Erhebende Gefühle für die Männerwelt

Potenzpille als Dauermedikation

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Wir sind immer zu dritt im Bett“, erzählt ein Mann, der in urologischer Behandlung ist, „sie, ich und meine Angst.“ Die Angst, erneut zu versagen, keinen „hoch“ zu kriegen oder die Erektion „unterwegs“ zu verlieren, setzt den 48-jährigen Mann so unter Druck, dass er sich zunehmend aus seiner Beziehung zurückzieht. „Stress“, so der Wiener Urologe Walter Stackl, „ist mit Sicherheit ein hoher Risikofaktor bei Erektionsstörungen, denn die freigesetzten Stresshormone bringen das Gleichgewicht der Substanzen im Schwellkörper durcheinander.“

Ab diesen Montag ist das Präparat Cialis in der 5-Milligramm-Dosierung für die tägliche Einnahme (unter dem gleichen Namen) im österreichischen Handel, das von seinem Hersteller, dem Pharmakonzern Eli Lilly, als „so revolutionär wie die Antibabypille“ angepriesen wird. Ein raffinierter Marketing-Schachzug, der nur bedingt seine Richtigkeit hat. Denn Cialis ist bereits seit 2003 in Österreich zugelassen und gilt neben den weiteren PDE-5-Hemmern, so der Branchenjargon für potenzbelebende Medikamente wie Viagra und Levitra, als Maßnahme gegen „erektile Dysfunktion“. Am beeinträchtigten Standvermögen leiden, so Walter Stackl, in Österreich an die 300.000 Männer schwer; eine Million Österreicher soll davon in gemilderter Form betroffen sein. 155 Euro kostet die neue rezeptflichtige Monatspackung Cialis. Die Chancen, dass die Krankenkasse zumindest bei schweren medizinischen Indikationen die Kosten dafür übernimmt, sind aussichtslos. „Was Potenzmittel betrifft“, so Stackl, „sind unsere Kassen generell äußerst unerbittlich.“

Langzeitstudien haben erwiesen, dass die Dauereinnahme in der neuen Dosierung weit weniger unerwünschte Nebenwirkungen wie Verdauungsstörungen, Schwindelgefühle, verstopfte Atemwege, Gesichtsrötungen und Rückenschmerzen mit sich bringt als die punktuelle Einnahme in der 20-Milligramm-Dosierung. Mit der Länge der Therapie würde sich auch die Qualität der Erektion steigern; ein Gewöhnungseffekt, der eine Dosissteigerung erfordere, trete nicht ein.

Entlastung. Cialis hatte zwar nie die mediale Aufmerksamkeit des 1998 zugelassenen „blauen Diamanten“ Viagra erlangt, hat aber unter dem Beinamen „die Wochenendpille“ durchaus vielen Betroffenen das angeschlagene Selbstwertgefühl revitalisiert. Der entscheidende Vorteil im Vergleich zu Viagra und auch Levitra: Die Wirkungsdauer belief sich in der früheren Dosierung auf 18 Stunden, während die anderen beiden PDE-5-Hemmer weniger als ein Drittel dieser Zeit sexuelle Stressfreiheit mit sich bringen.

Cialis in der neuen Dosierung wirkt vor allem auf die Psyche entlastend. Der Zwang, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nach der Einnahme sexuell aktiv zu werden, fällt durch die tägliche Konsumation weg und befreit von Leistungsdruck und Versagensängsten. Wie auch bei Viagra und Levitra ist die Wirksamkeit nicht garantiert – manchmal müssen mehrere Einnahme-Durchgänge absolviert werden, ehe der Schwellkörper auf den verstärkten Bluteinstrom wie erhofft reagiert. Dass mit der Einnahme der täglichen Pille eine Garantie auf ein sexuell erfülltes Leben geschluckt wird, ist allerdings ein Irrglaube. Denn alle auf dem Markt erhältlichen Potenzpillen wirken ausschließlich „mechanisch“ und beeinflussen die Lust und das sexuelle Verlangen nicht. Auf der Suche nach einem ungefährlichen Lustverstärker ist die Wissenschaft noch nicht fündig geworden. Noch vor wenigen Jahren wurde Apomorphin, chemisch verwandt mit dem Rauschgift Opium, kurzfristig als Libido steigerndes Wundermittel gehandelt, doch die beiden auf dem Wirkstoff basierenden Medikamente Uprima und Ixsense bald wieder vom Markt genommen. Ihre Wirkungsfähigkeit erwies sich als zu schwach und Nebenwirkungen wie Übelkeit und Brechreiz traten in allzu großer Häufigkeit auf.

