„Pseudonationale Sozi-Partei“

Strache-Vertraute lassen Streit im RFW eskalieren

FPÖ. Wie Strache-Vertraute im Ring Freiheitlicher Wirtschaftstreibender ein Gemetzel veranstalten

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Heinz-Christian Strache hat viele Titel. Inoffizielle: „Rächer des kleinen Mannes“, „Robin Hood“, „blauer Messias“. Offizielle: „Bundesparteiobmann“, „Klubobmann“. Und weniger bekannte wie „Ehrenpräsident“. Honoris causa übt der FPÖ-Chef etwa den Vorsitz im Ring Freiheitlicher Jugend aus. Ebenfalls ehrenhalber präsidiert Strache bei „Freiheitliche und Unabhängige pro österreichischer Mittelstand – Liste der freien Unternehmer und Freiberufler“. In der gebräuchlichen Kurzversion: „FPÖ – pro Mittelstand“. Bis Oktober 2012 diente Strache auch als operativer Präsident dieses 2008 künstlich erschaffenen Unternehmerverbands, dessen Gründungszweck darin bestand, die alteingesessene Interessensvertretung, den Ring Freiheitlicher Wirtschaftstreibender (RFW), zu entmachten. Fünf Jahre später herrschen freilich wieder Friede und Freundschaft in und zwischen den beiden Organisationen.
Offiziell.

Denn abseits der Öffentlichkeit spielte sich in den vergangenen Monaten ein blutiges Drama ab. Am Ende hatten Straches Statthalter vier blaue Gegenspieler ausgeschaltet. Der Schönheitsfehler: Die Suspendierungen waren wohl rechtswidrig. Nun droht der Konflikt ausgerechnet vor der Nationalratswahl zu eskalieren.

Am Anfang der Kontroverse steht ein Mann, dessen Handlungen Strache und die FPÖ immer wieder in Erklärungsnot bringen: Martin Graf, Dritter Nationalratspräsident, Rechtsanwaltsanwärter, Experte für Deutschnationalismus und Stiftungsgründungen aller Art. Neben seinen politischen und juristischen Tätigkeiten verfügt Graf auch über unternehmerischen Ehrgeiz – als ehemaliger Gesellschafter des Gastronomiebetriebs seines Bruders.

Im Jahr 2008 keimte in Graf eine Idee.
Sehr lange schon hatte der RFW die FPÖ-Spitze irritiert. Einzelne Repräsentanten wie der Wiener Obmann und Ex-Abgeordnete Detlev Neudeck oder der Salzburger Politveteran Helmut Haigermoser (RFW-Bundesobmann von 1988 bis 1998) standen seit der Parteispaltung von 2005 unter BZÖ-Sympathieverdacht. Tatsächlich war der RFW die einzige Organisation, in der Blaue und Orange nach der Sezession weiter zusammenarbeiteten. Der Grund: Statutengemäß ist der Ring ein unabhängiger Verein und trotz zahlreicher FPÖ-Funktionäre seinem Selbstverständnis nach keine Vorfeldorganisation der Partei. Was der Wiener Graf durch die Gründung von „FPÖ – pro Mittelstand“ vor allem in der Bundeshauptstadt zu ändern gedachte.

Zur Repräsentantin der neuen Organisation erkoren Strache und Graf Barbara Kappel, ehemals Büroleiterin von Nationalratspräsident Thomas Prinzhorn, mittlerweile freiheitliche Gemeinderätin in Wien und Straches Schatten-Wirtschaftsministerin. Öffentlich auffällig wurde die neue Unternehmervertretung im November 2009. Da enthüllte Graf, die EU würde ein totales Rauchverbot in Gaststätten, auch in Schanigärten und vor der Lokaltür, dekretieren – und die Gastronomen so ins Kriminal treiben.
Im Dezember 2009, knapp vor den Wirtschaftskammerwahlen, erklärte Parteichef Strache apodiktisch, die Plattform „FPÖ pro Mittelstand“ sei in Wien fortan „die einzige freiheitliche Vertretung“. Den Bundesobmann des RFW, Fritz Amann, ein an sich unerschütterlicher Vorarlberger, packte heiliger Zorn: „Die FPÖ hat mit Unternehmern nichts am Hut, die wollen nur das Geld der Wirtschaft für die Parteikasse.“

Die Kammer-Wahlen 2010 wurden zum Desaster – für beide Seiten. In Wien, dem Hauptkriegsschauplatz der blauen Kontrahenten, wurde der RFW von neun auf 4,7 Prozent halbiert. „Pro Mittelstand“ erreichte bloß 2,7 Prozent. Auf Bundesebene kam der Ring auf 8,4 Prozent – zehn Jahre zuvor waren es 20 Prozent gewesen.

Kurzfristig kehrte Ruhe ein, die verfeindeten Fraktionen fanden im Wiener Wirtschaftsparlament sogar zu einer Sachkoalition zusammen. Nur Fritz Amann fiel unangenehm auf, als er nach der Blamage der FPÖ-Kandidatin Barbara Rosenkranz bei den Bundespräsidentenwahlen im April 2010 Parteichef Strache offen Versagen und Führungsschwäche vorhielt.
Unter der Oberfläche brodelte es weiter – vor allem im RFW von Wien und Salzburg.

