Gastronomie: „Ich muss gut drauf sein“

Besuch beim erfolgreichs- ten Koch Deutschlands

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Es ist kurz nach sieben Uhr Früh, und dort, wo das deutsche Rheintal am berühmtesten ist, nämlich nicht weit von der Loreley, steigt der Nebel hoch und verliert sich im Himmelblau, das von weißen Schlieren durchzogen ist. Der Flughafen Frankfurt ist nicht weit und doch so unerreichbar. Johann Lafer sitzt in seinem stattlichen Mercedes und flucht. „So ein Mist aber auch“, grummelt er ins Lenkrad. Jeder weitere Strich am Himmel könnte sein Morgenflieger nach Hamburg sein, wo er am frühen Nachmittag praktisch im Akkord kochen soll, natürlich vor laufenden Kameras und klatschenden Zuschauern.

Schließlich ist der gebürtige Steirer Deutschlands bekanntester Fernsehkoch, und es interessiert wirklich niemanden, dass es ihn in Wahrheit beinahe zerreißt vor lauter Terminen: Kochsendungen, Sitzungen mit Kochbuchverlagen und Haushaltsgeräteherstellern, Kochkurse und Helikopter-Gourmetausflüge, bei denen er anwesend sein muss, um auch zu kriegen, was er dafür verlangt, Pressekonferenzen, Foto-Sessions, Mega-Events für Konzernbosse und Politiker. Und dann ist da ja auch noch die Küche seines Nobelrestaurants „Le Val d’Or“, der er zumindest die Richtung vorgeben muss. Wenn deutsche Medien über Lafer berichten, deuten sie oft an, dass Angela Merkel oder Franz Beckenbauer im Vergleich zu ihm eine ruhige Kugel schieben.

Fünfmal 45 Minuten Frohsinn stehen in den nächsten 48 Stunden auf dem Programm. Das ZDF hat ihn mit einer neuen Sendung bedacht, die mehr sein will als bloße Kochlöffelschwingerei; in „Lafer, Lichter, Lecker!“ tritt er mit Promis, gern auch mal solche der C-Kategorie, gegen das kochende Kölner Original Horst Lichter an: Der Profikoch gegen den Banausen, so sind sie aufgestellt, wie es im TV-Jargon heißt. Das Publikum johlt, wenn Lichter Soufflés aus dem Backrohr holt, die sich unter der Türspalte durchschieben lassen, und es applaudiert angetan, wenn Lafer demonstriert, dass man Thai-Hühnchen am besten mariniert, indem man sie mit der Sauce im Plastiksackerl durchknetet.

„Es gibt gute Köche, es gibt Sterneköche, und es gibt Horst“, sagt Lafer häufig in der Sendung. Es ist ein sicherer Lacher, jedes Mal. Es ist ein Satz, mit dem man sich ein wenig ausruhen kann, wenn einem gerade nichts Witziges einfällt. „Ich muss gut drauf sein“, sagt Lafer, während er im ersten Gang Richtung Frankfurt rollt: „Ich muss den Druck aushalten, mich vorbereiten und letztlich was Gutes kochen. Das ist alles nüchterne, knallharte Arbeit. Manchmal fährt mich mein Chauffeur wohin, dann schlafe ich im Wagen, weil ich sonst nicht dazu komme. Wenn die Leute das hören, denken sicher manche, der Lafer kann den Hals nicht voll kriegen. Aber den Leistungsdruck kann ich nur mit diesem Aufwand bewältigen. Was glauben Sie, wie viele Inlandsmeilen ich vergangenes Jahr verflogen habe? 250.000. Das ist die Kehrseite der Medaille.“

Auf der 61er zwischen Stromberg und Mainz geht jetzt gar nichts mehr. Es ist Montag, da fährt das Geld in dunklen Anzügen und kolonnenweise zum Airport oder in die Skyline der Bankmetropole – das Geld, wegen dem er einst hierher gezogen ist.

Gott persönlich. Johann Lafer ist ein junger aufstrebender Koch, als er Anfang 1983 eine Stellenanzeige aufgibt. Er kennt die Figuren, die gerade dabei sind, eine deutsche Hochküchenkultur zu etablieren; jetzt will er in die erste Reihe. In Josef Viehausers „Le Canard“ in Hamburg hat er Steinbutte und Seeigel aus Styroporkisten gekramt und sich noch gefragt, was er daraus machen soll. Jörg und Dieter Müller haben ihn zum Chef-Patissier ernannt. Und dann steht in seiner Vita ja auch noch Gott persönlich: Eckart Witzigmann aus der Münchner „Aubergine“. Lafer erhält reichlich Angebote, sondiert vor sich hin, bis er eine Anfrage aus Guldental erhält. Silvia Buchholz, die Besitzerin des Restaurants „Le Val d’Or“ in Guldental, ausgezeichnet mit einem Michelin-Stern, sucht einen Küchenchef. Lafer beurteilt das Lokal zunächst nach seiner geografischen Lage. Ins Rhein-Main-Gebiet, da wollte er eigentlich hin. „Das hat ein Einzugsgebiet von fünf Millionen Menschen, denen es im Schnitt sehr gut geht“, sagt er sich, „da kann man was machen.“