„Erektile Dysfunktion“, die Unfähigkeit zu einer Erektion oder sie während eines Geschlechtsverkehrs halten zu können, beeinträchtigt jedoch nicht nur die zwischengeschlechtliche Lebensqualität, sondern sollte auch als Symptomträger und somit als Warnung des Körpers vor tief greifenden gesundheitlichen Problemen begriffen werden. „Nach unseren jüngsten Erkenntnissen“, so Walter Stackl, der die urologische Abteilung der Wiener Rudolfstiftung leitet, „haben Erektionsstörungen weit häufiger organische Ursachen, als wir bisher angenommen haben.“ Potenzprobleme sind häufig die ersten Anzeichen für Bluthochdruck, Herzprobleme, Diabetes und Verkalkung der Herzkranzgefäße; im Falle von psychischen Erkrankungen sind Depressionen und das Burn-out-Syndrom die häufigsten Ursachen für ein vermindertes Stehvermögen. Die zunehmende Fettleibigkeit wirke sich ebenfalls massiv auf die sexuelle Vitalität des Mannes aus. Patienten, die Mittel gegen Bluthochdruck nehmen, könnte parallel dazu die Konsumation von Potenzmitteln in Lebensgefahr bringen. Im Zuge des regen und rezeptfreien Online-Handels von Pillen, die mit Slogans wie „Be a Bull Again!“ im Internet angepriesen werden, steigert sich die Gefahr der unkontrollierten Einnahme und damit verbundenen gesundheitlichen Langzeitschäden.

Durch den mit fortschreitendem Alter verbundenen Testosteron-Abbau findet sich im Segment der 60-plus-Männer naturgemäß die Altersgruppe mit der höchsten Potenz-Problematik. Aber auch unter jüngeren Männern, die sich eigentlich auf dem Höhepunkt ihrer sexuellen Kraft befinden sollten, registriert die Ärztin und Sexualtherapeutin Elia Bragagna steigende Versagensängste und Erektionsstörungen: „Da stehen in meiner Praxis junge, hübsche Männer, die eigentlich kein Problem haben, eine Sexualpartnerin zu finden. Und dennoch leiden sie unter Potenzstörungen.“ Als Ursache dafür diagnostiziert Bragagna den inflationären Umgang mit der Sexualität: „Wir leben in einer Kick-Gesellschaft. Ein aktives Sexualleben ist ein Teil davon. Also gehen diese jungen Männer, um den gesellschaftlichen Leistungsvorstellungen zu entsprechen, häufig mit Frauen ins Bett – obwohl ihr Körper das eigentlich gar nicht will. Nähe und Vertrauen sind für viele noch immer die wichtigsten Voraussetzungen für eine funktionierende Sexualität.“ Potenzmittel hätten da eine bloße „Krückenfunktion“: „Um Sicherheit zu geben und Ängste abzubauen.“ Die Sprachlosigkeit der Männer, was die Thematisierung ihrer sexuellen Defizite betrifft, herrscht nach wie vor.

„Männer entwickeln noch immer ein hohes Schamgefühl, über ihre sexuellen Probleme zu reden“, beobachtet Walter Stackl in seinem Praxisalltag, „nur in den seltensten Fällen kommen sie auch mit ihren Frauen zu uns in die Ambulanz, was ich als sehr hilfreich empfinde. Eine Paartherapie ist, ergänzend zu den Medikamenten, dringend anzuraten.“

Von Angelika Hager