Familienaufstellung

Regierung. Falsche Geldströme, Doppelförderung, Ideologiepatt: die Fehler der Familienpolitik

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Eigentlich sollte seit März alles unter Dach und Fach sein, das hatte die Regierung versprochen. Stattdessen begannen SPÖ und ÖVP erst vergangenen Mittwoch, über die neue Familienbeihilfe zu verhandeln. Man muss ein rasender Optimist sein, um an Einigung vor der Wahl zu glauben. Die Zeitverzögerung ist das geringste Problem und die Familienbeihilfe nur ein Teil der Milliarden, die Österreich an Familien ausschüttet. Die Unsummen verfehlen ihr Ziel. Das hat historische, ideologische und populistische Gründe.

1. Jeder fördert wild vor sich hin

Es begann kurz nach dem zweiten Weltkrieg recht bescheiden: Eltern bekamen ab dem Jahr 1948 Ernährungsbeihilfen, gestaffelt nach Kinderzahl und Einkommen. Ab Mitte der fünfziger Jahre, als die ärgste Not gelindert war, dachte man um: Alle Familien erhielten Beihilfen, unabhängig von ihrer finanziellen Lage. „Jedes Kind ist uns gleich viel wert“, proklamierte auch die SPÖ-Regierung unter Bruno Kreisky. Seither wuchs das System der Familienförderung unkoordiniert und schnell an. Satte 9,4 Milliarden Euro werden derzeit an Familien ausgeschüttet, um 19,3 Prozent mehr als im Jahr 2006. Niemand weiß genau, wer was wie hoch fördert: Allein der Bund zahlt 47 verschiedene Förderungen – vom Wochengeld bis zur Studienbeihilfe – die von sieben verschiedenen Ministerien vergeben werden. Zusätzlich hat jedes Bundesland durchschnittlich 20 Familienunterstützungen, vom Babygeld (Kärnten) über die Schulbeginnbeihilfe (Oberösterreich) bis zur Hausstandsgründungsförderung (Salzburg). Selbst die peniblen Spürnasen des Rechnungshofes verloren in diesem Förderdschungel den Überblick und konnten nur resigniert „Parallelitäten und Überlappungen“ feststellen. Das ist kein Wunder, denn jeder Minister, jeder Landeshauptmann posiert gerne mit Kleinkindern. So wird verlässlich vor jeder Wahl die Familienförderung ausgebaut –auf die Gefahr hin, dass sich schon kurz nach dem Urnengang die Wahlzuckerl als zu teuer erweisen und wieder gestrichen werden, wie die 13. Familienbeihilfe oder der Gratiskindergarten in der Steiermark.

2. Die Förderung ist sauteuer, aber unwirksam

Je nach Staat verfolgt Familienförderung verschiedene Ziele. Frankreich etwa will gezielt die Geburtenrate heben, in Skandinavien steht eher Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen im Vordergrund. Österreich hat kein klares, sondern drei vage Ziele – und verfehlt alle drei meilenweit. So sollen die Familienmilliarden die finanziellen Belastungen der Fortpflanzung mildern – in der Realität sind Kinder aber eines der größten Armutsrisiken: Jeder fünfte Haushalt mit mehreren Kindern ist von Armut bedroht, unter den Alleinerziehenden sind es mehr als ein Drittel. Das liegt auch daran, dass die Familienbeihilfe (im Gegensatz zu Pensionen) nicht jährlich inflationsangepasst wird, sondern seit dem Jahr 2003 nicht mehr stieg und die seither eingeführten Steuerabsetzbeträge Geringverdienern wenig nützen. Auch das Ziel, die Geburtenraten zu erhöhen, wird nicht ansatzweise erreicht: Die Zahl der Kinder pro Frau kommt seit Jahren über 1,4 nicht hinaus. Und auch Ziel drei, die vielbeschworene „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“, ist bloße Schimäre: Mit 44 Prozent arbeitet in Österreich eine Rekordzahl von Frauen in Teilzeit, jede dritte davon gegen ihren Willen und nur deshalb, weil sie keine geeignete Kinderbetreuung findet (siehe Punkt 4). Wirtschaftsforscherin Margit Schratzenstaller fasst die desaströse Bilanz der Familienförderung gerne so zusammen: „Wir geben viel Geld für falsche Zwecke aus.“

3. Geld fließt in falsche Kanäle

Es ist ziemlich selten, dass meterweise Studien von den unterschiedlichsten Institutionen zu demselben Befund kommen, dass Arbeiterkammer, Industriellenvereinigung, Wirtschaftsforschungsinstitute und die OECD wie aus einem Munde sprechen. In einem Punkt ist das aber der Fall: Alle Experten predigen seit Jahren, dass pauschale Geldleistungen für Familien der falsche Weg – und Sachleistungen, also etwa mehr Kindergärten oder Ganztagsschulen, die bessere Investition sind. Unverdrossen pumpt Österreich 86 Prozent seiner Familienförderung in Bargeldunterstützung. Zum Vergleich: In Dänemark oder Schweden, den Vorzeige-Familienförderstaaten, liegt der Anteil bei 50 Prozent.

4. Das Problem Halbtags-Kindergärten

Auf dürftige zehn Urlaubstage kommt ein statistischer Arbeitnehmer in China oder in den USA. Im Vergleich dazu nehmen sich die 25 Tage Urlaub, auf die ein durchschnittlicher Österreicher gesetzlich Anspruch hat, nachgerade üppig aus. Das Problem ist bloß: Um mit den „Heute geschlossen“-Tagen in den Kindergärten Schritt zu halten, bräuchte es in manchen Bundesländern mehr als doppelt so viel Urlaub. Spitzenreiter ist die Steiermark, dort haben die Kindergärten (ohne Wochenenden, versteht sich) durchschnittlich an 56 Tagen im Jahr zu, dicht gefolgt von Vorarlberg mit 50 und Tirol mit 44 „Schließtagen“, wie die Statistik Austria das nennt. Quer durch Österreich ist ein durchschnittlicher Kindergarten 30 Tage pro Jahr zugesperrt – selbst das ist für die meisten Urlaubsansprüche zu viel.

Jahrzehntelang wurden in Österreich, weitgehend ohne Folgen, hunderttausende fehlende Kindergartenplätze beklagt, erst seit ein paar Jahren wird die Kinderbetreuung energisch ausgebaut. Die Erfolgsstatistik täuscht allerdings. Ein Viertel aller Kindergärten sperren immer noch vor 14 Uhr zu – das macht einen Vollzeitarbeitsplatz unmöglich. Auch hier stechen einzelne Bundesländer negativ hervor: Kümmerliche 17 Prozent der Kindergärten in Tirol und 19 Prozent in Oberösterreich haben bis 17 Uhr geöffnet, wenn ein durchschnittlicher Arbeitstag endet, österreichweit sind es gerade ein Drittel. Für die Über-Sechs-Jährigen setzt sich das Dilemma mit der in Österreich vorherrschenden Halbtagsschule fort.

Das geht an der Lebensrealität und den Wünschen der Eltern vorbei und wirkt wie ein Verhütungsmittel. Familienforscherin Sonja Dörfler: „Eltern wollen hochwertige Kinderbetreuung. Wenn sie nach dem ersten Kind sehen, wie mangelhaft die Vereinbarkeit funktioniert, bekommen sie das eigentlich gewünschte zweite Kind lieber nicht.“

5. Die Hürde Ideologie

Kaum ein Thema eignet sich besser als die Familie, um vollmundig ideologische Markierungen zu setzen. Das exerzieren SPÖ und ÖVP seit Jahrzehnten vor: Die SPÖ hielt in ihrer Oppositionszeit das schwarz-blaue Kindergeld für die Autobahn „zurück ins Mittelalter“ oder zumindest „zurück an den Herd“. Und schaffte dann, zurück im Kanzleramt, das Kindergeld doch nicht ab.