Lafer und Buchholz vereinbaren zu-nächst, es drei Monate lang zu versuchen. „Wenn’s nicht geht, lassen wir es halt“ – so lautet der Deal. Fünf Jahre später erkocht Lafer dem Haus einen zweiten Stern; 1990 folgt die Heirat mit Silvia Buchholz; 1994 übersiedelt das Gastro-Ehepaar auf die nahe gelegene Stromburg. Acht Millionen Mark fließen in die alten Gemäuer, in denen heute ein Hotel und zwei Restaurants untergebracht sind. Die Beinahepleite während der ausufernden Renovierung wird ihm zur Lehre seines Lebens. Die Geschichte wird auch eine Rolle in der Biografie spielen, die der Heyne-Verlag zu seinem 50. Geburtstag im September vorbereitet. Er wollte das eigentlich gar nicht, meint er. Es sei zu viel des Guten, aber der Verlag ließ nicht locker.

Zu erzählen ist jedenfalls die Vita des ökonomisch erfolgreichsten Kochs, der je in Deutschland am Herd stand. Lafers Unternehmensgruppe erwirtschaftet laut „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ zehn Millionen Euro Jahresumsatz; er dementiert die Zahl nicht, aber die Formulierung „mehr als fünf Millionen“ wäre ihm lieber. Mit einem Luxusrestaurant allein jedenfalls ist das nicht machbar. Deshalb ließ er sich nicht beirren von der Kritik, als er immer seltener in der eigenen Küche stand. Noch im aktuellen Gault Millau Deutschland wird gestichelt, dass er im „Epizentrum seiner Eigenvermarktung nur noch die Honneurs“ mache. Deutschland verstehe das nicht, weil es keinen vergleichbaren Fall gebe. Die meisten der wahren Großmeister hätten eben kein eigenes Unternehmen durchzubringen. Lafer gibt ein Beispiel, warum er sich so viele Standbeine geschaffen hat, die durchwegs profitabler sind als der Betrieb einer Spitzenküche mit edlen Zutaten und geschultem Personal. „Angenommen, ich habe ein Steakhaus“, sagt er, „das läuft superklasse. Und dann kommt BSE. Dann sitzt du in deinem Laden, hast nix falsch gemacht und den Scherben auf.“

Genau deshalb richtete er in Guldental eine Kochschule ein, ließ eine Scheune zum eigenen TV-Studio umbauen, in dem die anreisenden TV-Teams nur ihre Kameras anstecken müssen, und lässt in einer Versuchsküche ein Team von fünf Testköchen und Requisiteuren Rezepte nach seinen Vorgaben austüfteln, die er dann im Fernsehen nachkocht oder in Gläser füllt und unter seinem Namen verkauft. Er lässt Rezepturen „auflafern“, wie er es nennt. „Das macht mich unabhängig“, sagt er. „Ich kann beruhigt auf Urlaub fahren, wenn nur zwölf statt 30 Gäste im Restaurant sitzen, weil ich weiß, dass ich im Jahr ein paar hunderttausend Liter Essig, Öl und Fond verkaufe.“ Bloß fährt er kaum auf Urlaub.

Heli-Gourmet. Nur einmal in den vergangenen Jahren stahl er sich des Öfteren von der Tagesarbeit fort und fuhr ins Frankenland. Lafer wollte unbedingt Helikopter fliegen lernen; dafür musste er ernsthaft strebern, das sei das Schwierigste überhaupt – noch dazu, wo er an extremer Flugangst litt. Mit abenteuerlichen Fallflügen trieb ihm sein Fluglehrer diese aus. Lafer schaffte die Prüfung auf Anhieb, kaufte einen Hubschrauber und erkundete sein Umland von oben. Gerne fliegt er auf eine Anhöhe über dem kleinen Rhein-Ort Bacharach mit herrlichem Blick auf die Loreley. Dann steht er dort oben in den Weingärten und zählt auf, für wen er hier schon gekocht hat: zum Beispiel für Frau Blair, Frau Bush und Frau Chirac. Und wenn er dann wieder zurückfliegt nach Guldental, um auf dem Fußballplatz zu landen, auf dem die Kicker sich schnell hinters Tor verdrücken, sagt er schmunzelnd: „Ich darf das, ich bin der Hauptsponsor der SG Guldental.“

Aus dem Hobby wurde schnell das nächste Unternehmen. Zahlreiche Anfragen, einmal mitfliegen zu dürfen, brachten ihn auf die Idee zu Heli-Gourmet. Jetzt macht er allein mit Flügen zu Edel-Picknicks, die ab etwa tausend Euro pro Person zu haben sind, mehrere hunderttausend Euro Jahresumsatz. Vor der Fußball-WM 2006 investierte er in 300 Tickets und verkaufte sie innerhalb einer Woche mit hundert Prozent Aufschlag als Gourmet-Package – inklusive Übernachtung auf der Stromburg, Dinner und Heli-Flug zum Match.

