Kritik: Faust aufs Aug

Faust aufs Aug

Zwischen altmodischem Star-Theater und Multimedia-Versuchen

Drucken

Schriftgröße

Eines kann man dem neuen Burg-Chef Matthias Hartmann nicht vorwerfen: dass er feige wäre. Sich zur Eröffnung des Hauses beide Teile von ­Goethes Klassiker „Faust“ vorzunehmen ist allein schon deshalb riskant, weil das Wiener Publikum den Stoff nur allzu gut kennt. Vor acht Jahren zeigte Peter Stein die Doppeltragödie im Kabelwerk (sein Ansatz: Texttreue; Spieldauer: 22 Stunden inklusive Pausen). In seiner letzten Spielzeit lud der scheidende Hausherr Klaus Bachler, nachdem Regisseur Jürgen Gosch seine Faust-Pläne aus Krankheitsgründen absagen musste, gleich zwei herausragende Interpretationen von „Faust I“ ein: Michael Thalheimers kühlen Entwurf, der Faust (Ingo Hülsmann) als zynischen Machtmenschen ins Zentrum rückte und Gott und den Himmel ganz strich, sowie Jan Bosses verspielten Ansatz, der einen feingliedrigen Mephisto (Joachim Meyerhoff) als nimmermüden (Theater-)Regisseur auftrumpfen ließ. Beide Inszenierungen waren scharf gedacht und kühn umgesetzt. Und Steins „Faust“ war immerhin ein Event – und einer der ersten Versuche, beide Teile dieses Theatermonsters zum Leben zu erwecken.

Jetzt also Hartmann, der zumindest ein geschickter Marketingstratege ist: Seit Wochen laufen die heimischen Medien auf Hochtouren, um über die Großeröffnung zu berichten, der ORF versucht ungeschickt, Theater und Quote zusammenzudenken, und man hatte nicht selten den Eindruck, im Haus am Ring liegen die Nerven schon blank, noch bevor es richtig losgegangen ist. Hartmann ist eben kein Mann der Bescheidenheit: Er verkündete lautstark, das Publikum erwarte schließlich eine große Tat von ihm.

Eines ist nach der Premiere sicher: Eine intellektuelle Herausforderung ist seine Faust-Version sicher keine. Hartmann setzt im ersten, erstaunlich konventionell gespielten Teil, ganz auf sein Star-Ensemble und präsentiert sich als nicht sonderlich origineller Low-Budget-Geschichtenerzähler: „Faust“ für Kinder – mit Stichflammen, riesigen Papierhüllen und übergroßen Würfeln, die hin und her geschoben werden (Bühne: Volker Hintermeier). Gert Voss zeigt als Mephisto in Jerry-Lewis-Hochwasserhosen und mit Collage-Jacke, auf der am Rücken das Wort „Magic“ steht, zu Beginn Mut zur Selbstironie. Allerdings: Das Ensemble findet nie zusammen. Tobias Moretti ist als kreuzbraver Faust so langweilig, dass einem sogar der Teufel leidtun könnte. Jeder spielt seinen eigenen Stil: Katharina Lorenz versucht dem Gretchen einen zeitgemäßen Ton zu verpassen, was ihr zumindest in Ansätzen gelingt. Maria Happel bringt als Marthe zu allem Überfluss Operetten-Lustigkeit ins Spiel. Es fehlt die ordnende Kraft, es fehlt die leitende Regie. Auch Gert Voss rettet sich als Virtuose bloß durch den Abend, hat seine Figuren aber schon viel treffsicherer und tiefgründiger angelegt. Hält Tobias Moretti als Faust seinen berühmten Einstiegsmonolog noch ganz lapidar am Laptop, so verfällt er in der Folge schnell in hohles Deklamieren. So altväterlich hat das Burgtheater schon lange nicht mehr ausgesehen.

Der zweite Teil wirkt optisch frischer. Mikros stehen herum, Videoleinwände sind gespannt, eine Liveband spielt entspannt auf: So sehen für gewöhnlich Settings für Nicolas-Stemann-Abende aus – Theater als groovendes, postdramatisches Zitate-Konzert. Hartmann verwendet die Videos ausgiebig, bewegt sich aber relativ wenig vom Text weg – sieht man von einem Exkurs über Hedgefonds ab.

„Faust II“ ist eine Art Best-of im Fast-forward-Modus: Faust erfindet das Papiergeld, verliebt sich in Helena, zeugt Euphorion, züchtet den Retortenmenschen und baut seinen Staudamm. Um schwierige Szenen wie die Walpurgisnacht hat sich Hartmann bereits im ersten Teil herumgemogelt. Erstaunlich altmodisch bleibt die Rolle des Faust auf einen Schauspieler festgelegt (Tilo Nest), während sich Joachim Meyerhoff und Caroline Peters die Mephisto-Parts teilen. Matthias Hartmann knüpft mit dieser allzu naiven Inszenierung an seine jungen Jahre an: als er unter Claus Peymann Schillers „Räuber“ am Burgtheater als harmloses Märchen erzählte. Und damit grandios scheiterte.

Sven Gächter über den “Faust”-Marathon im ORF:
Hier gehts zum Blog

Karin   Cerny

Karin Cerny