ÖVP-Obmann Michael Spindelegger beschwört gerne das Schreckensbild DDR, wenn er „vehement und kämpferisch“ gegen Ganztagsschulen und „staatliche Einrichtungen“ (gemeint sind Kindergärten) wettert. Dennoch werden auch unter ihm Ganztagsschulen – zaghaft aber doch – ausgebaut.
Die lustvoll zelebrierten ideologischen Grabenkämpfe sind meist Schaukämpfe, reichen aber allemal, um Lösungen zu verzögern: Die Verhandlungen um den „Papamonat“ sollten längst beendet sein, liegen aber auf Eis. Aus der Reform der zersplitterten Familienförderung wird in dieser Legislaturperiode sicher nichts mehr. Dafür kann im Wahlkampf die Ideologie des jeweils anderen gegeißelt werden.

6. Der Flaf kommt in die Jahre

Der Name – Familienlastenausgleichsfonds – war eher sperrig, das Ziel des 1949 gegründeten Instruments aber klar: Arbeitnehmerinnen mit Kindern bekamen aus diesem Fonds Kinderbeihilfe. Die Gründung war ein klassischer Sozialpartnerkompromiss gewesen: Die Gewerkschaften verzichteten auf Lohnerhöhung, die Arbeitgeber verpflichteten sich dafür, den Fonds mit ihren Dienstgeberbeiträgen zu speisen.

64 Jahre später ist die Finanzierung des Flaf, mittlerweile geringfügig peppiger in Familienfonds umbenannt, im wesentlichen unverändert: Die Dienstgeber zahlen für ihre unselbständig Erwerbstätigen 4,5 Prozent der Lohnsumme ein. Die Leistungen, die aus dem Fonds bezahlt werden, sind aber ganz andere als 1949: Von Pensionszeiten bis zum Kindergeld wird mittlerweile alles Mögliche aus dem Fonds finanziert, auch für Selbständige, Bauern, öffentlich Bedienstete und Studierende. Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden – außer dass die Finanzierungsstruktur durch wenige überhaupt nicht mehr zur Fülle an Förderungen für alle passt. „Die Beitragsstruktur des Flaf müsste dringend verändert werden“, fordert der Ökonom Norbert Neuwirth. Eigentlich stand die Reform der Finanzierung des Flaf für 2013 auf der Agenda. Wie viele andere angekündigte Änderungen verlief auch diese vorerst im Sand.

7. Die falsche Pensions-Rechnung

„Lieber Osterhase, bitte bring uns Rauschmittel, damit wir … rammeln … ohne Angst, Kinder in die Welt zu setzen“, flehte eine „Spiegel“-Kolumnistin vergangene Woche. Gänzlich ironiefrei, dafür mit erhobenem Zeigefinger widmeten sich auch Ökonomen der Universität Bochum dem Thema Kinderlosigkeit – und fanden auch in Österreich begeisterten Applaus. Die Mär hält sich hartnäckig, dass nur diejenigen, die sich fortpflanzen, das Pensionssystem sichern. Dabei ist die Wahrheit viel unspektakulärer: Die Bilanz des Pensionssystems hängt von der Zahl der Erwerbstägigen ab. Viele Frühpensionisten, Hausfrauen oder Arbeitslose bringen es genauso in Schieflage wie zu wenig Nachwuchs. Wobei sich Österreich, aller Propaganda zum Trotz, um seine Geburtenraten keine Sorgen zu machen braucht – sagt zumindest Demograf Tomas Sobotka: „Österreich wird noch mindestens 50 Jahre wegen der Zuwanderung wachsen.“

Derartige Sätze kann wohl nur ein Wissenschafter gelassen aussprechen. Erst recht im anlaufenden Familien-Wahlkampf.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin