch „Arisierung“ jüdischer Unternehmen jedoch erheblich bedeutender. Im Dokumentarfilm „Stealing the Fire“ von John Friedman und Eric Nadler (2002) wird behauptet, die Degussa habe für die SS jüdisches Gold und Silber verarbeitet, sogar solches aus ausgebrochenen Zähnen von KZ-Opfern. Tatsache ist, dass Degussa das „Pflanzenschutzmittel“ Zyklon-B erzeugte, mit dem Millionen Menschen in den Konzentrationslagern vergast wurden. Nach dem Krieg stieg Degussa forciert in die Nuklearenergie ein.

1957 fuhr Zippe „in 14 Tagen“ mit einem Motorroller nach Amsterdam zu einem Kernkraftkongress, wobei ihm offenbart wurde, wie rückständig der Westen in dieser Energiefrage war. Im Jahr darauf flog er nach Charlottesville, Virginia, um sein Produkt nochmals vorzuführen. Doch die Amerikaner lehnten abermals ab. Seine Reise sorgte allerdings in der BRD für Schlagzeilen: „Bekommt Deutschland auch eine Atombombe?“ Als ein Degussa-Chef entsetzt „Nicht auch das noch!“ schrie, erfuhr Zippe erstmals von den Nazi-Zeiten der Firma. Und 1960 „war auf einmal der Brandner bei mir und hat mich gefragt, ob ich für Ägypten arbeiten will. Ich wollte nicht.“

Bis 1964 entwickelte er in einem geheimen Labor in Jülich den Zylinder weiter, aber 1970 verlangte ein Konsortium der Unternehmen Mannesmann, Interatom und Erwo auf einmal eine 5-Meter-Zentrifuge. Als diese fertig war, bestellten sie auch gleich die Holländer, Briten „und auch die in Virginia“. 1974, als sich Zippe darüber freute, dass „in Europa und Japan hunderttausende Zentrifugen liefen, in Russland gar Millionen“ (weil diese Apparaturen üblicherweise zu größeren Batterien kombiniert werden), wurde das multinationale Unternehmen Urenco gegründet. Bei Urenco heuerte auch der Pakistani Abdul Khadir Khan an, der die Pläne stahl, um seinen Staat atomar wehrfähig zu machen. Er blieb nicht der einzige Dieb. Der deutsche Nuklearspezialist Karl-Heinz Schaab verkaufte Anfang der neunziger Jahre Top-Secret-Unterlagen an Iraks Diktator Saddam Hussein. Schaab wurde 1999 zu fünf Jahren Haft auf Bewährung und einer Bußzahlung von 60.000 Mark verurteilt.

Zippe glaubt, „dass das alles im ersten Golfkrieg entdeckt und vernichtet“ wurde. Der russischen Bombe kann er „das Gleichgewicht des Schreckens“ abgewinnen: „Die USA haben über Korea und Vietnam nur deshalb nicht Atombomben abgeworfen“, ist er überzeugt, „weil sie wussten, die Sowjets würden kontern.“

Es verwundert nicht, dass Zippe Atomkraftwerke präferiert und deren Skeptiker bedauert, weil sie „Naturgesetze durch Ideologien ersetzen“. Allein „mit dem jetzt verfügbaren Uran“ könne man „die ganze Welt 6000 Jahre lang beheizen und beleuchten“. Die Angst, dass ein Reaktorunfall wie jener von Tschernobyl nochmals passieren könne, kann er zwar verstehen, „das ist nie auszuschließen, aber in einem sorgfältig kontrollierten Kernkraftwerk dürfte keine Radioaktivität austreten, schließlich ist das Brennmaterial ja in einem Stahlkessel von drei Meter Umfang“. Außerdem sei Tschernobyl gar „nicht das Ärgste gewesen, was sich die Russen geleistet haben. Viele Jahre zuvor haben sie in Kyschtym ein Lager mit ungesicherten Atomabfällen errichtet. Das Gebiet ist auf tausende Quadratkilometer bis heute unbewohnbar.“

Gernot Zippe hat sich eine nicht unbekannte Philosophie zu Eigen gemacht: „Mit einem Küchenmesser kann man Erdäpfel schälen oder seinen Nachbarn ermorden.“ Er lebt in der Hoffnung, „dass niemand mehr auf Menschen Bomben werfen wird“, sowie von einer einmaligen 4-Millionen-Mark-Abfindung „für meine 150 Patente“. „Darunter“, sagt der 86-Jährige verschmitzt, „sind auch Geheimpatente, über die ich jetzt noch nicht reden darf.“