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Erstbegehung der neu aufgestellten Kunstkammer-Sammlung

Kunst. Erstbegehung der neu aufgestellten Kunstkammer-Sammlung

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Als die Kunstkammer des Wiener Kunsthistorischen Museums (KHM) 2002 vor­übergehend schloss, ahnte niemand, dass sie erst elf Jahre später erneut zugänglich sein würde. Denn ursprünglich hatten die Verantwortlichen eher nur kosmetische Änderungen geplant, wie sich die seit 2009 amtierende KHM-Direktorin Sabine Haag erinnert; mit den Jahren war das Projekt allerdings immer umfangreicher und kostspieliger geworden (siehe Interview am Ende). Freilich: Ein Publikumsrenner war die Kunstkammer, wo man Kunstgegenstände, technisches und ­wissenschaftliches Gerät, Exotica, Apparate und zahlreiche andere exzentrische, schwer einzuordnende Gegenstände versammelt hatte, nie gewesen. Besuchte man sie einst, so schlenderte man meist mutterseelenallein durch charmant patinierte Räumlichkeiten im Hochparterre des KHM-Haupthauses, bestenfalls begleitet von etwas schläfrigen Aufsehern.

Doch obwohl die Kollektion einem breiteren Publikum bislang völlig unbekannt war, verspricht deren Wiedereröffnung am Freitag dieser Woche ein Großereignis zu werden. Kein Wunder: Seit Jahren schon rührt Sabine Haag die Werbetrommel dafür, tingelt gemeinsam mit Tourismus-Verantwortlichen durch die Lande und präsentiert Sammlungsobjekte in ausländischen Museen. Persönlichkeiten, die ihr Interesse an der bildenden Kunst bis dato eher geheim gehalten hatten (wie etwa Lifeball-Prinz Gery Keszler), posierten zwecks Fundraising mit goldenen Fahrradhelmen für die Kunstkammer, und etwas betuliche Werbespots ließen einen staunenden Maximilian Schell durch den geheimnisvoll ausgeleuchteten Schauplatz schleichen. „Das intensive Marketing war wichtig, weil die Sammlung nicht sehr im kollektiven Gedächtnis verankert ist. Wenn ein Bild von Breughel über Jahre nicht zu sehen ist, so ist das weniger schlimm: Es ist in jedem Schulbuch abgebildet, die Menschen kennen es“, erläutert Haag bei einem ersten Rundgang durch die so gut wie fertig gestellten Museumsräume.

Eröffnung am 1. März
Dort werden zehn Tage vor der feierlichen Eröffnung am 1. März noch die letzten Objekte behutsam deponiert, Glaskästen geöffnet, Kabinettschränke platziert. Eine Restauratorin arbeitet gerade an einem Stück in einer der rund 300 Vitrinen, in deren Sockel sich komplizierte technische Apparaturen verbergen. „Jede Vitrine besitzt eine solche Box, die das Binnenklima reguliert“, sagt Haag: „Jahrelange Forschungsarbeit ist in diese Konstruktionen eingeflossen, etwa in Kooperation mit der Technischen Universität Wien.“ Auch das Raumklima werde aufwändig auf konstanter Temperatur und Luftfeuchtigkeit gehalten, mittels Wasser, das unter den Böden und hinter den Wänden zirkuliert. „Diese Dinge nimmt der Besucher nicht wirklich wahr. Allerdings sorgt die Technologie für die bestmögliche Bewahrung der Objekte – und diese zählt schließlich zu den gesetzlich verankerten Aufgaben unseres Museums.“

Haag selbst besitzt eine besondere Affinität zur Kunstkammer, startete sie ihre KHM-Karriere doch mit der Inventarisierung der dort befindlichen Elfenbeinarbeiten; bis heute leitet sie die Abteilung Kunstkammer. Diese setzt sich aus Sammlungen zusammen, die Ferdinand von Tirol, Rudolf II., Leopold Wilhelm und einige weitere Regenten aufgebaut hatten. Teile davon wurden allerdings abgegeben; die Naturgegenstände landeten im Naturhistorischen Museum, ethnografische Objekte im Völkerkunde-Museum. Andere Bestände aus diesem Konglomerat kann man auf dem Innsbrucker Schloss Ambras besichtigen.

