Fehlpässe

Fehlpässe: Warum der Weg zur Einbürgerung steinig bleibt

Staatsbürgerschaft. Warum der Weg zur Einbürgerung steinig bleibt

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Der Glastisch im Wohnzimmer, die weißen Kunstledersessel davor und die Espressomaschine in der roten Hochglanzküche sehen aus wie frisch aus dem Möbelhaus. Seval S., 32, mag es „modern“, ohne Kupferkännchen und Kelims. Vor wenigen Monaten zog sie mit ihrem Mann und den beiden Kindern in eine Wohnung im Wiener Rabenhof. Im Zimmer zum Hof, in dem ihre fünfjährige Tochter und ihr vierjähriger Sohn herumturnen, läuft auf einem Flachbildschirm ein türkischer Zeichentrickfilm.

Die Kinder der Gastarbeiter richten sich ihr Zuhause ein. Seval S. war zwölf, als ihr Vater sie von Ankara nach Wien holte. Sie fand es „entsetzlich peinlich“ in der neuen Schule, in der sie weder die Lehrerin noch die anderen Kinder verstand. Heute, 20 Jahre später, gehört sie immer noch nicht richtig dazu. Ihr Mann und die gemeinsamen Kinder haben inzwischen einen österreichischen Pass, nur sie selbst schaffte es in drei Anläufen nicht, eingebürgert zu werden: „Ich bin in meiner Familie die Ausländerin.“
Beim ersten Mal konnte sie keinen Job vorweisen, dann reichte ihr Einkommen nicht, und schließlich fiel sie beim schriftlichen Deutschtest durch. Ihre Freundinnen bogen sich vor Lachen, als sie das hörten: Seit Jahren begleitet Seval S. sie zu Ärzten und Elternsprechtagen, übersetzt für sie Briefe und hilft ihnen, Streit mit Nachbarn zu schlichten. Keine aus der Runde kann sich so gut ausdrücken wie Seval S. Ausgerechnet sie fiel in Deutsch durch? Da war es wieder, dieses „entsetzlich peinliche“ Gefühl von früher: „Ich habe mündlich mit Sehr gut bestanden. Warum genügt das nicht?“

Hürden immer höher
Die Frage quält auch Integrationsexperten seit Langem. Österreich macht es angehenden Staatsbürgern so schwer wie kaum ein zweites Land in Europa. Alle paar Jahre wurden die Hürden ein Stück höher geschraubt, das schlug sich irgendwann auch in der Statistik nieder: Die Zahl der Einbürgerungen fiel von rund 45.000 im Jahr 2003 auf 7000 im Vorjahr.
Mittlerweile leben im Land eine Million Nicht-Österreicher, 40 Prozent davon EU-Bürger, die zumindest bei Kommunal- und EU-Wahlen ihr Kreuzerl machen dürfen; alle anderen sind bei jedem Urnengang ausgeschlossen. „Das wird zu einem Problem für die Demokratie“, warnt der Politikwissenschafter Rainer Bauböck.

Nun wird das zuletzt 2009 verschärfte Staatsbürgerschaftsgesetz erneut überarbeitet. Vergangene Woche lief die Frist für die Begutachtung aus. Der von Staatssekretär Sebastian Kurz ausgeschickte Entwurf lässt mutige Reformansätze vermissen und begnügt sich im Wesentlichen mit Reparaturarbeiten, die Höchstgerichte eingefordert hatten (siehe Kasten am Ende). So müssen etwa nach einem Spruch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) künftig auch uneheliche Kinder mit österreichischem Vater und ausländischer Mutter eingebürgert werden.
Die grüne Abgeordnete Alev Korun sammelt in einer Mappe Geschichten von Menschen, die an den strengen Vorgaben für eine Einbürgerung scheitern. Sie wird um keinen Zentimeter schmaler, sagt sie: „Das österreichische Staatsbürgerschaftsrecht schickt Menschen, die sich zu Österreich bekennen und hier zu Hause fühlen, immer wieder zurück an den Start. Daran ändert auch die geplante Novelle nichts.“ Ein paar Kieselsteine werden weggerollt, die großen Brocken aber bleiben: das Verbot von Doppelstaatsbürgerschaften, lange Wartefristen, hohe Einkommensgrenzen, strenge Sprachtests.