Der Preis für all die Umtriebigkeit war der Verlust des zweiten Michelin-Sterns vor einigen Jahren. Lafer sieht das als Kollateralschaden in seinen Bemühungen um wirtschaftliches Überleben.

Es geht sich aus, Lafer spürt es. Er wird die Maschine noch erwischen. Er ragt aus der Karawane der Karrieretypen in dunklen Anzügen, denen die Handys und Trolleys an die Hände geschraubt zu sein scheinen, heraus. In Nadelstreif und violettem Hemd steht er in der Schlange vor dem Security-Check, nicht immer allzu lange. „Der Koch da hinten, der soll mal nach vorne kommen“, sagen die Männer mit den Detektorstäben manchmal, und schon ist er durch. Aber ist er denn überhaupt noch ein Koch?

Sandkasten-Vision. Lafer sieht sich heute eher als „Gourmet-Manager“, wie er sagt. Im Selbstporträt des Kochs als junger Mann hat eine Sandkasten-Vision ihren fixen Platz. Er wolle aus seinem Namen eine Marke machen, erzählt er Anfang der siebziger Jahre, damals noch im steirischen St. Stefan im Rosental, seiner Mutter. „Ein Leben für den guten Geschmack“ – wer Lafers zahlreiche Broschüren durchblättert, findet das Motto überall. Auf den Unterlagen prangt auch der geschwungene Schriftzug mit seinem Namen; die Firmenfarbe ist ein sattes Blau. Pantone 72 C heißt sie in der pinselnden Fachwelt. „Sehr schwer zu mischen“, grinst Lafer. Aber auch das gehört dazu, wenn man eine Marke etablieren will. Neulich hat ihn ein hoher Mitarbeiter einer großen Schweizer Bank kontaktiert. Sein Name ist gefragt, sein Markenname. „Wahnsinn“, sagt er, „das ist doch phänomenal. Eine Bank will das Wort Lafer kaufen, weil sie glaubt, damit gut zu verdienen.“

Mittags in Hamburg. Johann Lafer will schnell noch was essen, bevor er zu kochen beginnt. Er läuft durch die geradezu snobistische City, in der sich ein Designerladen an den anderen reiht, vorbei an Auslagen voller Edelstahl – Zeug, für dessen Absatz er tut, was er kann. Er wirbt für WMF und Krups, für Villeroy & Boch und allmilmö-Küchen, für Cointreau und Hengstenberg; er durfte schon AEG-Produkte anpreisen, als er noch keinen Namen hatte. Und er wirbt als Botschafter der Steiermark für deren Produkte. Über das Internet vertreibt er eine eigene Edition von Küchengeräten, Schürzen, Fonds und Schnäpsen. Sogar auf dem Kalahari-Salz steht Lafer drauf.

In einem Schnellrestaurant in einer Einkaufspassage bestellt er Rindfleisch-Wok, blickt um sich und beurteilt das Potenzial des Hauses nach der Quadratmeterauslastung: „Die brauchen viele Leute, um hier zu überleben.“ Der Wok schmeckt scheiße, findet er. Aber wahrscheinlich kann er mithalten mit vielem, was in deutschen TV-Studios zusammengerührt wird.

Vor fünf Jahren ungefähr, erinnert sich Lafer, ging es richtig los. Plötzlich waren die Scouts der Sender auf der Suche nach einem deutschen Jamie Oliver, einem jungen Wilden, der in der Lage war, das Kochen zur Party zu machen und dem Cocooning-Trend einen gewissen Nährwert zu verleihen. Lafer war da schon ein alter Hase, hatte mehr als tausend Shows im Kasten. „Jetzt kochen wir uns zu Tode“, sagte er zum Intendanten des ZDF und meinte damit, wie er heute zugibt, auch sich selbst. „Jetzt kommen die Jungen, jetzt bist du auf der falschen Seite und demnächst Geschichte.“ Er rechnete mit dem traurigen Ende einer unvergleichlichen Pioniergeschichte, die vor fast 20 Jahren im Regional-TV begann.

„Chaos pur, ein Anfang mit Schrecken“, sagt Lafer. „Wenn du dich noch mal blicken lässt, komm ich mit dem Hackbeil aus der Küche“, rief er einmal einem Regisseur nach. Der Mann habe eben nichts vom Kochen verstanden, und er selbst hatte keine Ahnung vom Fernsehen. Aber er kocht unerschüttert weiter. Man lässt ihn. Man sagt ihm, dass er gut rüberkomme.

Er hat den Mentalitätsbonus vieler Österreicher, die in Deutschland Karriere machen. In Wahrheit war Lafer natürlich schrecklich. Er wirkte steif, er redete zu schnell. Niemand konnte ihm folgen, wenn er Abläufe aus Profisicht erklärte. Verzweifelt beschwor der Koch seine Gerichte, die naturgemäß keiner riechen konnte, indem er alles pausenlos lecker, köstlich und wunderbar nannte und mit der Hand unter seiner Nase herumfächelte. Er war ein guter Koch. Ein Showstar war er nicht.

Im Studio an der Rothenbaumchaussee, wo auch die ZDF-Show „Kerners Köche“ aufgezeichnet wird, in der Lafer häufig kocht, strömt das Publikum in den Saal; es ist durchwegs gereifteren Alters. Johann Lafer wird sein Image nicht los. Er ist nicht Ralf Zacherl und nicht Tim Mälzer und wie sie alle heißen, die jungen Wilden der Fernsehkochszene. Kurz vorher, als er noch in diesem komischen Wok herumstocherte, läutete das Handy. Die Redaktion von Carmen Nebel war dran und wollte, dass er zu Ostern in ihre ZDF-Show komme. Aber er musste absagen; diese eine Woche Urlaub mit Frau, Tochter und Sohn in Ischgl müsse sein. „Wenn ich da wieder zwei Tage weg bin, reißen die mir den Kopf ab“, sagte er bedauernd ins Telefon. Er hat mit Carmen Nebel, deren Gäste-Spektrum von den Kastelruther Spatzen über Hansi Hinterseer und DJ Ötzi bis zu André Rieu reicht, kein Problem: „Ich schäme mich nicht dafür, eine ältere Zielgruppe zu haben. Das sind auch Leute, die gerne gut essen.“

Aber er hat auch mit Zacherl und Co keine Probleme, im Gegenteil. Inmitten jüngerer Köche in Johannes B. Kerners Koch-Show seien seine Konturen sogar schärfer geworden, sagt Volker Weicker, der Regisseur von „Lafer, Lichter, Lecker!“. „Der Johann ist bei Kerner lockerer geworden und gilt in dieser Runde gleichzeitig als unangefochtene Instanz der gehobenen Küche.“

Ausgebucht. Kurz vor Mitternacht verlässt Lafer das Studio. Drei Sendungen sind aufgezeichnet; am nächsten Nachmittag muss er noch zweimal ran. Aber auch der restliche Tag ist längst ausgebucht. Um neun Uhr steht er im Bulthaup-Küchenstudio im Bobo-Viertel unten am Hafen schon wieder am Herd, hackt Thunfisch und brät Lamm. Soll einer noch sagen, Lafer kocht zu wenig. Die Veranstalter einer Hamburger Gourmet-Messe haben ihn für ihre Pressekonferenz engagiert. Da kann ein Mann, der für den guten Geschmack lebt, nicht Nein sagen. Vertreter von „Rezept & Mehr“, „Für Sie“ und ein paar Regionalzeitungen lauschen andächtig. Lafer blickt auf die Uhr, er muss weiter zum nächsten Termin. Er geht an den Kränen des Elbhafens vorbei, bis er ein Taxi findet. Die frische Kochjacke unter der Plastikfolie der chemischen Reinigung, die er behutsam am Kleiderbügel hält, flattert im Wind. Sie darf nicht schmutzig werden, sonst sieht das bald jeder in Deutschland, der einen trendigen Haushaltsladen betritt.

In einem Hinterhof-Loft in Harvestehude soll ein Fotograf ihn für einen lebensgroßen Pappkameraden ablichten. So wird Lafer demnächst für die neue Produktlinie einer Küchengerätefirma werben. Eine Visagistin balsamiert ihm die Fingerkuppen, damit sie später nicht mit den Töpfen um die Wette glänzen, dann tritt er vor den weißen Hintergrund. Eine halbe Stunde motiviert sich Deutschlands erfolgreichster Gourmet-Manager mit Rufen wie „Ja, Leute kauft!“, „Wunderbar!“, „Willkommen!“. Als die Pappfigur endlich im Kasten ist, sinkt er müde auf einen Sessel.

„Wusstest du eigentlich, dass bei Google Earth die Markierung deines Restaurants vier Kilometer versetzt ist?“, fragt der Fotograf. Lafer seufzt. Jetzt muss er sich darum auch noch kümmern.

Von Klaus Kamolz