Im Herbst 2011 begann schließlich eine Ausschlussorgie, die RFW und FPÖ bis heute erschüttert. Im Mittelpunkt: Fritz Amann. Der Vorarlberger hatte sich zwischenzeitlich mit Strache versöhnt und wurde nun dessen Exekutor gegen Wiener und Salzburger Rebellen. Die Zahlungen des Bundes-RFW an beide Landesorganisationen versiegten. Im Oktober 2011 wurden vier Wiener und Salzburger Spitzenfunktionäre von ihren Ämtern im RFW-Bundesvorstand suspendiert, darunter Detlev Neudeck. Begründung: vereinsschädigendes Verhalten.

Die geschassten Funktionäre riefen das aus drei Anwälten bestehende Ehrengericht des Rings an. Dieses hob schließlichdie Suspendierungen – nach eineinhalb Jahren – vor zwei Wochen auf.

Doch ein weitblickender Unternehmer handelt stets proaktiv. Und so hatte Fritz Amann vorgesorgt, um die mögliche Rehabilitierung seiner Kontrahenten zu unterlaufen.

Bei einer Sitzung der RFW-Führungsgarde am 12. April 2013 im oberösterreichischen Zell am Moos am Irrsee wurde zusätzlich zur Suspendierung der Ausschluss der vier Rebellen und zweier weiterer Delinquenten aus dem Vorstand beschlossen, den diese nun erneut beim Ehrengericht anfechten wollen – mit günstiger Prognose.

In den Degradierungen will RFW-Obmann Amann kein „Gemetzel“ erkennen. Die Maßnahmen seien – trotz des Erkenntnisses des Ehrengerichts – „sachlich gerechtfertigt“ gewesen: „Diese Herrschaften handeln wie in einem Privatverein nur zum eigenen Vorteil. Die Interessen der Unternehmer und des Rings Freiheitlicher Wirtschaftstreibender sind ihnen egal.“ Im Übrigen sei der Konflikt aus seiner Sicht „Geschichte“.
Mittelfristig, so Amanns Plan, sollen RFW und „Pro Mittelstand“ fusioniert werden. Ein neuer Verein wurde bereits eingetragen, eine Arbeitsgemeinschaft gegründet. Bei den Wirtschaftskammer-Wahlen 2015 werde das Bündnis laut Amann als eine Liste antreten. Ein frommer freiheitlicher Wunsch: In Wien dürften sich die lokalen RFW-Widerständler kaum unterwerfen.

Obwohl sogar die Partei mit den Rebellen abrechnete. Aufmüpfige Wiener RFW-Funktionäre wie der Taxi-Unternehmer Karl Ramharter wurden kurzerhand aus der FPÖ ausgeschlossen. Begründung von Landesparteisekretär Hans-Jörg Jenewein: Mitgliedschaften bei FPÖ und RFW seien unvereinbar. Die Freiheit, die sie meinen.

Mit der Verankerung von „Pro Mittelstand“ in der FPÖ verwischten sich die natürlichen Grenzen zwischen Partei und Vorfeldorganisation. Im März 2010 lud Nationalratspräsident Martin Graf auf offiziellem Briefpapier zu einer Veranstaltung der blauen Mittelständler. Motto: „Heimatland braucht Mittelstand“. Der grüne Mandatar Dieter Brosz kritisierte damals, es sei „ein klarer Missbrauch öffentlicher Mittel, wenn der Dritte Präsident Räume des Parlaments für Veranstaltungen der FPÖ nutzt und die Einladungen dazu auf Kosten des Parlaments verschickt“.

Neben der organisatorischen Vereinnahmung von „Pro Mittelstand“ und Bundes-RFW durch die FPÖ fand auch eine inhaltliche Harmonisierung statt. Zuviel Wirtschaftsliberalismus – im Genom des RFW seit Jahrzehnten eingepflanzt – verträgt sich schlecht mit der Kleiner-Mann-Ideologie der FPÖ. Die beiden blauen Unternehmerverbände agierten freilich geschmeidig und unterstützten Initiativen der „Freiheitlichen Arbeitnehmer“ zur Ausweitung des Urlaubsanspruchs, Reduktion von Leiharbeitern und Begrenzung der steuerlichen Absetzbarkeit von Managergehältern – allesamt Forderungen, die auch Linksgewerkschafter vertreten.

Ex-RFW-Chef Helmut Haigermoser sieht die Freiheitlichen daher nicht mehr als Wirtschaftskompetenzzentrum: „Die derzeitige FPÖ ist eine pseudonationale Sozi-Partei.“

Haigermoser, langjähriger Ehrenpräsident des RFW, wurde ebenfalls sanktioniert. Im Jänner 2013 erhielt der Salzburger ein Schreiben des RFW-Rechtsanwalts, wonach er den Titel „Bundesehrenobmann“ zu Unrecht führe und dies künftig zu unterlassen habe. Für sein Einschreiten stellte der Rechtsanwalt Haigermoser einen Aufwandsersatz in Höhe von 230,18 Euro in Rechnung.

Unterlassungseklärung und Aufwands- ersatz wurden bisher verweigert.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.