Am Laien orientiert
Wandte sich die frühere Aufstellung der Kunstkammer eher an ein wissenschaftliches Publikum, so orientiert sich die Neupräsentation bewusst am Laien: Saal- und Vitrinentexte erleichtern das Verständnis komplexer Zusammenhänge, darüber ­hinaus bieten iPads – in Respektabstand zu den Objekten deponiert – weiterführendes Material an, Lampen des Künstlers Olafur Eliasson sorgen für differenzierte Beleuchtung. In den Jahren vor 2002 war die Kollektion nach Genre, Material und Objektcharakter geordnet, damit entsprach sie eher der ursprünglichen Erscheinung der historischen Kunstkammern. Nun versucht man, nebenbei auch die Geschichte der einzelnen Sammlungen zu erzählen: Während einst etwa die Automaten – Maschinen des Manierismus, die mit Uhrwerken Figuren zum Trommeln, Schiffe zum Schwimmen, Kanonenrohre zum Schießen bringen – in einem Saal aufeinandertrafen, so zerstreuen sie sich nun auf mehrere Standorte, meist „ihren“ Sammlern zugeordnet; ebenso verhält es sich mit den italienischen Bronzefiguren. So stehen manche (wie der „Fliegende Merkur“ und die „Venus Urania“ des Manieristen Giambologna) im Saal des Kunstkammer-Patrons Rudolf II., andere wurden in Glaskästen platziert, die dicht anein­ander an der Wand zu kleben scheinen.

All das bettet sich in eine ebenso abwechslungsreiche wie virtuose Inszenierung, die das Publikum geradezu an der Hand nimmt, zur Schatzsuche auffordert. Zunächst lotst eine Reihe von Vitrinen den Besucher durch die Saalfluchten. Daraufhin lädt der großzügige Saliera-Raum zur Kontemplation ein; das – nach ihrem spektakulären Diebstahl 2003 und ihrer Rückgabe drei Jahre später – weltberühmte, zwischen 1540 und 1543 entstandene Salzfass des Benvenuto Cellini thront in der Mitte eines Saals, der sich um französische Hofkunst dreht – denn sie war ein Geschenk des französischen Königs Franz I. Danach öffnet sich ein großzügiger Saal mit Büste und Sammlung Kaiser Rudolfs. Hat man diesen durchschritten, gelangt man in den engen Exotica-Saal, in dem zwischen den Vitrinen gerade genug Platz zum Herumgehen und Betrachten ist. Hier lässt sich am besten erahnen, was einst unter dem „Theatrum Mundi“ verstanden wurde, jenem Welttheater, das die Kunstkammern einst abbilden sollten: edlen Materialien umschlungene Bezoare – also Magensteine von Ziegen; ein aufsehenerregender Straußenei-Pokal; eine so genannte Seychellennuss in fein ziseliertem Metall und herzförmige Flaschen aus Schildpatt. All dies vermag nachdrücklich jenes Staunen hervorzurufen, mit dem das Museum seine Zimelien nun so gerne bewirbt.

Hat man die darauf folgenden Räume, in denen sich virtuose Elfenbeinarbeiten, rare Glasfigurinen, spektakuläre Glasobjekte, Tischaufsätze, Uhrwerke, Gefäße und Blumen aus Edelsteinen finden, durchwandert, so wird man am Ende beinahe erschlagen von der schieren Größe des letzten Raums: Der Saal mit einem Deckenfresko von Julius Viktor Berger, in dem sich das Frühstücksgeschirr der Kaiserin Maria Theresia, pompöse Henkelvasen auf üppigen Kabinetttischen und einige zarte Marmorskulpturen ausbreiten, besitzt geradezu imperiale Ausmaße – ein merkwürdiger Schlusspunkt, dessen grandiose Erscheinung das Vorhergehende geradezu konterkariert.

Mit der nüchternen Präsentationsweise, die ihr voranging, hat die neue Aufstellung – fast 2200 Objekte verteilen sich auf rund 2700 Quadratmetern – in ihrer thea­tralischen Lichtführung, die es allerorten schimmern und funkeln lässt, kaum etwas gemein. Zudem werden die Mäzene zuweilen etwas verklärt: In jenem Saal, in dem die Sammlung Rudolfs II. präsentiert wird, steht dessen Büste in der Mitte – und erst mit einigem Abstand bilden die Vitrinen mit seinen Schätzen einen Kreis um ihn, scheinen geradezu von ihm auszustrahlen. Der Herrscher steht im Zentrum des Geschehens, nicht nur hier – auch die Tatsache, dass Sabine Haag die markanten Exponate jedes Raums mit dem Namen „Saalregent“ versah, verweist darauf.

Und so gleitet dieser Versuch, eine Geschichte der Kunstkammern zu erzählen, da und dort in einen regelrechten Habsburger-Kult ab. Die Exponate der Kunstkammer freilich besitzen dieselbe Anziehungskraft wie einst. Man muss sich von ihnen ja nicht gleich regieren lassen.

Interview
„Goldene Wasserhähne ­haben wir nicht“
KHM-Direktorin Sabine Haag über die Inszenierung der Kunstkammer-Neuaufstellung, deren hohe Kosten und späte Einsichten.

profil: Sie bezeichnen die Kunstkammer als die wichtigste Sammlung ihrer Art. Wie ist dieser Superlativ zu rechtfertigen?
Haag: Die Kunstkammer Wien hat ihren historischen Kern bewahrt und zeigt wichtige Objekte auf allerhöchstem Niveau. Wir verwalten das Erbe der historischen Kunstkammer, die von Rudolf II., Ferdinand von Tirol und Leopold Wilhelm aufgebaut wurde, angereichert um eine Museumssammlung – daraus etwa die Tapisserien, die nicht zum historischen Bestand zählen. ­Darin sind wir Weltspitze.

profil: Die jetzige Aufstellung orientiert sich stark an den habsburgischen Sammlern. Warum haben Sie sich dafür entschieden?
Haag: Wir wollten bei einer chronologischen Aufbereitung bleiben – und eine Geschichte des Sammelns erzählen, eben anhand der Mäzene.

profil: Wieso sind einzelne Objekte nun viel stärker hervorgehoben als in der früheren Präsentation?
Haag: Es schien uns ganz wichtig, die Wertigkeit der Exponate zu betonen. Die Besucher der historischen Kunstkammern wurden durch die Sammler angeleitet oder brachten schon ein Wissen darüber mit; das Publikum des frühen 21. Jahrhunderts dagegen braucht einen roten Faden. Der Blick wird so gelenkt, dass man die Sammlung in ihren Grundpfeilern erfahren und sich später in eine intensive Betrachtung vertiefen kann. Deswegen haben wir uns für so genannte „Saalregenten“ entschieden: In jedem Raum findet sich ein Hauptwerk, das auf die anderen Objekte darin verweist.

profil: Auch erscheint die neue Aufstellung durch die Lichtführung viel mystischer und theatralischer als die vorige. Wozu dieser Inszenierungsaufwand?
Haag: Es ging darum, die Objekte wortwörtlich im besten Licht darzustellen. Ich glaube ganz unerschütterlich an die Aura des Originals, bei uns wird man keine Kopien oder Fakes finden. Früher hatte man diese Möglichkeiten gar nicht, schließlich war das KHM bei seiner Gründung ein Tageslichtmuseum.

profil: Die Kunstkammer war seit 2002 nicht mehr für Publikum zugänglich gewesen. Hätte man sie angesichts der lange stagnierenden Entwicklung nicht später schließen können?
Haag: Ursprünglich wurde sie geschlossen, weil die Burghauptmannschaft, die für die Außenhülle des Gebäudes zuständig ist, Geld für die Restaurierung der Außenfenster bereitstellte. Damals gingen wir davon aus, dass wir nach ein paar kosmetischen Maßnahmen wieder aufsperren könnten. Dann wurden aber die Ägyptisch-Orientalische Sammlung und die Antikensammlung neu aufgestellt – und es war klar, dass auch die Kunstkammer drankäme. Wir konnten aber erst nach der Finanzierungszusage 2010 damit tatsächlich anfangen.

profil: Hätte die Kunstkammer nicht trotzdem bis dahin geöffnet bleiben können?
Haag: Wir haben in der Schließzeit mit dem Restaurieren von Objekten begonnen und uns die Neuaufstellung überlegt. Vielleicht hätten wir die Sammlung wirklich später schließen können – aber im Nachhinein ist man immer klüger. Das Projekt als solches wäre dadurch nicht beschleunigt worden.

profil: Wieso war die Neuaufstellung mit rund 18 Millionen Euro so viel teurer als jene der Antikensammlung, die nur etwa 3,3 Millionen kostete?
Haag: Der größte Budgetposten waren die Vitrinen, in denen hochtechnologische Apparate stecken. Zudem ist die Kunstkammer doppelt so groß wie die Antikensammlung.

profil: Allerdings werden dort rund hundert Objekte mehr als in der Kunstkammer mit ihren rund 2200 Exponaten präsentiert.
Haag: Das Wesentliche ist aber die Fläche. In der Kunstkammer wurden die Räumlichkeiten saniert, Heizung und Lüftung wurden unter den Böden und in den Wänden eingebaut – auch das ist in der Antikensammlung nicht der Fall. Und während dort viele Objekte aus Stein gezeigt werden – dem konservatorisch anspruchslosesten Material –, zeichnet sich die Kunstkammer durch die materielle Heterogenität ihrer Objekte aus; wir benötigen also viel mehr Vitrinen. Darüber hinaus entwickelten wir ein neues Beleuchtungssystem. Natürlich sind die Kosten für all das hoch. Goldene Wasserhähne haben wir aber nicht.

Kunstkammer, Kunsthistorisches Museum, Hochparterre
Maria-Theresien-Platz, 1010 Wien
Tel.: 01/525 24-0
Ab 1.3. zu besichtigen. Vorbestellung
www.khm.at

Foto: Peter M. Mayr für profil

Nina   Schedlmayer

Nina Schedlmayer