Auch Putativ-Österreicher wird es weiter geben. Vor einem Jahr hatte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner versprochen, Experten nach einer Lösung für jene Personen suchen zu lassen, die von Behörden irrtümlich für Staatsbürger gehalten wurden und in Wahrheit staatenlos sind. In Deutschland und der Schweiz gibt es Härtefall-Regelungen, die eine rasche Einbürgerung erlauben. In Österreich hingegen sorgte 2006 eine Verschärfung des Staatsbürgerschaftsgesetzes dafür, dass Mindestrentner, Bewerber ohne entsprechendes Einkommen und vorbestrafte Personen sich eine Einbürgerung gleich aus dem Kopf schlagen können.
Marijan Babic (Name von der Redaktion geändert) hatte sich verzweifelt an die Hoffnung geklammert, eine Gesetzesnovelle könnte ihn aus seiner Misere erlösen. 1987 hatte die steirische Landesregierung den Reisepass des damals 22-Jährigen einkassiert, der sich bis dahin für einen Österreicher gehalten hatte. Schließlich war ihm im zarten Alter von drei Jahren ein Staatsbürgerschaftsnachweis ausgestellt worden. Nun belehrte ihn die Behörde, dass es sich um einen Irrtum handle.

Mühsame und kostspielige Einbürgerung
B.s Mutter ist in Österreich geboren, sein Vater stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien. Als der Vater 1977 eingebürgert wurde, kam niemand auf die Idee, auch für das Kind einen Antrag zu stellen. Nun muss sich B. nach 26 Jahren als Staatenloser darauf einstellen, weiter als „Alien“ zu leben. Er kann weder den geforderten Lebensunterhalt nachweisen noch auf einen geplanten Ausnahmepassus pochen, der Putativ-Österreichern, die das Bundesheer absolviert haben, den Weg zur Staatsbürgerschaft ebnet. Zu allem Pech, das er in seinem Leben schon hatte, kommt dazu, dass er bei seiner Stellung im Jahr 1982 wegen eines schweren Augenleidens für untauglich befunden wurde.

An die 10.000 Babys, die jedes Jahr als „Ausländer“ in Österreich geboren und später mühsam und kostspielig eingebürgert werden, obwohl ihre Eltern legal hier niedergelassen sind, verschwendet die Gesetzesnovelle keinen Gedanken. „Und das, obwohl die Gruppe der Eingebürgerten inzwischen zu einem Drittel aus Menschen besteht, die im Land geboren sind“, so die Grüne Korun.

Ebenfalls vertan wurde die Chance auf ein Ende der Fristenschikanen. Anwärter auf eine Staatsbürgerschaft müssen zehn Jahre Aufenthalt nachweisen. Selbst eine kurze, unverschuldete Unterbrechung kann sie um Jahre zurückwerfen.

Das bekam die gebürtige Peruanerin Pilar D. zu spüren. Die 42-Jährige lebt seit 1994 in Österreich. Im Jänner 2005 hatte sie sich am letztmöglichen Tag um eine Verlängerung ihres Visums bemüht: „Die Schlange der Wartenden war lang, und die Beamtin am Schalter hat mich gebeten, nächste Woche wiederzukommen.“

Dass ihr das vier Jahre später zum Verhängnis werden würde, konnte sie nicht ahnen. Als sie 2009 um die Staatsbürgerschaft ansuchte, teilte die zuständige Abteilung des Wiener Magistrats mit, in ihrer Aufenthalts-Vita klaffe eine Lücke von einer Woche. Ihr Antrag wurde abgewiesen. Die Wartefrist für einen österreichischen Pass fing neu zu laufen an: „Das ist so ungerecht. Das muss doch geändert werden.“ In der geplanten Novelle ist davon nichts zu lesen.

Infobox
Einbürgerungsschreck
Zehn Jahre wartet man hierzulande auf eine Einbürgerung. Länger, nämlich zwölf Jahre, dauert es nur in der Schweiz. Künftig soll der Erwerb der Staatsbürgerschaft schon nach sechs Jahren möglich sein. Ein Massenansturm auf den Schnellzugang ist allerdings kaum zu erwarten. Die Anwärter müssen nämlich entweder Deutschkenntnisse auf Maturaniveau (B2-Level) mitbringen oder – wenn sie es sprachlich nur auf Mittelschulniveau bringen (B1) – drei Jahre lang gemeinnütziges Engagement nachweisen können. Eingebürgert wird nur, wer durchschnittlich rund 1000 Euro im Monat verdient. NGOs wie Amnesty International, SOS Mitmensch und Caritas sowie die Grünen ­kritisieren die Einkommensgrenze: Sozialhilfeempfänger blieben damit ebenso wie viele Alleinerzieherinnen oder Arbeiterinnen von vornherein ausgeschlossen.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges